Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
58
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 58 AS 1671/07 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 10/08 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller einen Zuschuss gemäß § 22 Abs. 7 SGB II in Höhe von monatlich 284,73 EUR ab Antragstellung bis zum Ablauf des Monats Januar 2008 zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller etwa ihm zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandene notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung eines Zuschusses zu seinen ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II.
Der Antragsteller ist 18 Jahre alt. Gemeinsam mit seiner Mutter bewohnt er eine circa 70 m² große Dreizimmerwohnung; seine Schwester, die ebenfalls mit in der Wohnung lebte, ist vor einiger Zeit ausgezogen. Die Gesamtmiete für diese Wohnung beläuft sich auf 569,45 EUR einschließlich Nebenkosten und Heizungskosten. Der Antragsteller besucht eine Abendrealschule und bezieht gemäß Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung der Stadt A-Stadt vom 28.09.2007 Leistungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BAföG in Höhe von monatlich 348 EUR.
Am 24.09.2007 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung eines Zuschusses zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II. Dieser Antrag wurde durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.10.2007 abgelehnt. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, die in der dem Antragsteller gewährten Ausbildungsförderung enthaltenen Anteile für Unterkunft und Heizung zur Deckung seiner Unterkunfts- und Heizkosten seien ausreichend; daher bestehe kein Anspruch auf den Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II. Der hiergegen von dem Antragsteller erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 19.11.2007 als unbegründet zurückgewiesen. In dem Widerspruchsbescheid wird davon ausgegangen, dass der auf den Antragsteller entfallende Mietanteil unter Abzug des in der BAföG-Leistung bereits enthaltenen Mietanteils in Höhe von 52 EUR, des Kindergeldes in Höhe von 154 EUR und des analogen Abzuges einer Warmwasserpauschale in Höhe von 1,4% der maßgeblichen Regelleistung insgesamt 75,87 EUR betrage. Weiter wird ausgeführt, es sei den BAföG-Beziehern grundsätzlich zuzumuten, durch gelegentliche Nebentätigkeiten einen Verdienst zu erzielen, der ausreiche, die ungedeckten Unterkunfts- und Heizkosten abzudecken. Es könne zumindest eine geringfügige steuerfreie Beschäftigung aufgenommen werden, um die ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu bestreiten. Erziele der BAföG-Bezieher kein Erwerbseinkommen, sei fiktiv der passende Tabellenbetrag entsprechend um die Freibeträge zu bereinigen und auf die ungedeckten Unterkunftskostenanteile anzurechnen. Im Falle des Antragstellers betrage das fiktiv unter Abzug der Freibetragsregelung anzurechnende Einkommen monatlich 136,80 EUR. Bei einem ungedeckten Unterkunftsbetrag in Höhe von 75,87 EUR und dem fiktiv anzurechnenden Einkommen in Höhe von 136,80 EUR errechne sich kein Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten.
Am 28.11.2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Er trägt vor, infolge des ungedeckten Teils der Unterkunftskosten seien die Mittel der Bedarfsgemeinschaft für den Lebensunterhalt nicht mehr ausreichend. Es bedürfe daher einer eiligen Entscheidung.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm einen Zuschuss zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG). Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 ZPO).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Seine Anspruchsberechtigung ergibt sich aus § 22 Abs. 7 SGB II. Danach erhalten abweichend von dem in § 7 Abs. 5 SGB II normierten Leistungsausschluss u. a. Auszubildende, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten und deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3, § 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Antragsteller gehört zu diesem Personenkreis. Er erhält Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes, wobei sich sein Bedarf als Besucher einer Abendrealschule nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst. Die Höhe des Zuschusses bemisst sich nach den ungedeckten angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Dabei ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung der aus dem Antragsteller und seiner Mutter bestehenden Bedarfsgemeinschaft in Höhe von insgesamt 569,45 EUR für die von ihnen gemeinsam bewohnte Dreizimmerwohnung noch angemessen sind im Hinblick darauf, dass die Wohnung in der Vergangenheit von drei Personen bewohnt war und die Schwester des Antragstellers erst vor einiger Zeit ausgezogen ist. Die ungedeckten Unterkunftskosten belaufen sich bei der aus zwei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft mithin auf die Hälfte der Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung, also auf 284,73 EUR. Eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen erfolgt nicht. Das Gericht folgt insoweit der Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts, das in seinem Beschluss vom 02.08.2007 - L 9 AS 215/07 ER - hierzu folgendes ausgeführt hat:
"Der Wortlaut des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II lässt allerdings nicht erkennen, wie die Hilfeleistungen zu berechnen sind, insbesondere ob und ggf. in welcher Höhe Einkommen anzurechnen ist. Nach der Systematik des Gesetzes hängt der Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II allein von der Höhe der ungedeckten Unterkunftskosten ab, ohne dass es einer Bedarfs- bzw. Einkommensberechnung nach dem SGB II bedarf (vgl. SG Schwerin, Beschluss vom 29. März 2007 S 10 ER 49/07 AS –). Dafür spricht schon die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II, wonach der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 nicht als Arbeitslosengeld II gilt. Behandelt die Fiktionsregelung den Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II nicht als solchen auf Arbeitslosengeld II, scheidet auch die Anwendung der allgemeinen das Arbeitslosengeld II betreffenden Vorschriften zu Umfang und Höhe des Bedarfs und zur Anrechnung von Einkommen aus. Unerheblich ist dabei, dass die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II in erster Linie das Entstehen der Sozialversicherungspflicht des nach § 22 Abs. 7 SGB II Anspruchsberechtigten verhindern soll. Auch lässt der Wortlaut des § 22 Abs. 7 SGB II einen Verweis auf Vorschriften zur Einkommensanrechnung nach dem SGB II nicht erkennen. Der Auffassung, zur Ermittlung des ungedeckten Unterkunftskostenbedarfs sei das vorhandene, nach den Maßstäben des SGB II zu bereinigende Gesamteinkommen dem fiktiven Gesamtbedarf nach SGB II (Regelsatz plus angemessene Unterkunftskosten) gegenüberzustellen, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sich bereits dem Wortlaut des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II nach der Bedarf der Auszubildenden nach dem SGB III bzw. dem BAföG bemisst, und nicht ( ...) nach den Vorschriften des SGB II. Auch der Auffassung, bei der Berechnung des Zuschusses zu den Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II sei der ungedeckte Unterkunftsbedarfs zum Betrag der Ausbildungsförderung zu addieren; diesem zu berücksichtigenden Gesamtbedarf sei das vorhandene, nach den Maßstäben des SGB II bereinigte Gesamteinkommen gegenüberzustellen (so SG Berlin, Beschluss vom 4. Mai 2007 – S 102 AS 9326/07 ER –), kann nicht gefolgt werden. Denn diese Berechnungsmethode würde BAföG-Empfänger, die mit Hilfedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, gegenüber den übrigen BAföG-Empfängern ohne erkennbaren sachlichen Grund benachteiligen. Denn auf der Grundlage des zum 1. April 2001 geänderten § 21 BAföG wird Kindergeld im Unterschied zur Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II bei der Berechnung der Ausbildungsförderung nicht als Einkommen angerechnet. Der Gesetzgeber hat demnach für BAföG-Empfänger einen um das Kindergeld erhöhten Bedarf zur Bestreitung des Lebensunterhalts einschließlich der für die Ausbildung erforderlichen Kosten (vgl. § 1 BAföG) angenommen. Auch wird Kindergeld für volljährige Kinder des Hilfebedürftigen, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Einkommen berücksichtigt (soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende volljährige Kind weitergeleitet wird, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-V in der ab 1. Oktober 2005 geltenden Fassung). Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber den Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II davon abhängig machen wollte, dass dem Auszubildenden selbst überhaupt Kosten für Unterkunft und Heizung entstehen, und dass diese nach Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen ungedeckt sind. Daraus folgt aber nicht, dass der Gesetzgeber von einer Anrechnung von Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des SGB II ausgegangen ist. Da sowohl Leistungen nach dem BAföG als auch nach dem SGB II Bedürftigkeitsleistungen sind, auf die regelmäßig Einkommen und Vermögen angerechnet werden, und im Übrigen nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber abweichend von den den Bestimmungen des BAföG zugrunde liegenden Wertungen eine Verschlechterung der Situation von BAföG-Empfängern, die mit Hilfesuchenden nach dem SGB II bzw. SGB XII in Bedarfsgemeinschaft leben gegenüber anderen BAföG-Empfängern beabsichtigt hat, ist § 22 Abs. 7 SGB II dahingehend auszulegen, dass die ungedeckten Unterkunftskosten ohne erneute Prüfung des (Gesamt-)Bedarfs und Anrechnung des Einkommens zu ermitteln sind. Diese Auslegung entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, der ergänzend zu den pauschalierenden Regelungen der Ausbildungsförderungsvorschriften Leistungen insbesondere für diejenigen erbringen wollte, die mit Hilfedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben und ihren eigenen Anteil an den Unterkunftskosten nicht bzw. nicht vollständig erstattet bekommen. Beabsichtigt war daher nur die Aufstockung der Unterkunftsleistungen bis zur Bedarfsdeckung. Dass Leistungen nur nach vorheriger Ausschöpfung von nach BAföG anrechnungsfreiem Einkommen erbracht werden sollen, kann der Gesetzesbegründung nicht entnommen werden."
Abweichend von der von der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung sind die ungedeckten Unterkunftskosten auch nicht durch einen in der BAföG-Leistung bereits enthaltenen Mietanteil von 52 EUR zu verringern. Die Leistung, die der Antragsteller erhält, beträgt 348 EUR. Dieser Betrag entspricht gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 BAföG dem Bedarf eines Schülers einer Abendrealschule, der noch bei seinen Eltern wohnt. Der in § 12 Abs. 3 BAföG genannte Betrag von 52 EUR ist - wie die Zusammenschau von § 12 Abs. 3 und Abs. 2 BAföG zeigt - allein als Anteil des Bedarfs solcher Auszubildender anzusehen, die nicht bei ihren Eltern wohnen und denen deshalb vom Gesetz ein höherer Bedarf zuerkannt wird. Ein solcher höherer Bedarf - einschließlich eines entsprechenden Anteils an Unterkunftsbedarf - ist dem Antragsteller nicht zugebilligt worden, weil er noch bei seiner Mutter wohnt. Auch eine Warmwasserpauschale in Höhe von 1,4% der maßgeblichen Regelleistung ist von den ungedeckten Unterkunftskosten nicht in Abzug zu bringen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller als BAföG-Bezieher gerade keine Regelleistung nach § 20 SGB II erhält, so dass sich insoweit die Frage einer doppelten Bedarfsdeckung, die es rechtfertigen könnte, eine Warmwasserpauschale in Abzug zu bringen, nicht stellt. Da es sich bei der BAföG-Leistung um eine Unterstützung eigener Art handelt, die mit der Regelleistung nach dem SGB II nicht vergleichbar ist, kann auch nicht unterstellt werden, dass in der BAföG-Leistung ein Bedarf für Warmwasserbereitung mit veranschlagt ist. Der Antragsteller kann daher den vollen Betrag an ungedeckten Unterkunftskosten von monatlich 284,73 EUR beanspruchen.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund für den Zeitraum zwischen Antragstellung und dem Ablauf des Monats Januar 2008 glaubhaft gemacht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei existenzgefährdenden oder jedenfalls erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen anzunehmen. Derartige Nachteile sind hier gegeben, da nicht ersichtlich ist, aus welchen Mitteln der Antragsteller die ungedeckten Unterkunftskosten bestreiten könnte. Es kann ihm daher nicht zugemutet werden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Der Zeitraum vor der Beantragung von Leistungen nach § 20 Abs. 7 SGB II kann von der einstweiligen Anordnung nicht umfasst werden, weil insoweit ein Leistungsanspruch nicht gegeben ist (§ 37 Abs. 2 SGB II). Für die Zeit nach dem Ablauf des Monats Januar 2008 besteht derzeit kein Anordnungsgrund, weil nach dem bei den Akten befindlichen BAföG-Bescheid vom 28.09.2007 der Bewilligungszeitraum mit Ablauf des Monats Januar 2008 endet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass bei unveränderter Fortgewährung der BAföG-Leistungen an den Antragsteller auch dessen Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II fortbesteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller etwa ihm zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandene notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Gewährung eines Zuschusses zu seinen ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II.
Der Antragsteller ist 18 Jahre alt. Gemeinsam mit seiner Mutter bewohnt er eine circa 70 m² große Dreizimmerwohnung; seine Schwester, die ebenfalls mit in der Wohnung lebte, ist vor einiger Zeit ausgezogen. Die Gesamtmiete für diese Wohnung beläuft sich auf 569,45 EUR einschließlich Nebenkosten und Heizungskosten. Der Antragsteller besucht eine Abendrealschule und bezieht gemäß Bescheid des Amtes für Ausbildungsförderung der Stadt A-Stadt vom 28.09.2007 Leistungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 BAföG in Höhe von monatlich 348 EUR.
Am 24.09.2007 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung eines Zuschusses zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II. Dieser Antrag wurde durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.10.2007 abgelehnt. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, die in der dem Antragsteller gewährten Ausbildungsförderung enthaltenen Anteile für Unterkunft und Heizung zur Deckung seiner Unterkunfts- und Heizkosten seien ausreichend; daher bestehe kein Anspruch auf den Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II. Der hiergegen von dem Antragsteller erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 19.11.2007 als unbegründet zurückgewiesen. In dem Widerspruchsbescheid wird davon ausgegangen, dass der auf den Antragsteller entfallende Mietanteil unter Abzug des in der BAföG-Leistung bereits enthaltenen Mietanteils in Höhe von 52 EUR, des Kindergeldes in Höhe von 154 EUR und des analogen Abzuges einer Warmwasserpauschale in Höhe von 1,4% der maßgeblichen Regelleistung insgesamt 75,87 EUR betrage. Weiter wird ausgeführt, es sei den BAföG-Beziehern grundsätzlich zuzumuten, durch gelegentliche Nebentätigkeiten einen Verdienst zu erzielen, der ausreiche, die ungedeckten Unterkunfts- und Heizkosten abzudecken. Es könne zumindest eine geringfügige steuerfreie Beschäftigung aufgenommen werden, um die ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu bestreiten. Erziele der BAföG-Bezieher kein Erwerbseinkommen, sei fiktiv der passende Tabellenbetrag entsprechend um die Freibeträge zu bereinigen und auf die ungedeckten Unterkunftskostenanteile anzurechnen. Im Falle des Antragstellers betrage das fiktiv unter Abzug der Freibetragsregelung anzurechnende Einkommen monatlich 136,80 EUR. Bei einem ungedeckten Unterkunftsbetrag in Höhe von 75,87 EUR und dem fiktiv anzurechnenden Einkommen in Höhe von 136,80 EUR errechne sich kein Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten.
Am 28.11.2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Er trägt vor, infolge des ungedeckten Teils der Unterkunftskosten seien die Mittel der Bedarfsgemeinschaft für den Lebensunterhalt nicht mehr ausreichend. Es bedürfe daher einer eiligen Entscheidung.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm einen Zuschuss zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG). Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 ZPO).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Seine Anspruchsberechtigung ergibt sich aus § 22 Abs. 7 SGB II. Danach erhalten abweichend von dem in § 7 Abs. 5 SGB II normierten Leistungsausschluss u. a. Auszubildende, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten und deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3, § 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Antragsteller gehört zu diesem Personenkreis. Er erhält Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes, wobei sich sein Bedarf als Besucher einer Abendrealschule nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst. Die Höhe des Zuschusses bemisst sich nach den ungedeckten angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Dabei ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung der aus dem Antragsteller und seiner Mutter bestehenden Bedarfsgemeinschaft in Höhe von insgesamt 569,45 EUR für die von ihnen gemeinsam bewohnte Dreizimmerwohnung noch angemessen sind im Hinblick darauf, dass die Wohnung in der Vergangenheit von drei Personen bewohnt war und die Schwester des Antragstellers erst vor einiger Zeit ausgezogen ist. Die ungedeckten Unterkunftskosten belaufen sich bei der aus zwei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft mithin auf die Hälfte der Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung, also auf 284,73 EUR. Eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen erfolgt nicht. Das Gericht folgt insoweit der Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts, das in seinem Beschluss vom 02.08.2007 - L 9 AS 215/07 ER - hierzu folgendes ausgeführt hat:
"Der Wortlaut des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II lässt allerdings nicht erkennen, wie die Hilfeleistungen zu berechnen sind, insbesondere ob und ggf. in welcher Höhe Einkommen anzurechnen ist. Nach der Systematik des Gesetzes hängt der Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II allein von der Höhe der ungedeckten Unterkunftskosten ab, ohne dass es einer Bedarfs- bzw. Einkommensberechnung nach dem SGB II bedarf (vgl. SG Schwerin, Beschluss vom 29. März 2007 S 10 ER 49/07 AS –). Dafür spricht schon die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II, wonach der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 nicht als Arbeitslosengeld II gilt. Behandelt die Fiktionsregelung den Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II nicht als solchen auf Arbeitslosengeld II, scheidet auch die Anwendung der allgemeinen das Arbeitslosengeld II betreffenden Vorschriften zu Umfang und Höhe des Bedarfs und zur Anrechnung von Einkommen aus. Unerheblich ist dabei, dass die Regelung des § 19 Satz 2 SGB II in erster Linie das Entstehen der Sozialversicherungspflicht des nach § 22 Abs. 7 SGB II Anspruchsberechtigten verhindern soll. Auch lässt der Wortlaut des § 22 Abs. 7 SGB II einen Verweis auf Vorschriften zur Einkommensanrechnung nach dem SGB II nicht erkennen. Der Auffassung, zur Ermittlung des ungedeckten Unterkunftskostenbedarfs sei das vorhandene, nach den Maßstäben des SGB II zu bereinigende Gesamteinkommen dem fiktiven Gesamtbedarf nach SGB II (Regelsatz plus angemessene Unterkunftskosten) gegenüberzustellen, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sich bereits dem Wortlaut des § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II nach der Bedarf der Auszubildenden nach dem SGB III bzw. dem BAföG bemisst, und nicht ( ...) nach den Vorschriften des SGB II. Auch der Auffassung, bei der Berechnung des Zuschusses zu den Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II sei der ungedeckte Unterkunftsbedarfs zum Betrag der Ausbildungsförderung zu addieren; diesem zu berücksichtigenden Gesamtbedarf sei das vorhandene, nach den Maßstäben des SGB II bereinigte Gesamteinkommen gegenüberzustellen (so SG Berlin, Beschluss vom 4. Mai 2007 – S 102 AS 9326/07 ER –), kann nicht gefolgt werden. Denn diese Berechnungsmethode würde BAföG-Empfänger, die mit Hilfedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, gegenüber den übrigen BAföG-Empfängern ohne erkennbaren sachlichen Grund benachteiligen. Denn auf der Grundlage des zum 1. April 2001 geänderten § 21 BAföG wird Kindergeld im Unterschied zur Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II bei der Berechnung der Ausbildungsförderung nicht als Einkommen angerechnet. Der Gesetzgeber hat demnach für BAföG-Empfänger einen um das Kindergeld erhöhten Bedarf zur Bestreitung des Lebensunterhalts einschließlich der für die Ausbildung erforderlichen Kosten (vgl. § 1 BAföG) angenommen. Auch wird Kindergeld für volljährige Kinder des Hilfebedürftigen, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Einkommen berücksichtigt (soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende volljährige Kind weitergeleitet wird, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-V in der ab 1. Oktober 2005 geltenden Fassung). Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber den Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II davon abhängig machen wollte, dass dem Auszubildenden selbst überhaupt Kosten für Unterkunft und Heizung entstehen, und dass diese nach Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen ungedeckt sind. Daraus folgt aber nicht, dass der Gesetzgeber von einer Anrechnung von Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des SGB II ausgegangen ist. Da sowohl Leistungen nach dem BAföG als auch nach dem SGB II Bedürftigkeitsleistungen sind, auf die regelmäßig Einkommen und Vermögen angerechnet werden, und im Übrigen nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber abweichend von den den Bestimmungen des BAföG zugrunde liegenden Wertungen eine Verschlechterung der Situation von BAföG-Empfängern, die mit Hilfesuchenden nach dem SGB II bzw. SGB XII in Bedarfsgemeinschaft leben gegenüber anderen BAföG-Empfängern beabsichtigt hat, ist § 22 Abs. 7 SGB II dahingehend auszulegen, dass die ungedeckten Unterkunftskosten ohne erneute Prüfung des (Gesamt-)Bedarfs und Anrechnung des Einkommens zu ermitteln sind. Diese Auslegung entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, der ergänzend zu den pauschalierenden Regelungen der Ausbildungsförderungsvorschriften Leistungen insbesondere für diejenigen erbringen wollte, die mit Hilfedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben und ihren eigenen Anteil an den Unterkunftskosten nicht bzw. nicht vollständig erstattet bekommen. Beabsichtigt war daher nur die Aufstockung der Unterkunftsleistungen bis zur Bedarfsdeckung. Dass Leistungen nur nach vorheriger Ausschöpfung von nach BAföG anrechnungsfreiem Einkommen erbracht werden sollen, kann der Gesetzesbegründung nicht entnommen werden."
Abweichend von der von der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung sind die ungedeckten Unterkunftskosten auch nicht durch einen in der BAföG-Leistung bereits enthaltenen Mietanteil von 52 EUR zu verringern. Die Leistung, die der Antragsteller erhält, beträgt 348 EUR. Dieser Betrag entspricht gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 BAföG dem Bedarf eines Schülers einer Abendrealschule, der noch bei seinen Eltern wohnt. Der in § 12 Abs. 3 BAföG genannte Betrag von 52 EUR ist - wie die Zusammenschau von § 12 Abs. 3 und Abs. 2 BAföG zeigt - allein als Anteil des Bedarfs solcher Auszubildender anzusehen, die nicht bei ihren Eltern wohnen und denen deshalb vom Gesetz ein höherer Bedarf zuerkannt wird. Ein solcher höherer Bedarf - einschließlich eines entsprechenden Anteils an Unterkunftsbedarf - ist dem Antragsteller nicht zugebilligt worden, weil er noch bei seiner Mutter wohnt. Auch eine Warmwasserpauschale in Höhe von 1,4% der maßgeblichen Regelleistung ist von den ungedeckten Unterkunftskosten nicht in Abzug zu bringen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller als BAföG-Bezieher gerade keine Regelleistung nach § 20 SGB II erhält, so dass sich insoweit die Frage einer doppelten Bedarfsdeckung, die es rechtfertigen könnte, eine Warmwasserpauschale in Abzug zu bringen, nicht stellt. Da es sich bei der BAföG-Leistung um eine Unterstützung eigener Art handelt, die mit der Regelleistung nach dem SGB II nicht vergleichbar ist, kann auch nicht unterstellt werden, dass in der BAföG-Leistung ein Bedarf für Warmwasserbereitung mit veranschlagt ist. Der Antragsteller kann daher den vollen Betrag an ungedeckten Unterkunftskosten von monatlich 284,73 EUR beanspruchen.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund für den Zeitraum zwischen Antragstellung und dem Ablauf des Monats Januar 2008 glaubhaft gemacht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei existenzgefährdenden oder jedenfalls erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen anzunehmen. Derartige Nachteile sind hier gegeben, da nicht ersichtlich ist, aus welchen Mitteln der Antragsteller die ungedeckten Unterkunftskosten bestreiten könnte. Es kann ihm daher nicht zugemutet werden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Der Zeitraum vor der Beantragung von Leistungen nach § 20 Abs. 7 SGB II kann von der einstweiligen Anordnung nicht umfasst werden, weil insoweit ein Leistungsanspruch nicht gegeben ist (§ 37 Abs. 2 SGB II). Für die Zeit nach dem Ablauf des Monats Januar 2008 besteht derzeit kein Anordnungsgrund, weil nach dem bei den Akten befindlichen BAföG-Bescheid vom 28.09.2007 der Bewilligungszeitraum mit Ablauf des Monats Januar 2008 endet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass bei unveränderter Fortgewährung der BAföG-Leistungen an den Antragsteller auch dessen Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II fortbesteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
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