L 1 B 30/07 AL

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 38 (35) AL 418/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 30/07 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14. September 2007 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens, für das keine Gebühren erhoben werden, sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung, die der Beschwerdeführer im Prozesskostenhilfeverfahren geltend machen kann.

Die im Mai 1974 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin und war bis 2002 in diesem Beruf tätig. Dabei traten Hautveränderungen am Handrücken und den Fingerzwischenräumen sowie Atembeschwerden beim Einsatz von Haarspray auf. Auf ärztlichen Rat beantragte sie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für eine Umschulung zur Industriekauffrau. Die Hautärztin Dr. A, die die Klägerin im Feststellungsverfahren begutachtete, traute ihr den Friseurberuf weiterhin vollschichtig zu, weil ihre Haut weder überempfindlich reagiere noch ekzematöse Veränderungen aufweise.

Hierauf gestützt lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 10. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. November 2004 ab, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren, weil sie ihren Lehrberuf weiter ausüben könne. Dagegen klagte sie am 30. November 2004 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund und legte dar, sie habe den Friseurberuf wegen des Asthmaleidens und den Hautekzemen aufgegeben. Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld I endete am 25. März 2005; anschließend zahlte ihr die Beigeladene Arbeitslosengeld II.

Mit Beschluss vom 27. Juli 2006 bewilligte der Senat der Klägerin im Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren und ordnete ihr den Beschwerdeführer bei (Az.: L 1 B 24/05 AL). Dieser erfragte daraufhin außergerichtlich, ob die Beklagte nunmehr bereit sei, der Klägerin einen Bildungsgutschein für Computerkurse oder für Umschulungen zur Krankenschwester oder Bürokauffrau auszustellen. Das lehnte die Beklagte ab, weil die Beigeladene hierfür seit dem 26. März 2005 zuständig sei. Nachdem sich das SG dieser Rechtsansicht angeschlossen hatte, erklärte der Beschwerdeführer den Rechtsstreit für erledigt. Gleichzeitig kündigte er an, dass die Klägerin die Beigeladene auf "Leistungen zur Eingliederung etwa in Form eines Computerkurses" in Anspruch nehmen werde.

Nachdem der Beschwerdeführer einen PKH-Vorschuss von 264,48 EUR erhalten hatte, machte er am 31. Januar 2007 nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) folgende Gebühren und Auslagen geltend:

Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 200,00 EUR
Einigungs- oder Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR
19% Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 74,10 EUR
Gesamtsumme 464,10 EUR

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die Vergütung auf 238,00 EUR fest und berücksichtigte dabei die Terminsgebühr von 200,00 EUR zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von 38,00 EUR. Die Erledigungsgebühr lehnte er ab, weil eine besondere Mühewaltung des Beschwerdeführers an der unstreitigen Erledigung nicht erkennbar sei. Dagegen legte der Beschwerdeführer unter dem 16. Februar 2007 "sofortige Beschwerde" ein und machte geltend, die Beigeladene habe der Klägerin auf seine Initiative einen Computerkurs in Aussicht gestellt und nach dem Ende des Klageverfahrens auch bewilligt. Im Hinblick auf diesen Computerkurs habe er den Rechtsstreit für erledigt erklärt und damit an der Beendigung des Klageverfahrens mitgewirkt.

Der Urkundsbeamte der Geschäftstelle hat dem Rechtsbehelf, den er als Erinnerung auffasste, nicht abgeholfen. Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 14. September 2007 zurückgewiesen. Nach Zustellung am 20. September 2007 hat der Beschwerdeführer dagegen am 27. September 2007 sofortige Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 22. Oktober 2007).

Der Beschwerdeführer beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14. September 2007 zu ändern und die Rechtsanwaltsvergütung auf 464,10 EUR festzusetzen.

Der Beschwerdegegner, der dem angefochtenen Beschluss beipflichtet, beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, entscheidet nicht der Berichterstatter als Einzelrichter, sondern der gesamte Senat (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Dabei wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§ 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die Beschwerde ist zulässig, weil sie statthaft ist, den Beschwerdewert von 200,00 EUR übersteigt und fristgerecht erhoben worden ist.

Die Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des SG ist gem. § 56 Abs. 2 Satz 1, 2. Teilsatz i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG statthaft und weder durch § 178 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) noch durch § 197 Abs. 2 SGG ausgeschlossen:

Nach § 178 Satz 1 SGG befindet das SG endgültig über Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Im PKH-Verfahren gilt diese Vorschrift aber nicht, weil die Bestimmungen des RVG vorrangig sind. Das RVG enthält für den Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts nämlich spezielle Sonderregelungen, die die allgemeinen prozessualen Bestimmungen des SGG verdrängen (Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW], Beschluss vom 09. August 2007, Az.: L 20 B 91/07 AS; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2005, Az.: L 6 B 31/03 AL zur Rechtslage nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung [BRAGO]). Mit dem RVG und dem SGG konkurrieren zwei ranggleiche Bundesgesetze. Dieses Konkurrenzverhältnis ist nach der sog. Zeitkollisionsregel und dem Spezialitätsprinzip zu harmonisieren (Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 2. Aufl. 2001, S. 113 f.): Die später erlassene Norm setzt die frühere außer Kraft (Zeitkollisionsregel: "lex posterior derogat legi priori") und das spezielle Gesetz verdrängt das allgemeine (Spezialitätsprinzip: "lex specialis derogat legi generali"). § 178 Satz 1 SGG, der seit Inkrafttreten des SGG unverändert gilt, erfasst als generelle Regelung alle Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, während sich die Vorschriften des § 56 Abs. 2 Satz 1, 2. Teilsatz i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG, die seit dem 01. Juli 2004 in Kraft sind, ausschließlich (und damit speziell) auf den Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts im PKH-Verfahren beziehen. Insofern gehen die Regelungen des RVG dem SGG nach der Zeitkollisionsregel und dem Spezialitätsprinzip vor (so bereits LSG NRW, Beschlüsse vom 07. April 2007, Az.: L 12 B 44/07 AS und vom 20. Dezember 2007, Az.: L 9 B 38/07 AL; a.A.: LSG Niedersachsen, Beschlüsse vom 28. Dezember 2006, Az.: L 8 B 4/06 SO SF und vom 05. September 2007, Az.: L 13 B 2/06 AS SF sowie LSG Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2005, Az.: L 9 B 166/02 KR).

Dasselbe gilt für das Verhältnis zu § 197 Abs. 2 SGG. Auch nach dieser Bestimmung befindet das SG endgültig über Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Allerdings regelt § 197 Abs. 2 SGG nur das Verhältnis der Beteiligten zueinander (LSG NRW, Beschluss vom 09. August 2007, Az.: L 20 B 91/07 AS; Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2005, Az.: L 6 B 31/03 AL; Groß in: HK-SGG, § 197 Rn. 4; Knittel in: Hennig, SGG, § 197 Rn. 1; Straßfeld in: Jansen, SGG, 2. Aufl. 2005, § 197 Rn. 1). Soweit es um die Erstattungspflicht der Staatskasse gegenüber dem beigeordneten Rechtsanwalt geht, ist die Norm unanwendbar (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 197 Rn. 1 und 5; Straßfeld in: Jansen, SGG, 2. Aufl. 2005, § 197 Rn. 3; a.A. Mutschler, Kostenrecht in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, 2003, S. 19 Rn. 71). Davon abgesehen soll § 56 RVG das Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren, soweit es um Vergütungen und Vorschüsse aus der Staatskasse geht, für alle Prozessordnungen einheitlich regeln (LSG NRW, Beschluss vom 09. August 2007, Az.: L 20 B 91/07 AS; vgl. auch Schnapp in: Anwaltskommentar RVG, 3. Aufl. 2006, § 56 Rn. 16). Mit diesem gesetzgeberischen Ziel wäre es unvereinbar, wenn das SGG abweichende Regelungen enthielte. Hinzu kommt, dass das SGG - jedenfalls aus logisch-systematischer Sicht - nur solche Beschwerdemöglichkeiten ausschließen kann, die es selbst eröffnet (vgl. zu diesem Aspekt: Sächsisches LSG, Beschluss vom 02. Januar 2007, L 6 B 17/07 AS-KO).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 EUR (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Denn bei der Wertbestimmung ist neben der Erledigungsgebühr in Höhe von 190,00 EUR auch die Umsatzsteuer von 36,10 EUR zu berücksichtigen, weil sie Teil der Gesamtvergütung ist (LSG NRW, Beschluss vom 16. August 2006, Az.: L 20 B 137/06 AS, RVGreport 2006, 469; Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. 2007, § 33 RVG Rn. 20). Schließlich hat der Beschwerdeführer die Beschwerde auch fristgerecht, innerhalb von 2 Wochen, erhoben (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass dem Beschwerdeführer gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG kein höherer Vergütungsanspruch zusteht. Die Erledigungsgebühr ist nämlich nicht entstanden, weil die Voraussetzungen der Nr. 1002 VV RVG nicht erfüllt sind.

Geht es - wie hier - um die Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), und ist über den Streitgegenstand ein gerichtliches Verfahren anhängig gewesen, so beträgt die Höhe der Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG 30,00 EUR bis 350,00 EUR (Mittelgebühr: 190,00 EUR). Sie entsteht gem. Nr. 1002 VV RVG, wenn sich die Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (Satz 1). Das gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt (Satz 2). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Denn die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid vom 10. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. November 2004 weder aufgehoben noch geändert. Im Gegenteil: Die angefochtenen Bescheide sind bestandskräftig geworden, als der Beschwerdeführer das Klageverfahren beendete. Deshalb ist es unerheblich, dass er sich zuvor schriftlich an die Beklagte gewandt hat, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Denn zu einer Korrektur der Ursprungsbescheide ist es nicht gekommen. Die Rechtssache hat sich auch nicht erledigt, weil die Beklagte während des Klageverfahrens einen Verwaltungsakt erlassen hat, den sie vorher abgelehnt hatte. Denn die Beklagte hat der Klägerin überhaupt keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt. Den Computerkurs, der im Übrigen eine Weiterbildungsmaßnahme und keine Teilhabeleistung ist, bewilligte die Beigeladene. Gewährt jedoch der nunmehr zuständige Träger die Leistungen anstelle der Behörde, die zwischenzeitlich unzuständig geworden ist, so sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 1002 VV RVG nicht erfüllt (vgl. dazu Mayer in: Mayer/Kroiß, RVG-Handkommentar, 2. Aufl. 2006, Nr. 1002 Rn. 14). Im Übrigen hat die Beigeladene der Klägerin den Computerkurs erst bewilligt, nachdem der Beschwerdeführer den Rechtsstreit gegen die Beklagte beendet hatte. Ein Ursachenzusammenhang ("Mitwirkung") zwischen der Erledigungserklärung und der Bewilligung des Computerkurses fehlt. Denn die Erledigungserklärung des Beschwerdeführers kann hinweggedacht werden, ohne dass der Bewilligungsbescheid der Beigeladenen entfiele.

Dem Beschwerdeführer steht daher noch folgende Vergütung zu:

Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG: 200,00 EUR
19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG: 38,00 EUR
Gesamtbetrag 238,00 EUR

Die weitergehenden Gebühren und Auslagen hat der Beschwerdeführer bereits als Prozesskostenvorschusses erhalten; sie sind deshalb nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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