L 11 KA 92/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 188/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 92/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 7/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG mit Urteil entschieden, dass die Berufung d.Kl. in vollem Umfang zurückgewiesen wird.
Auf die Berufung des Klägers wird festgestellt, dass sich der Bescheid vom 10.11.2008 erledigt hat. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Berufungen der Beklagten und Beigeladenen werden zurückgewiesen. Die Revision wird zugelassen. Die Beklagte trägt die Gerichtskosten und die erstattungsfähigen Kosten des Klägers und der Beigeladenen für die erste Instanz. Für das Berufungsverfahren tragen die Beteiligten die Gerichtskosten jeweils zu 1/3. Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten werden gegeneinander aufgehoben.

Tatbestand:

Streitig ist die Drittanfechtung einer Zweigpraxisgenehmigung.

Die Beigeladene zu 1) ist eine zur vertragsärztlichen Versorgung in T zugelassene Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Innere Medizin, zum Teil mit Schwerpunktbezeichnung Nephrologie.

Unter dem 02.08.2008 stellten ihre Mitglieder einen Antrag auf Errichtung einer fachärztlich nephrologischen Zweigpraxis mit Dialyse im St. G-Krankenhaus, I-straße 00, F, zur Verbesserung der wohnortnahen Versorgung in den ländlichen Gebieten des rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreises (F/X/S). Wie sich erst im Berufungsverfahren herausstellte, wurde in diesem Schreiben auch erwähnt, dass in unmittelbarer Nähe von ca. drei Kilometern ein anderes Dialysezentrum angesiedelt ist.

Die Beklagte holte daraufhin eine Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz ein, die die Dialyseeinrichtungen ihres nördlichen Bereiches und deren Versorgungsregionen sowie die Auslastung der Praxen mitteilte.

Sodann wandte sich die Beklagte mit Hinweis auf die Stellungnahme der KV Rheinland-Pfalz und unter Übersendung des Antrags der Beigeladenen zu 1) an die Landesverbände der Krankenkassen mit dem Bemerken, sie befürworte den Antrag zur Sicherstellung der wohnortnahen Dialyse-Versorgung. Sollte bis zum 07.11.2008 keine Stellungnahme vorliegen, setze sie das Einverständnis zu dem vorliegenden Antrag voraus. Zwei Landesverbände befürworteten daraufhin ausdrücklich den Antrag, die übrigen Adressaten äußerten sich nicht.

Mit Bescheid vom 10.11.2008 erteilte die Beklagte der Beigeladenen zu 1) ohne nähere Begründung die Genehmigung einer Zweigpraxis in F, I-str. 00.

Gegen diesen Genehmigungsbescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Dieser ist Facharzt für Innere Medizin und in I zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er dialysiere zurzeit mehr als 30 Kassenpatienten; seine freien Kapazitäten lägen nach den gültigen Richtlinien bei über 60 Patienten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2009, bei dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers eingegangen am 16.09.2009, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Es fehle bereits an seiner Anfechtungsbefugnis.

Hiergegen hat sich die am 08.10.2009 erhobene Klage gerichtet. Der Kläger hält sich für anfechtungsbefugt und anfechtungsberechtigt. Die Bestimmungen der Qualitätssicherungsvereinbarung für Blutreinigungsverfahren sowie der Anlage 9.1 Bundesmantelvertrag/Ersatzkassenvertrag (BMV-Ä/EKV) gewährten den Dialyseärzten, denen eine Versorgungsregion zugewiesen sei, grundsätzlich Konkurrenzschutz. Dieser Schutz ergebe sich aus der vom Normgeber für Dialysepraxen geforderten Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgungsstruktur. Dieses Erfordernis gelte nicht nur für die erstmalige Genehmigung einer Dialysepraxis, sondern auch im Rahmen einer Dialysezweigpraxis. Die von der Beigeladenen zu 1) beantragte Zweigpraxis befinde sich in der ihm zugewiesenen Versorgungsregion. Der Genehmigungsbescheid sei zudem rechtswidrig. Eine Verbesserung der wohnortnahen Versorgung der im Zeitpunkt der AntragsteIlung von der Beigeladenen zu 1) bereits behandelten Patienten durch die vorgesehene Zweigpraxis im Sinne der Anlage 9.1 Anhang 9.1.5 Abs. 1 a 2. Alt. BMV-Ä/EKV sei nicht ersichtlich. Nach dem Wortlaut dieser Regelung dürfe es bei der Prüfung dieser Voraussetzung nicht um künftige - neu zu gewinnende - Patienten gehen, sondern lediglich um Patienten, die sich schon in Behandlung befänden. Die Beigeladene zu 1) habe nicht dargelegt, um welche Patienten es sich im Einzelnen handele und wo diese wohnhaft seien. Auch die Beklagte habe angesichts der unzureichenden Nachweise keine Feststellungen getroffen. Das Genehmigungsverfahren sei insofern unzulänglich durchgeführt worden. Die Beklagte habe nicht beachtet, dass seine Praxis in I in derselben Versorgungsregion liege und - im Gegensatz zu der Praxis der Beigeladenen zu 1) - Patienten aus dem Umfeld von F, X oder S seine Praxis in I wesentlich schneller und innerhalb kürzerer Fahrzeiten und für die Kostenträger günstiger erreichten als die Zweigpraxis der Beigeladenen zu 1). Er verfüge über ausreichende apparative, räumliche und personelle Kapazitäten, um die von der Beigeladenen zu 1) genannten 30 bzw. 24 dialysepflichtigen Patienten zu versorgen. Die Beigeladene zu 1) beabsichtige nicht, schon behandelte Patienten wohnortnah zu versorgen. Ihr gehe es ausschließlich darum, neue Patientenkreise zu seinen Lasten zu erschließen.

Der Kläger hat beantragt,

den der Beigeladenen zu 1) erteilten Bescheid vom 10.11.2008 in der Gestalt des ihm - dem Kläger - erteilten Widerspruchsbescheides vom 25.08.2009 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Eine Anfechtungsbefugnis des Klägers sei auch unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Dialysevereinbarung nicht zu erkennen. Die dort normierten Anforderungen an eine kontinuierliche wirtschaftliche Versorgungsstruktur dienten nicht dem Schutz einzelner Dialysepraxen vor Konkurrenz. Vielmehr sollten systematische Unwirtschaftlichkeiten in der vertragsärztlichen Versorgung vermieden werden, indem sich "unnötige" Neugründungen negativ auf den Auslastungsgrad bestehender Praxen bzw. Einrichtungen auswirkten und insgesamt zu "ungewollten" Leistungsmengensteigerungen führten.

Die Beigeladene zu 1) hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet eine Anfechtungsbefugnis und Anfechtungsberechtigung des Klägers. Es fehle an dem notwendigen faktischen Konkurrenzverhältnis zwischen dem Kläger und ihr. Die von ihr behandelten Patienten aus dem gemeinsamen Einzugsbereich machten höchstens 3,95 % (mit sinkender Tendenz) der durchschnittlichen Patientenzahl der Praxis des Klägers aus, was für eine nicht nur geringfügige Schmälerung der Erwerbsmöglichkeiten auf Seiten des Anfechtenden nicht ausreiche. Für die Annahme, dass für die Genehmigung einer Dialyse-Zweigpraxis auch noch die Anforderungen an eine wirtschaftliche Versorgungsstruktur gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 6 Anlage 9 BMV-Ä/EKV erfüllt sein müssten, finde sich keine rechtliche Grundlage. Diese Bestimmungen regelten sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn und Zweck allein die Voraussetzungen für die Erteilung eines neuen Dialyseversorgungsauftrages. Die Voraussetzungen für die Durchführung bereits erteilter Dialyseversorgungsaufträge in einer Zweigpraxis seien abschließend in § 4 Abs. 3 Anlage 9 BMV-Ä/EKV i.V.m. Abs. 1 Anhang 9.1.5 zu Anlage 9 BMV-Ä/EKV geregelt. Der Dialysezweigpraxisgenehmigung liege nicht die Erteilung eines neuen Dialyseversorgungsauftrages zugrunde. Die Genehmigung bewirke lediglich, dass die beantragende Praxis ihren bereits bestehenden Dialyseversorgungsauftrag auch am projektierten Zweigpraxisstandort durchführen dürfe. Neue Behandlungskapazitäten würden also nicht geschaffen, die zu dem bestehenden Angebot hinzukämen. Die Möglichkeiten des Klägers, weitere Dialysepatienten zu versorgen, seien insbesondere durch die apparativen und räumlichen Gegebenheiten seiner Praxis begrenzt. Die Zweigpraxisgenehmigung sei im Übrigen formell und materiell rechtmäßig.

Mit Urteil vom 11.08.2010 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags der Beigeladenen zu 1) verurteilt. Die von der Beigeladenen zu 1) projektierte Zweigpraxis in F liege in der Versorgungsregion einer anderen Praxis, nämlich derjenigen des Klägers in I. Sie habe nur aus Sicherstellungsgründen nach einvernehmlicher Feststellung mit den Krankenkassenverbänden genehmigt werden dürfen. Die Anfechtungsberechtigung des Klägers sei dadurch gegeben, dass er jedenfalls einen Anspruch auf gerichtliche Nachprüfung habe, ob das in Abs. 1b Satz 2 Anhang 9.1.5 BMV/EVK-Ä normierte Verwaltungsverfahren korrekt durchgeführt worden ist. Dieser Anspruch wurzele in dem rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens. Er stehe dem Kläger zu, weil seine Praxis in der Versorgungsregion der projektierten Zweigpraxis liege. Das Verwaltungsverfahren sei nicht fair, sondern rechtsfehlerhaft durchgeführt worden. Jedenfalls fehle es an der einvernehmlichen Feststellung der Beklagten und der Krankenkassenverbände, ob die Einrichtung der in F projektierten Zweigpraxis aus Gründen der Sicherstellung der Dialysevereinbarung notwendig sei. Die Beklagte habe in ihrem Anschreiben an die Landesverbände vom 22.10.2008, mit denen diese um Stellungnahme zum Antrag auf Zweigpraxisgenehmigung gebeten worden seien, die Praxis des Klägers in I mit keinem Wort erwähnt, sondern lediglich auf die Mitteilung der KV Rheinland-Pfalz über die Vollauslastung der Dialyse-Praxis in Altenkirchen hingewiesen. Mit einer dergestalt unvollständigen Sachverhaltsermittlung hätten die Krankenkassenverbände aber keine sachgerechte Erwägungen über die Dialyseversorgung im Umkreis von F anstellen können. Eine verfahrensfehlerfrei zustande gekommene einvernehmliche Feststellung liege daher nicht vor. Der darauf gestützte Genehmigungsbescheid sei insofern rechtswidrig. Die Beklagte werde daher das Verfahren auf Herstellen des Einvernehmens erneut durchzuführen und über den Widerspruch des Klägers sodann erneut zu entscheiden haben. Die weitergehende kassatorische Klage sei unbegründet. Bei der Frage, ob und inwieweit Gründe der Sicherstellung der Dialyseversorgung die Einrichtung der projektierten Zweigpraxis notwendig machten, hätte die Beteiligten, nicht anders als bei der Erteilung von Sonderbedarfszulassungen und Ermächtigungen, einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum.

Die Beteiligten haben unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags Berufungen eingelegt, die Beklagte gegen das ihr am 16.08.2010 zugestellte Urteil am 03.09.2010, die Beigeladene zu 1) gegen das ihr am 18.08.2010 zugestellte Urteil am 10.09.2010 und der Kläger gegen das ihm am 16.08.2010 zugestellte Urteil am 29.11.2010.

Parallel zum Berufungsverfahren haben der Kläger und die Beigeladene zu 1) sich mit Beschwerden gegen den Beschluss des SG Düsseldorf vom 05.08.2010 (S 2 KA 308/10 ER) gewendet, mit dem ihre Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt wurden. Der Senat hat mit Beschluss vom 16.03.2011 (L 11 KA 96/10 B ER) den die sofortige Vollziehung der Zweigpraxisgenehmigung anordnenden Bescheid der Beklagten vom 03.08.2009 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der im Hauptsacheverfahren verfolgten Klage festgestellt. Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1) (im dortigen Verfahren der Antragstellerin) sei unbegründet, denn die Klage des Klägers (im dortigen Verfahren des Beigeladenen zu 1)) sei in der Hauptsache zulässig und begründet gewesen. Derzeit gebe es keinerlei Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Frage, ob Anlage 9.1. BMV-Ä/EKV eine Drittanfechtungsbefugnis begründe. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte werde die Frage unterschiedlich beurteilt, ob der Inhaber einer Dialysegenehmigung die Genehmigung einer Zweigpraxis anfechten könne, in der gleichermaßen Patienten dialysiert würden. Namentlich vor dem Hintergrund von Art. 12 Grundgesetz (GG) gehe der Senat bis zur abschließenden höchstrichterlichen Klärung davon aus, dass eine solche Drittanfechtung jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig ist. Demzufolge sei der Kläger (Beigeladene) anfechtungsbefugt. In der Hauptsache würden die Berufungen der Beigeladenen zu 1) (Antragstellerin) und der Beklagten (Antragsgegnerin) nach seinerzeitiger Einschätzung keinen Erfolg haben. Der Kläger sei anfechtungsberechtigt. Im Hinblick auf den Zweck und den daran ausgerichteten Zuschnitt der Dialyseversorgungsregionen (§ 6 Anlage 9.1 BMV/EKV-Ä) bewirke eine in die Versorgungsregion eindringende "fremde" (Dialyse-) Zweigpraxis eine für die Berufsfreiheit des vorhandenen Arztes (Art. 12 Abs. 1 GG) grundsätzlich relevante tatsächliche Wettbewerbslage. Auch läge ein faktisches Konkurrenzverhältnis vor, durch das plausibel werde, dass der bereits zugelassene Arzt eine nicht nur geringfügige Schmälerung seiner Erwerbsmöglichkeiten zu befürchten habe. Die fünf Mitglieder der Beigeladenen zu 1) (Antragstellerin) seien als Fachärzte für Innere Medizin tätig, davon wiederum drei mit dem Schwerpunkt "Nephrologie". Der Kläger (Beigeladener) sei Facharzt für Innere Medizin. Es gehe nicht um die Konkurrenzsituation im Hinblick auf ein allgemein-internistisches oder auch nephrologisches Leistungsangebot, entscheidend sei allein die Konkurrenzsituation hinsichtlich des Angebots an Dialyseleistungen. Das Vorbringen des Klägers (Beigeladenen) genüge diesen Anforderungen. Er habe glaubhaft gemacht, dass die auf der Grundlage der Genehmigung erbrachten Leistungen denen entsprechen, die auch er anbiete und mit den gleichen Leistungen behandelte Patienten aus dem Einzugsbereich der Beigeladenen zu 1) (Antragstellerin) 5 % seiner durchschnittlichen Gesamtfallzahl überschreite. Zudem könne die Genehmigung einer Dialysepraxis der bloßen Genehmigung eines weiteren Leistungsbereichs nicht gleichgesetzt werden. Ihr komme namentlich unter grundrechtlichem Blickwinkel eine andere Qualität zu. Sie wirke sich auf die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) des in der jeweiligen Versorgungsregion in der jeweiligen Versorgungsregion bereits tätigen (Dialyse-) Arztes in einer Weise aus, die es erforderlich mache, diesem die rechtliche Durchsetzungsmacht seiner Belange zuzubilligen. Bei dem durch die Bestimmungen der Anlage 9.1 bzw. des zugehörigen Anhangs 9.1.5 BMV/EKV-Ä regulierten Markt für Dialyseleistungen bewirke die Genehmigung einer Dialysezweigpraxis (in einer "fremden" Versorgungsregion) angesichts ihres engen Zusammenhangs mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, die erhebliche Konkurrenznachteile für den vorhandenen Leistungserbringer habe. Hierzu habe der Kläger (Beigeladener) schlüssig vorgetragen, die Genehmigung der Zweigpraxis habe zur Folge, dass er kurz- bis mittelfristig kaum noch mehr als 22 Dialysepatienten versorgen könne, keine neuen Patienten hinzukämen und sich auf dieser Grundlage eine Dialysepraxis nicht wirtschaftlich führen lasse. Die infolge der streitbefangenen Dialysezweigpraxisgenehmigung berührten wirtschaftlichen Interessen würden sich zu einem subjektiv-öffentlichen Recht mit rechtlicher Durchsetzungsmacht verdichten. Der Kläger (Beigeladener) könne deswegen die Genehmigung der Zweigpraxis mittels defensiver Konkurrentenklage abwehren. Der angefochtene Bescheid sei bereits deswegen formell fehlerhaft, weil er keine Begründung enthalte. Der Fehler könne geheilt werden. Ein inhaltlicher Begründungsmangel sei bei gebundenen Verwaltungsakten grundsätzlich entscheidungsunerheblich, weil das Gericht die getroffene Regel unter jedem rechtlichem Gesichtspunkt zu überprüfen habe und die fehlende Begründung ggf. noch im Gerichtsverfahren nachgeholt werden könne. Allerdings sei der Fehler nicht geheilt. Der Widerspruchsbescheid vom 25.08.2009 verhalte sich nur zur Frage der Anfechtungsbefugnis. Im Gerichtsverfahren sei die fehlende Begründung bislang nicht nachgeholt worden. Der angefochtene Bescheid sei auch materiell fehlerhaft. Er verstoße gegen Anlage 9.1 Anhang 9.1.5 Abs. 1 Zif. b) Satz 2 BMV-Ä/EKV. Die Genehmigung hätte nicht erteilt werden dürfen. Die projektierte Zweigpraxis liege in der dem Kläger (Beigeladenen) zugewiesenen Versorgungsregion und das erforderliche Einvernehmen sei nicht wirksam hergestellt worden. Das Einvernehmen sei unwirksam, denn die dem zugrundeliegende konkludente Zustimmung habe auf einem unvollständig unterbereiteten Sachverhalt beruht. Die Beigeladene zu 1) (Antragsgegnerin) habe in ihrem Schreiben vom 22.10.2008 die Praxis des Klägers (Beigeladenen) verschwiegen und lediglich auf die Mitteilung der KV Rheinland-Pfalz über die Vollauslastung der Dialysepraxis in Betzdorf hingewiesen. Mit einer solchermaßen unvollständigen Sachverhaltsübermittlung hätten die Krankenkassenverbände indes keine sachgerechte Erwägungen über die Dialyseversorgung im Umkreis von F anstellen können. Der Mangel sei nicht geheilt. In Anlehnung an § 41 Abs. 1 Nr. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) könne dies zwar erwogen werden. Indessen sei nach Aktenlage die erforderliche Mitwirkung bislang nicht nachgeholt worden.

Der Kläger hat seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Er hat vorgetragen, das St. G-Krankenhaus in F sei zu keinem Zeitpunkt bereit und in der Lage gewesen, als Vermieter der Beigeladenen zu 1) adäquate Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Beigeladene zu 1) habe entgegen ihrem Antrag vom 08.09.2008 keine Zusage des St. G-Krankenhauses über die Anmietung von geeigneten Praxisräumen gehabt. Am Standort des St. G-Krankenhauses stünden bis heute keine Räumlichkeiten für den Betrieb einer Dialysepraxis durch die Beigeladene zu 1) zur Verfügung. In Ermangelung geeigneter Praxisräume könne die Genehmigung vom 10.11.2008 daher keinen Bestand haben. Er hat zudem ein Schreiben des St. G-Krankenhaus vom 30.09.2013 überreicht, in dem dieses bestätigt, dass für die Zweigpraxis des Beigeladenen zu 1) keine Räume zur Verfügung stünden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.08.2010 abzuändern und den der Beigeladenen erteilten Bescheid vom 10.11.2008 in Gestalt des ihm (dem Kläger) erteilten Widerspruchsbescheides vom 25.08.2009 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass sich der Bescheid vom 10.11.2008 erledigt hat, hilfsweise die Berufung der Beklagten und Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.08.2010 abzuändern und die Klage abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Auch sie haben ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Im Anschluss an den Beschluss des erkennenden Senates im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat sich die Beklagte wie folgt geäußert: Sie halte ihre Auffassung, der Kläger sei materiell nicht anfechtungsberechtigt, aufrecht. Ein reales Konkurrenzverhältnis in einem für den Wettbewerb wesentlichen Umfang ließe sich anhand der Fallzahl des Klägers nicht belegen. De facto konkurrierten beide Praxen vor allem um neue Patienten aus den Gemeinden F, X und S. Ungeachtet dessen fehle es zudem an Statusrelevanz, da die Beigeladene zu 1) bereits aufgrund ihrer Zulassung und des ihr nach § 4 Abs. 1 der Anlage 9.1. BMV-Ä/EKV erteilten Versorgungsauftrags die jederzeitige, uneingeschränkte rechtliche Möglichkeit habe, Patienten aus diesem Bereich an ihrem Stammsitz mit Dialysen zu versorgen. Es werde lediglich der Kreis der Orte erweitert, an denen sie ihre vertragsärztliche Tätigkeit zulässigerweise entfalten dürfe. Entgegen der Auffassung des Senats sei weder der in Abs. 1b der Anlage 9.1.5 geregelten Prüfung der Sicherstellungssituation noch den weiteren Regelungen der Anlage 9.1. ein "leistungsbezogener Vorrang" des konkurrierenden Dialysearztes entnehmen. Wie auch bei sonstigen Dialysezweigpraxisgenehmigungen komme eine Anfechtungsberechtigung Dritter allenfalls unter Willküraspekten in Betracht. Solche seien bislang weder ersichtlich noch vorgetragen. Unabhängig davon seien die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Die Einrichtung der projektierten Zweigpraxis in F sei aus Sicherstellungsgründen zur Gewährleistung einer wohnartnahen Dialyseversorgung im östlichen Rhein-Sieg-Kreis notwendig. Ein lokales Leistungsangebot für Patienten mit einer terminalen Niereninsuffizienz, die in den Gemeinden um F wohnten, bestehe nicht. Den wirtschaftlichen Interessen des Klägers, der eine geringere Auslastung seiner Praxis - in noch nicht belegtem Umfang - befürchte, könne keine Rechnung getragen werden. Auch das Einvernehmen mit den Krankenkassen sei bereits im Jahr 2008 hergestellt worden; ihr Vorgehen sei nicht zu beanstanden. Ungeachtet diesen Vortrags hat die Beklagte ihre Schreiben an die Krankenkassenverbände vom 18.05.2011 und 23.12.2011 sowie die (einvernehmlichen) Antwortschreiben der AOK Rheinland/Hamburg vom 16.06.2011, diese zugleich im Namen der vdek-Landesvertretung Nordrhein-Westfalen sowie des BKK Landesverbandes Nordwest, der IKK classic vom 28.12.2011, der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Nordrhein-Westfalen vom 12.01.2012 und der Knappschaft vom 17.04.2012 vorgelegt.

Die Beigeladene zu 1) trägt zudem vor, dass sie und das St. G-Krankenhaus bereits über einen konkreten Mietvertrag verhandelt und kurz vor einem Vertragsabschluss gestanden hätten. Sie hätte auch bereits einen Innenarchitekten mit dem Umbau der avisierten Praxisräumlichkeiten im Krankenhaus beauftragt gehabt, der die Baugenehmigungsplanung abgeschlossen hätte. Sie hat außerdem ein Schreiben des St. G-Krankenhauses an sie vorgelegt, in dem ihr mitgeteilt wird, dass das Krankenhaus angesichts des schon lange andauernden Gerichtsverfahrens die potentiellen Mieträume nicht mehr vorhalten könne und deswegen von den gemeinsamen Überlegungen zu einer Kooperation Abstand genommen werde.

Mit Bescheid vom 27.03.2013 wurde dem Kläger die Genehmigung erteilt, am Standort "I-straße 00, " - also an dem Standort, für dem auch der Beigeladenen zu 1) die Genehmigung erteilt wurde - Dialyse-Leistungen abzurechnen und durchzuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und den Streitakten L 11 KA 96/10 B ER Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist als Anschlussberufung im Sinne des § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 525 Zivilprozessordnung zulässig, sie ist jedoch nur im tenorierten Umfang begründet. Die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind unbegründet.

Die Berufung des Klägers ist als Anschlussberufung zulässig. Zwar wäre eine eigenständige Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist ihm am 16.08.2010 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 29.11.2010 nicht gewahrt worden. Die Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG gilt indes nicht für die Anschlussberufung, die auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist BSG in ständiger Rechtsprechung u.v.a. Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 6/09 R - m.w.N.).

Allerdings kann der Kläger sein mit dem Hauptantrag verfolgtes Klageziel, den Bescheid vom 11.08.2010 in der Gestalt des ihm erteilten Widerspruchsbescheides vom 25.08.2009 im Rahmen einer Drittanfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG aufzuheben, nicht mehr erreichen.

Zwar ist die Drittanfechtungsklage des Klägers zulässig. Er ist klagebefugt. Die vom Kläger erhobene defensive Konkurrentenklage wäre nur unzulässig, wenn seine Rechte durch die Zweigpraxisgenehmigung offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein könnten (vgl. ständige Rechtsprechung des BSG, u.v.a. Urteil vom 17.08.2011 - B 6 KA 27/10 R - m.w.N.). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Zu Recht stützt der Kläger die vom ihm reklamierte Anfechtungsbefugnis auf das Regelwerk in Anlage 9.1. BMV-Ä/EKV. Dieses räumt ihm einen Konkurrenzschutz ein. Das Regelwerk in Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV dient nach den Feststellungen des BSG in seinem Urteil vom 17.07.2011 - B 6 KA 27/10 R - zwar in erster Linie der Sicherstellung einer wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit Dialyseleistungen, daneben aber auch dem Schutz der bereits in diesem Bereich tätigen Leistungserbringer. Dementsprechend ist die von dem Kläger erhobene Anfechtungsklage zulässig. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 16.03.2011 - L 11 KA 96/10 B ER - verwiesen.

Allerdings steht dem Hauptantrag des Klägers entgegen, dass sich der Bescheid der Beklagten vom 10.11.2008 im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat. Nach dieser Vorschrift bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Hier ist indessen eine "Erledigung auf andere Weise" eingetreten. Sie liegt vor, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsaktes wegfällt (BSG, Urteil vom 11.07.2000 - B 1 KR 14/99 R - und Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 22/08 R -). Die dem Beigeladenen zu 1) erteilte Genehmigung wurde ihm für eine Zweigpraxis in der I-straße 00 in F erteilt. Die Genehmigung bezieht sich auf den konkreten Praxissitz (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2000 - B 6 KA 67/98 R -). Wie sich aus dem von dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) im Berufungsverfahren überreichten Schriftverkehr mit dem St. G-Krankenhaus ergibt, hält dieses keine Räumlichkeiten mehr für die Beigeladene zu 1) zum Betrieb ihrer Zweigpraxis vor. Somit ist der Bezugspunkt dieser Genehmigung entfallen. Es müsste ein neuer Antrag gestellt werden.

Der auf Feststellung, dass sich der Bescheid vom 10.11.2008 erledigt hat, gerichtete Antrag des Klägers ist hingegen als Feststellungsklage im Sinne des § 55 SGG zulässig und begründet. Mit der Feststellungsklage kann nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das Rechtsverhältnis, um das es hier geht, nämlich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zweigpraxisgenehmigung, besteht allerdings nicht zwischen dem Kläger und dem Beklagten, sondern zwischen dem Beigeladenen zu 1) und der Beklagten. Dennoch ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. In den Fällen, in denen es an eigenem Rechtsverhältnis fehlt, kann sich die Klagebefugnis dennoch aus einer Drittbetroffenheit, also daraus ergeben, dass die Genehmigung Auswirkungen auf den Kläger hat. Das festzustellende Rechtsverhältnis nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG muss nicht notwendig zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits bestehen. Ausreichend ist, wenn der Rechtsbereich des Klägers durch das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen Dritten direkt oder indirekt beeinfluss wird (BSG, Urteil vom 20.12.1962 - 3 RK 31/58 - und Urteil vom 22.06.1983 - 12 RK 35/82 -). Allerdings müssen rechtlich geschützte Interessen berührt sein; bloße Reflexwirkungen, etwa in Gestalt wirtschaftlicher Auswirkungen, genügen nicht. Eine rechtliche Betroffenheit ist regelmäßig zu verneinen, wenn derjenige, der die Feststellung betreibt, nicht berechtigt wäre, die Regelung des zwischen Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses selbst zu beantragen oder anzufechten (BSG, Urteil vom 25.03.2003 - B 1 KR 29/02 R - m.w.N.). Der Kläger ist in seinen rechtlichen Interessen berührt. Wie im Rahmen der Drittanfechtungsbefugnis dargelegt, räumt das Regelwerk in Anlage 9.1. BMV-Ä/EKV Konkurrenzschutz ein. Er hat damit ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass die der Beigeladenen zu 1) erteilte Genehmigung keine Rechtskraft mehr entfaltet.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Wie dargelegt, ist eine "Erledigung auf andere Weise" im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X eingetreten, weil der Beigeladenen zu 1) die Genehmigung für die Zweigpraxis in der I-straße 00 in F erteilt wurde, sie unter dieser Anschrift aber keine Räume zur Verfügung hat, in denen sie die Zweigpraxis eröffnen könnte.

Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind unbegründet, weil sie durch das Urteil des SG Düsseldorf vom 11.08.2010 nicht mehr beschwert werden. Zwar hat das SG die dem Beigeladenen zu 1) mit Bescheid vom 10.11.2008 erteilte Genehmigung für die Zweigpraxis aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt. Allerdings hat sich diese Genehmigung, wie dargelegt, ohnehin erledigt, so dass Beklagte und Beigeladene zu 1) aus ihr keine Recht ableiten können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 i.V.m. § 155 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Grundsätzlich fallen demjenigen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Abweichend hiervon bestimmt § 155 Abs. 4 VwGO, dass durch Verschulden eines Beteiligten entstandene Kosten diesem auferlegt werden können. Bei seiner Kostenentscheidung hat der Senat berücksichtigt, dass die Beklagte den angegriffenen Bescheid vom 10.11.2008 nicht begründet hatte. Der Senat hat auch berücksichtigt, dass dem Schreiben der Beklagten, mit dem sie die Stellungnahme von den Landesverbänden eingeholt hat, der Antrag des Beigeladene zu 1) mit seinem Hinweis auf die Praxis des Klägers beigefügt war. Damit war zwar das Einvernehmen wirksam hergestellt, die Beklagte hat dies aber erst im Berufungsverfahren mitgeteilt.

Die Revisionszulassung beruht auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Der Senat misst der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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