Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 106/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 101/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. April 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der von der Beklagten noch zu erstattende Betrag 1.676,74 EUR beträgt. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf vollständige Kostenübernahme (KÜ) bzw. Kostenerstattung (KE) für den im Jahre 2004 eingegliederten Obturator (Verschlussplatte für Lücken des Gaumens), der mittels Teleskopkronen an Zähnen der Klägerin befestigt wurde, zusteht.
Bei der am 00.00.1935 geborenen Klägerin wurde im Oktober 2002 ein bösartiger Tumor am Gaumen, ein sog. Plattenepithelkarzinom, diagnostiziert, der mit entsprechendem Sicherheitsabstand im Sinne einer Oberkiefer- und Gaumenteilresektion operativ entfernt wurde. Der eingetretene Defekt in der Mundhöhle, eine offene Verbindung zwischen Mund und Nase/Rachen, wurde zunächst übergangsweise mit einem provisorisch an einer Oberkieferinterimsprothese angebrachten Silikonobturator verschlossen. In der Folgezeit traten mehrfach schmerzhafte Druckstellen in der Rachenregion auf. Diese waren nach Auffassung der behandelnden Ärzte durch den Silikonobturator verursacht worden; denn eine lagestabile Befestigung des Obturators an der Oberkieferinterimsprothese war nicht möglich. Der Zahn 24 zerbrach und wurde prothetisch mit einer Wurzelstiftkappe und einem Kugelkopfattachment zur Verbesserung des Prothesenhaltes versorgt. Wegen einer fortgeschrittenen Paradontitis marginalis profunda mussten die gelockerten Zähne 32, 31, 41 und 42 im Unterkiefer gezogen werden. Die behandelnde Westdeutsche Kieferklinik am Universitätsklinikum E fertigte eine Unterkieferteleskopprothese an und setzte sie ein. Mehrfach musste in der Folgezeit die ca. 20 Jahre alte Stiftkrone 13 provisorisch wieder befestigt werden. Sie war für den Halt der Oberkieferinterimsprothese mit Obturator notwendig, obwohl die Stiftkrone 13 nebst Zahnwurzel aus zahnmedizinischer Sicht nicht erhaltungswürdig war.
Zum Jahresanfang 2004 war die endgültige - streitgegenständliche - Versorgung des Oberkiefers der Klägerin zwecks Versorgung des knöchernen, ca. 4 cm x 5 cm großen Defektes mit einem lagestabilen Verschluss beabsichtigt. Am 04.02.2004 legte die Klägerin der Beklagten den Heil- und Kostenplan des Oberarztes Dr. E der Westdeutschen Kieferklinik E vor. Geplant war die Entfernung der Wurzelreste 13 und 23 und Eingliederung einer Oberkieferteleskopprothese mit Obturator aus Titan (statt wie bei der Interimslösung aus Silikon) mit Teleskopen an den noch vorhandenen Zähnen 12, 11, 21 und 22, wobei die Zähne 12 und 11 bereits Kronen aufwiesen. Die voraussichtlichen Kosten lagen bei 1.782,73 EUR. Die Beklagte bewilligte am 16.02.2004 den gesetzlich für die Versorgung mit Zahnersatz höchstmöglichen Zuschuss in Höhe von 65 % der zuschussfähigen Kosten und 6,50 EUR Metallkosten je Abrechnungseinheit. Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin einen Anspruch auf volle KÜ mit der Begründung geltend, sie sei derzeit nur sehr unzureichend mit einem Provisorium versorgt. Die Zähne könnten den Obturator nicht halten, so dass die Prothese oft wegrutsche. Dies verursache nicht nur längere Schmerzzustände, sondern ihr dringe auch unkontrolliert Flüssigkeit und Schleim aus der Nase, da der Obturator die Lücke im Gaumen nicht mehr richtig schließe. Sie habe große Schwierigkeiten beim Sprechen, Essen und Trinken. Die Klägerin bezog sich diesbezüglich auf ärztliche Atteste der Frau Dr. Q, Ärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, vom 06.04.2004 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie L vom 09.03.2004, die eine definitive Versorgung mit einem Obturator aus leichterem Material - Titan - zwecks Verbesserung der Lebensqualität der unter Schmerzen und einer Depression leidenden Klägerin dringend für erforderlich hielten.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2004 als unbegründet zurück. Ein höherer Zuschuss als der bereits übernommene könne nur in Härtefällen im Sinne von § 62 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) neue Fassung (n. F.) i. V. m. § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V alte Fassung (a. F.) gewährt werden. Die Voraussetzungen dafür lägen aber unstreitig nicht vor. Andere Rechtsgrundlagen, die einen Anspruch auf volle KÜ rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Eine Eingliederung der Titan-Prothese entsprechend dem Heil- und Kostenplan erfolgte am 30.04.2004.
Zur Begründung der am 26.05.2004 zum Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte lege ersichtlich einen falschen Sachverhalt zugrunde. Es gehe keineswegs um die bloße Versorgung mit Zahnersatz. Vielmehr seien die im Heil- und Kostenplan im Einzelnen aufgeführten Maßnahmen erforderlich, um den Einsatz des Obturators zu ermöglichen. Eine andere Art der Befestigung sei nicht möglich. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits mit Urteil vom 11.11.1975 (Sozialrecht -SozR- 2200 § 182 Nr. 11) entschieden, dass den Versicherten Zahnersatz ohne eigene Kostenbeteiligung zu gewähren sei, wenn die zahnprothetische Versorgung Teil oder notwendige Vorbedingung einer anderen Sachleistung sei. Das Sozialgericht Düsseldorf habe in einem vergleichbaren, unter dem Az.: S 8 KR 120/02 geführten Verfahren ebenfalls einen umfassenden Sachleistungsanspruch der Versicherten angenommen. Schließlich hätten auch die Leistungsreferenten der Spitzenverbände der Krankenkassen am 22.01.1999 einen uneingeschränkten Leistungsumfang gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V für Zahnersatz bei einer notwendigen Versorgung wegen Verlustes von größeren Knochensubstanzen, insbesondere bei einer Tumor-Therapie, wenn kein Implantat gesetzt werden könne, angenommen und den Zahnersatz lediglich als Teilmaßnahme der ärztlichen, zahnärztlichen und kieferchirurgischen Gesamtbehandlung gesehen. Voraussetzung sei insoweit lediglich, dass eine Ausnahmeindikation im Sinne von § 92 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V und den Richtlinien zur zahnärztlichen Versorgung (ZÄVersorgRL) vorliege. Dies sei bei ihr der Fall. Wenn die Beklagte aber - viel höhere - Kosten einer Implantatlösung zu tragen hätte, dann müsse sie erst Recht die Kosten der bei ihr gewählten, wesentlich kostengünstigeren Lösung unter Verwendung von Teleskopkronen übernehmen. Da sie inzwischen seitens des Universitätsklinikums E in Anspruch genommen werde, bestehe Entscheidungsbedarf. Insoweit verwies die Klägerin auf zwei Rechnungen vom 16.12.2005, die sie am 05.01.2006 beglichen hatte. Die die o. g. Eingliederung betreffende Rechnung (Rechnungs-Nr.: 000) wies Kosten für zahnärztliches Honorar in Höhe von 745,38 EUR, für Fremdlabor in Höhe von 1.881,00 EUR und Eigenlabor in Höhe von 65,92 EUR auf. Von der Gesamtsumme in Höhe von 2.692,30 EUR wurde die Position "Metall" in Höhe von 237,16 EUR in Abzug gebracht. Nach Abzug eines Kassenanteils in Höhe von 65 % entsprechend 1.595,84 EUR und des Metallzuschusses der Kasse in Höhe von weiteren 39,00 EUR verblieb insoweit ein Versichertenanteil in Höhe von 1.057,46 EUR. Hinzu kamen sog. nicht zuschussfähige Mehrkosten in Höhe von 283,04 EUR (Honorar für Teleskopkronen für die Zähne 11 und 21) und 336,24 EUR (Fremdlaborkosten für Mehraufwand an den Zähnen 11 und 21, Teleskopkronen und Titanzuschlag Obturator). Daraus ergab sich ein insgesamt von der Klägerin zu zahlender Gesamtbetrag in Höhe von 1.676,74 EUR. Die weitere Rechnung vom 16.12.2005 (Rechnungs-Nr.: 000) betraf die vollständige Unterfütterung einer Defektprothese, durchgeführt am 07.04.2005, und wies Gesamtkosten in Höhe von 153,64 EUR auf.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2004 zu verurteilen, die Kosten gemäß dem Heil- und Kostenplan einschließlich Anlage vom 29.01.2004 in vollem Umfang zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie sich auf den ihrer Auffassung nach rechtmäßigen angefochtenen Bescheid bezogen. Die von der Klägerin gewünschte vollständige KÜ bzw. inzwischen KE lasse sich nicht aus der Stellungnahme der Spitzenverbände vom 22.01.1999 herleiten. Auch lägen keine ärztlichen Unterlagen vor, aus denen sich ergebe, dass bei der Klägerin ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt im Sinne der Ausnahmeindikationen vorliege. Voraussetzung für einen Anspruch gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i. V. m. den Ausnahmeindikationen setze jedoch weiter voraus, dass eine konventionelle prothetische Versorgung nicht möglich sei. Gerade eine solche erstrebe die Klägerin jedoch. Das a-maiore-ad-minus-Argument der Klägerin gehe insoweit fehl. Auf die zitierte Rechtsprechung des BSG könne sich die Klägerin ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Das BSG habe mit Urteil vom 06.10.1999 (SozR 3-2500 § 30 Nr. 10) in ausdrücklicher Abgrenzung den Urteilen vom 8.3.1995 (SozR 3-2500 § 30 Nr. 5) und vom 7.12.1977 (SozR 2200 § 182 Nr. 29) später entschieden, dass die Leistung der Krankenkasse bei der Versorgung mit Zahnersatz auch dann auf einen Zuschuss beschränkt bleibe, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken diene oder integrierender Bestandteil einer anderen Behandlung sei. Begründet habe das BSG dies in überzeugender Weise mit der Anknüpfung an den Gegenstand "Zahnersatz". Auf die jeweilige Ursache des Behandlungsbedarfes komme es dagegen nicht an. § 30 SGB V regele danach als lex specialis die Ansprüche bei Versorgung mit Zahnersatz abschließend. Für eine teleologische Reduktion dieser Norm in besonders gelagerten Einzelfällen sei kein Raum.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der Westdeutschen Kieferklinik E vom 10.08.2004 eingeholt. Danach hat die Klägerin nach Durchführung der beantragten Maßnahme keinerlei Beschwerden mehr geäußert. Ihr Allgemeinzustand habe sich erheblich verbessert. Bei der Klägerin habe als Folge der Tumorbehandlung ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt bestanden. Ein Teil des Oberkiefers bzw. Gaumens sei entfernt worden. Eine qualitative Alternative zu dem eingesetzten Titanobturator zum Verschluss des Kieferdefektes sei nicht bekannt. Aufgrund der Restbezahnung 12, 11, 21, 22 wäre auch eine Überkronung dieser Zähne in Betracht gekommen, verbunden mit einer Oberkiefer-Modellgussprothese. Langfristig hätte diese Lösung jedoch zu einer Überlastung der Frontzähne geführt und wäre bei Verlust eines Zahnes nicht erweiterbar gewesen. Auch bei einer Behandlung mit Implantaten wäre zwingend der Titanobturator sowie eine prothetische Versorgung notwendig gewesen. Auch hätte ein implantatgetragener Zahnersatz erheblich höhere Kosten verursacht. Die Kosten für den Titanobturator und die Frontzahnkronen wären ohnehin angefallen.
Mit Urteil vom 10.04.2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Kosten gemäß dem Heil- und Kostenplan einschließlich Anlagen vom 29.01.2004 in vollem Umfang zu übernehmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, der geltend gemachte Anspruch bestehe unter Berücksichtigung des Grundsatzes a maiore ad minus und folge aus § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V. Der in dieser Vorschrift geregelte umfassende Sachleistungsanspruch der Implantatversorgung bestehe erst Recht für weniger aufwändige konventionelle prothetische Versorgungen. Die Klägerin erfülle mit dem vorliegenden größeren Kieferdefekt, der seine Ursache in einer Tumoroperation habe, den in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung der Versicherten (Behandlungs-Richtlinien) vorgesehene Ausnahmeindikation. Dieses Ergebnis stehe nicht in Widerspruch zu der o. g. Entscheidung des BSG vom 06.10.1999, a. a. O.; vielmehr sei der Rechtsprechung des BSG dahingehend zu folgen, dass es sich bei den §§ 28 bis 30 SGB V um abschließende Spezialregelungen handele und dementsprechend eine ausdrückliche Gesetzesregelung erforderlich sei, wenn eine bestimmte Fallgestaltung von einer Beschränkung des Versicherungsschutzes ausgenommen sein solle. Denn eine derartige Regelung existiere in § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V und habe mit der zeitlich nach der Entscheidung des BSG erfolgten Einführung des § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 22.12.1999, Bundesgesetzblatt -BGBl.- I S. 2626, eine Verdeutlichung erfahren. In § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i. V. m. Abschnitt B.VII.29.a der Behandlungs-Richtlinien werde ausdrücklich geregelt, dass bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in einer Kiefernoperation haben, ein Sachleistungsanspruch im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung bestehe. Diese Regelung beziehe sich zwar ausdrücklich auf Implantate und Suprakonstruktionen. Unter Berücksichtigung der früheren Rechtsprechung des BSG zum Gesamtbehandlungsgrundsatz und vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die von der Klägerin begehrte konventionelle Versorgung gegenüber dem gesetzlich geregelten Anspruch auf Versorgung mit Implantaten und einer Suprakonstruktion ohne Eigenbeteiligung die weitaus aufwändigere Versorgung darstelle, die im Falle der technisch-medizinischen Realisierungsmöglichkeit den Implantatanspruch als quasi subsidiär ausschließe, müsse nach dem Grundsatz a maiore ad minus der in § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V geregelte umfassende Sachleistungsanspruch der Implantatversorgung erst Recht für die weniger aufwändige konventionelle prothetische Versorgung gelten. Dass sich der Sachleistungsanspruch auch auf Zahnersatz erstrecke und nicht durch die vom BSG als abschließend beurteilte Regelung des § 30 SGB V beschränkt werde, ergebe sich ausdrücklich aus der zum 01.01.2000 eingetretenen Gesetzesänderung. Obwohl § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V die Suprakonstruktion als Zahnersatz mit der damit für die Versicherten in der Regel verbundenen Eigenbeteiligung qualifiziere, sei der umfassende Sachleistungsanspruch gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V vom Gesetzgeber ausdrücklich beibehalten und weiterhin auf den Zahnersatz der Suprakonstruktion erstreckt geblieben ( "einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung "). Aus den angeführten Gründen fehle das vom BSG in der von ihm geprüften Fallgestaltung angenommene beredte Schweigen der §§ 28 bis 30 SGB V für die vorliegende Fallgestaltung der Tumoroperation sowie für die übrigen Ausnahmeindikationen der Implantatversorgung.
Gegen das ihr am 21.04.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.05.2006 Berufung eingelegt. Sie bezieht sich zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend weist sie darauf hin, das Sozialgericht verkenne, dass in § 28 Abs. 2 S. 9 i. V. m. § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V (gültig bis zum 31.12.2004) lediglich die Ausnahme für eine Leistungsgewährung von implantologischen Leistungen geregelt sei, deren Kostenübernahme grundsätzlich ausgeschlossen sei. Bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation bestehe ein Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung jedoch nur dann, wenn eine konventionelle Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei. Bei extraoralen Defekten im Gesichtsbereich nach Tumoroperationen oder Unfällen oder infolge genetisch bedingter Nichtanlagen sei die operative Deckung des Defektes das primäre Ziel. Sei eine rein operative Rehabilitation nicht möglich und scheide eine Fixierung von Epithesen zum Defektverschluss durch andere Fixierungsmöglichkeiten aus, so sei eine Verankerung von Epithesen durch Implantate angezeigt (Abschnitt B.VII.30 der Behandlungs-Richtlinien). Die Klägerin mache jedoch keine Versorgung mit Implantaten geltend, sondern eine solche mit Zahnersatz. Außer der Härtefallregelung des § 60 SGB V, deren Voraussetzungen nicht vorlägen, gebe es für die Bezuschussung von Zahnersatz keine Ausnahmeregelung. Die Entscheidung des BSG vom 06.10.1999, a. a. O., dass auch der Zusammenhang der zahnprothetischen Versorgung mit einer anderen Erkrankung nicht zu einer höheren Kostenbeteiligung durch die Kassen führen könne, habe nach wie vor Gültigkeit. Im Übrigen sei ein Obturator bis zum 31.12.2004 - die Eingliederung sei am 30.04.2004 erfolgt - nach dem Gebührentarif C des Zahnersatz-Ersatzkassen-Tarifs (wie auch der Zahnersatz) abzurechnen gewesen. Damit sei er der Zahnprothetik gleichzusetzen und ebenso zu bezuschussen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.04.2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Nachdem die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.12.2006 bezüglich der Rechnung vom 16.12.2005 (Rechnungs-Nr.: 000) einen Teilvergleich geschlossen haben, beantragt die Klägerin,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.04.2006 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte zu verurteilen ist, dass die sich aus der Rechnung vom 16.12.2005 Nr. 000 (Bl. 50 der GA) ergebenden Restkosten in Höhe von 1.676,74 EUR zu erstatten sind.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die aus ihrer Sicht zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe. Hilfsweise trägt sie vor, auch bei einer Verpflichtung zur vollen KÜ, für die sie keine Anspruchsgrundlage zu erkennen vermöge, seien jedenfalls davon nicht die in der Rechnung vom 16.12.2005 (Rechnungs-Nr.: 000) aufgeführten Mehrkosten umfasst. Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB V in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung sehe vor, dass die Versicherten die Mehrkosten der zusätzlichen, über die Versorgung nach § 30 Abs. 1 SGB V hinausgehenden Leistungen selbst in vollem Umfang zu tragen hätten.
Der Senat hat ein Gutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr. S, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum C vom 31.07.2006 eingeholt. In seinem Gutachten, das auf einer klinischen Untersuchung der Klägerin am 12.07.2006 beruht, sowie in der ergänzenden Stellungnahme vom 06.11.2006 hat der Sachverständige u. a. folgende Feststellungen getroffen: Bei der Klägerin liege in Folge der Tumoroperation nach Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle ein 5 cm x 4 cm großer Defekt im Bereich des Weich- bzw. Übergangs zum Hartgaumen vor. Dieser stelle einen großen Kieferdefekt, der seine Ursache in einer Tumoroperation habe, im Sinne der Ausnahmeindikation des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i. V. m. Abschnitt B.VII.29a der Behandlungs-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses dar. Wegen der bei der Klägerin vorliegenden Restbezahnung und der noch gegebenen Möglichkeit der Verankerung des Prothesenlagers im Hartgaumenbereich mit Erhalt des Ventilrandes im Vestibulum habe im Jahre 2004 auf eine Implantatlösung verzichtet werden können. Die Klägerin sei konventionell versorgt worden, und zwar zutreffend mittels Oberkieferteleskopprothese und Titanobturator. Ohne den eingegliederten Obturator wäre eine "normale" Nahrungsaufnahme und "normale" verbale Kommunikation nicht möglich. Die Notwendigkeit der realisierten Maßnahmen habe sich ausschließlich aufgrund der tumorbedingten Teilentfernung des Gaumens ergeben. Die gewählte Versorgung habe bei der Klägerin zu einer schnellen und suffizienten kaufunktionellen Rehabilitation geführt. Aus mechanischer und physiologischer Sicht sei dabei die Verwendung des leichten und zugleich stabilen Materials Titan notwendig gewesen. Die Klägerin sei subjektiv wie objektiv sehr gut versorgt. Eine - nach Vorgabe des Gesetzgebers im Verhältnis zur konventionellen Versorgung subsidiäre - "Implantatlösung" hätte erst nach einer Vorlaufzeit von ca. zwölf Monaten für einen Knochenaufbau und eine Implantateinpflanzung zu einer adäquaten Versorgung der Klägerin geführt, die zudem mit höheren Kosten verbunden gewesen wäre.
Auf weitere Nachfrage hat der Sachverständige unter dem 11. und 12.12.2006 mitgeteilt, dass die im Rahmen der Versorgung der Klägerin durchgeführten Maßnahmen notwendig und erforderlich gewesen seien, um einen sicheren Sitz der Titan-Gaumen-Verschlussplatte zu ermöglichen. Es habe sich nicht um Leistungen gehandelt, die unabhängig vom Ausgleich des Gaumendefektes in erster Linie notwendig gewesen seien, um die Zahn-/Kaufunktion bei der Klägerin wiederherzustellen, zu verbessern oder zu erhalten. Die Maßnahme habe nicht dem Zahnersatz, sondern der Behebung des Gaumendefektes gedient. Sämtliche als Mehrkosten in der streitgegenständlichen Rechnung vom 16.12.2005 gekennzeichneten Maßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen. Im Frontzahnbereich sei eine Keramikverblendung indiziert; die Teleskopverankerung habe die einzig mögliche Verankerungsform dargestellt, um die Obturatorprothese zu fixieren.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist - soweit im Hinblick auf den von den Parteien geschlossenen Teilvergleich nur noch die Erstattung von Kosten in Höhe von 1.676,74 EUR streitig ist - nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht mit Urteil vom 10.04.2006 der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, Kosten in oben genannter Höhe zu tragen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2004 ist rechtswidrig; denn der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung aller im Zusammenhang mit der Eingliederung des Obturators am 30.04.2004 entstandenen Kosten, in den sich der ursprünglich geltend gemachte Anspruch auf KÜ gewandelt hat, zu.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf KE für die von der Klägerin selbst beschaffte und "vorfinanzierte" Versorgung des Gaumendefektes ist § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V (hier anzuwenden in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266; seit 1. Juli 2001 § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 i. d. F. des Art. 5 Nr. 7 Buchst. b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046). Diese Vorschrift lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51 f. m. w. N.; SozR 4-2500 § 27 Nr. 1 RdNr. 10; SozR 4-2500 § 27a Nr. 1 RdNr. 3).
Die Voraussetzungen für eine solche KE sind erfüllt. Die Klägerin hat die streitige Versorgung des Gaumens erst vornehmen lassen, nachdem die Beklagte ihr einen ablehnenden Bescheid erteilt hatte (zum Erfordernis des Abwartens einer Verwaltungsentscheidung vgl z. B. BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 6 S. 35 m. w. N.). Der Senat hat keine Bedenken, in der Zuerkennung eines 65 %-igen Zuschusses zu den zuschussungsfähigen Kosten sowie der Übernahme von 6,50 EUR Metallkosten je Abrechnungseinheit mittels entsprechender Eintragung auf dem Heil- und Kostenplan vom 29.01.2004 einen Verwaltungsakt gemäß § 31 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und zugleich die - konkludent darin enthaltene - Ablehnung der Übernahme einer höheren Kostenquote zu sehen. Auch die Klägerin hat dies, wie ihre Widerspruchsbegründung deutlich macht, so gesehen.
Die weitere Voraussetzung des § 13 Abs. 3 SGB V, dass ein Primäranspruch auf vollumfängliche und nicht nur anteilige KÜ für eine Versorgung mit einem Obturator zur Schließung der operativ entstandenen Lücke zwischen Mund- und Nasenbereich besteht, ist ebenfalls erfüllt.
Der (unstreitige) Behandlungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 27 Abs. 1 S. 1 und Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V und umfasst - notwendige - zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz. Dass die von der Westdeutschen Kieferklinik E bis zum 30.04.2004 erbrachten Leistungen von der Art der Versorgung und dem Umfang der erbrachten Leistungen her den Geboten der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit, vgl. § 12 Abs. 1 SGB V, entsprechen, steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten und in den ergänzenden Stellungnahmen fest. Dieser hat eingehend erläutert, dass es zur Schließung des relativ großen Defektes im Oberkiefer der Klägerin dringend des Einsatzes eines Obturators bedurfte. Ansonsten wäre die Klägerin wegen der fehlenden Trennung von Mund- und Nasenbereich sowohl bei der Nahrungsaufnahme als auch bei der Kommunikation in nicht hinnehmbarer Weise eingeschränkt gewesen. Wie die unzureichende Interimsversorgung deutlich gemacht hat, führte bereits der unvollständige Verschluss der Mund- und Nasenbereiche zu erheblichen Beeinträchtigungen, wie etwa dem ständigen Ausfluss von Schleim. Der Sachverständige hat ebenfalls die medizinische Notwendigkeit der in der streitgegenständlichen Rechnung vom 16.12.2005 aufgeführten sog. Mehrkosten bestätigt. Alternativen zu dem eingesetzten Titanobturator standen nicht zur Verfügung. Insbesondere hatte sich während der Tragezeit der Interimsprothese gezeigt, dass Silikon nur zu einem unzureichenden Verschluss der Mundhöhle und aufgrund der dadurch bedingten mangelnden Fixierung zu ständigen Schmerzen und Entzündungen geführt hatte. Auch stand bei Verwendung eines schwereren als des verwendeten Materials Titan zu befürchten, dass die als Haltepunkte für den Obturator eingesetzten Zähne auf Dauer Schaden nehmen und in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Die Notwendigkeit der Verblendung im Bereich der Frontzähne vermag der Senat im Hinblick auf die auch insoweit schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls nicht zu verneinen. Ohne eine solche Verblendung wäre es nach Einsatz des Titanobturators zu einer gravierenden Veränderung des Aussehens der Klägerin gekommen, die einer Entstellung vergleichbar wäre. Dass schließlich nur Teleskopkronen als Verankerungen für den Obturator in Betracht kamen, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ebenso wären keine Implantate in Betracht gekommen. Um einen Stand der Versorgung bei der Klägerin zu erreichen, wie dieser am 30.04.2004 vorlag, hätte es bei der alternativen Implantatversorgung einer Vorlaufzeit von einem ganzen Jahr bedurft. Dies wäre der Klägerin keinesfalls zumutbar gewesen. Der Sachverständige hat ebenfalls deutlich gemacht, dass es sich bei der im Jahre 2004 erfolgten Versorgung der Klägerin um eine wirtschaftliche Lösung gehandelt hat. Preiswertere Alternativen sind nicht ersichtlich. Insbesondere hätte eine Implantatversorgung höhere Kosten verursacht, wenn der Sachverständige auch keine bezifferte Angabe über die zu veranschlagenden Kosten machen konnte. Die Schlussfolgerung entspricht jedoch der Erfahrung des Senates in Fällen der Versorgung Versicherter mit Implantaten und Suprakonstruktion.
Nach Auffassung des Senates ist die Leistungspflicht der Krankenkasse im Falle der Klägerin nicht nach § 30 SGB V - hier in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 19.12.1998, BGBl I 3853, und des Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 22.12.1999, BGBl 2626, - auf die Zahlung eines Festzuschusses für den berücksichtigungsfähigen Aufwand beschränkt. Eine Erhöhung des Kassenanteils ist mit Rücksicht auf regelmäßige Zahnpflege nach § 30 Abs. 2 SGB V in der o. g. Fassung auf 65 % möglich gewesen. Dass die Beklagte Zuschüsse in der gesetzlich vorgesehenen Höhe geleitstet hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Sie ist jedoch verpflichtet gewesen, in vollem Umfang die Kosten der zahnärztlichen Behandlung der Klägerin zu übernehmen.
Die besonderen Gründe, die für die Notwendigkeit der zahnärztlichen Versorgung sprechen - Zustand nach Tumoroperation mit Entfernung eines Teils des Oberkiefers und Gaumens und verbliebenem Defekt - rechtfertigen ausnahmsweise einen höheren Prozentsatz im Sinne einer voller KÜ bzw. KE der entstandenen Kosten. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall nach Auffassung des erkennenden Senates grundlegend von dem von der Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 06.10.1999 (a. a. O.). Zwar ist, wie die Beklagte zutreffend vorgetragen hat, auch das Anfertigen und Einsetzen eines Obturators Bestandteil der zahnärztlichen Versorgung und Abrechnung. In dem o. g. vom BSG im Jahre 1999 entschiedenen Fall war Gegenstand der zahnärztlichen Tätigkeit die Eingliederung von Zahnersatz, auch wenn die Versorgung aus anderen als zahnmedizinischen Gründen - dort: Unverträglichkeit der vorhandenen Füllungen aus Metalllegierungen (siehe auch BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 3 -Goldlegierung- und BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 5 -Amalgam-) - erforderlich war. Es ging jedoch um Fallgestaltungen, bei denen entweder eine Erkrankung der Zähne selbst den Zahnersatz bedingten oder die Zähne und der vorhandene Zahnersatz Auslöser für andere Erkrankungen im Sinne von Unverträglichkeitsreaktionen waren. Vorliegend waren jedoch allein technische Gründe ausschlaggebend für die Überkronung von Zähnen der Klägerin. Der unstreitig erforderliche Obturator konnte nach übereinstimmender Auffassung der behandelnden Ärzte und des gerichtlichen Sachverständigen unter Berücksichtigung des Gebotes der Wirtschaftlichkeit allein mittels Befestigung an den Zähnen der Klägerin den notwendigen Halt finden. Dass die als Haltepunkte dienenden Zähne der Klägerin - allein aus diesem Grunde - mit Kronen und Teleskopkronen versehen werden mussten, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede. Der Sachverständige hat dies auf ausdrückliche Nachfrage des Senates nochmals bestätigt. Nach dem Gesamtbehandlungsgrundsatz stellt sich der Einsatz des Obturators daher mit allen Nebenarbeiten als medizinisch und wirtschaftlich sinnvolle und notwendige ärztliche Behandlungsmaßnahme dar mit der Folge, dass die Beklagte die entstandenen Kosten vollumfänglich zu tragen hat. Die Eingliederung eines Obturators ist keine Maßnahme des Zahnersatzes. Auf die weitere a maiore ad minus-Argumentation des Sozialgerichts im Zusammenhang mit der Regelung des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V kommt es daher nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf vollständige Kostenübernahme (KÜ) bzw. Kostenerstattung (KE) für den im Jahre 2004 eingegliederten Obturator (Verschlussplatte für Lücken des Gaumens), der mittels Teleskopkronen an Zähnen der Klägerin befestigt wurde, zusteht.
Bei der am 00.00.1935 geborenen Klägerin wurde im Oktober 2002 ein bösartiger Tumor am Gaumen, ein sog. Plattenepithelkarzinom, diagnostiziert, der mit entsprechendem Sicherheitsabstand im Sinne einer Oberkiefer- und Gaumenteilresektion operativ entfernt wurde. Der eingetretene Defekt in der Mundhöhle, eine offene Verbindung zwischen Mund und Nase/Rachen, wurde zunächst übergangsweise mit einem provisorisch an einer Oberkieferinterimsprothese angebrachten Silikonobturator verschlossen. In der Folgezeit traten mehrfach schmerzhafte Druckstellen in der Rachenregion auf. Diese waren nach Auffassung der behandelnden Ärzte durch den Silikonobturator verursacht worden; denn eine lagestabile Befestigung des Obturators an der Oberkieferinterimsprothese war nicht möglich. Der Zahn 24 zerbrach und wurde prothetisch mit einer Wurzelstiftkappe und einem Kugelkopfattachment zur Verbesserung des Prothesenhaltes versorgt. Wegen einer fortgeschrittenen Paradontitis marginalis profunda mussten die gelockerten Zähne 32, 31, 41 und 42 im Unterkiefer gezogen werden. Die behandelnde Westdeutsche Kieferklinik am Universitätsklinikum E fertigte eine Unterkieferteleskopprothese an und setzte sie ein. Mehrfach musste in der Folgezeit die ca. 20 Jahre alte Stiftkrone 13 provisorisch wieder befestigt werden. Sie war für den Halt der Oberkieferinterimsprothese mit Obturator notwendig, obwohl die Stiftkrone 13 nebst Zahnwurzel aus zahnmedizinischer Sicht nicht erhaltungswürdig war.
Zum Jahresanfang 2004 war die endgültige - streitgegenständliche - Versorgung des Oberkiefers der Klägerin zwecks Versorgung des knöchernen, ca. 4 cm x 5 cm großen Defektes mit einem lagestabilen Verschluss beabsichtigt. Am 04.02.2004 legte die Klägerin der Beklagten den Heil- und Kostenplan des Oberarztes Dr. E der Westdeutschen Kieferklinik E vor. Geplant war die Entfernung der Wurzelreste 13 und 23 und Eingliederung einer Oberkieferteleskopprothese mit Obturator aus Titan (statt wie bei der Interimslösung aus Silikon) mit Teleskopen an den noch vorhandenen Zähnen 12, 11, 21 und 22, wobei die Zähne 12 und 11 bereits Kronen aufwiesen. Die voraussichtlichen Kosten lagen bei 1.782,73 EUR. Die Beklagte bewilligte am 16.02.2004 den gesetzlich für die Versorgung mit Zahnersatz höchstmöglichen Zuschuss in Höhe von 65 % der zuschussfähigen Kosten und 6,50 EUR Metallkosten je Abrechnungseinheit. Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin einen Anspruch auf volle KÜ mit der Begründung geltend, sie sei derzeit nur sehr unzureichend mit einem Provisorium versorgt. Die Zähne könnten den Obturator nicht halten, so dass die Prothese oft wegrutsche. Dies verursache nicht nur längere Schmerzzustände, sondern ihr dringe auch unkontrolliert Flüssigkeit und Schleim aus der Nase, da der Obturator die Lücke im Gaumen nicht mehr richtig schließe. Sie habe große Schwierigkeiten beim Sprechen, Essen und Trinken. Die Klägerin bezog sich diesbezüglich auf ärztliche Atteste der Frau Dr. Q, Ärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, vom 06.04.2004 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie L vom 09.03.2004, die eine definitive Versorgung mit einem Obturator aus leichterem Material - Titan - zwecks Verbesserung der Lebensqualität der unter Schmerzen und einer Depression leidenden Klägerin dringend für erforderlich hielten.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2004 als unbegründet zurück. Ein höherer Zuschuss als der bereits übernommene könne nur in Härtefällen im Sinne von § 62 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) neue Fassung (n. F.) i. V. m. § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V alte Fassung (a. F.) gewährt werden. Die Voraussetzungen dafür lägen aber unstreitig nicht vor. Andere Rechtsgrundlagen, die einen Anspruch auf volle KÜ rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Eine Eingliederung der Titan-Prothese entsprechend dem Heil- und Kostenplan erfolgte am 30.04.2004.
Zur Begründung der am 26.05.2004 zum Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte lege ersichtlich einen falschen Sachverhalt zugrunde. Es gehe keineswegs um die bloße Versorgung mit Zahnersatz. Vielmehr seien die im Heil- und Kostenplan im Einzelnen aufgeführten Maßnahmen erforderlich, um den Einsatz des Obturators zu ermöglichen. Eine andere Art der Befestigung sei nicht möglich. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits mit Urteil vom 11.11.1975 (Sozialrecht -SozR- 2200 § 182 Nr. 11) entschieden, dass den Versicherten Zahnersatz ohne eigene Kostenbeteiligung zu gewähren sei, wenn die zahnprothetische Versorgung Teil oder notwendige Vorbedingung einer anderen Sachleistung sei. Das Sozialgericht Düsseldorf habe in einem vergleichbaren, unter dem Az.: S 8 KR 120/02 geführten Verfahren ebenfalls einen umfassenden Sachleistungsanspruch der Versicherten angenommen. Schließlich hätten auch die Leistungsreferenten der Spitzenverbände der Krankenkassen am 22.01.1999 einen uneingeschränkten Leistungsumfang gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V für Zahnersatz bei einer notwendigen Versorgung wegen Verlustes von größeren Knochensubstanzen, insbesondere bei einer Tumor-Therapie, wenn kein Implantat gesetzt werden könne, angenommen und den Zahnersatz lediglich als Teilmaßnahme der ärztlichen, zahnärztlichen und kieferchirurgischen Gesamtbehandlung gesehen. Voraussetzung sei insoweit lediglich, dass eine Ausnahmeindikation im Sinne von § 92 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V und den Richtlinien zur zahnärztlichen Versorgung (ZÄVersorgRL) vorliege. Dies sei bei ihr der Fall. Wenn die Beklagte aber - viel höhere - Kosten einer Implantatlösung zu tragen hätte, dann müsse sie erst Recht die Kosten der bei ihr gewählten, wesentlich kostengünstigeren Lösung unter Verwendung von Teleskopkronen übernehmen. Da sie inzwischen seitens des Universitätsklinikums E in Anspruch genommen werde, bestehe Entscheidungsbedarf. Insoweit verwies die Klägerin auf zwei Rechnungen vom 16.12.2005, die sie am 05.01.2006 beglichen hatte. Die die o. g. Eingliederung betreffende Rechnung (Rechnungs-Nr.: 000) wies Kosten für zahnärztliches Honorar in Höhe von 745,38 EUR, für Fremdlabor in Höhe von 1.881,00 EUR und Eigenlabor in Höhe von 65,92 EUR auf. Von der Gesamtsumme in Höhe von 2.692,30 EUR wurde die Position "Metall" in Höhe von 237,16 EUR in Abzug gebracht. Nach Abzug eines Kassenanteils in Höhe von 65 % entsprechend 1.595,84 EUR und des Metallzuschusses der Kasse in Höhe von weiteren 39,00 EUR verblieb insoweit ein Versichertenanteil in Höhe von 1.057,46 EUR. Hinzu kamen sog. nicht zuschussfähige Mehrkosten in Höhe von 283,04 EUR (Honorar für Teleskopkronen für die Zähne 11 und 21) und 336,24 EUR (Fremdlaborkosten für Mehraufwand an den Zähnen 11 und 21, Teleskopkronen und Titanzuschlag Obturator). Daraus ergab sich ein insgesamt von der Klägerin zu zahlender Gesamtbetrag in Höhe von 1.676,74 EUR. Die weitere Rechnung vom 16.12.2005 (Rechnungs-Nr.: 000) betraf die vollständige Unterfütterung einer Defektprothese, durchgeführt am 07.04.2005, und wies Gesamtkosten in Höhe von 153,64 EUR auf.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2004 zu verurteilen, die Kosten gemäß dem Heil- und Kostenplan einschließlich Anlage vom 29.01.2004 in vollem Umfang zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie sich auf den ihrer Auffassung nach rechtmäßigen angefochtenen Bescheid bezogen. Die von der Klägerin gewünschte vollständige KÜ bzw. inzwischen KE lasse sich nicht aus der Stellungnahme der Spitzenverbände vom 22.01.1999 herleiten. Auch lägen keine ärztlichen Unterlagen vor, aus denen sich ergebe, dass bei der Klägerin ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt im Sinne der Ausnahmeindikationen vorliege. Voraussetzung für einen Anspruch gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i. V. m. den Ausnahmeindikationen setze jedoch weiter voraus, dass eine konventionelle prothetische Versorgung nicht möglich sei. Gerade eine solche erstrebe die Klägerin jedoch. Das a-maiore-ad-minus-Argument der Klägerin gehe insoweit fehl. Auf die zitierte Rechtsprechung des BSG könne sich die Klägerin ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Das BSG habe mit Urteil vom 06.10.1999 (SozR 3-2500 § 30 Nr. 10) in ausdrücklicher Abgrenzung den Urteilen vom 8.3.1995 (SozR 3-2500 § 30 Nr. 5) und vom 7.12.1977 (SozR 2200 § 182 Nr. 29) später entschieden, dass die Leistung der Krankenkasse bei der Versorgung mit Zahnersatz auch dann auf einen Zuschuss beschränkt bleibe, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken diene oder integrierender Bestandteil einer anderen Behandlung sei. Begründet habe das BSG dies in überzeugender Weise mit der Anknüpfung an den Gegenstand "Zahnersatz". Auf die jeweilige Ursache des Behandlungsbedarfes komme es dagegen nicht an. § 30 SGB V regele danach als lex specialis die Ansprüche bei Versorgung mit Zahnersatz abschließend. Für eine teleologische Reduktion dieser Norm in besonders gelagerten Einzelfällen sei kein Raum.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der Westdeutschen Kieferklinik E vom 10.08.2004 eingeholt. Danach hat die Klägerin nach Durchführung der beantragten Maßnahme keinerlei Beschwerden mehr geäußert. Ihr Allgemeinzustand habe sich erheblich verbessert. Bei der Klägerin habe als Folge der Tumorbehandlung ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt bestanden. Ein Teil des Oberkiefers bzw. Gaumens sei entfernt worden. Eine qualitative Alternative zu dem eingesetzten Titanobturator zum Verschluss des Kieferdefektes sei nicht bekannt. Aufgrund der Restbezahnung 12, 11, 21, 22 wäre auch eine Überkronung dieser Zähne in Betracht gekommen, verbunden mit einer Oberkiefer-Modellgussprothese. Langfristig hätte diese Lösung jedoch zu einer Überlastung der Frontzähne geführt und wäre bei Verlust eines Zahnes nicht erweiterbar gewesen. Auch bei einer Behandlung mit Implantaten wäre zwingend der Titanobturator sowie eine prothetische Versorgung notwendig gewesen. Auch hätte ein implantatgetragener Zahnersatz erheblich höhere Kosten verursacht. Die Kosten für den Titanobturator und die Frontzahnkronen wären ohnehin angefallen.
Mit Urteil vom 10.04.2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Kosten gemäß dem Heil- und Kostenplan einschließlich Anlagen vom 29.01.2004 in vollem Umfang zu übernehmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, der geltend gemachte Anspruch bestehe unter Berücksichtigung des Grundsatzes a maiore ad minus und folge aus § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V. Der in dieser Vorschrift geregelte umfassende Sachleistungsanspruch der Implantatversorgung bestehe erst Recht für weniger aufwändige konventionelle prothetische Versorgungen. Die Klägerin erfülle mit dem vorliegenden größeren Kieferdefekt, der seine Ursache in einer Tumoroperation habe, den in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung der Versicherten (Behandlungs-Richtlinien) vorgesehene Ausnahmeindikation. Dieses Ergebnis stehe nicht in Widerspruch zu der o. g. Entscheidung des BSG vom 06.10.1999, a. a. O.; vielmehr sei der Rechtsprechung des BSG dahingehend zu folgen, dass es sich bei den §§ 28 bis 30 SGB V um abschließende Spezialregelungen handele und dementsprechend eine ausdrückliche Gesetzesregelung erforderlich sei, wenn eine bestimmte Fallgestaltung von einer Beschränkung des Versicherungsschutzes ausgenommen sein solle. Denn eine derartige Regelung existiere in § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V und habe mit der zeitlich nach der Entscheidung des BSG erfolgten Einführung des § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 22.12.1999, Bundesgesetzblatt -BGBl.- I S. 2626, eine Verdeutlichung erfahren. In § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i. V. m. Abschnitt B.VII.29.a der Behandlungs-Richtlinien werde ausdrücklich geregelt, dass bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in einer Kiefernoperation haben, ein Sachleistungsanspruch im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung bestehe. Diese Regelung beziehe sich zwar ausdrücklich auf Implantate und Suprakonstruktionen. Unter Berücksichtigung der früheren Rechtsprechung des BSG zum Gesamtbehandlungsgrundsatz und vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die von der Klägerin begehrte konventionelle Versorgung gegenüber dem gesetzlich geregelten Anspruch auf Versorgung mit Implantaten und einer Suprakonstruktion ohne Eigenbeteiligung die weitaus aufwändigere Versorgung darstelle, die im Falle der technisch-medizinischen Realisierungsmöglichkeit den Implantatanspruch als quasi subsidiär ausschließe, müsse nach dem Grundsatz a maiore ad minus der in § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V geregelte umfassende Sachleistungsanspruch der Implantatversorgung erst Recht für die weniger aufwändige konventionelle prothetische Versorgung gelten. Dass sich der Sachleistungsanspruch auch auf Zahnersatz erstrecke und nicht durch die vom BSG als abschließend beurteilte Regelung des § 30 SGB V beschränkt werde, ergebe sich ausdrücklich aus der zum 01.01.2000 eingetretenen Gesetzesänderung. Obwohl § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V die Suprakonstruktion als Zahnersatz mit der damit für die Versicherten in der Regel verbundenen Eigenbeteiligung qualifiziere, sei der umfassende Sachleistungsanspruch gemäß § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V vom Gesetzgeber ausdrücklich beibehalten und weiterhin auf den Zahnersatz der Suprakonstruktion erstreckt geblieben ( "einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung "). Aus den angeführten Gründen fehle das vom BSG in der von ihm geprüften Fallgestaltung angenommene beredte Schweigen der §§ 28 bis 30 SGB V für die vorliegende Fallgestaltung der Tumoroperation sowie für die übrigen Ausnahmeindikationen der Implantatversorgung.
Gegen das ihr am 21.04.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.05.2006 Berufung eingelegt. Sie bezieht sich zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend weist sie darauf hin, das Sozialgericht verkenne, dass in § 28 Abs. 2 S. 9 i. V. m. § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V (gültig bis zum 31.12.2004) lediglich die Ausnahme für eine Leistungsgewährung von implantologischen Leistungen geregelt sei, deren Kostenübernahme grundsätzlich ausgeschlossen sei. Bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation bestehe ein Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung jedoch nur dann, wenn eine konventionelle Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei. Bei extraoralen Defekten im Gesichtsbereich nach Tumoroperationen oder Unfällen oder infolge genetisch bedingter Nichtanlagen sei die operative Deckung des Defektes das primäre Ziel. Sei eine rein operative Rehabilitation nicht möglich und scheide eine Fixierung von Epithesen zum Defektverschluss durch andere Fixierungsmöglichkeiten aus, so sei eine Verankerung von Epithesen durch Implantate angezeigt (Abschnitt B.VII.30 der Behandlungs-Richtlinien). Die Klägerin mache jedoch keine Versorgung mit Implantaten geltend, sondern eine solche mit Zahnersatz. Außer der Härtefallregelung des § 60 SGB V, deren Voraussetzungen nicht vorlägen, gebe es für die Bezuschussung von Zahnersatz keine Ausnahmeregelung. Die Entscheidung des BSG vom 06.10.1999, a. a. O., dass auch der Zusammenhang der zahnprothetischen Versorgung mit einer anderen Erkrankung nicht zu einer höheren Kostenbeteiligung durch die Kassen führen könne, habe nach wie vor Gültigkeit. Im Übrigen sei ein Obturator bis zum 31.12.2004 - die Eingliederung sei am 30.04.2004 erfolgt - nach dem Gebührentarif C des Zahnersatz-Ersatzkassen-Tarifs (wie auch der Zahnersatz) abzurechnen gewesen. Damit sei er der Zahnprothetik gleichzusetzen und ebenso zu bezuschussen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.04.2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Nachdem die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.12.2006 bezüglich der Rechnung vom 16.12.2005 (Rechnungs-Nr.: 000) einen Teilvergleich geschlossen haben, beantragt die Klägerin,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.04.2006 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte zu verurteilen ist, dass die sich aus der Rechnung vom 16.12.2005 Nr. 000 (Bl. 50 der GA) ergebenden Restkosten in Höhe von 1.676,74 EUR zu erstatten sind.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die aus ihrer Sicht zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe. Hilfsweise trägt sie vor, auch bei einer Verpflichtung zur vollen KÜ, für die sie keine Anspruchsgrundlage zu erkennen vermöge, seien jedenfalls davon nicht die in der Rechnung vom 16.12.2005 (Rechnungs-Nr.: 000) aufgeführten Mehrkosten umfasst. Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB V in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung sehe vor, dass die Versicherten die Mehrkosten der zusätzlichen, über die Versorgung nach § 30 Abs. 1 SGB V hinausgehenden Leistungen selbst in vollem Umfang zu tragen hätten.
Der Senat hat ein Gutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr. S, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum C vom 31.07.2006 eingeholt. In seinem Gutachten, das auf einer klinischen Untersuchung der Klägerin am 12.07.2006 beruht, sowie in der ergänzenden Stellungnahme vom 06.11.2006 hat der Sachverständige u. a. folgende Feststellungen getroffen: Bei der Klägerin liege in Folge der Tumoroperation nach Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle ein 5 cm x 4 cm großer Defekt im Bereich des Weich- bzw. Übergangs zum Hartgaumen vor. Dieser stelle einen großen Kieferdefekt, der seine Ursache in einer Tumoroperation habe, im Sinne der Ausnahmeindikation des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V i. V. m. Abschnitt B.VII.29a der Behandlungs-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses dar. Wegen der bei der Klägerin vorliegenden Restbezahnung und der noch gegebenen Möglichkeit der Verankerung des Prothesenlagers im Hartgaumenbereich mit Erhalt des Ventilrandes im Vestibulum habe im Jahre 2004 auf eine Implantatlösung verzichtet werden können. Die Klägerin sei konventionell versorgt worden, und zwar zutreffend mittels Oberkieferteleskopprothese und Titanobturator. Ohne den eingegliederten Obturator wäre eine "normale" Nahrungsaufnahme und "normale" verbale Kommunikation nicht möglich. Die Notwendigkeit der realisierten Maßnahmen habe sich ausschließlich aufgrund der tumorbedingten Teilentfernung des Gaumens ergeben. Die gewählte Versorgung habe bei der Klägerin zu einer schnellen und suffizienten kaufunktionellen Rehabilitation geführt. Aus mechanischer und physiologischer Sicht sei dabei die Verwendung des leichten und zugleich stabilen Materials Titan notwendig gewesen. Die Klägerin sei subjektiv wie objektiv sehr gut versorgt. Eine - nach Vorgabe des Gesetzgebers im Verhältnis zur konventionellen Versorgung subsidiäre - "Implantatlösung" hätte erst nach einer Vorlaufzeit von ca. zwölf Monaten für einen Knochenaufbau und eine Implantateinpflanzung zu einer adäquaten Versorgung der Klägerin geführt, die zudem mit höheren Kosten verbunden gewesen wäre.
Auf weitere Nachfrage hat der Sachverständige unter dem 11. und 12.12.2006 mitgeteilt, dass die im Rahmen der Versorgung der Klägerin durchgeführten Maßnahmen notwendig und erforderlich gewesen seien, um einen sicheren Sitz der Titan-Gaumen-Verschlussplatte zu ermöglichen. Es habe sich nicht um Leistungen gehandelt, die unabhängig vom Ausgleich des Gaumendefektes in erster Linie notwendig gewesen seien, um die Zahn-/Kaufunktion bei der Klägerin wiederherzustellen, zu verbessern oder zu erhalten. Die Maßnahme habe nicht dem Zahnersatz, sondern der Behebung des Gaumendefektes gedient. Sämtliche als Mehrkosten in der streitgegenständlichen Rechnung vom 16.12.2005 gekennzeichneten Maßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen. Im Frontzahnbereich sei eine Keramikverblendung indiziert; die Teleskopverankerung habe die einzig mögliche Verankerungsform dargestellt, um die Obturatorprothese zu fixieren.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist - soweit im Hinblick auf den von den Parteien geschlossenen Teilvergleich nur noch die Erstattung von Kosten in Höhe von 1.676,74 EUR streitig ist - nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht mit Urteil vom 10.04.2006 der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, Kosten in oben genannter Höhe zu tragen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2004 ist rechtswidrig; denn der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung aller im Zusammenhang mit der Eingliederung des Obturators am 30.04.2004 entstandenen Kosten, in den sich der ursprünglich geltend gemachte Anspruch auf KÜ gewandelt hat, zu.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf KE für die von der Klägerin selbst beschaffte und "vorfinanzierte" Versorgung des Gaumendefektes ist § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V (hier anzuwenden in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266; seit 1. Juli 2001 § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 i. d. F. des Art. 5 Nr. 7 Buchst. b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046). Diese Vorschrift lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51 f. m. w. N.; SozR 4-2500 § 27 Nr. 1 RdNr. 10; SozR 4-2500 § 27a Nr. 1 RdNr. 3).
Die Voraussetzungen für eine solche KE sind erfüllt. Die Klägerin hat die streitige Versorgung des Gaumens erst vornehmen lassen, nachdem die Beklagte ihr einen ablehnenden Bescheid erteilt hatte (zum Erfordernis des Abwartens einer Verwaltungsentscheidung vgl z. B. BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 6 S. 35 m. w. N.). Der Senat hat keine Bedenken, in der Zuerkennung eines 65 %-igen Zuschusses zu den zuschussungsfähigen Kosten sowie der Übernahme von 6,50 EUR Metallkosten je Abrechnungseinheit mittels entsprechender Eintragung auf dem Heil- und Kostenplan vom 29.01.2004 einen Verwaltungsakt gemäß § 31 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und zugleich die - konkludent darin enthaltene - Ablehnung der Übernahme einer höheren Kostenquote zu sehen. Auch die Klägerin hat dies, wie ihre Widerspruchsbegründung deutlich macht, so gesehen.
Die weitere Voraussetzung des § 13 Abs. 3 SGB V, dass ein Primäranspruch auf vollumfängliche und nicht nur anteilige KÜ für eine Versorgung mit einem Obturator zur Schließung der operativ entstandenen Lücke zwischen Mund- und Nasenbereich besteht, ist ebenfalls erfüllt.
Der (unstreitige) Behandlungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 11 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 27 Abs. 1 S. 1 und Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V und umfasst - notwendige - zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz. Dass die von der Westdeutschen Kieferklinik E bis zum 30.04.2004 erbrachten Leistungen von der Art der Versorgung und dem Umfang der erbrachten Leistungen her den Geboten der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit, vgl. § 12 Abs. 1 SGB V, entsprechen, steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten und in den ergänzenden Stellungnahmen fest. Dieser hat eingehend erläutert, dass es zur Schließung des relativ großen Defektes im Oberkiefer der Klägerin dringend des Einsatzes eines Obturators bedurfte. Ansonsten wäre die Klägerin wegen der fehlenden Trennung von Mund- und Nasenbereich sowohl bei der Nahrungsaufnahme als auch bei der Kommunikation in nicht hinnehmbarer Weise eingeschränkt gewesen. Wie die unzureichende Interimsversorgung deutlich gemacht hat, führte bereits der unvollständige Verschluss der Mund- und Nasenbereiche zu erheblichen Beeinträchtigungen, wie etwa dem ständigen Ausfluss von Schleim. Der Sachverständige hat ebenfalls die medizinische Notwendigkeit der in der streitgegenständlichen Rechnung vom 16.12.2005 aufgeführten sog. Mehrkosten bestätigt. Alternativen zu dem eingesetzten Titanobturator standen nicht zur Verfügung. Insbesondere hatte sich während der Tragezeit der Interimsprothese gezeigt, dass Silikon nur zu einem unzureichenden Verschluss der Mundhöhle und aufgrund der dadurch bedingten mangelnden Fixierung zu ständigen Schmerzen und Entzündungen geführt hatte. Auch stand bei Verwendung eines schwereren als des verwendeten Materials Titan zu befürchten, dass die als Haltepunkte für den Obturator eingesetzten Zähne auf Dauer Schaden nehmen und in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Die Notwendigkeit der Verblendung im Bereich der Frontzähne vermag der Senat im Hinblick auf die auch insoweit schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls nicht zu verneinen. Ohne eine solche Verblendung wäre es nach Einsatz des Titanobturators zu einer gravierenden Veränderung des Aussehens der Klägerin gekommen, die einer Entstellung vergleichbar wäre. Dass schließlich nur Teleskopkronen als Verankerungen für den Obturator in Betracht kamen, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ebenso wären keine Implantate in Betracht gekommen. Um einen Stand der Versorgung bei der Klägerin zu erreichen, wie dieser am 30.04.2004 vorlag, hätte es bei der alternativen Implantatversorgung einer Vorlaufzeit von einem ganzen Jahr bedurft. Dies wäre der Klägerin keinesfalls zumutbar gewesen. Der Sachverständige hat ebenfalls deutlich gemacht, dass es sich bei der im Jahre 2004 erfolgten Versorgung der Klägerin um eine wirtschaftliche Lösung gehandelt hat. Preiswertere Alternativen sind nicht ersichtlich. Insbesondere hätte eine Implantatversorgung höhere Kosten verursacht, wenn der Sachverständige auch keine bezifferte Angabe über die zu veranschlagenden Kosten machen konnte. Die Schlussfolgerung entspricht jedoch der Erfahrung des Senates in Fällen der Versorgung Versicherter mit Implantaten und Suprakonstruktion.
Nach Auffassung des Senates ist die Leistungspflicht der Krankenkasse im Falle der Klägerin nicht nach § 30 SGB V - hier in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 19.12.1998, BGBl I 3853, und des Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 22.12.1999, BGBl 2626, - auf die Zahlung eines Festzuschusses für den berücksichtigungsfähigen Aufwand beschränkt. Eine Erhöhung des Kassenanteils ist mit Rücksicht auf regelmäßige Zahnpflege nach § 30 Abs. 2 SGB V in der o. g. Fassung auf 65 % möglich gewesen. Dass die Beklagte Zuschüsse in der gesetzlich vorgesehenen Höhe geleitstet hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Sie ist jedoch verpflichtet gewesen, in vollem Umfang die Kosten der zahnärztlichen Behandlung der Klägerin zu übernehmen.
Die besonderen Gründe, die für die Notwendigkeit der zahnärztlichen Versorgung sprechen - Zustand nach Tumoroperation mit Entfernung eines Teils des Oberkiefers und Gaumens und verbliebenem Defekt - rechtfertigen ausnahmsweise einen höheren Prozentsatz im Sinne einer voller KÜ bzw. KE der entstandenen Kosten. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall nach Auffassung des erkennenden Senates grundlegend von dem von der Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 06.10.1999 (a. a. O.). Zwar ist, wie die Beklagte zutreffend vorgetragen hat, auch das Anfertigen und Einsetzen eines Obturators Bestandteil der zahnärztlichen Versorgung und Abrechnung. In dem o. g. vom BSG im Jahre 1999 entschiedenen Fall war Gegenstand der zahnärztlichen Tätigkeit die Eingliederung von Zahnersatz, auch wenn die Versorgung aus anderen als zahnmedizinischen Gründen - dort: Unverträglichkeit der vorhandenen Füllungen aus Metalllegierungen (siehe auch BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 3 -Goldlegierung- und BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 5 -Amalgam-) - erforderlich war. Es ging jedoch um Fallgestaltungen, bei denen entweder eine Erkrankung der Zähne selbst den Zahnersatz bedingten oder die Zähne und der vorhandene Zahnersatz Auslöser für andere Erkrankungen im Sinne von Unverträglichkeitsreaktionen waren. Vorliegend waren jedoch allein technische Gründe ausschlaggebend für die Überkronung von Zähnen der Klägerin. Der unstreitig erforderliche Obturator konnte nach übereinstimmender Auffassung der behandelnden Ärzte und des gerichtlichen Sachverständigen unter Berücksichtigung des Gebotes der Wirtschaftlichkeit allein mittels Befestigung an den Zähnen der Klägerin den notwendigen Halt finden. Dass die als Haltepunkte dienenden Zähne der Klägerin - allein aus diesem Grunde - mit Kronen und Teleskopkronen versehen werden mussten, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede. Der Sachverständige hat dies auf ausdrückliche Nachfrage des Senates nochmals bestätigt. Nach dem Gesamtbehandlungsgrundsatz stellt sich der Einsatz des Obturators daher mit allen Nebenarbeiten als medizinisch und wirtschaftlich sinnvolle und notwendige ärztliche Behandlungsmaßnahme dar mit der Folge, dass die Beklagte die entstandenen Kosten vollumfänglich zu tragen hat. Die Eingliederung eines Obturators ist keine Maßnahme des Zahnersatzes. Auf die weitere a maiore ad minus-Argumentation des Sozialgerichts im Zusammenhang mit der Regelung des § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V kommt es daher nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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