L 1 B 33/07 AL

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 122/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 33/07 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13. November 2007 geändert: Die Beschwerdegegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers tragen muss.

Mit Abzweigungsbescheid vom 12. Oktober 2006 setzte die Beschwerdegegnerin das Arbeitslosengeld I des Antragstellers zugunsten der Stadt N ab dem 04. Oktober 2006 um 8,97 EUR täglich herab. Dem widersprach der Antragsteller am 17. Oktober 2006 und suchte beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen gleichzeitig um einstweiligen Rechtsschutz nach. Durch Teilabhilfebescheid vom 24. Oktober 2006 reduzierte die Beschwerdegegnerin den Abzweigungsbetrag auf 2,08 EUR täglich und zahlte die einbehaltenen Beträge (58,24 EUR für Oktober 2006 und 62,40 EUR für November 2006) an die Stadt N aus.

Das SG gewährte dem Antragsteller mit Beschluss vom 31. Oktober 2006 ab dem 25. Oktober 2006 ratenfrei Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete ihm Rechtsanwältin I aus P bei. Nachdem das SG auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hingewiesen hatte, erklärte die Beschwerdegegnerin unter dem 14. November 2006, sie werde "bis zur Entscheidung über den Widerspruch die Abzweigung vollständig rückgängig" machen. Daraufhin nahm der Antragsteller den Eilantrag zurück. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die Rechtsanwaltsvergütung aus der Landeskasse auf 220,40 EUR fest. Auf Bitten des Beschwerdeführers trat ihm die beigeordnete Rechtsanwältin "ihre Antragsbefugnis" nach § 193 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ab.

Am 30. August 2007 hat der Beschwerdeführer beim SG Gelsenkirchen beantragt, der Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aufzuerlegen. Dies sei erforderlich, damit die Landeskasse die Vergütungsforderung der Rechtsanwältin gegenüber der Beschwerdegegnerin geltend machen könne. Die Beschwerdegegnerin hat es abgelehnt, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu übernehmen, weil der Eilantrag nicht erforderlich gewesen sei.

Das SG hat am 13. November 2007 beschlossen, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht antragsbefugt gewesen. Hiergegen hat der Beschwerdeführer am 20. November 2007 Beschwerde eingelegt, der das SG mit Beschluss vom 21. November 2007 nicht abgeholfen hat.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Beschwerde ist zulässig, obwohl Beschwerden gegen Kostengrundentscheidungen gem. § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG seit dem 01. April 2008 nicht mehr statthaft sind. Denn nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts begründet die Einlegung eines ursprünglich statthaften und zulässigen Rechtsmittels eine schutzwürdige verfahrensrechtliche Position, die der Gesetzgeber aus Gründen des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG] i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip [Art. 20 Abs. 3 GG]) durch eine nachträgliche Verschärfung von Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht mehr rückwirkend beseitigen kann (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 07. Juli 1992, Az.: 2 BvR 1631/90, 2 BVR 1728/90, BVerfGE 87, 48, 63 ff.).

Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers tragen muss. Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 i.V.m. § 102 Satz 3, 2. Halbsatz SGG hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Denn der Antragsteller hat seinen Eilantrag zurückgenommen und damit das einstweilige Rechtsschutzverfahren beendet (§ 102 Satz 2 SGG).

Der Beschwerdeführer war auch aus abgeleitetem Recht befugt, eine Kostengrundentscheidung des SG zu beantragen (vgl. zu dieser Möglichkeit: Landessozialgericht [LSG] Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08. Februar 1972, Az.: L 2 J 125/70, Breithaupt 1972 S. 626, 627; LSG Niedersachsen, Beschlüsse vom 29. Juli 1982, Az.: L 4 S (Kr) 43/82 und vom 22. November 1982, Az.: L 4 S (J) 128/82; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Februar 1992, Az.: L 12 Vs 746/90; LSG Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 1997, Az.: L 2 RS 14/97; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 193 Rn. 2e; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 Anm. 3a). Denn der Antragsteller hatte ihm seine Antragsbefugnis wirksam übertragen. In diesem Sinne sind die Erklärungen der beigeordneten Rechtsanwältin auszulegen, wonach sie dem Beschwerdeführer "ihre Antragsbefugnis nach § 193 Absatz 1 Satz 3 SGG" überlasse. Diese Formulierung ist interpretationsbedürftig, weil das Gesetz nicht sie, sondern nur den Antragsteller ermächtigt, eine Kostengrundentscheidung zu verlangen. Da die Landeskasse die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers übernommen hatte, bestand für ihn allerdings kein Anlass, den materiellen Kostenschuldner durch eine Kostengrundentscheidung des SG ermitteln zu lassen. Hieran war nur die Landeskasse interessiert, die jedoch kein eigenes Antragsrecht hat (LSGe Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg, jeweils a.aO.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.; Peters/Sautter/Wolff, a.a.O.). Um der Landeskasse aus der Kostengrundentscheidung des SG Erstattungsansprüche gegen den materiellen Kostenschuldner zu verschaffen, ist der Antragsteller jedoch gehalten, ihr die Antragsbefugnis zu übertragen. Denn er ist aus dem PKH-Verhältnis grundsätzlich verpflichtet, die Landeskasse zu unterstützen, soweit sie Regressansprüche gegen seinen Prozessgegner durchsetzen möchte. Diese unselbständige Nebenpflicht des Antragstellers wollte die beigeordnete Rechtsanwältin bei sachgerechter Auslegung ihrer Abtretungserklärung erfüllen. Hierzu war sie auch ermächtigt. Denn der Antragsteller hatte ihr "Vollmacht" für "die gesamte gerichtliche und außergerichtliche Vertretung" auch in "Neben- und Folgeverfahren aller Art" erteilt. Zur sachgerechten Prozessvertretung einer beigeordneten Rechtsanwältin gehört es, Nebenpflichten ihres Mandanten aus dem PKH-Verhältnis zu erfüllen, soweit sie dazu - wie hier - bevollmächtigt ist.

Über die Frage, ob die Beschwerdegegnerin dem Antragsteller außergerichtliche Kosten erstatten muss, hat das SG nach billigem Ermessen zu entscheiden, wobei es den bisherigen Sach- und Streitstand sowie die Erfolgsaussichten des (Eil-) Verfahrens berücksichtigen muss (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20. Dezember 2002, Az.: L 3 B 19/02 P, vom 09. Mai 2003, Az.: L 3 B 7/02 RJ und vom 19. September 2003, Az: L 3 B 4/03 RJ und L 3 B 1/03 RA; Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 13). Um den Ermessensspielraum des SG zu wahren, darf der Senat die erstinstanzliche Kostengrundentscheidung nur dann durch eine eigene Ermessensentscheidung ersetzen, wenn der angefochtene Beschluss ermessensfehlerhaft ist (vgl. zum Prüfungsmaßstab: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom November 2003, L 3 B 13/03 P; Frehse, Berliner Kommentar zum SGG, § 176 Rn. 4; Krasney/ Udsching, SGG, 3. Aufl. 2002, Abschnitt X, Rn. 54, 55; Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, a.a.O., § 176 Rn. 4; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 176 Rn. 6; Zeihe, SGG, § 109 Rn. 9e und § 176 Rn. 4b). Dies ist der Fall. Denn der Kostenbeschluss vom 13. November 2007 ist schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil er sich ausschließlich auf die vermeintlich fehlende Antragsbefugnis des Beschwerdeführers stützt.

Folglich hat der Senat in der Sache zu entscheiden, wobei er sich an folgenden Grundsätzen orientiert: Verzichtet ein Beteiligter aus freien Stücken darauf, seine Rechte weiter zu verfolgen oder zu verteidigen, so spricht dies in der Regel dafür, ihm Kosten aufzuerlegen. Erfasst der Verzicht nur einen Teil des Streitgegenstandes, ist eine Kostenquotelung angemessen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. August 2001, Az.: L 3 B 8/01 RJ; Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 193 Rn. 12a und 13b). Diese Grundsätze gelten aber nicht ausnahmslos: Ändern sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse während des Gerichtsverfahrens und erkennt die Behörde daraufhin den geltend gemachten Anspruch sofort an, wäre es unbillig, sie mit außergerichtlichen Kosten zu belasten (Rechtsgedanke des § 93 der Zivilprozessordnung (ZPO), vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 24. Mai 1991, Az.: L 7 RAr 2/91, SozR 3-1500 § 193 SGG Nr. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 30. April 1999, Az.: L 3 B 17/98 RJ und vom 18. Dezember 2001, Az.: L 3 B 19/01 P).

Unter Beachtung dieser Grundsätze entspricht es der Billigkeit, der Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners in voller Höhe aufzuerlegen. Denn sie hat sich freiwillig in die Position des Unterlegenen begeben, als sie die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anerkannte und die Abzweigung rückgängig machte. Ein sofortiges Anerkenntnis hat sie nicht abgegeben. Denn die Beschwerdegegnerin hat sich gegen den Eilantrag zunächst ausgiebig verteidigt, obwohl der Widerspruch bereits erhoben und die aufschiebende Wirkung eingetreten war. Das Anerkenntnis hat sie erst einen Monat später auf Hinweis des Kammervorsitzenden und damit keinesfalls "sofort" abgegeben. Soweit die Beschwerdegegnerin meint, der Eilantrag sei nicht erforderlich gewesen, ist darauf hinzuweisen, dass sie die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht von sich aus, sondern erst auf Intervention des SG respektiert hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved