S 24 VG 1764/03

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
24
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 VG 1764/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 VG 4/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist in Streit; ob dem Kläger ein Berufsschadensausgleich zusteht.

Der 1930 geborene Kläger hat den Volksschulabschluss. Ende des Zweiten Weltkriegs machte er eine Notprüfung zum Pelzzurichter. Danach war er in verschiedenen Berufen als Pelzzurichter, Bauhelfer und Fabrikarbeiter, Packer, Fahrer und Lagerarbeiter tätig und betrieb in den Jahren 1976 bis 1980 selbständige Gewerbe (Abholdienst, Transportdienst, Einzel- und Gebrauchwarenhandel), sammelte Bauschutt, Hausrat und Gerümpel und hatte die Erlaubnis zum Handel mit Lebensmitteln und Waren aller Art. Ab März 1975 weist das Rentenversicherungskonto des Klägers überwiegend Krankheitszeiten und ab Mitte 1977 Zeiten der Arbeitslosigkeit aus. 1953 heiratete der Kläger zum ersten Mal. Die Ehe wurde 1959 kinderlos geschieden. 1962 heiratete der Kläger zum zweiten Mal. Aus dieser Ehe gingen neun Kinder hervor (weitere Kinder starben kurz nach der Geburt), darunter ein behinderter Sohn namens C., um den sich der Kläger noch heute kümmert. Am 04.11.1982 verstarb der Sohn D. des Klägers, nachdem er sexuell missbraucht und aus 11 m Höhe bewusstlos aus einem Fenster geworfen wurde. Hierauf verschlechterte sich die psychische Erkrankung der Ehefrau des Klägers, die auch schon vor dem Mord an dem Sohn unter seelischen Störungen litt und alkoholabhängig war. Sie verstarb am xx.xx.2006. Nach der Ermordung seines Sohnes war der Kläger weiterhin bis 1992 arbeitslos und bezog Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Mit Bescheid vom 07.02.1991 wurde dem Kläger vom Rentenversicherungsträger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.10.1991 bewilligt. Grundlage der Rentenbewilligung war eine Emphysembronchitis als Hauptleiden sowie als wichtigstes Nebenleiden eine Wirbelsäulenverbiegung und -verkrümmung sowie eine Polyarthrose. An sonstigen Leiden werden eine nutritiv toxikologische Lebervergrößerung, Seh- und Hörstörung rechts, sowie nutritiv toxikologische Parästhesien, Polyneuritis der Arme und Beine genannt.

Dem Antrag seiner Frau auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz vom 09.02.1984 schloss sich der Kläger nicht an (Schreiben des Klägers vom 29.08.1984). Am 20.02.1992 stellte der Kläger erstmals einen eigenen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Dieser wurde mit Bescheid vom 03.09.1993 abgelehnt, der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.1994 zurückgewiesen. In einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren wurde schließlich aufgrund des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 09.09.1999 bei dem Kläger ein "chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom" als Folge der Gewalttat 1982 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % anerkannt. Ein Berufsschadensausgleich war nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die gerichtliche Entscheidung wurde am 17.01.2000 in Bescheidform umgesetzt. Mit Bescheid vom 31.01.2000 verneinte der Beklagte ein besonderes berufliches Betroffensein und lehnte einen Berufsschadensausgleich ab.

Mit Schreiben vom 16.02.2003 stellte der Kläger einen Erhöhungsantrag (Gegenstand des Verfahrens S 24 VG 244/04) und mit Schreiben vom 18.02.2002 (Eingang beider Schreiben bei dem Beklagten am 21.02.2003) einen Antrag auf Berufsschadensausgleich. Dieser Antrag wurde als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X behandelt und mit Bescheid vom 26.02.2003 abgelehnt. Den Widerspruch des Klägers vom 19.03.2003 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2003 zurückgewiesen.

Mit seiner am 15.05.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Kläger ist der Auffassung, ohne die Ermordung des Sohnes hätte er sich weniger um seine hierdurch psychisch erkrankte Frau kümmern müssen und höhere Einkünfte im Erwerbsleben erzielen können. Auch seine Rente wäre dann höher. Ein Berufsschadensausgleich stehe ihm daher zu.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 26.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.05.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger einen Berufsschadensausgleich anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält daran fest, dass der ablehnende Bescheid zu Recht ergangen ist. Der Kläger beziehe seine Erwerbsunfähigkeitsrente nicht aufgrund schädigungsbedingter Leiden. Ein Zusammenhang zwischen der jetzigen Einkommenssituation des Klägers und der bei ihm anerkannten Schädigungen liege nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Bei dem Kläger liegen die die Voraussetzungen für einen Berufsschadensausgleich nicht vor.

Nach § 30 Abs. 3 BVG erhalten rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

Durch den Berufsschadensausgleich soll der Einkommensverlust ausgeglichen werden, der durch die schädigungsbedingte Minderung der Arbeitskraft verursacht worden ist.

An solch einem durch die schädigungsbedingten Minderung der Arbeitskraft hervorgerufenen Einkommensverlust fehlt es aber. Zwar ist bei dem Kläger ein "chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom" als Folge der Gewalttat 1982 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % anerkannt. Der Kläger selbst trägt aber vor, dass er sich in den Jahren nach der Gewalttat um seine schwer erkrankte Ehefrau und die sechs noch schulpflichtigen Kinder, darunter den behinderten Sohn habe kümmern müssen. Dass diese Aufgabe den Kläger voll in Anspruch nahm und eine berufliche Tätigkeit daneben praktisch nicht mehr ausgeübt werden konnte, leuchtet unmittelbar ein. Allerdings ist diese Konstellation keine Folge der eingetretenen Schädigungsfolgen beim Kläger selbst, nämlich der mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % ab 1992 bewerteten eigenen psychischen Erkrankung des Klägers. Vielmehr ist die Aufgabe jeglicher Erwerbstätigkeit vor allem eine Folge der schweren psychischen Erkrankung der Ehefrau, die für Familienarbeit ausfiel. Die Erkrankung der Ehefrau ist aber keine bei dem Kläger selbst eingetretene Schädigungsfolge. Das gegenwärtige geringe Renteneinkommen des Klägers ist somit nicht darauf zurückzuführen, dass er infolge seiner eigenen psychischen Erkrankung keine weiteren Rentenanwartschaften aus Arbeit erwarb, sondern darauf, dass er sich in vollem Umfang um die große und in vielerlei Hinsicht schwer belastete Familie kümmerte und deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachging.

Auch die vorzeitige Berentung des Klägers durch den Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 07.02.1991 steht in keinerlei Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis. Grundlage der Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.10.1991 war eine Emphysembronchitis als Hauptleiden sowie als wichtigstes Nebenleiden eine Wirbelsäulenverbiegung und -verkrümmung sowie eine Polyarthrose. Auch die sonstigen Leiden (Lebervergrößerung, Seh- und Hörstörung rechts, sowie Parästhesien, Polyneuritis der Arme und Beine) können nicht im Zusammenhang mit der Ermordung des Sohnes gebracht werden. Ein psychisches Leiden spielte in der Entscheidung über die Erwerbsunfähigkeitsrente keinerlei Rolle. Damit kann aber auch die vorzeitige Berentung des Klägers in keinerlei Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis gebracht werden.

Die angegriffenen Bescheide halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Die Klage war nach allem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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