Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 78/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 236/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Gelsenkirchen zurück verwiesen. Das Sozialgericht wird im Rahmen seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten dieses Berufungsverfahrens zu entscheiden haben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1963 geborene Kläger wurde im August 1979 im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt und kehrte zum 31.03.1996 ab.
Auf einen Antrag vom November 1995 lehnte die Beklagte ab, Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren, gewährte indes Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau ab 1.4.1996. Später gewährte sie Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit bis zum 30.11.2000 (Bescheid vom 12.11.1999), und ab dem 1.12.2000 wieder Rente für Bergleute auf Dauer (Bescheid vom 22.11.2000). Dem jetzigen Verfahren liegt ein Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom Juni 2004 zugrunde.
Internist H1 P, Sozialmedizinischer Dienst (SMD) H, hielt den Kläger noch für in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit nur gelegentlicher Zwangshaltung und nur gelegentlicher Bück-/Hebe- und Tragebeanspruchung bis 20 kg im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, außerhalb von Gerüsten und Leitern, außerhalb von Hitze, Kälte und Nässe zu bewältigen. Auch für Arbeiten im Bergbau bestehe noch vollschichtiges Leistungsvermögen (Gutachten vom 26.10.2005). Die Beklagte lehnte ab, Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren (Bescheid vom 07.11.2005). Im Widerspruchsverfahren bescheinigte Nervenarzt Dr. S aus H1 dem Kläger, dass seine Erkrankungen "Polyneuropathie unklarer Genese, leichtes organisches Psychosyndrom, mittelgradige depressive Episode und Verdacht auf organische wahnhafte Störung" bei der bisherigen Beurteilung in keiner Weise berücksichtigt worden seien (Bescheinigung vom 18.01.2006). Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14.02.2006).
Dagegen hat der Kläger noch im Februar 2006 Klage erhoben und darauf aufmerksam gemacht, dass seine psychischen Erkrankungen nicht berücksichtigt worden seien.
Er hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 07.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2006 zu verurteilen, bei ihm ab 01.06.2004 einen Zustand von voller Erwerbsminderung anzunehmen und ihm die Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren sowie hilfsweise gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Frau Dr. N einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Das Sozialgericht (SG) hat die behandelnden Ärzte des Klägers befragt: Internist Dr. C aus H1 hat ausgeführt, medizinischerseits bestünden keine Bedenken gegen eine 6-stündige leichte Erwerbstätigkeit (Bericht vom 12.05.2006). Arzt für Allgemeinmedizin Dr. I aus H1 hat die Frage, ob der Kläger noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne, bejaht, indes Gründe dafür nicht angegeben (Bericht vom 17.05.2006). Internist Dr. B aus H1 hat mitgeteilt, er könne die Frage nach der Erwerbsfähigkeit nicht beantworten (Bericht vom 17.05.2005). Behandelnder Orthopäde Dr. F aus H1 hat sich dahingehend geäußert, dass der Kläger aus orthopädischer Sicht noch mehr als 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Eine Einschränkung bestehe eher auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet (Bericht vom 05.06.2006).
Das SG hat dazu den Kläger mit Verfügung vom 08.06.2006 um Stellungnahme bis zum 07.07.2006 gebeten, mit welcher Begründung das Verfahren fortgeführt werden solle. Daraufhin hat dieser am 14.06.2006 auf die Äußerung des Dr. F hingewiesen und angeregt, den behandelnden Nervenarzt Dr. S zu befragen. Mit Verfügung vom gleichen Tage hat der Kammervorsitzende ihn darauf hingewiesen, dass Dr. S - gerichtsbekannt - erkrankt sei und zur Zeit keine Befundberichte erstatten könne. Im Übrigen werde die Beurteilung von Dr. S im Allgemeinen im Verlaufe des Verfahrens nicht bestätigt. Daraufhin hat der Kläger am 23.06.2000 mitgeteilt, er verbleibe bei seiner Auffassung, es werde gebeten mitzuteilen, ob eine Begutachtung nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht komme; ansonsten würde er einen Antrag nach § 109 SGG stellen. Mit Verfügung vom 26.06.2006 hat der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass weitere Beweiserhebung von Amts wegen nicht vorgesehen sei, und am 10.07.2006 die Streitsache "zur Sitzung" verfügt. Am 21.07.2006 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 SGG als Sachverständige Dr. N, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, zu hören. Darauf hat der Kammervorsitzende ihn auf § 109 Abs 2 SGG hingewiesen und am 21.08.2006 Termin zur mündlichen Verhandlung für den 27.10.2006 anberaumt.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Es sei nicht belegt, dass der Kläger nicht mehr imstande sei, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die diesbezüglichen Feststellungen der Beklagten seien durch die Befundberichte der behandelnden Ärzte bestätigt worden. Dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG sei nach Abs 2 dieser Vorschrift nicht statt zu geben. Es bedürfe keiner weiteren Ausführungen, dass durch die Zulassung des Antrags die Erledigung verzögert worden wäre. Dem Kläger bzw. seinen Bevollmächtigten sei auch grobe Nachlässigkeit vorzuwerfen. Aufgrund der Verfügung vom 08.06.2006 hätte ihnen bewusst sein müssen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht vorgesehen seien. Obwohl ihnen dies nochmals am 26.06.2006 bestätigt worden sei, hätten sie ihren Antrag erst am 24.07.2006 gestellt (Urteil vom 27.10.2006).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung vom 21.11.2006, mit der der Kläger darauf hinweist, die Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien inzwischen so gravierend, dass sein Leistungsvermögen aufgehoben ist.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2006 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2006 zu verurteilen, einen Zustand voller Erwerbsminderung anzunehmen und Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2006 aufzuheben und die Sache zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers zu erkennen.
Sie hält ihre Entscheidung weiter für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist im Sinne der Hilfsanträge begründet. Da die bisherigen Tatsachenfeststellungen für eine Sachentscheidung nicht ausreichen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Streitsache an das SG zurück zu verweisen, weil das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, § 159 Abs 1 Nr 2 SGG.
Nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurück verweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, wenn das SG auf dem Weg zu seiner abschließenden Entscheidung eine das (Klage-)Verfahren regelnde Verfahrensvorschrift verletzt hat. Wesentlich ist dieser Mangel, wenn die Entscheidung des SG (hier das Urteil vom 27.10.2006) auf der Verletzung der Verfahrensvorschrift beruhen kann (Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 8. Auflage 2005. § 159 Rdnr 3a mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Das Verfahren leidet an (mindestens) zwei wesentlichen Mängeln, die - jeder für sich betrachtet - die Voraussetzungen des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG erfüllen. Das SG hat auf dem Weg zu seiner Entscheidung §§ 103, 128 SGG (dazu unter 1.) und § 109 Abs 1 SGG (dazu unter 2.) nicht beachtet, sämtlich Vorschriften, die nicht die materielle Rechtslage betreffen, sondern das Verfahren regeln. Diese Mängel sind auch wesentlich, weil die klageabweisende Entscheidung des SG auf ihnen beruhen kann. Ob das SG außerdem den Grundsatz des fairen Verfahrens (fair trial) verletzt hat (vgl dazu Keller in: Meyer-Ladewig.aaO. Vor § 60 Rdnr 1b mwN), kann offen bleiben.
1.Das SG hat gegen §§ 103, 128 SGG verstoßen, die hier im Zusammenhang zu sehen sind. Nach § 103 Satz 1 erster Halbsatz erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei ist es verpflichtet, alle Tatsachen zu ermitteln, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich, dh entscheidungserheblich sind (Leitherer in: Meyer-Ladewig. aaO. § 103 Rdnr 4a mwN; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand 1.11.2006. Vor § 103 Anm 1 A). Da das Gericht in diesem Rahmen den konkreten Umfang der Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen grundsätzlich selbst bestimmt, verletzt es § 103 SGG nur dann, wenn es Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen, zu denen es sich - mit anderen Worten - gedrängt fühlen musste (Leitherer. aaO. § 103 Rdnrn 4, 5, 11c, 20 mwN; § 128 Rdnr 14 mwN). 2. Nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei muss es alle Beweismittel ausschöpfen, die zur Verfügung stehen (Meyer-Ladewig. aaO. § 128 Rdnr 3g), diese unter Abwägung aller Umstände frei würdigen und entscheiden, ob danach die entscheidungserheblichen Tatsachen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (aaO. Rdnr 4). Es kann dabei auch von Beweisergebnissen abweichen, wenn es sich auf eigene Sachkunde stützen kann, die für die Beteiligten auch ersichtlich geworden ist (aaO. Rdnr 7; Zeihe. aaO. Vor § 103 Anm 1 H mwn; ders. Vor § 128 A IV)). Gegen § 128 Abs 1 SGG verstößt das Gericht dabei nur dann, wenn es die Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht beachtet, insbesondere, wenn es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder gegen Denkgesetze verstößt (Meyer-Ladewig. aaO. Rdnr 10; Zeihe. aaO. Vor § 128 A II + III). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt zB vor, wenn das Gericht einem ärztlichen Zeugnis eine Erklärung entnimmt, die in ihm nicht enthalten ist (Bundessozialgericht (BSG) SozR § 128 Nr 12), oder dann, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt (BSG SozR § 128 Nrn 40 und 56).
Nach diesen Grundsätzen hat das SG Ermittlungen unterlassen, zu denen es sich gedrängt fühlen musste (1), und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt, indem es gegen Denkgesetze verstoßen hat (2).
(1) Es kann dahin stehen, ob die Einschätzung des SG zutrifft, bei Dr. S handele es sich wegen dessen Erkrankung um ein (zur Zeit) unerreichbares Beweismittel. Das SG hätte sich ungeachtet dessen nach dem Vorbringen des Klägers, den Ausführungen des Dr. S in der Bescheinigung vom 18.1.2006 und insbesondere der dazu passenden Äußerung des Orthopäden Dr. F gedrängt fühlen müssen, Beweis durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu erheben, um zu klären, ob beim Kläger Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegen, die (ggf. zusammen mit anderen Gesundheitsstörungen) seine Erwerbsfähigkeit entscheidungserheblich mindern. Denn jedwede Äußerung eines Nervenarztes, die das vom SG angenommene Leistungsvermögen bestätigte, fehlt.
(2) Ein Verstoß gegen § 128 SGG liegt darin, dass das Gericht in Würdigung seiner (unvollständigen) Ermittlungen geurteilt hat, die Berichte der behandelnden Ärzte bestätigten die Feststellungen der Beklagten, ohne dass ersichtlich wird, ob und ggf. woher es die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung des Sachverhalts auf psychiatrischem Fachgebiet hat. Fehlt ihm aber diese Sachkunde, so hat es gegen Denkgesetze verstoßen, indem es dem Bericht des Dr. F eine Aussage entnommen hat, die darin objektiv gar nicht enthalten ist, nämlich dass (auch) durch seinen Bericht die Feststellungen der Beklagten bestätigt würden. Orthopäde Dr. F hatte im Gegenteil gerade mitgeteilt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers eher auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gemindert sei.
Soweit das SG meint, behandelnder Arzt Dr. S sei außerdem deshalb nicht zu befragen, weil gerichtsbekannt sei, dass seine Aussagen "im Allgemeinen" (!) im Laufe der Verfahren nicht bestätigt würden, handelt es sich um eine vorweg genommene Beweiswürdigung und damit um einen weiteren Verstoß gegen § 128 SGG (Meyer-Ladewig. aaO. § 128 Rdnr 15 mwN; Kolmetz in: Jansen. SGG. 2.Auflage 2005, § 103 Rdnr 7).
3.Das SG hat außerdem gegen § 109 SGG verstoßen. Nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten [ ...] ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört werden. Diese Verfahrensvorschrift durchbricht den Untersuchungsgrundsatz (§ 103 SGG) und zwingt das Gericht, auf Antrag Sachverständigenbeweis durch einen bestimmten Arzt zu erheben, der das Vertrauen des Klägers genießt (BSG SozR 1500 § 109 SGG Nr 1 mwN; Keller in: Meyer-Ladewig. aaO. § 109 Rdnr 1; Zeihe. aaO. § 109 1a cc). Die Verletzung des § 109 Abs 1 Satz 1 SGG ist wesentlicher Mangel des Verfahrens (Zeihe. aaO. 3d). Für einen solchen Antrag ist keine Frist vorgesehen, er kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Der Antrag ist indes dann innerhalb angemessener Frist zu stellen, wenn der Kläger erkennen konnte, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht mehr durchgeführt werden (Peters/Sautter/Wolff. Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit. 4.Auflage, Stand Januar 2006. II/74-78-). Andererseits besteht grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, auf die mögliche Antragstellung hinzuweisen, es sei denn, es wird - wie hier am 23.6.2006 - ausdrücklich um einen solchen Hinweis gebeten. Erfolgt ein Hinweis, muss er inhaltlich zutreffen (Keller. aaO. § 109 Rndrn 8ff mwN).
Es kann dahin stehen, ob mit der Anfrage vom 8.6.2006 oder dem Hinweis vom 26.6.2006 (konkludent) eine richterliche Frist (vgl § 65 SGG) gesetzt worden ist, deren Überschreitung zur Zurückweisung eines Antrags nach § 109 SGG berechtigte (vgl § 109 Abs 2 SGG), obwohl diese Verfügungen nicht zugestellt worden sind (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGG, vgl Keller in: Meyer-Ladewig. aaO. § 109 Rdnr 11 mwN; LSG NRW, Beschluss vom 9.5.2006, Az L 1 B 6/06 AL), oder ob damit sonst eine - angemessene - Frist in Gang gesetzt worden ist, innerhalb derer der Kläger einen Antrag nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG stellen musste, ohne die Zurückweisung nach § 109 Abs 2 SGG befürchten zu müssen. Die Anfrage vom 08.06.2006 ließ bereits nicht erkennen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt waren. Dort ist lediglich gefragt worden, mit welcher Begründung das Verfahren fortgeführt werden soll. Darauf hat der Kläger vorgetragen, dass die Ausführungen des Dr. F sein Klagevorbringen bestätigten, und deshalb der behandelnde Nervenarzt befragt werden solle. Er hat damit die gewünschte weitere Begründung, mit der das Verfahren fortgeführt werden soll, abgegeben und später angefragt, ob eine Begutachtung nach § 106 SGG beabsichtigt sei, weil sonst ein Antrag nach § 109 SGG gestellt werde. Erst jetzt (26.06.2006) hat das SG mitgeteilt, es seien keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen beabsichtigt. Der daraufhin am 24.07.2006 gestellte Antrag nach § 109 SGG ist aber - bezogen auf den Hinweis vom 26.6.2006 - in angemessener Frist im Sinne des § 109 SGG gestellt worden. Als angemessene Frist im Sinne dieser Vorschrift wird im Regelfall die Frist von einem Monat angenommen (Keller. aaO). Eine solche Frist ist auch nach Auffassung des Senats mindestens erforderlich, um einen geeigneten Arzt des Vertrauens zu finden, der in der Lage und bereit ist, das erforderliche Gutachten zu erstellen. Das SG hätte danach den Antrag schon deshalb nicht nach § 109 Abs 2 SGG (der hier als Rechtsgrundlage für die Ablehnung allein in Betracht kommt, vgl zu den sonstigen Ablehnungsgründen: Keller. aaO. § 109 Rdnr 10a), ablehnen dürfen, weil er innerhalb angemessener Frist und nicht verspätet gestellt worden ist.
Selbst wenn man aber von einem (aus grober Nachlässigkeit iS von § 109 Abs 2 SGG) verspätet gestellten Antrag ausginge, hätte dieser nach Lage der Akten nicht abgelehnt werden dürfen. Ob im Zeitpunkt des Antragseingangs (24.7.2006) die Erledigung des Rechtsstreits durch die Einholung des Gutachtens verzögert worden wäre, bleibt nach Lage der Akten offen. Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen, finden sich darin nicht. Eine Anfrage des SG an die benannte Sachverständige, wie lange sie für die Erstellung des Gutachtens benötige, fehlt. Es erscheint gut denkbar, dass das Gutachten den Beteiligten so rechtzeitig vor dem (geplanten) Termin am 27.10.2006 vorgelegen hätte, dass sie dazu noch vor dem oder spätestens im Termin sachgerecht hätten Stellung nehmen können. Hätte die mündliche Verhandlung gleichwohl vertagt werden müssen, hätte dies über § 192 SGG (die dort genannten Voraussetzungen unterstellt) sanktioniert werden können.
Dass jeder dieser Mängel für sich genommen wesentlich ist, liegt auf der Hand. Denn die Berücksichtigung zusätzlicher Beweismittel kann immer zu einer anderen Sachentscheidung führen.
Der Senat hält es im Rahmen seines Ermessen für sachgerecht und zweckmäßig, die Streitsache an das SG zurück zu verweisen. Auch unter Berücksichtigung des Gedankens der Prozessökonomie und des Interesses des Klägers an einer zeitnahen Sachentscheidung überwiegt hier sein Interesse, die erforderliche Sachaufklärung durch das Instanzgericht in einem fairen Klageverfahren (und erst danach ggf. in einer zweiten Instanz) vornehmen zu lassen. Die Beteiligten haben zudem durch ihre (übereinstimmenden) Hilfsanträge dokumentiert, dass diese Verfahrensweise in ihrem Interesse liegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1963 geborene Kläger wurde im August 1979 im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt und kehrte zum 31.03.1996 ab.
Auf einen Antrag vom November 1995 lehnte die Beklagte ab, Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren, gewährte indes Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau ab 1.4.1996. Später gewährte sie Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit bis zum 30.11.2000 (Bescheid vom 12.11.1999), und ab dem 1.12.2000 wieder Rente für Bergleute auf Dauer (Bescheid vom 22.11.2000). Dem jetzigen Verfahren liegt ein Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom Juni 2004 zugrunde.
Internist H1 P, Sozialmedizinischer Dienst (SMD) H, hielt den Kläger noch für in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit nur gelegentlicher Zwangshaltung und nur gelegentlicher Bück-/Hebe- und Tragebeanspruchung bis 20 kg im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, außerhalb von Gerüsten und Leitern, außerhalb von Hitze, Kälte und Nässe zu bewältigen. Auch für Arbeiten im Bergbau bestehe noch vollschichtiges Leistungsvermögen (Gutachten vom 26.10.2005). Die Beklagte lehnte ab, Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren (Bescheid vom 07.11.2005). Im Widerspruchsverfahren bescheinigte Nervenarzt Dr. S aus H1 dem Kläger, dass seine Erkrankungen "Polyneuropathie unklarer Genese, leichtes organisches Psychosyndrom, mittelgradige depressive Episode und Verdacht auf organische wahnhafte Störung" bei der bisherigen Beurteilung in keiner Weise berücksichtigt worden seien (Bescheinigung vom 18.01.2006). Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14.02.2006).
Dagegen hat der Kläger noch im Februar 2006 Klage erhoben und darauf aufmerksam gemacht, dass seine psychischen Erkrankungen nicht berücksichtigt worden seien.
Er hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 07.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2006 zu verurteilen, bei ihm ab 01.06.2004 einen Zustand von voller Erwerbsminderung anzunehmen und ihm die Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren sowie hilfsweise gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Frau Dr. N einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Das Sozialgericht (SG) hat die behandelnden Ärzte des Klägers befragt: Internist Dr. C aus H1 hat ausgeführt, medizinischerseits bestünden keine Bedenken gegen eine 6-stündige leichte Erwerbstätigkeit (Bericht vom 12.05.2006). Arzt für Allgemeinmedizin Dr. I aus H1 hat die Frage, ob der Kläger noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne, bejaht, indes Gründe dafür nicht angegeben (Bericht vom 17.05.2006). Internist Dr. B aus H1 hat mitgeteilt, er könne die Frage nach der Erwerbsfähigkeit nicht beantworten (Bericht vom 17.05.2005). Behandelnder Orthopäde Dr. F aus H1 hat sich dahingehend geäußert, dass der Kläger aus orthopädischer Sicht noch mehr als 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Eine Einschränkung bestehe eher auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet (Bericht vom 05.06.2006).
Das SG hat dazu den Kläger mit Verfügung vom 08.06.2006 um Stellungnahme bis zum 07.07.2006 gebeten, mit welcher Begründung das Verfahren fortgeführt werden solle. Daraufhin hat dieser am 14.06.2006 auf die Äußerung des Dr. F hingewiesen und angeregt, den behandelnden Nervenarzt Dr. S zu befragen. Mit Verfügung vom gleichen Tage hat der Kammervorsitzende ihn darauf hingewiesen, dass Dr. S - gerichtsbekannt - erkrankt sei und zur Zeit keine Befundberichte erstatten könne. Im Übrigen werde die Beurteilung von Dr. S im Allgemeinen im Verlaufe des Verfahrens nicht bestätigt. Daraufhin hat der Kläger am 23.06.2000 mitgeteilt, er verbleibe bei seiner Auffassung, es werde gebeten mitzuteilen, ob eine Begutachtung nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht komme; ansonsten würde er einen Antrag nach § 109 SGG stellen. Mit Verfügung vom 26.06.2006 hat der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass weitere Beweiserhebung von Amts wegen nicht vorgesehen sei, und am 10.07.2006 die Streitsache "zur Sitzung" verfügt. Am 21.07.2006 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 SGG als Sachverständige Dr. N, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, zu hören. Darauf hat der Kammervorsitzende ihn auf § 109 Abs 2 SGG hingewiesen und am 21.08.2006 Termin zur mündlichen Verhandlung für den 27.10.2006 anberaumt.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Es sei nicht belegt, dass der Kläger nicht mehr imstande sei, mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die diesbezüglichen Feststellungen der Beklagten seien durch die Befundberichte der behandelnden Ärzte bestätigt worden. Dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG sei nach Abs 2 dieser Vorschrift nicht statt zu geben. Es bedürfe keiner weiteren Ausführungen, dass durch die Zulassung des Antrags die Erledigung verzögert worden wäre. Dem Kläger bzw. seinen Bevollmächtigten sei auch grobe Nachlässigkeit vorzuwerfen. Aufgrund der Verfügung vom 08.06.2006 hätte ihnen bewusst sein müssen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht vorgesehen seien. Obwohl ihnen dies nochmals am 26.06.2006 bestätigt worden sei, hätten sie ihren Antrag erst am 24.07.2006 gestellt (Urteil vom 27.10.2006).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung vom 21.11.2006, mit der der Kläger darauf hinweist, die Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien inzwischen so gravierend, dass sein Leistungsvermögen aufgehoben ist.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2006 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2006 zu verurteilen, einen Zustand voller Erwerbsminderung anzunehmen und Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2006 aufzuheben und die Sache zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers zu erkennen.
Sie hält ihre Entscheidung weiter für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist im Sinne der Hilfsanträge begründet. Da die bisherigen Tatsachenfeststellungen für eine Sachentscheidung nicht ausreichen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Streitsache an das SG zurück zu verweisen, weil das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, § 159 Abs 1 Nr 2 SGG.
Nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurück verweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, wenn das SG auf dem Weg zu seiner abschließenden Entscheidung eine das (Klage-)Verfahren regelnde Verfahrensvorschrift verletzt hat. Wesentlich ist dieser Mangel, wenn die Entscheidung des SG (hier das Urteil vom 27.10.2006) auf der Verletzung der Verfahrensvorschrift beruhen kann (Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 8. Auflage 2005. § 159 Rdnr 3a mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Das Verfahren leidet an (mindestens) zwei wesentlichen Mängeln, die - jeder für sich betrachtet - die Voraussetzungen des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG erfüllen. Das SG hat auf dem Weg zu seiner Entscheidung §§ 103, 128 SGG (dazu unter 1.) und § 109 Abs 1 SGG (dazu unter 2.) nicht beachtet, sämtlich Vorschriften, die nicht die materielle Rechtslage betreffen, sondern das Verfahren regeln. Diese Mängel sind auch wesentlich, weil die klageabweisende Entscheidung des SG auf ihnen beruhen kann. Ob das SG außerdem den Grundsatz des fairen Verfahrens (fair trial) verletzt hat (vgl dazu Keller in: Meyer-Ladewig.aaO. Vor § 60 Rdnr 1b mwN), kann offen bleiben.
1.Das SG hat gegen §§ 103, 128 SGG verstoßen, die hier im Zusammenhang zu sehen sind. Nach § 103 Satz 1 erster Halbsatz erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei ist es verpflichtet, alle Tatsachen zu ermitteln, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich, dh entscheidungserheblich sind (Leitherer in: Meyer-Ladewig. aaO. § 103 Rdnr 4a mwN; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand 1.11.2006. Vor § 103 Anm 1 A). Da das Gericht in diesem Rahmen den konkreten Umfang der Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen grundsätzlich selbst bestimmt, verletzt es § 103 SGG nur dann, wenn es Ermittlungen unterlässt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen, zu denen es sich - mit anderen Worten - gedrängt fühlen musste (Leitherer. aaO. § 103 Rdnrn 4, 5, 11c, 20 mwN; § 128 Rdnr 14 mwN). 2. Nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei muss es alle Beweismittel ausschöpfen, die zur Verfügung stehen (Meyer-Ladewig. aaO. § 128 Rdnr 3g), diese unter Abwägung aller Umstände frei würdigen und entscheiden, ob danach die entscheidungserheblichen Tatsachen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (aaO. Rdnr 4). Es kann dabei auch von Beweisergebnissen abweichen, wenn es sich auf eigene Sachkunde stützen kann, die für die Beteiligten auch ersichtlich geworden ist (aaO. Rdnr 7; Zeihe. aaO. Vor § 103 Anm 1 H mwn; ders. Vor § 128 A IV)). Gegen § 128 Abs 1 SGG verstößt das Gericht dabei nur dann, wenn es die Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht beachtet, insbesondere, wenn es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder gegen Denkgesetze verstößt (Meyer-Ladewig. aaO. Rdnr 10; Zeihe. aaO. Vor § 128 A II + III). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt zB vor, wenn das Gericht einem ärztlichen Zeugnis eine Erklärung entnimmt, die in ihm nicht enthalten ist (Bundessozialgericht (BSG) SozR § 128 Nr 12), oder dann, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt (BSG SozR § 128 Nrn 40 und 56).
Nach diesen Grundsätzen hat das SG Ermittlungen unterlassen, zu denen es sich gedrängt fühlen musste (1), und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt, indem es gegen Denkgesetze verstoßen hat (2).
(1) Es kann dahin stehen, ob die Einschätzung des SG zutrifft, bei Dr. S handele es sich wegen dessen Erkrankung um ein (zur Zeit) unerreichbares Beweismittel. Das SG hätte sich ungeachtet dessen nach dem Vorbringen des Klägers, den Ausführungen des Dr. S in der Bescheinigung vom 18.1.2006 und insbesondere der dazu passenden Äußerung des Orthopäden Dr. F gedrängt fühlen müssen, Beweis durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu erheben, um zu klären, ob beim Kläger Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegen, die (ggf. zusammen mit anderen Gesundheitsstörungen) seine Erwerbsfähigkeit entscheidungserheblich mindern. Denn jedwede Äußerung eines Nervenarztes, die das vom SG angenommene Leistungsvermögen bestätigte, fehlt.
(2) Ein Verstoß gegen § 128 SGG liegt darin, dass das Gericht in Würdigung seiner (unvollständigen) Ermittlungen geurteilt hat, die Berichte der behandelnden Ärzte bestätigten die Feststellungen der Beklagten, ohne dass ersichtlich wird, ob und ggf. woher es die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung des Sachverhalts auf psychiatrischem Fachgebiet hat. Fehlt ihm aber diese Sachkunde, so hat es gegen Denkgesetze verstoßen, indem es dem Bericht des Dr. F eine Aussage entnommen hat, die darin objektiv gar nicht enthalten ist, nämlich dass (auch) durch seinen Bericht die Feststellungen der Beklagten bestätigt würden. Orthopäde Dr. F hatte im Gegenteil gerade mitgeteilt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers eher auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gemindert sei.
Soweit das SG meint, behandelnder Arzt Dr. S sei außerdem deshalb nicht zu befragen, weil gerichtsbekannt sei, dass seine Aussagen "im Allgemeinen" (!) im Laufe der Verfahren nicht bestätigt würden, handelt es sich um eine vorweg genommene Beweiswürdigung und damit um einen weiteren Verstoß gegen § 128 SGG (Meyer-Ladewig. aaO. § 128 Rdnr 15 mwN; Kolmetz in: Jansen. SGG. 2.Auflage 2005, § 103 Rdnr 7).
3.Das SG hat außerdem gegen § 109 SGG verstoßen. Nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten [ ...] ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört werden. Diese Verfahrensvorschrift durchbricht den Untersuchungsgrundsatz (§ 103 SGG) und zwingt das Gericht, auf Antrag Sachverständigenbeweis durch einen bestimmten Arzt zu erheben, der das Vertrauen des Klägers genießt (BSG SozR 1500 § 109 SGG Nr 1 mwN; Keller in: Meyer-Ladewig. aaO. § 109 Rdnr 1; Zeihe. aaO. § 109 1a cc). Die Verletzung des § 109 Abs 1 Satz 1 SGG ist wesentlicher Mangel des Verfahrens (Zeihe. aaO. 3d). Für einen solchen Antrag ist keine Frist vorgesehen, er kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Der Antrag ist indes dann innerhalb angemessener Frist zu stellen, wenn der Kläger erkennen konnte, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht mehr durchgeführt werden (Peters/Sautter/Wolff. Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit. 4.Auflage, Stand Januar 2006. II/74-78-). Andererseits besteht grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, auf die mögliche Antragstellung hinzuweisen, es sei denn, es wird - wie hier am 23.6.2006 - ausdrücklich um einen solchen Hinweis gebeten. Erfolgt ein Hinweis, muss er inhaltlich zutreffen (Keller. aaO. § 109 Rndrn 8ff mwN).
Es kann dahin stehen, ob mit der Anfrage vom 8.6.2006 oder dem Hinweis vom 26.6.2006 (konkludent) eine richterliche Frist (vgl § 65 SGG) gesetzt worden ist, deren Überschreitung zur Zurückweisung eines Antrags nach § 109 SGG berechtigte (vgl § 109 Abs 2 SGG), obwohl diese Verfügungen nicht zugestellt worden sind (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGG, vgl Keller in: Meyer-Ladewig. aaO. § 109 Rdnr 11 mwN; LSG NRW, Beschluss vom 9.5.2006, Az L 1 B 6/06 AL), oder ob damit sonst eine - angemessene - Frist in Gang gesetzt worden ist, innerhalb derer der Kläger einen Antrag nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGG stellen musste, ohne die Zurückweisung nach § 109 Abs 2 SGG befürchten zu müssen. Die Anfrage vom 08.06.2006 ließ bereits nicht erkennen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt waren. Dort ist lediglich gefragt worden, mit welcher Begründung das Verfahren fortgeführt werden soll. Darauf hat der Kläger vorgetragen, dass die Ausführungen des Dr. F sein Klagevorbringen bestätigten, und deshalb der behandelnde Nervenarzt befragt werden solle. Er hat damit die gewünschte weitere Begründung, mit der das Verfahren fortgeführt werden soll, abgegeben und später angefragt, ob eine Begutachtung nach § 106 SGG beabsichtigt sei, weil sonst ein Antrag nach § 109 SGG gestellt werde. Erst jetzt (26.06.2006) hat das SG mitgeteilt, es seien keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen beabsichtigt. Der daraufhin am 24.07.2006 gestellte Antrag nach § 109 SGG ist aber - bezogen auf den Hinweis vom 26.6.2006 - in angemessener Frist im Sinne des § 109 SGG gestellt worden. Als angemessene Frist im Sinne dieser Vorschrift wird im Regelfall die Frist von einem Monat angenommen (Keller. aaO). Eine solche Frist ist auch nach Auffassung des Senats mindestens erforderlich, um einen geeigneten Arzt des Vertrauens zu finden, der in der Lage und bereit ist, das erforderliche Gutachten zu erstellen. Das SG hätte danach den Antrag schon deshalb nicht nach § 109 Abs 2 SGG (der hier als Rechtsgrundlage für die Ablehnung allein in Betracht kommt, vgl zu den sonstigen Ablehnungsgründen: Keller. aaO. § 109 Rdnr 10a), ablehnen dürfen, weil er innerhalb angemessener Frist und nicht verspätet gestellt worden ist.
Selbst wenn man aber von einem (aus grober Nachlässigkeit iS von § 109 Abs 2 SGG) verspätet gestellten Antrag ausginge, hätte dieser nach Lage der Akten nicht abgelehnt werden dürfen. Ob im Zeitpunkt des Antragseingangs (24.7.2006) die Erledigung des Rechtsstreits durch die Einholung des Gutachtens verzögert worden wäre, bleibt nach Lage der Akten offen. Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen, finden sich darin nicht. Eine Anfrage des SG an die benannte Sachverständige, wie lange sie für die Erstellung des Gutachtens benötige, fehlt. Es erscheint gut denkbar, dass das Gutachten den Beteiligten so rechtzeitig vor dem (geplanten) Termin am 27.10.2006 vorgelegen hätte, dass sie dazu noch vor dem oder spätestens im Termin sachgerecht hätten Stellung nehmen können. Hätte die mündliche Verhandlung gleichwohl vertagt werden müssen, hätte dies über § 192 SGG (die dort genannten Voraussetzungen unterstellt) sanktioniert werden können.
Dass jeder dieser Mängel für sich genommen wesentlich ist, liegt auf der Hand. Denn die Berücksichtigung zusätzlicher Beweismittel kann immer zu einer anderen Sachentscheidung führen.
Der Senat hält es im Rahmen seines Ermessen für sachgerecht und zweckmäßig, die Streitsache an das SG zurück zu verweisen. Auch unter Berücksichtigung des Gedankens der Prozessökonomie und des Interesses des Klägers an einer zeitnahen Sachentscheidung überwiegt hier sein Interesse, die erforderliche Sachaufklärung durch das Instanzgericht in einem fairen Klageverfahren (und erst danach ggf. in einer zweiten Instanz) vornehmen zu lassen. Die Beteiligten haben zudem durch ihre (übereinstimmenden) Hilfsanträge dokumentiert, dass diese Verfahrensweise in ihrem Interesse liegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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