L 18 RJ 30/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RJ 6/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 RJ 30/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 15/04 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 16.07.2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Anspruch.

Der am 00.00.1958 geborene Kläger ist gelernter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer und war zuletzt 1997 in diesem Beruf tätig. Seit 1996 bezog er Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit in Form von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Er leidet im Wesentlichen unter einem Bronchialasthma, einem Belastungshypertonus, Cervico- brachialgien, einem Syndrom der Brustwirbelsäule, einer links- konvexen Verbiegung der Lendenwirbelsäule, einer Osteopenie, einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie unter einem Abhängig- keitssyndrom.

Der Antrag des Klägers vom 19.06.1998 auf Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit wurde von der Beklagten abgelehnt, nachdem die Ärztin Dr. H in einem Gutachten vom 23.07.1998 zu der Auffassung gelangt war, dass dem Kläger körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig zumutbar seien (Bescheid vom 27.08.1998; Widerspruchsbescheid vom 08.12.1998).

Im Klageverfahren Sozialgericht Duisburg - Az.: S 3 RJ 6/99 -veranlasste das Sozialgericht Begutachtungen durch den Arzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Dr. T und durch den Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. T1. Beide Sachverständige vertraten in ihren Gutachten vom 08.02.2000 und vom 12.04.2000 im Wesentlichen übereinstimmend die Auffassung, dass der Kläger in der Lage sei, körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten, wobei durchschnittliche Anforderungen an Übersicht, Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und Verantwort- ungsbewusstsein gestellt werden könnten. Das Sozialgericht wies daraufhin die Klage - mit der der Kläger zuletzt noch die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt hatte - mit Urteil vom 24.11.2000 ab. Auf den Inhalt der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen - LSG NRW - Az.: L 18 RJ 132/00 holte der Senat ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. X und ein neuro- logisch-psychiatrisches Gutachten von PD Dr. A ein. In ihren Gutachten vom 05.07.2001 und vom 29.10.2001 hielten die Sachverständigen den Kläger noch für in der Lage, körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten vollschichtig und regelmäßig zu verrichten. Der Sachverständige PD Dr. A konnte geistige Einschränkungen nicht feststellen.

In der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2001 erklärte sich die Beklagte bereit, den Leistungsfall der Berufsunfähigkeit im Juni 1998 anzunehmen und ab dem Folgemonat entsprechende Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen. Die Beteiligten erklärten daraufhin den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.

Mit Bescheid vom 04.02.2002 erkannte die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.08.1998 bei dem Kläger für die Zeit ab dem 01.07.1998 Rente wegen Berufsunfähigkeit an. Die Rechtsmittelbelehrung enthält den Zusatz, dass die durch den Vergleich vom 18.12.2001 erfassten und in diesem Bescheid berücksichtigten Tatbestände nicht mehr angefochten werden könnten. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 07.03.2002 Widerspruch und machte im Wesentlichen geltend, dass er für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr leistungsfähig sei. Ferner beantragte er am 07.03.2002 die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach Einholung eines Gutachtens vom 17.07.2002 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab dem 01.04.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 24.07.2002). Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Rente falsch berechnet worden sei. Gemäß dem "Vergleich vom 18.12.2001" sei er für keinen Beruf mehr geeignet, so dass bereits ab einem früheren Zeitpunkt eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen sei.

Mit Bescheid vom 19.12.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte unter anderem aus, dass der Kläger das Vergleichsangebot der Beklagten angenommen und den Rechtsstreit vor dem LSG NRW damit in vollem Umfang für erledigt erklärt habe. Dieser Vergleich sei materiell bindend. Weder das Sozialgericht und das LSG NRW noch die Beteiligten könnten sich über den Inhalt dieses Vergleichs hinwegsetzen. Bei dem Kläger sei Berufsunfähigkeit anerkannt worden, weil er in seinem Beruf und im Verweisungsbereich nicht mehr vollschichtig arbeiten könne. Bei der Prüfung der Frage, ob Erwerbsunfähigkeit vorliege, seien im Gegensatz zur Berufsunfähigkeit alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Erwägung zu ziehen, für deren Ausübung das körperliche und geistige Leistungsvermögen noch ausreiche. Dies sei bei dem Kläger der Fall gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2004 führte die Beklagte aus, dass nach den medizinischen Feststellungen bei dem Kläger vor dem 07.03.2002 keine volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI vorliege, so dass eine Vorverlegung des Leistungsfalles nicht zu begründen sei.

Im Klageverfahren hat der Kläger an seinem Begehren festgehalten und seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002 zu verurteilen, ihm ab 01.07.1998 bis zum 31.03.2002 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit statt der bewilligten Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Bezug genommen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.07.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat die mündliche Verhandlung verlassen und keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 16.07.2003 zurückzuweisen.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes vom 25.09.2003 beigebracht. Danach lasse sich aufgrund der Vorgutachten eine Vorverlegung des Versicherungsfalls nicht begründen.

Weiterer Einzelheiten wegen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte - nachdem der Kläger den Sitzungssaal verlassen hatte - in seiner Abwesenheit (weiter) verhandeln und in der Sache entscheiden. Auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch in seiner Abwesenheit ist der Kläger mit der Ladung hingewiesen worden (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Streitgegenstand sind die Bescheide vom 04.02.2002 und vom 24.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2002. Die Beklagte hat mit dem Widerspruchsbescheid den Widerspruch zurückgewiesen. Mit dem Bescheid vom 24.07.2002 hat sie zum einen auf den Antrag des Klägers vom 07.03.2002 den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung angenommen, zum anderen damit zugleich (konkludent) die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt und insofern eine weitere Regelung getroffen. Den hiergegen am 26.08.2002 erhobenen Widerspruch hat sie ebenfalls im Hinblick auf den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit mit dem Widerspruchsbescheid vom 19.12.2002 zurückgewiesen.

Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat die Beklagte den Widerspruch gegen Bescheid vom 04.02.2002 als unzulässig zurückgewiesen und die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt. Der Kläger ist somit nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.02.2002 war unzulässig. Denn der Regelungsgehalt dieses Bescheides hat sich darauf beschränkt, das vom Kläger angenommene Anerkenntnis der Beklagten (§ 101 Abs. 2 SGG) auszuführen. Der Bescheid konnte mit dem Widerspruch daher nur statthaft angefochten werden, als es um die korrekte Ausführung des Anerkenntnisses ging. Diesbezüglich hat der Kläger jedoch keine Anfechtungsgründe geltend gemacht.

In der Sache hat die Beklagte zutreffend die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung - SGB VI a.F. - sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB VI a.F. ist nicht erwerbsunfähig, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Erwerbsunfähigkeit liegt bei dem Kläger bereits deshalb nicht vor, weil er nach den Feststellungen der im Klage- und Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen in der Lage gewesen ist, leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Eine derartige Leistungsbeurteilung haben zuletzt Prof. Dr. X und PD Dr. A in ihren Gutachten vom 05.07.2001 und vom 29.10.2001 abgegeben. Der Kläger war außerdem nach den Feststellungen des PD Dr. A noch im Jahr 2001 im Wesentlichen fähig, Arbeiten mit Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit entsprechend seiner Ausbildung und bisherigen Berufspraxis auszuführen. Mit diesem Leistungsprofil konnte der Kläger in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zum 31.12.2000 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beispielsweise Tätigkeiten als Pförtner an der Nebenpforte oder als Bürohilfskraft vollschichtig und regelmäßig verrichten. Es handelt sich dabei um geistig einfache Tätigkeiten, die keine körperlichen Belastungen mit sich bringen. Die Körperhaltung kann der Wahl der Stelleninhaber entsprechend frei gewählt werden. Ein Zeit- und/oder Termindruck ist nicht vorhanden. Mit einer Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte oder als Bürohilfskraft im Innendienst sind keine Zwangshaltungen oder ungünstige Temperatureinflüsse verbunden. Insbesondere sind und waren solche leichten körperlichen Arbeiten in ausreichender Anzahl auf dem Arbeitsmarkt - z.B. in größeren Behörden und in der Wirtschaft - vorhanden und dem Kläger auch zugänglich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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