L 11 KR 14/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 61/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 14/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.12.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Restkosten einer in Spanien durchgeführten ambulanten Cataract-Operation.

Der 1923 geborene Kläger erlitt während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Spanien am 01.07.2004 einen Netzhautarterienverschluss des rechten Auges, wodurch sein Visus auf diesem Auge praktisch aufgehoben wurde und er nur noch Handbewegungen wahrnahm. Auf dem linken Auge bestand wegen einer seit langem bestehenden Linsenhauttrübung ein Visus von weniger als 0,4. Die in Spanien praktizierende Augenärztin Dr. L gab in einer Bescheinigung vom 20.07.2004 an, nach der Behandlung des Netzhautarterienverschlusses sei der Visus nur minimal gestiegen. Da der Patient große Probleme habe, sich zurechtzufinden, habe sie ihm empfohlen, eine Cataract-Operation am linken Auge durchführen zu lassen. Dieser werde ambulant in einer Privatklinik durchgeführt, die voraussichtlichen Kosten beliefen sich auf 1.800,00 Euro. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin im August 2004 mit, für die Behandlung sei ein Auslandskrankenschein zu verwenden. Sofern eine Inanspruchnahme der Behandlung als Sachleistung über den spanischen Krankenversicherungsträger nicht möglich sei, könnten Kosten einer Privatbehandlung in Höhe der Inlandssätze übernommen werden. Nach seinen Angaben wurde dem Kläger am 26.08.2004 bei einer Untersuchung im Fachärztezentrum C mitgeteilt, es sei eine weitere Untersuchung in der Augenabteilung eines Krankenhauses erforderlich. Einen Untersuchungstermin dort erlangte er erst für den 04.02.2005. Der Kläger entschloss sich daraufhin zur Vornahme einer Privatbehandlung und ließ am 30.09.2004 in einer Privatklinik ambulant eine Cataract-Operation links durchführen. Hierfür entstanden ihm - einschließlich Medikamente - Kosten in Höhe von 1.928,96 Euro. Am 15.10.2004 kehrte der Kläger mit Hilfe seines Bruders nach Deutschland zurück.

Mit Schreiben vom 08.11.2004 beantragte er unter Hinweis darauf, dass es sich um eine dringend notwendige und unaufschiebbare Augenoperation gehandelt habe, die Erstattung der ihm entstandenen Kosten. Die Beklagte ermittelte einen Bruttoerstattungsbetrag von 959,01 Euro, der bei einer Behandlung im Inland unter Berücksichtigung von Zuzahlungen und der Praxisgebühr angefallen wäre; hiervon erfolgte ein Verwaltungskostenabschlag gemäß ihrer Satzung in Höhe von 55,00 Euro. Mit Bescheid vom 22.12.2004 lehnte sie eine über diesen Betrag hinausgehende Erstattung ab, da von der Möglichkeit der Inanspruchnahme als Sachleistung mittels E 111 kein Gebrauch gemacht worden sei und es sich bei der Operation nicht um eine unaufschiebbare Behandlung gehandelt habe.

Mit seinem Widerspruch verlangt der Kläger die vollständige Übernahme der ihm entstandenen Kosten. Unter Bezugnahme auf augenärztliche Bescheinigungen von Dr. L und Dr. E machte er geltend, die Operation des linken Auges sei dringend erforderlich gewesen. Da infolge des Infarktes das rechte Auge praktisch erblindet sei, sei die Operation des schon lange bekannten Cataracts dringlich gewesen. Es habe die Gefahr einer gänzlichen Erblindung bestanden. Er sei nicht transportfähig gewesen, um die Operation in der Bundesrepublik durchführen zu lassen. Wie sich aus der Bescheinigung von Dr. L ergebe, sei eine zeitgerechte Operation mittels E 111 nicht zu erlangen gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2005 ist die Beklagte wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da mit der vorgenommenen Erstattung der Leistungsanspruch unter Zugrundelegung der im Inland angefallenen Kosten im vollen Umfang erfüllt sei. Eine unaufschiebbare Behandlung habe nicht vorgelegen.

Mit der am 31.05.2004 erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin die Erstattung der entstandenen Kosten in voller Höhe verlangt. Bei der Cataract-Operation habe es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt, denn er habe bis zum 30.09.2004 vergeblich versucht, einen Operationstermin innerhalb des spanischen Krankenversicherungssystems zu erhalten. Er habe sich schon vorsorglich am 20.07.2004 von Dr. L einen Kostenvoranschlag für eine Privatbehandlung geben lassen und habe sich dann, nachdem sich die zeitliche Verzögerung herausgestellt habe, entschlossen, die Privatoperation durchführen zu lassen. Nach dem für den 04.02.2005 vorgesehenen Untersuchungstermin hätte er noch bis zu 12 Monate auf einen Operationstermin warten müssen. In der Wartezeit sei er faktisch blind gewesen. Er habe ursprünglich geplant, sich vom 01.06. bis 31.08.2004 in Spanien aufzuhalten. Durch den Netzhautarterienverschluss sei sein Urlaub "zwangsverlängert" worden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.12.2006 abgewiesen. Auf Vorschriften des EG-Rechts lasse sich das Klagebegehren nicht stützen. Eine Erstattung in den Grenzen des § 13 Abs. 4 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) habe die Beklagte vorgenommen. Eine darüber hinausgehende Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V komme nicht in Betracht, da es sich nicht um eine unaufschiebbare Behandlung gehandelt habe. Die Erblindung des rechten Auges sei bereits am 01.07.2004 eingetreten, bis zur Operation habe der Kläger drei Monate gewartet. In dieser Zeit seien keine Umstände eingetreten, die eine Eilbedürftigkeit der Operation begründeten.

Gegen das ihm am 15.01.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.02.2007 Berufung eingelegt. Er wiederholt seine Auffassung, dass die Operation unaufschiebbar gewesen sei. Das Sozialgericht habe die ausführlich dargestellten Mängel der medizinischen Versorgung in Spanien nicht berücksichtigt. Ein weiteres Warten auf die Operation sei nicht zumutbar gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.12.2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2005 zu verurteilen, ihm weitere 1.020,74 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

II.

Der Senat konnte über die zulässige Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Beteiligten sind zu dieser Möglichkeit angehört worden.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf volle Erstattung der Kosten, die ihm für die in der spanischen Privatklinik durchgeführt ambulante Cataract-Operation entstanden sind.

In Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH sieht die seit dem 01.01.2004 geltende Bestimmung des § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V vor, dass Versicherte Leistungserbringer in anderen Staaten der EG im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen können. Allerdings ist der Anspruch der Höhe nach auf die Vergütung beschränkt, die der Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland entstanden wären (Satz 3 a. a. O.); zudem hat die Satzung Abschläge für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzunehmen (Satz 5 a. a. O.). Die Beklagte hat den sich danach ergebenden Betrag dem Kläger erstattet; ihre Berechnung, die sie im Erörterungstermin nochmals erläutert hat, lässt Fehler nicht erkennen. Es entspricht der Rechtsprechung des EuGH, dass eine Übernahme der Behandlungskosten nur insoweit verlangt werden kann, als das Krankenversicherungssystem des Staates des Versicherungsangehörigen die Deckung garantiert (EuGH, Urteil vom 13.05.2003 RsC 385/99, "Müller-Fauré", Randnr. 106).

Eine darüber hinausgehende Kostenerstattung könnte sich nur nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fallgruppe 1 SGB V ergeben. Danach ist die Krankenkasse zur Übernahme der dem Versicherten entstandenen Kosten verpflichtet, wenn sie eine unaufschiebbare Behandlung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Unaufschiebbar in diesem Sinne ist eine Behandlung dann, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). In Frage stehen insoweit Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB IV oder andere dringliche Bedarfslagen etwa bei Systemstörungen oder Versorgungslücken (vgl. Krauskopf/Wagner, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 13 SGB V Randnr. 25).

Es kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen überhaupt in "Auslandsfällen" ein solcher Kostenerstattungsanspruch in Betracht kommt und inwiefern die Beklagte für eventuelle Versorgungsdefizite im spanischen Gesundheitssystem einzustehen hätte. Da nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bei einem Aufenthalt im Ausland der Leistungsanspruch ruht und somit der Kläger - von § 13 Abs. 4 SGB V abgesehen - Leistungen nur nach Maßgabe des für ihn als Rentner geltenden Art. 31 Abs. 1 Buchstabe a EG-Verordung 1408/71 erhalten konnte, bestand ein Sachleistungsanspruch nur nach Maßgabe des Rechts des Träger des Aufenthaltsortes. Wegen dieser Einbeziehung in das Sachleistungssystem des Aufenthaltsortes musste der Kläger grundsätzlich die in diesem System unter Umständen bestehenden Beschränkungen hinnehmen. Angesichts des gleichzeitigen Gewinns an Freizügigkeit hat der Versicherte hinzunehmen, dass ihm im Ausland weder der Form noch dem Inhalt nach identische Ansprüche zustehen wie im Inland (vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2004 - B 1 KR 33/02 R).

Auf diese Fragen kommt es hier jedoch schon deshalb nicht an, weil die Cataract-Operation keine aus medizinischen Gründen unaufschiebbare Behandlung war. Soweit der Kläger behauptet, es habe die Gefahr einer völligen Erblindung gedroht, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Linsentrübung links seit Jahren bekannt und offenbar nicht wesentlich fortgeschritten war, denn schon 1999 bestand nach Dr. E ein Visus rechts von 0,3 und Dr. L gibt im Jahr 2004 den Visus für das rechte Auge mit weniger als 0,4 an. Es ist somit unwahrscheinlich, dass dem Kläger nunmehr ein Verlust des Visus rechts drohte; ebenso wenig ist etwas dafür ersichtlich, dass bei einer Operation zu einem späteren Zeitpunkt der Behandlungserfolg gefährdet gewesen wäre.

Begründet worden ist die Erforderlichkeit der Operation sowohl von Dr. L als auch von Dr. E dementsprechend auch allein mit der Einschränkung der Lebensqualität. Es kann dahinstehen, inwieweit der Kläger durch die Seheinschränkung in seinem Alltag behindert war und welche Wartezeit auf eine Operation ihm hätte zugemutet werden können. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger nach der rechtsseitigen Erblindung noch fast drei Monate - wenn auch unter Umständen nur mit Unterstützung seiner Lebensgefährtin - seinen Alltag bewältigen konnte, spricht nichts dafür, dass er nicht auch noch den geringen Zeitraum bis zur Rückkehr am 15.10.2004 in die Bundesrepublik hätte bewältigen können. Selbst wenn es sich um eine "ungeplante" Rückreise gehandelt hat, hätte der Kläger doch sicher unschwer mit seinem Bruder den Zeitpunkt der genauen Rückreise abklären und dementsprechend die Operation verschieben können. Die Operation war auch weder erforderlich, um den geplanten Rückreisetermin einhalten zu können (sie ist tatsächlich erst einen Monat nach dem ursprünglich beabsichtigten Termin 30.08.2004 durchgeführt worden) noch um überhaupt die Reisefähigkeit herzustellen. Der Kläger ist nicht wie sonst allein mit dem Zug gefahren, sondern mit seinem Bruder im Pkw zurückgereist. Dass er als Beifahrer nicht auch bei eingeschränkter Sehfähigkeit hätte zurückreisen können, ist schon deshalb unwahrscheinllich, weil er selbst nicht behauptet hat, er habe zwischen dem 01.07. und dem 30.09.2004 seine Wohnung nicht verlassen können. Er war also - unter Umständen mit fremder Hilfe - sehr wohl in der Lage, sich auch außerhalb der Wohnung zu bewegen. Damit hätte er auch die Rückreise im Pkw seines Bruders antreten können.

Daher spricht nichts dafür, dass die Operation am 30.09.2004 aus medizinischer Sicht dringend erforderlich war. Somit kommt ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fallgruppe 1 SGB V unabhängig davon, ob der Kläger nicht ohnehin die sich aus der Infrastruktur des spanischen Gesundheitssystems ergebenden zeitlichen Verzögerungen seinoch ner Behandlung hätte hinnehmen müssen, nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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