L 14 R 1037/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 49 R 878/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 1037/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2015 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nach Gewährung einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung im Wege der Abhilfe.

Die am 00.00.1959 geborene Klägerin beantragte am 26.04.2012 mit Formblattantrag eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten; im Formblatt R100 war als beantragte Rente ausdrücklich nur Rente wegen Erwerbsminderung aufgeführt; nicht beantragt war eine unbefristete Rente.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.06.2012 vollumfänglich ab. Eine Differenzierung im Ablehnungsschreiben zwischen Rente wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung und zwischen Zeit- und Dauerrente fand nicht statt.

Bei der Beklagten ging am 09.07.2012 der Widerspruch der Klägerin selbst ein. Einen konkreten Antrag stellte die Klägerin im Rahmen des Widerspruchverfahrens nicht. Sie führte zur Begründung des Widerspruchs auch aus, dass sie sich aufgrund mehrerer Jahre andauernden Mobbings nicht vorstellen könne, wieder in die Berufswelt einzusteigen.

Unter dem 31.10.2012 bestellte sich der Bevollmächtigte für die Klägerin. Mit dem Schreiben rügte der Bevollmächtigte insbesondere auch die Dauer des Verfahrens. Mit Schreiben vom 13.11.2012 drohte der Bevollmächtigte wegen eines abgesagten Begutachtungstermins die Untätigkeitsklage nach § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Mit Schreiben vom 16.11.2012 wandte sich die Beklagte an den Bevollmächtigten und wies u.a. auf die anhaltenden Sachverhaltsermittlungen hin. Mit Schreiben vom 19.11.2012 wies der Bevollmächtigte nochmals auf die Dauer des Verfahrens hin. Die Behinderungen der Klägerin seien bekannt und die Ablehnung des Rentenantrags zur Schonung der Rentenkasse sei nicht nachvollziehbar. Mit Schreiben vom 10.12.2012 wandte sich der Bevollmächtigte dann nochmals an die Beklagte und wies darauf hin, dass er den Verwaltungsakten eine medizinische Überprüfung nicht entnehmen könne. In der Stellungnahme wies der Bevollmächtigte weiter auf die Begutachtung durch die Agentur für Arbeit N vom 02.04.2012 hin. Danach könne die Klägerin auf nicht absehbare Zeit nur weniger als 3 Stunden täglich arbeiten. Mit Schreiben vom 11.12.2012 wies die Beklagte dann nochmals zur Begründung der Verfahrensdauer auf die noch notwendigen ausstehenden medizinischen Untersuchungen hin.

Im weiteren Verfahren wandte sich der Bevollmächtigte noch mehrmals an die Beklagte - und zwar mit Schreiben vom 20.12.2012, 10.01.2013 und 04.03.2013 - und fragte nach den Akten.

Mit Rentenbescheid vom 20.03.2013 gewährte die Beklagte der Klägerin im Abhilfeverfahren Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.11.2012 befristet bis zum 31.10.2015. Gleichzeitig enthielt der Bescheid eine Kostengrundentscheidung gem. § 63 SGB X, mit der sich die Beklagte bereit erklärte, die entstandenen Aufwendungen in Höhe von 2/3 des Pauschalbetrages zu erstatten.

Der Klägerbevollmächtigte wandte sich mit Schreiben vom 05.04.2013 an die Beklagte und rügte, dass eine Kostenentscheidung nach § 63 SG X nicht getroffen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2013 wies die Beklagte den Widerspruch hinsichtlich der Kostengrundentscheidung zurück. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit würden grundsätzlich auf Zeit geleistet, die Befristung erfolge längstens für drei Jahre nach Rentenbeginn. Nach den eingeholten medizinischen Unterlagen sei nicht ausgeschlossen, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden können. Daher habe die Widerspruchsstelle zu der Überzeugung gelangen müssen, dass die bewilligte Rente zu Recht auf Zeit geleistet werde. Wegen der teilweisen Abhilfe durch die Fachabteilung könnten im Vorverfahren entstandene notwendige Aufwendungen nur im Umfange zu 2/3 gemäß § 63 SGB X erstattet werden.

Mit Schreiben vom 24.04.2013 teilte der Klägerbevollmächtigte darauf hin mit, es bestehe kein Anlass, den Widerspruch zurückzunehmen, da mit der Abhilfeentscheidung nach § 85 SGG die Widerspruchsführerin ihr Verfahrensziel erreicht habe und das Vorverfahren damit beendet sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 22.05.2013 ausschließlich im Hinblick auf die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben.

Die Klägerin hat vorgetragen, der Widerspruch sei erfolgreich gewesen; außerdem habe die Beklagte das Widerspruchsverfahren durch ihre falsche Ausgangsentscheidung veranlasst.

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 28.06.2012 und 20.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für das Widerspruchsverfahren bezüglich der Bescheide vom 28.06.2012 und 20.03.2013 in vollem Umfang zu erstatten.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, es handele sich um eine Teilabhilfe. Es sei obergerichtlich bereits seit langem geklärt, dass eine Kostenquotelung - wie von ihr vorgenommen - gerechtfertigt sei.

Das SG hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid im Erörterungstermin am 30.10.2015 angehört. Die Beteiligten haben hierzu im Termin ihr Einverständnis erklärt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.11.2015 hat das SG der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Die Klägerin habe im Widerspruchsverfahren voll obsiegt, im Widerspruch habe die Klägerin keinen konkreten Antrag gestellt. Dies sei dahingehend auszulegen, dass sie eine Rente wegen Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Vorschriften begehre. Eine konkrete Nachfrage der Beklagten hinsichtlich des Begehrens der Klägerin sei nicht erfolgt. Mit dem Formblattantrag vom 26.04.2012 habe die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. Eine Wahlmöglichkeit sei bei der Antragstellung hinsichtlich einer Rente auf Zeit oder auf Dauer nicht vorgesehen gewesen. Es sei daher der Regelfall der Befristung im Sinne des § 102 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) anzunehmen gewesen. Sofern ein Widerspruchsführer daher eine ablehnende Entscheidung angreife, die selbst keine Regelung zu einer Befristung der Rente enthalte, begehre er das, was er im ursprünglichen Rentenantrag beantragt habe. Insoweit habe die Klägerin alles bekommen, was sie begehrt habe. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Zwar enthalte ein entsprechender Bescheid über eine befristete Rentenbewilligung zwei Verfügungen nämlich zum einen die Bewilligung der Rente auf begrenzte Dauer zum anderen die Ablehnung einer zeitlich unbeschränkten Rentengewährung. Diese Verfügungssätze seien jedoch nur bei der Bewilligung relevant, nicht jedoch bei einer vollständigen Ablehnung. Ein ablehnender Bescheid träfe hinsichtlich der Befristung keine Regelung. Die Beklagte habe im Übrigen im Verwaltungsverfahren den Anspruch vollumfänglich zu prüfen und bewillige in gängiger Praxis bei entsprechenden Anhaltspunkten eine Rente auch auf Dauer. Dies führe jedoch zu keinem anderen Ergebnis, weil andernfalls ein Betroffener regelmäßig nur eine Rente mit Laufzeit beantragen würde. Die Berufung sei zuzulassen, da die vorliegende Frage obergerichtlich noch nicht entschieden worden sei.

Gegen den am 20.11.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 01.12.2015 Berufung eingelegt.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Quote sei zutreffend. Maßgebend sei, ob und inwieweit der Widerspruch erfolgreich sei. Die Beklagte gehe davon aus, dass grundsätzlich ein Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung das Begehren auf Dauer beinhaltet. Es träfe zwar zu, dass das Antragsformular weder zwischen Zeit- und Dauerrente unterscheide noch Angaben zu einem Endzeitpunkt ermögliche. Gleichwohl sei der Versicherungsträger nach dem Günstigkeitsprinzip gehalten, stets davon auszugehen, dass der Versicherte die ihm günstigste Art der Leistungsgewährung in Anspruch nehmen wolle (BSG vom 29.11.2007 - B 13 R 44/07). Sofern daher keine Einschränkung des Begehrens erfolge, gelte diese Annahme auch im Widerspruchsverfahren. Der Widerspruchsführer könne selbst bestimmen, ob er Angaben zu seinem sachlichen Begehren mache. Sofern kein konkreter Antrag gestellt sei, sei das Begehren auszulegen (BSG vom 12.06.2013 - B 14 AS 68/12 R). Wenngleich die Zeitrente der gesetzliche Regelfall sei, sei der Antrag als Dauerrentenantrag auszulegen. Die Klägerin habe mitgeteilt, sie könne sich nicht vorstellen, wieder in die Berufswelt einzusteigen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Widerspruchsverfahren sei voll erfolgreich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom SG zugelassene Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide vom 28.06.2012 (Ablehnungsbescheid) und vom 20.03.2013 (Abhilfebescheid) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.04.2013 waren - soweit sie hinsichtlich der Kostenregelung von der Klägerin angegriffen sind - rechtswidrig und verletzen die Klägerin daher in ihren Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, soweit darin eine Versagung der vollständigen Kostenübernahme für das Widerspruchsverfahren mit dem Bescheid vom 20.03.2013 geregelt worden ist. Die Klägerin hat - wie das SG zutreffend ausgeurteilt hat - einen Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens gemäß § 63 SGB X, da die Klägerin gemessen an ihrem Antrag im Widerspruch im Sinne des § 63 Abs. 1 SGB X voll obsiegt hat (hierzu unter 1.), das Meistbegünstigungsprinzip im Anwendungsbereich des § 63 SGB X nicht angewandt werden darf (hierzu unter 2.) und die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (hierzu unter 3.).

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens gemäß § 63 SGB X, da die Klägerin gemessen an ihrem auszulegenden Antrag im Widerspruch durch die Abhilfeentscheidung vom 20.03.2013 voll obsiegt hat. Die Kostenerstattung richtet sich nach § 63 Abs. 1 SGB X. § 63 Abs. 1 SGB X regelt:

"Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten."

Dabei ist ein Vergleich zwischen dem Begehren im Widerspruchsverfahren und dem Ergebnis anzustellen. Weil es im Widerspruchsverfahren keine mündliche Verhandlung gibt, in der ein verbindlicher Antrag gestellt wird, muss für den Vergleich zwischen ursprünglichem Ziel und Erfolg das Begehren des Widerspruchsführers ggf. wertend ermittelt werden (Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 63 SGB X, Rn. 20). Die Klägerin hat dabei unter Berücksichtigung der Grundsätze der Auslegung mit ihrem Widerspruch lediglich einen Antrag auf Gewährung einer Rente nach den gesetzlichen Maßgaben gestellt und deshalb lediglich eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung begehrt (hierzu unter a.); die Beklagte ist diesem so auszulegenden Antrag mit dem Rentenbescheid vom 20.03.2013 vollumfänglich nachgekommen (hierzu unter b.).

a. Mit ihrem Widerspruch vom 09.07.2012 begehrte die Klägerin lediglich die Gewährung einer Rente nach den gesetzlichen Maßgaben; das Begehren der Klägerin erfasste daher lediglich eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung nach der gesetzlichen Regelvermutung des § 102 Abs. 2 S. 1 und S. 5 SGB VI. Die Klägerin hat mit ihrem Widerspruch ausdrücklich keinen konkreten Antrag auf Bewilligung einer "unbefristeten" Erwerbsminderungsrente gestellt. Das Begehren der Klägerin auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente im Widerspruchsverfahren ist daher insoweit gemäß §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog auslegungsfähig und auslegungsbedürftig gewesen (zur Notwendigkeit der Auslegung eines Widerspruchsbegehrens, wenn ein Widerspruch nicht begründet wird vgl. auch das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 68/12 R -, SozR 4-1300 § 63 Nr 20, Rn. 24). Auf die Auslegung von Willenserklärungen finden - sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft - die Vorschriften des BGB Anwendung; insb. §§ 133, 157 BGB in analoger Anwendung (zur Notwendigkeit der Auslegung bei Erklärungen vgl. auch: Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 90, Rn. 4a; § 92, Rn. 2; § 123, Rn. 3b). Willenserklärungen sind gemäß §§ 133, 157 BGB analog aus dem Empfängerhorizont auszulegen. Es kommt dabei auf die Sicht des objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers an. Hierbei spielen neben dem Wortlaut der Erklärung insbesondere auch die Beweggründe des Betroffenen, die Begleitumstände und die Interessenlage eine Rolle.

Hierbei ist zunächst zu berücksichtigten, dass die Klägerin mit dem Formblattantrag vom 26.4.2012 (Formblatt R100) ausdrücklich nur Rente wegen Erwerbsminderung begehrt hat; nicht beantragt war eine unbefristete Rente. Eine Wahlmöglichkeit zwischen befristeter und unbefristeter Rente sah der Formblattantrag nicht vor. Der Formblattantrag bot daher für die Beklagte in der Rolle des objektiven Erklärungsempfängers keine Auslegungshilfe dahingehend, dass die Klägerin von Anfang an und dann auch mit dem Widerspruch eine unbefristete Rente begehrt hat. Aus dem Rentenantrag als Auslegungshilfe setzt sich ein solches Begehren im Widerspruch der Klägerin nicht fort.

Auch aus dem Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 28.06.2012 erwächst keine Auslegungshilfe für den Inhalt des Begehrens der Klägerin mit ihrem Widerspruch. Hier hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass zwar ein Bewilligungsbescheid über eine befristete Rentenbewilligung zwei Verfügungen enthält, nämlich zum einen die Bewilligung der Rente auf begrenzte Dauer und zum anderen die Ablehnung einer zeitlich unbeschränkten Rentengewährung. Diese Verfügungssätze sind jedoch nur bei der Bewilligung relevant, nicht jedoch bei einer vollständigen Ablehnung. Ein ablehnender Bescheid trifft insbesondere hinsichtlich der Befristung keine Regelung, so dass in Ermangelung eines solchen Verfügungssatzes für das Begehren der Klägerin mit ihrem Widerspruch kein äußerer Anhaltspunkt gegeben ist.

Auch aus den weiteren Umständen lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass die Klägerin eine unbefristete Rente beantragt hat. Aus der Aussage der Klägerin, sie könne sich aufgrund von mehreren Jahren andauernden Mobbings nicht vorstellen, wieder in die Berufswelt einzusteigen, lässt sich nicht ablesen, dass sich die Klägerin die rechtlichen Gedanken gemacht hat, dass überhaupt und ggf. in welchem Zeitrahmen eine Erwerbsminderungsrente bewilligt werden könne. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Widerspruchserhebung noch nicht anwaltlich vertreten. Der Satz kann daher durch die Beklagte als objektiver Empfänger mit Sachkenntnis nicht ernsthaft als Antrag auf unbefristete Erwerbsminderungsrente ausgelegt werden. Vielmehr musste die Beklagte als objektiver Dritter in der Rolle des Erklärungsempfängers mit dem entsprechenden Fachwissen diese Aussage so werten, dass die Klägerin damit überhaupt eine relevante Leistungseinschränkung geltend gemacht hat, da eine relevante (teilweise oder volle) Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1. S. 2 und Abs. 2 S. 2 SGB VI nur dann anzunehmen ist, wenn das jeweils maßgebliche zeitliche Leistungsvermögen auf nicht absehbare Zeit abgesunken ist. Gleiches gilt für den anwaltlichen Hinweis in dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 10.12.2012. Mit diesem Schreiben wies der Bevollmächtigte darauf hin, dass sich aus der Begutachtung durch die Agentur für Arbeit Mönchengladbach vom 02.04.2012 ergeben habe, dass die Klägerin auf nicht absehbare Zeit nur weniger als 3 Stunden täglich arbeiten könne. Auch hieraus durfte die Beklagte als objektiver Dritter in der Rolle des Erklärungsempfängers nur die Behauptung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1. S. 2 und Abs. 2 S. 2 SGB VI lesen. Diesen Hinweis hat die Beklagte im Übrigen auch zu keinem Zeitpunkt selbst für ihre Auslegung herangezogen, jedenfalls greift die Beklagte diesen Hinweis im gesamten Verfahren nicht für ihre Rechtsverteidigung auf.

Andere für die Auslegung maßgeblichen Umstände sind weder vogtragen noch erkennbar. Fehlt es aber an einem konkreten Antrag im Widerspruch und bieten die Begleitumstände nach §§ 133, 157 BGB analog auch ansonsten keine Anhaltspunkte für einen weitergehenden Antrag im Widerspruch, ist davon ausgehen, dass ein Betroffener regelmäßig das begehrt, was ihm rechtlich auch zusteht. Deshalb greift die gesetzliche Regelvermutung des § 102 Abs. 2 S. 1 und S. 5 SGG, wonach Erwerbsminderungsrenten i.d.R. immer zu befristen sind. So ist der Antrag der Klägerin auch hier auszulegen gewesen.

Hierfür spricht im Übrigen auch der - allerdings erst später hinzutretende und daher die Auslegung nicht mehr beeinflussende - Umstand, dass die Klägerin zeitnah nach Erlass des Abhilfebescheid vom 20.3.2013 mit anwaltlichen Schreiben vom 24.04.2013 erklärt hat, dass mit der Abhilfeentscheidung ihr Verfahrensziel erreicht worden ist.

b. Die Beklagte ist diesem so auszulegenden Antrag mit dem Rentenbescheid vom 20.03.2013 vollumfänglich nachgekommen. Mit dem Abhilfebescheid vom 20.03.2013 hat die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.11.2012 befristet bis 31.10.2015 bewilligt und damit den gesetzlich höchstzulässigen Zeitrahmen nach § 102 Abs. 2 S. 2 SGB VI von drei Jahren ausgeschöpft.

Die Klägerin hat daher im Sinne des § 63 SGB X gemessen an ihrem Antrag vollständig obsiegt.

2. Der Antrag der Klägerin war auch nicht aus Rechtsgründen zu erweitern. Das sog. Meistbegünstigungsprinzip ändert hieran nichts. Es ist im Anwendungsbereich der Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 1 SGB X nicht anzuwenden. Wegen der Verpflichtung der Behörde zur (umfassenden) Sachprüfung gilt der Grundsatz "ne ultra petita" im Widerspruchsverfahren als besonderes Verwaltungsverfahren nicht (Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 63 SGB X, Rn. 20.1). Danach muss der Rentenversicherungsträger auch dann ausnahmsweise eine unbefristete Erwerbsminderungsrente bewilligen, wenn diese nicht beantragt ist, sich aber aus medizinischen Gründen der Ausnahmefall des § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI ergibt und eine Besserungsaussicht nicht gegeben ist. Das Meistbegünstigungsprinzip fließt aus dem Prinzip der Amtsermittlungspflicht nach § 20 SGB X.

Dieses Prinzip findet nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers im Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 SGB X zur Ermittlung der zu erstattenden Kosten keine Anwendung. Nach dem Willen des Gesetzgebers hält es der Versicherte durch seinen Antrag selbst in der Hand, ob und ggf. in welcher Höhe er Kosten erstattet erhält, und zwar je nachdem, wie weit sein geltend gemachter Anspruch reicht und er im Widerspruchsverfahren obsiegt. Die Vorschrift folgt erkennbar dem Dispositionsgrundsatz. Die Beurteilung des Erfolges eines Widerspruchs nach § 63 Abs. 1 SGB X folgt daher ausschließlich der Dispositionsbefugnis des Versicherten, da der Umfang des Erfolgs grundsätzlich aus einem Vergleich zwischen dem Begehren im Widerspruchsverfahren und dem Ergebnis zu ermitteln ist (Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 63 SGB X, Rn. 20). Dem widerspricht die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips auch im Anwendungsbereich des § 63 SGB X. Das Meistbegünstigungsprinzip ist nicht Ausfluss der Dispositionsmaxime des Versicherten, sondern Ausfluss der Verpflichtung der Träger zur umfassenden Amtsermittlung nach § 20 SGB X. Das Meistbegünstigungsprinzip würde für den Versicherten daher im Anwendungsbereich des § 63 SGB X seine Funktion in sein Gegenteil verkehren. Es würde ihn nicht begünstigen, sondern belasten. Deshalb trifft den Versicherten auch nicht die Pflicht, ausdrücklich seinen Antrag auf eine befristete Erwerbsminderungsrente zu beschränken. Eine solche Verpflichtung würde im Übrigen das Risiko bedeuten, dass der Versicherte eine Leistung nicht erhält, auf die aber gesetzlich ein Anspruch besteht.

Ein Widerspruch ist daher in vollem Umfang erfolgreich (§ 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X), wenn nach Ablehnung einer Erwerbsminderungsrente - ohne weitere Anhaltspunkte zur Reichweite des Antrags - durch Abhilfebescheid eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung gewährt wird (vgl. zutreffend auch SG Stuttgart v. 09.10.2014 - S 4 R 2046/12; Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 63 SGB X, Rn. 20.1).

3. Die Zuziehung des Bevollmächtigten war i.S.d. § 63 Abs. 2 SGB X auch notwendig. Zwar hat die Klägerin den Widerspruch zunächst persönlich am 09.07.2012 eingelegt. Der Bevollmächtigte hat sich mit Schriftsatz vom 31.10.2012 erst im laufenden Widerspruchsverfahren - jedoch noch vor Erlass des Abhilfebescheids vom 20.03.2013 - für die Klägerin bestellt. § 63 Abs. 2 SGB X bestimmt:

"Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war."

Der Kostenerstattungsanspruch bei Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nach § 63 Abs. 2 SGB X ist danach zu beurteilen, ob der Widerspruchsführer es für erforderlich halten durfte, im Widerspruchsverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden. (LSG, Beschluss vom 29.11.2012 - L 19 AS 1639/12 B -, juris). Einer Kausalität zwischen Widerspruchsbegründung und Aufhebung des Bescheides bedarf es insoweit grundsätzlich nicht, weil es auf den Erfolg in der Sache ankommt, nicht auf im Verfahren vorgetragene Gründe. Es genügt insoweit, dass eine vom Ausgangsbescheid abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum Erfolg geführt hat (Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 63 SGB X, Rn. 15). So ist es hier. Die Zuziehung war im Sinne dieser Voraussetzungen erforderlich. Diese Frage ist letztlich zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Auch die Beklagte betrachtet die Zuziehung als notwendig. Das ergibt sich aus dem Abhilfebescheid vom 20.03.2012, mit dem die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X dem Grunde nach anerkannt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 160 Abs. 1 S. 1, 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Es besteht insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Es geht um die individuelle Tatfrage, wie ein jeweiliger Antrag auszulegen ist, um den Erfolg i.S.d. § 63 Abs. 1 SGB X bewerten zu können. Dass der Antrag im Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 SGB X auszulegen ist, räumt auch die Beklagte ein. Den Maßstab zur Ermittlung des Erfolges eines Widerspruchs gibt allein § 63 Abs. 1 SGB X vor. Die Ermittlung des Umfangs des Erfolgs (Obsiegen/Unterliegen) ergibt sich ausschließlich aus dem Vergleich des (ggf. auszulegenden) Antrags des Widerspruchsführers und dem Umfang der Abhilfe. Das durch richterliche Rechtsfortbildung herausgebildete Meistbegünstigungsprinzip kommt hierbei nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht zur Anwendung. Es erwächst hieraus keine klärungsbedürftige Frage. Eine rechtliche Frage muss jedoch klärungsbedürftig sein, damit die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG bejaht werden kann. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vorneherein die Antwort praktisch außer Zweifel steht und wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichende Kriterien oder Grundsätze zur Auslegung entwickelt hat (Leitherer: in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 160, 11. Auflage, Rdn. 8a). So ist die Sachlage hier. Der Wille des Gesetzgebers ergibt sich insoweit direkt aus § 63 Abs. 1 SGB X. Der Prüfungsmaßstab des § 63 Abs. 1 SGB X richtet sich allein nach der Dispositionsbefugnis des Versicherten. Im Übrigen bieten die von der BSG-Rechtsprechung aufgestellten Kriterien hinreichend Anhaltspunkte dafür, dass das Meistbegünstigungsprinzip nicht zulasten des Versicherten wirken darf.
Rechtskraft
Aus
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