L 16 KR 219/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 295/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 219/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20. September 2006 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist in der Hauptsache ein Anspruch der unter einer affektiven Psychose leidenden Klägerin auf Kostenerstattung, betreffend das Valproinsäurepräparat Valprolept®, das sich die Klägerin im Zeitraum Januar 2004 bis zum 18.04.2005 auf eigene Kosten beschafft hat.

Unter Vorlage einer entsprechenden privatärztlichen Bescheinigung der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dres. I vom 22.01.2004 beantragte die Klägerin, die bei der Beklagten gegen Krankheit versichert ist, im Januar 2004 die Versorgung mit dem o. g. Arzneimittel, das für die streitgegenständliche Indikation zu diesem Zeitpunkt nicht über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügte. Mit Bescheid vom 11.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2004 lehnte die Beklagte die Versorgung mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für einen sog. off-label-use des Arzneimittels lägen nicht vor.

Die Klägerin hat mit der am 30.09.2004 zum Sozialgericht Köln erhobenen Klage ihren Anspruch weiterverfolgt.

Sie hat im Hinblick auf die am 19.04.2005 erteilte arzneimittelrechtliche Zulassung für Valprolept® und die darauf gegründete Kostenübernahme der Beklagte ab August 2005 - nur noch - beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für eine Medikation mit dem Präparat Valproinsäure zu erstatten, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte die Kosten für ein solches Präparat übernommen hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 20.09.2006, abgesandt am 19.10.2006, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erstattung gemäß § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor. Das Urteil ist mit der "Rechtsmittelbelehrung" versehen, es könne mit der Berufung angefochten werden.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben am 09.11.2006 entsprechend der dem erstinstanzlichen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung Berufung eingelegt. Sie machen - zunächst unter Wiederholung des Klageantrages erster Instanz - geltend, die Voraussetzungen für einen off-label-use hätten vorgelegen. Auf den Hinweis des Senates, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V zu beziffern sei, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Originale von ärztlichen Verordnungen, betreffend das o. g. Arzneimittel, übersandt, die in der Summe 449,96 EUR ergeben. Auf den weiteren Hinweis des Senates, dass 500 EUR nicht überschritten und die Berufung nicht statthaft sei, haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.08.2007 vorgetragen, über die vorgelegten Verordnungen hinaus seien auch im März und Mai 2004 Kosten in Höhe von je 36,81 EUR entstanden, so dass insgesamt 522,32 EUR im Streit stünden. Im Übrigen handele es sich um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.09.2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 522,32 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil nach Auswertung weiterer Studien als zutreffend. Es fehle jedoch bereits an der Statthaftigkeit der Berufung, da die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erreicht sei.

Der Senat hat einen Befundbereicht der behandelnden Ärzte Dres. I vom 22.06.2007 eingeholt sowie eine ergänzende Auskunft vom 15.10.2007. Die dort aufgelisteten Verordnungen von Valprolept® entsprechen den von der Klägerin belegten Ausgaben. Im März und Mai 2004 sind keine Verordnungen ausgestellt worden.

Mit Schreiben vom 30.10.2007 hat der Senat mit umfangreicher Begründung auf die fehlende Statthaftigkeit der Berufung hingewiesen und die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 158 SGG angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

II.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.09.2006 war als unzulässig zu verwerfen, denn die Berufung ist nicht statthaft (§ 158 SGG). Sie bedurfte der Zulassung und ist durch das Sozialgericht nicht zugelassen worden. Da die Berufsrichter des Senats übereinstimmend dieser Auffassung sind und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich erachten, macht der Senat - nach entsprechendem Hinweis vom 30.10.2007 an die Beteiligten - von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufung im Beschlussverfahren (§ 158 SGG) als unzulässig zu verwerfen.

Gemäß § 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts., wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 EUR nicht übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes berechnet sich danach, was das Sozialgericht der klagenden Partei versagt hat und von dieser mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt wird (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 144 RdNr. 14 m. w. N.). Nach dem erstinstanzlichen Klageantrag, über den das Sozialgericht entschieden hat, und nach dem mit Einlegung der Berufung gestellten Antrag begehrt die Klägerin - unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides - die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Medikamentation mit dem Präparat Valprolept® zu erstatten, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte die Kosten für ein solches Präparat übernommen hat. Auf den Hinweis des Senates, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V zu beziffern sei (siehe zu diesem prozessualen Erfordernis BSG E 83, 254, 263 = SozR 3-2500 § 37 Nr. 1), haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Originale von ärztlichen Verordnungen, betreffend das o. g. Arzneimittel, übersandt und damit eine Bezifferung der Höhe des Erstattungsanspruchs vorgenommen (siehe insoweit BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7). Die Rechnungsbeträge ergeben in der Summe 449,96 EUR, übersteigen mithin nicht 500 EUR. Die bloße Behauptung, dies sei dennoch der Fall, stellt keine Bezifferung dar, sondern kann allenfalls als insoweit unbeachtlicher Additionsfehler - falls eine Summenbildung vor Übersendung der Verordnungen überhaupt vorgenommen wurde - bewertet werden. Der neue Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 16.08.2007, über die vorgelegten Verordnungen hinaus seien auch im März und Mai 2004 Kosten in Höhe von je 36,81 EUR entstanden, so dass insgesamt 522,32 EUR im Streit stünden, stellt lediglich eine die Statthaftigkeit der Berufung nicht berührende, nachträgliche Klageänderung im Sinne einer Klageerweiterung dar. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Statthaftigkeit der Berufung ist der Zeitpunkt der Einlegung der Berufung, vgl. § 202 SGG i. V. m. § 4 Abs. 1 S. 1 ZPO (siehe insoweit BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7, Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, a. a. O., § 144 RdNr. 19 f. m. w. N.). Ohne dass dies bei der Entscheidung über die Statthaftigkeit der Berufung von Belang wäre, hat jedoch eine Anfrage bei den behandelnden Ärzten gezeigt, dass diese - über die im Original überreichten Verordnungen hinaus - auch keine weiteren Verordnungen ausgestellt haben, der Klägerin mithin keine weiteren Kosten über 449,96 EUR hinaus entstanden sind.

Die Berufung ist auch nicht deshalb statthaft, weil das Sozialgericht dem Urteil eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung beigefügt hat. Darin liegt keine Entscheidung über die Zulassung des Rechtsmittels im Sinne von § 144 Abs. 1 S. 1 SGG. Eine solche kann nur im Tenor, aber auch - bei eindeutigem Ausspruch - in den Entscheidungsgründen des Urteils getroffen werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 144 RdNr. 39 mit zahlreichen w. N.). Beides ist jedoch vorliegend nicht der Fall.

Schließlich ergibt sich die Statthaftigkeit der Berufung auch nicht aus § 144 Abs. 1 S. 2 SGG. Danach gilt das (S. 1 der Norm) nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Ausnahme ist jedoch, wie sich aus dem Sinn der Vorschrift ergibt, nicht anwendbar, wenn es um Erstattungsstreitigkeiten geht. In einen Anspruch auf Erstattung hat sich jedoch der ursprünglich geltend gemachte Sachleistungsanspruch der Klägerin gewandelt, vgl. § 13 Abs. 3 SGB V. Es handelt sich um einen eigenständigen Anspruch, bei dem auf den Charakter der zugrunde liegenden Leistung abzustellen keinen Sinn macht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., RdNrn. 23 ff. m. w. N.; Zeihe, Soziale Gesetzgebung und Praxis, Das Sozialgerichtsgesetz, Loseblattsammlung, Stand: 01.05.2007, § 144 Anm. 31 ff.). Neben der an den ursprünglichen Sachleistungsanspruch anknüpfenden Voraussetzung, ob die gesetzliche Krankenkasse zu Unrecht eine Leistung abgelehnt hat, sind weitere, darüber hinausgehende eigenständige Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen, wie Kausalität zwischen der Entstehung von Kosten und der Ablehnung, Erstattungsfähigkeit der Kosten.

Wegen fehlender Statthaftigkeit der Berufung ist der Senat gehindert, sich materiell-rechtlich mit dem geltend gemachten Anspruch zu befassen. Dem zwar sehr knappen Urteil des Sozialgerichts dürfte jedoch in der Sache beizupflichten sein. Dass das hier verordnete Valprolept® nicht in die Zulassung valpoinhaltiger Arzneimittel einbezogen worden ist, lässt zumindest erhebliche Zweifel daran zu, dass ein den sog. off-label-use rechtfertigender Systemmangel vorgelegen habe. Bezüglich der Lebensbedrohlichkeit einer Erkrankung, die auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) eine Versorgung ermöglichen könnte, ist die restriktive Auslegung des Bundessozialgerichts zu beachten, das nicht jede schwerwiegende Erkrankung einbezieht, sondern eine notstandsähnliche Situation voraussetzt im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8). Eine solche Zuspitzung der Situation hat im maßgeblichen Zeitraum auch auf der Grundlage des eingeholten Befundberichtes ersichtlich nicht vorgelegen. Zudem müssten die weiteren Voraussetzungen - Alternativlosigkeit der konkreten Behandlung sowie auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf spürbare positive Einwirkung auf den abstrakten und konkreten Krankheitsverlauf - gegeben sein. Dass der behandelnde Arzt entsprechende Verordnungen erteilt hat, reicht insoweit nicht aus.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Es bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 1 Nr. 2 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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