L 20 AY 51/16 B ER und L 20 AY 52/16 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 44 AY 21/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 51/16 B ER und L 20 AY 52/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Duisburg vom 05.07.2016 werden als unzulässig verworfen. Kosten sind in den Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (weitere) Kosten für eine ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG und wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das vor dem Sozialgericht geführte Eilverfahren.

Die 1968 geborene Antragstellerin ist albanischer Staatsangehörigkeit und verfügt über eine Duldung nach § 60a AufenthG. Sie bezieht von der Antragsgegnerin laufend Leistungen nach dem AsylbLG.

Mit Schreiben vom 09.03.2016 forderte die Ausländerbehörde die Antragstellerin auf, zur Überprüfung ihrer Reisefähigkeit bis zum 21.03.2016 aktuelle aussagekräftige Atteste eines Facharztes für psychische Erkrankungen sowie alle ärztlichen Atteste seit Beginn der Behandlung vorzulegen. Dabei seien Angaben zur Diagnose mit genauer medizinischer Bezeichnung der Erkrankung, zur Ursache der psychischen Erkrankung sowie die Befunde, die Medikation, eine ausführliche Darstellung der bisherigen und zukünftigen Therapie und eine Prognose der attestierten Erkrankung/Reisefähigkeit zwingend erforderlich. Soweit aufgrund Eigen- oder Fremdgefährdung als Folge einer psychischen Erkrankung Hinweise auf Reiseunfähigkeit bestünden, sei insbesondere eine genaue Beschreibung und Diagnose der medizinischen Befunde und eine Beurteilung der Flugreisetauglichkeit erforderlich; außerdem sei die Frage zu beantworten, ob Flugreisetauglichkeit ggf. mit begleitenden Vorsorgemaßnahmen in Betracht komme bzw. welche Behandlung erforderlich sei, um Flugreisetauglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder herzustellen.

Die Antragstellerin beantragte hierauf mit Schreiben vom 21.03.2016 die Gewährung von Leistungen gemäß § 6 AsylblG in Form der Kosten eines ausführlichen Attestes. Die Kosten hierfür seien nicht in den Leistungssätzen des AsylbLG enthalten; sie könne die Vorgaben des Ausländeramtes daher nur erfüllen, wenn entsprechende Leistungen gewährt würden.

Am 06.06.2016 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht Duisburg um Eilrechtsschutz nachgesucht und die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten eines den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechenden ärztlichen Attestes begehrt. Angesichts der zur Vorlage des Attestes gesetzten Frist sei die Angelegenheit auch eilbedürftig. Außerdem hat die Antragstellerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Mit Schreiben vom 16.06.2016 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, die Kosten für ein von der Ausländerbehörde gefordertes qualifiziertes Attest würden bis zu einer Höhe von 95,00 EUR übernommen.

Das Sozialgericht hat den Eilantrag daraufhin mit Beschluss vom 05.07.2016 als unzulässig verworfen. Dem Eilantrag fehle das Rechtsschutzinteresse, nachdem die Antragsgegnerin die Übernahme von 95,00 EUR für das geforderte Attest zugesagt habe. Im Übrigen fehle es an der Eilbedürftigkeit. Unter Bezugnahme hierauf hat das Sozialgericht mit Beschluss vom selben Tag auch den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidungen Bezug genommen.

Gegen beide Beschlüsse hat die Antragstellerin am 05.07.2016 jeweils Beschwerde eingelegt. Diese seien zulässig, da auch eine Berufung in der Hauptsache zulässig sei. Die Vorschrift des § 60a Abs. 2c AufenthG fordere letztlich die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens. Die Kosten hierfür überstiegen aber einen Betrag von 750 EUR, denn ärztliche Gutachten seien nach dem Zeitaufwand für das bloße Schreiben und auch der medizinischen Untersuchung abzurechnen. Gerade in Fällen psychischer Erkrankungen seien zahlreiche Gesprächseinheiten erforderlich, so dass von einem Zeitaufwand von mehr als zehn Stunden auszugehen sei. Insoweit habe sich der Rechtsstreit durch die Gewährung eines Betrages von bis zu 95 EUR auch nicht erledigt. Die Antragstellerin werde von der Ausländerbehörde massiv bedrängt, die Bundesrepublik freiwillig zu verlassen; anderenfalls drohe in den nächsten Tagen die Abschiebung. Sie sei daher dringend auf eine Entscheidung angewiesen.

Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, die Höhe der zu Grunde gelegten Kosten für die Erstellung eines Attestes beruhe auf Ziffer 85 der GOÄ; danach betrage die Gebühr für eine schriftliche gutachterliche Äußerung mit hohem Aufwand 67,03 EUR je angefangener Stunde bei einer privatärztlichen Abrechnung. Dieser Wert sei mit deutlichem Spielraum nach oben angenommen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihren Eilantrag ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 05.07.2016 bleibt ohne Erfolg. Sie ist nach § 202 SGG i.V.m. § 572 Abs. 2 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist.

Nach § 172 Abs. 3 S. 1 SGG ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt und nicht wiederkehrende Leistungen oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Maßgebend ist die Leistung, die im Streit ist. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen bleiben bei der Berechnung außer Betracht (vgl. BSG, Urteile vom 27.07.2004 - B 7 AL 104/03 R und vom 11.05.1999 - B 11/10 AL 1/98 R). Bei einem unbezifferten Antrag hat das Beschwerdegericht den Beschwerdewert zu ermitteln; dabei ist eine überschlägige Berechnung unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers ausreichend (vgl. BSG, Urteile vom 14.08.2008 - B 5 R 39/07 R und vom 02.06.2004 - B 7 AL 38/03 R; siehe auch BSG, Beschluss vom 24.02.2011 - B 14 AS 143/10 B).

Nach dieser Maßgabe bedürfte in der Hauptsache die Berufung der Zulassung. Denn die Antragstellerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c AufenthG, deren Kosten sich nicht auf mindestens 750,01 EUR belaufen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin mit der Anforderung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2c AufenthG nicht die Erstellung und Vorlage eines auf Grundlage einer Untersuchung verfassten ärztlichen Gutachtens verlangt. Erbeten hat die Ausländerbehörde vielmehr ausdrücklich ein Attest, welches Angaben zu den Diagnosen, den Ursachen der Erkrankungen, den Befunden, der Medikation und der Therapie enthält. Nach Ziffer 75 GOÄ fallen für einen ausführlichen Krankheits- bzw. Befundbericht (einschließlich Angaben zur Anamnese, zu den Befunden, zur epikritischen Bewertung und ggf. zur Therapie) grundsätzlich aber lediglich 17,43 EUR (bei einem Gebührensatz von 2,3) an. Soweit von der Ausländerbehörde darüber hinaus die Beantwortung konkreter Fragestellungen zur Reisetauglichkeit, speziell zur Flugreisetauglichkeit, gefordert wurde, mag es sich zwar um eine über den Gebührentatbestand der Ziffer 75 GOÄ hinausgehende Leistung handeln; der Senat kann jedoch dahinstehen lassen, ob die Erstellung eines solchen (qualifizierten) Attestes sich dann insgesamt nach Ziffer 80 GOÄ (schriftliche gutachterliche Äußerung) oder Ziffer 85 GOÄ (schriftliche gutachtliche Äußerung mit einem das gewöhnliche Maß übersteigenden Aufwand, ggf. mit wissenschaftlicher Begründung) - als den einzig in Betracht kommenden Gebührentatbeständen - bemisst. Denn in beiden Fällen entstünden Kosten von deutlich weniger als 750,01 EUR. So fallen für eine schriftliche gutachterliche Äußerung nach Ziffer 80 GOÄ Kosten in Höhe von insgesamt lediglich 40,23 EUR an (bei einem Gebührensatz von 2,3). Für eine schriftliche gutachtliche Äußerung mit einem das gewöhnliche Maß übersteigenden Aufwand entstehen Gebühren in Höhe von 67,02 EUR je angefangener Stunde (Ziffer 85 GOÄ). Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin wird damit bei überschlägiger Berechnung der Gesamtkosten der Beschwerdewert aber nicht erreicht. Insoweit ist die Behauptung des Bevollmächtigten der Antragstellerin, es sei für die Erstellung des Attests ein Zeitaufwand von mehr als zehn Stunden erforderlich, weder detailliert begründet noch nachvollziehbar. Denn unabhängig davon, ob das Attest von einem schon behandelnden - so wie es in der Regel der Fall sein wird - oder einem anderen Facharzt erstellt wird, ist die Notwendigkeit "zahlreicher Gesprächseinheiten" in einem solchen erheblichen Umfang zur bloßen Benennung der betreffenden Diagnosen, Befunde und Therapien sowie zur Einschätzung der Flugreisetauglichkeit nicht erkennbar. Selbst wenn es unter Annahme der Ziffer 85 GOÄ somit auf den zeitlichen Aufwand des attestierenden Arztes ankäme, läge dieser jedenfalls deutlich unterhalb der von der Antragstellerin behaupteten zehn Stunden, so dass (auch zzgl. Schreibgebühr, Ziffern 95 und 96 GOÄ) Kosten von mehr als 750,00 EUR nicht entstehen würden.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 05.07.2016 bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Sie ist nach § 202 SGG i.V.m. § 572 Abs. 2 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist.

Nach § 172 Abs. 3 Nr. 2b SGG ist die Beschwerde in Verfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Dies ist hier der Fall; auf die Ausführungen unter 1. wird Bezug genommen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 S. 1 SGG bzw. auf §§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 177).
Rechtskraft
Aus
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