L 19 AS 66/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 43 (35) AS 10/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 66/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 36/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB mit Beschluss als unzulässig verworfen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.09.2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1958 geborene Klägerin, die iranische Staatsangehörige ist, nahm im Wintersemester 1992/1993 das Studium der Verfahrenstechnik in C auf. 1998 wechselte sie an die Fachhochschule E, wo sie sich für den Studiengang Maschinenbau, Studienrichtung Anlagentechnik, immatrikulierte. Zum Wintersemester 2002 schrieb sie sich außerdem als Zweithörerin im Studiengang Verfahrenstechnik an der Fachhochschule L ein. Am 29.04.2005 bestand sie die Diplomprüfung im Studiengang Maschinenbau, Studienrichtung Anlagentechnik, mit der Note 2,4 und erhielt den akademischen Grad einer Diplom-Ingeneurin Fachhochschule.

Am 23.05.2005 beantragte sie die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin ein nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähiges Studium absolviere, was Beihilfeleistungen nach dem SGB II grundsätzlich ausschließe, und auch keine atypische Situation vorliege, die ausnahmsweise eine darlehensweise Leistungsbewilligung erlaube (Bescheid vom 24.06.2005, Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005).

Hiergegen hat die Klägerin am 11.01.2006 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Sie hat geltend gemacht, sie habe den 1992/1993 aufgenommenen Studiengang Verfahrenstechnik 1996/1997 nicht abschließen dürfen, weswegen sie einen jahrelangen Prozess geführt habe, welchen sie schließlich gewonnen habe. 1998 habe sie sich an der Fachhochschule E zunächst ebenfalls im Studiengang Verfahrenstechnik eingeschrieben, wo sie wiederum über ca. 3,5 Jahre einen Prozess habe führen müssen. Ab dem Sommersemester 2000 habe sie an der Fachhochschule E außerdem den Studiengang Maschinenbau belegt, worin sie die Diplomprüfung im April 2005 bestanden habe. Sie arbeite als Werkstudentin mit einem monatlichen Einkommen von 420,00 Euro, erhalte kein Bafög und keine Kredite und sei seit dem 15.01.2006 nicht mehr krankenversichert. Sie sei während ihres Studiums diskriminiert worden.

Mit Urteil vom 17.09.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 07.10.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.11.2009 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, das SG habe ihr zu Unrecht unterstellt, dass sie sich dem Arbeitsmarkt nicht uneingeschränkt zur Verfügung gestellt habe. Nach einer Auskunft der Beklagten seien auch die Akten dem SG nicht ordnungsgemäß vorgelegt worden. Schließlich beruhe die Entscheidung auf unrichtigen Tatsachen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.09.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der Gesetze zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe ihres Widerspruchsbescheides und die Ausführungen in den bisher zwischen ihr und der Klägerin geführten Verfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin im streitigen Zeitraum kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zusteht.

Gegenstand des Verfahrens sind die Grundsicherungsansprüche der Klägerin nach dem SGB II in der Zeit ab Antragstellung am 23.05.2005 bis zum 01.10.2006. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten entfaltet nur noch für diesen Zeitraum Wirkung, weil ab Oktober 2006 der Klägerin Leistungen nach dem SGB II gewährt worden sind.

Die Klägerin erfüllte in diesem Zeitraum die Voraussetzungen des § 19 SGB II i. V. m. § 7 Abs. 1 SGB II. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II), war nicht auf absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein, und daher erwerbsfähig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II, hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 9 SGB II, da sie außer Stande war, ihren Lebensunterhalt aus ihrem Vermögen und Einkommen zu sichern und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), weil sie über eine dauerhafte Aufhenthaltserlaubnis verfügte. Gleichwohl kann die Klägerin keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beanspruchen, weil sie gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II als Auszubildende von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen war und keiner der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II vorlag.

Die Klägerin war im Zeitraum Mai 2005 bis Oktober 2006 als ordentliche Studierende an der Fachhochschule L im Studiengang Verfahrenstechnik eingeschrieben. Dieses Studium ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG grundsätzlich förderungsfähig. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin als Zweithöherin ohne Abschluss eingeschrieben war. Auch als solche konnte sie - wie auch geschehen - per Sondergenehmigung zur Diplomprüfung zugelassen werden und war lediglich bei Beginn des Sommersemesters 2005 zunächst an zwei Hochschulen immatrikuliert (vgl. § 71 Abs. 2 Hochschulgesetz NW in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung).

Diese Förderungsfähigkeit führt gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II zum Ausschluss der Klägerin von Leistungen zum Lebensunterhalt, weil die nach dem BAföG grundsätzlich förderungsfähige Ausbildung lediglich aus individuellen Versagungsgründen, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung nach dem Bafög bestanden haben, nicht gefördert werden konnte (vgl. BSG Urt. v. 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R = www.juris.de Rn.14; BSG Urt. v. 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R = SozR 4 - 4200 § 7 Nr. 6). Leistungen nach dem BAföG konnte die Klägerin nicht in Anspruch nehmen, weil sie das 30. Lebensjahr überschritten hatte (§ 10 Abs. 3 S. 1 BAföG) und in Ansehung ihres ersten Studienabschlusses eine weitere Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 2 BAföG durchlief. Unerheblich ist dabei, das Studium der Verfahrenstechnik als Zweit- oder Ergänzungsstudium anzusehen ist. Auch derartige Studiengänge schließen, solange sie grundsätzlich nach dem BAföG förderbar sind, den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zum Lebensunterhalt aus (BSG, Urt. v. 01.07.2009 - B 4 AS 67/09 R = www.juris.de Rn. 14; zur Zweitausbildung vgl. ferner BSG Urt. v. 09.02.2008 - B 4 AS 28/07 R a.a.O. Rn. 17).

Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Klägerin sich arbeitssuchend gemeldet hatte und - wie sie behauptet - jederzeit zum Abbruch ihres Studiums bereit gewesen wäre. Letzteres begegnet allerdings Zweifeln, weil sie im Mai 2005 das Angebot der Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme unter Hinweis auf eine Fachprüfung abgelehnt hat. Der Ausschluss nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II ist nicht davon abhängig, ob die Bereitschaft zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Teilnahme an Fördermaßnahmen der Arbeitsverwaltung besteht. Maßgeblich ist allein das Bestehen eines Ausbildungsverhältnisses, welches nach dem BAföG förderbar ist (vgl. BSG Urt. v. 01.07.2009 - B 4 AS 67/09 R = www.juris.de Rn. 14, wodurch die frühere gegenteilige Rechtsprechung erstinstanzlicher Gerichte, auf die sich die Klägerin beruft, als überholt anzusehen ist).

Die Klägerin erfüllt auch nicht die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II, wonach Abs. 5 keine Anwendung auf Auszubildende findet, die aufgrund von § 2 Abs. 1 a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder aufgrund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben (Nr. 1) oder deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG oder nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB III bemisst (Nr. 2).

Die Klägerin kann auch keine darlehensweisen Leistungen beanspruchen. Nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen gewährt werden. Unter Beachtung der Zielsetzung des § 7 Abs. 5 SGB II, wie sie auch der früheren Regelung des § 26 Abs. 1 S. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zugrunde lag (vgl. dazu BVerwGE 61, 352, 356; 94, 224, 226 f.), eine (verdeckte) Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene durch die Grundsicherungsleistungen zu vermeiden, ist ein besonderer Härtefall erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck als übermäßig hart, d. h. als unzumutbar oder in hohem Maße unrichtig erscheinen lassen (BSG a.a.O. Rn. 17; BVerwGE 94, 224). Dabei sind allerdings auch arbeitsmarktbezogene Aspekte bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Härte zuzulassen (BSG a.a.O. Rn. 19). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ohne die angestrebte Ausbildung zukünftige Erwerbslosigkeit droht (BSG Urt. v. 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R = SozR - 4200 § 7 Nr. 6 Rn. 24). Nicht ausreichend sind dagegen der Umstand, dass die Klägerin ohne hinreichende Sicherung ihres Lebensunterhalts ihre Ausbildung verfolgt hat und Schulden aufnehmen musste, wie auch der Umstand, dass mit der Beendigung des Studiums der Verlust bisher erworbener Prüfungsleistungen einhergegangen wäre (vgl. BSG Urt. v. 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R a.a.O. Rn. 19). Solche besonderen Umstände können im Fall der Klägerin allein dadurch begründet gewesen sein, dass sie möglicherweise unverschuldet längere Zeit gehindert war, ihr Studium der Verfahrenstechnik abzuschließen (zur Unterbrechung einer Ausbildung durch Krankheit vgl. BSG Urt. v. 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R a.a.O. Rn. 36; LSG Hamburg Beschl. v. 20.06.2005 - L 61 AS 472/05 ER). Insoweit ist jedoch zu beachten, dass die Klägerin zwischenzeitlich ein anderes Studium erfolgreich und mit guter Note abgeschlossen hatte, so dass ihr ein qualifizierter Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet war. Hinzukommt, dass im Zeitpunkt der Antragstellung auf Grundsicherungsleistungen nicht annähernd absehbar war, wann die Klägerin das weitere Studium der Verfahrenstechnik abschließen würde (zu diesem Aspekt vgl. BSG a.a.O.), was auch erst ca. 3 Jahre später geschehen ist. Aufgrunddessen kommt es auch nicht darauf an, inwieweit der weitere Ausbildungsabschluss die Chancen der Klägerin auf dem Arbeitsmarkt erhöhen konnte (BSG a.a.O.), wofür allerdings hinreichende Anhaltspunkte fehlen. Insbesondere ist es ausgeschlossen, dass nur durch den weiteren Ausbildungsgang eine Erwerbstätigkeit ermöglicht werden konnte, da die Klägerin bereits über eine hinreichende Qualifikation verfügte, wie zuvor dargelegt worden ist.

Die Berufung ist daher mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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