L 6 AS 2194/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 37 AS 2456/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 2194/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 214/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Beschwerde als unzulässig verworfen.
Die Berufung der Klägerin zu 2) gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2010 wird als unzulässig verworfen. Die Berufung des Klägers zu 1) gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) insbesondere unter Einbeziehung von Unterstützungsleistungen an die 1936 geborene und in Usbekistan lebende Mutter des Klägers zu 1) sowie Bedarfen ihrer Kinder.

Der 1966 geborene Kläger zu 1) beantragte am 17.02.2009 bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für sich, seine Ehefrau, die Klägerin zu 2) sowie seine 1987 geborene und in O wohnhafte Tochter J H, geb. C und den 1989 geborenen, in C wohnhaften Sohn E C. Die Tochter J, die seit dem 16.01.2009 verheiratet ist, bezog ab dem 01.01.2009 SGB II-Leistungen von der Gemeinde O. Der Sohn E, der eine Schulausbildung zum "staatlich geprüften imformationstechnischem Assistenten" an dem privaten "b.i.b. International College" absolvierte, bezog Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

Bis zum 31.03.2009 bezog der Kläger zu 1) ein Erwerbseinkommen in Höhe von ca. 2200 Euro monatlich. Ab dem 01.04.2009 bezog er Arbeitslosengeld I in Höhe von monatlich ca. 1800 Euro. Seine Ehefrau, die Berufungsklägerin zu 2), bezog im streitigen Zeitraum Erwerbseinkommen in Höhe von mindestens 1000 Euro monatlich. Mietkosten fielen in Höhe von ca. 730 Euro monatlich an.

Der Beklagte lehnte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 08.10.2009 ab. Er wies darauf hin, dass Leistungen nur Personen erhalten könnten, die hiilfebedürftig seien. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen seien die Kläger nicht hilfebedürftig und hätten deswegen keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Gegen den Bescheid legte der Kläger zu 1) mit Schreiben vom 10.10.2009 Widerspruch ein und trug vor, auch seine im Ausland lebende Mutter gehöre zur Bedarfsgemeinschaft. Zudem seien Miethöhe, Werbungskosten, Freibeträge usw. nicht richtig berechnet worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2010 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zu 1) zurück. Die im Ausland lebende Mutter gehöre gem. § 7 Abs. 3 SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Der Bescheid entspreche den gesetzlichen Bestimmungen.

Am 01.06.2010 stellte der Kläger zu 1) einen neuen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten, den dieser mit Bescheid vom 03.08.2010 ablehnte.

Mit seiner am 04.06.2010 beim Sozialgericht (SG) erhobenen Klage hat der Kläger zu 1) weiterhin vorgetragen, seine im Ausland lebende Mutter sei als Mitglied seiner Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen. Er unterstütze diese mit regelmäßigen Zahlungen und die ganze Familie habe von 1986 bis 1992 bei seiner Mutter in U/ Usbekistan zusammengelebt.

Das SG hat die Klage des Klägers zu 1) mit Gerichtsbescheid vom 18.11.2010 abgewiesen. Der Beklagte habe zu Recht den Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 08.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2010 abgelehnt, weil der Bedarf des Klägers zu 1) und seiner Ehefrau durch Einkommen gedeckt gewesen sei und die Mutter nicht in die Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen gewesen sei. Die Mutter des Klägers zu 1) habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern lebe in Usbekistan. Ausnahmevorschriften gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II lägen nicht vor. Darüberhinaus habe sie auch bereits die Altersgrenze von 65 Jahren gem. § 7a Satz 1 SGB II erreicht. Schließlich sei sie nach dem Vortrag des Klägers auch nicht erwerbsfähig, da sie eine Erwerbsminderungsrente beziehe. An der richtigen Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens bestünden keine Bedenken.

Gegen den ihm am 20.12.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger zu 1) in seinem Namen und dem Namen seiner Ehefrau am 21.12.2010 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die Unterhaltszahlungen an seine Mutter sowie die Bedarfe der Kinder bei der Berechnung der Leistungen zu berücksichtigen seien. Auch könne das ihm gezahlte Arbeitslosengeld I gem. § 72 SGB II nicht als Einkommen angerechnet werden.

Der Kläger zu 1) beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2010 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 08.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2010 zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 17.02.2009 bis zum 31.08.2009 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen in damaliger Höhe von 70 Euro an die im Ausland lebende Mutter des Klägers zu 1) gem. § 11 SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähig und als gemeinsame Einrichtung nach § 44b Abs. 1 S. 1 SGB II in der ab dem 01.01.2011 geltenden neuen Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 03.08.2010 (BGBl I, 1112) Rechtsnachfolger der bisherigen Arbeitsgemeinschaft iS des § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II. Der Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II ist kraft Gesetzes eingetreten und stellt keine unzulässige Klageänderung dar (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 90/10 R Rn 11). Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.

Die Berufung der Klägerin zu 1) ist nicht zulässig. Berufungskläger/in kann nur sein, wer schon Beteiligter in erster Instanz war (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 143 Rn 3). Die Einbeziehung der Klägerin zu 2) im Rahmen einer Klageerweiterung gem. § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist schon deswegen nicht zulässig, weil der Beklagte ausdrücklich nicht in die Klageänderung eingewilligt hat.

Die Berufung des Klägers zu 2) ist zulässig aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers zu 1) auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II besteht mangels Hilfebedürftigkeit nicht.

Anspruchsberechtigt ist nach § 7 Abs. 1 SGB II, wer hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist gem. § 9 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht ( ...) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen ( ...) sichern kann. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Der Bedarf des Klägers zu 1) und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägerin zu 2) (Unterkunftskosten ca. 730 Euro, Regelbedarf je 316 Euro, gesamt ca. 1360 Euro) ist im streitigen Zeitraum auch bei Abzug gesetzlicher Absetzbeträge mehr als ausreichend durch sein eigenes Einkommen und das seiner Ehefrau (ca. 2.800 Euro) gedeckt gewesen. Entgegen der Auffassung des Klägers zu 1) ist das von ihm ab 01.04.2009 bezogene Arbeitslosengeld I als Einkommen anrechenbar. Die Vorschrift des § 72 SGB II findet hier keine Anwendung. Diese betrifft lediglich solche Arbeitslose, die durch das rückwirkende Wirksamwerden der verlängerten Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld eine Nachzahlung erhalten haben. Insoweit hat der Gesetzgeber im Jahr 2007 eine Übergangsregelung geschaffen: Nach § 72 Satz 1 SGB II ist an erwerbsfähige Hilfebedürftige geleistetes Arbeitslosengeld nicht als Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen, soweit es aufgrund des § 434r Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - (Übergangsregelung für die Nachzahlung) für einen Zeitraum geleistet wird, in dem die Hilfebedürftigen und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes erhalten haben.

Entgegen der Auffassung des Klägers zu 1) sind weder seine Mutter noch die Kinder im streitigen Zeitraum als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft und somit auch nicht deren Bedarf zu berücksichtigen.

Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Mutter des Klägers schon mangels gewöhnlichen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland im geltend gemachten Zeitraum (17.02.2009 bis 31.08.2009) nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt werden konnte. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat diesbezüglich auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Tochter des Klägers zu 1) (J H geb. C) war im streitigen Zeitraum gleichfalls nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen, da sie im streitigen Zeitraum nicht gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zum Haushalt des Klägers zu 1) gehörte. Sie war seit dem 01.01.2009 unter einer anderen Adresse gemeldet und ist seit dem 16.01.2009 verheiratet. Zudem bezog sie seit dem 01.01.2009 SGB II Leistungen von der Gemeinde O.

Auch der Sohn des Klägers zu 1) (E C) war nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen. Er bewohnte im im Rahmen seiner Schulausbildung ein angemietetes Appartement in C, hielt sich dort ganz überwiegend auf und gehörte nach seinen - auch im Rahmen eines eigenen Leistungsantrags getätigten - Angaben auch nicht mehr dem Haushalt seiner Eltern an. Zudem bezog er Leistungen nach dem BAföG, so dass er gem. § 7 Abs. 5 SGB II grundsätzlich von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war.

Die vom Kläger in Höhe von 70 Euro monatlich geltend gemachten Zahlungen an seine Mutter können entgegen dessen Auffassung im Rahmen der Einkommensbereinigung nicht berücksichtigt werden, da die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II für die Anrechnung von Unterhaltsleistungen (Festsetzung der Leistungspflicht in einem Unterhaltstitel oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung) nicht vorlagen. Unabhängig davon ergibt sich selbst bei Berücksichtigung der Zahlungen an die Mutter noch ein deutlich überschießendes Einkommen, so dass Hilfebedürftigkeit, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, im streitigen Zeitraum keinesfalls vorlag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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