L 6 AS 241/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 2271/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 241/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 66/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.01.2016 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Am 23.01.2015 stellte der 1984 geborene Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 07.05.2015 fordert der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung auf. Ohne vollständige Unterlagen könne nicht festgestellt werden, ob und inwieweit ein Anspruch auf Leistungen bestehe. Es werde noch eine ausführliche schriftliche Begründung des Leistungsantrages, insbesondere auch eine Erklärung, wie der Lebensunterhalt bislang sichergestellt worden sei, benötigt. Der Kläger wurde aufgefordert, die Unterlagen bis zum 24.05.2015 vorzulegen. Anderenfalls könnten die Geldleistungen ganz versagt werden (§§ 60, 66, 67 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)).

Mit Bescheid vom 27.05.2015 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers aufgrund bestehender erheblicher Zweifel an der Bedürftigkeit des Klägers ab.

Am 26.06.2015 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.05.2015 ein. Alle Unterlagen und Nachweise seien mehrfach an das Jobcenter gesendet worden. Dadurch sei er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen.

Ein gleichlautendes Schreiben hat der Kläger am 30.06.2015 an das Sozialgericht Köln (SG) geschickt, das die Eingabe als Klage ausgelegt hat.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2015 hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.01.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Es bestünden Zweifel an der Bedürftigkeit des Klägers. Dieser habe trotz mehrfacher Aufforderung zur Aufklärung nicht hinreichend mitgewirkt. Die Vermögens- und Einkommenssituation des Klägers sei anhand der unvollständigen Kontoauszüge nicht überprüfbar. Für den Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit trage der Kläger die Beweislast.

Gegen das ihm am 09.01.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.02.2016 durch Übersendung eines (wohl) handschriftlich unterschriebenen Schreibens als Anlage einer E-Mail Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, ihm stünden Leistungen nach dem SGB II zu.

Der Kläger ist ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 15.09.2016 ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 06.10.2016, zu dem sein persönliches Erscheinen angeordnet war, geladen worden. Am 04.10.2016 hat er um 16.58 Uhr per Mail den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Gesuch hat der Senat in der Besetzung ohne den Berichterstatter durch Beschluss vom 05.10.2016 zurückgewiesen. Mit der Übermittlung des Beschlusses vorab per Mail am 05.10.2016 ist der Kläger auch darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nicht in der in der Rechtsmittelbelehrung aufgezeigten elektronischen Form eingelegt worden sei, in diesem Fall das Rechtsmittel ohne weitere Prüfung in der Sache als unzulässig verworfen werden müsse. Den Empfang der Mail am Tage vor dem Termin hat der Kläger bestätigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.01.2016 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2015 zu verurteilen, ihm ab 01.01.2015 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unzulässig.

Der Kläger hat die Berufung nicht innerhalb der Frist formgerecht eingelegt, denn er hat die gemäß § 151 Abs. 1 SGG erforderliche Schriftform nicht gewahrt. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen.

Bis zum Ablauf der Berufungsfrist (vgl. Fock in: Breitkreuz/Fichte, SGG-Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 151 Rn. 17) hat der Kläger kein Schriftstück beim Landessozialgericht oder dem SG vorgelegt. Er hat auch kein dem Schriftstück gleichstehendes Dokument eingereicht. Die von ihm gewählte Form der Übermittlung elektronischer Daten per Mail genügt nicht den Anforderungen des § 65 a SGG. Danach können die Beteiligten dem Gericht auch elektronische Dokumente übermitteln, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder der Landesregierung zugelassen worden ist. Für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, ist eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes vorgeschrieben, § 65 a Abs. 1 S. 3 SGG i.V.m. § 2 Abs. 3 S. 1 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG). Eine solche elektronische Signatur enthielt die vom Kläger am 07.02.2016 übersandte E-Mail nicht.

Die Schriftform der Berufungseinlegung ist hier auch nicht etwa dadurch gewahrt, dass der (möglicherweise) vom Kläger unterschriebene und als Anhang mit der E-Mail übersandte Schriftsatz (ohne Datum) innerhalb der Berufungsfrist in der Posteingangsstelle des Landessozialgerichts ausgedruckt worden ist (so für die Klageschrift, die aber nicht unterschrieben werden muss: LSG Sachsen Anhalt Beschluss vom 18.01.2011 - L 5 AS 433/10 B - juris). Denn § 65 a SGG schreibt vor, dass dort, wo die Unterschrift auf einem Papierdokument gefordert ist, auch die elektronische Signatur zwingend ist (so auch LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 04.08.2016 - L 5 SO 130/15 - juris Rn. 12). Das zwingende Formerfordernis der qualifizierten elektronischen Signatur darf nicht durch die Möglichkeit einer Heilung ausgehöhlt werden (Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 65a Rz. 8c).

Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er war nicht ohne Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten, § 67 Abs. 1 SGG.

Das Verschulden des Klägers liegt darin, dass er die Berufung entgegen der Rechtsmittelbelehrung per E-Mail ohne elektronische Signatur eingelegt hat. Ob er insofern absichtlich von der Rechtsmittelbelehrung abgewichen ist, kann offen bleiben, jedenfalls liegt hier angesichts der zutreffenden und eindeutigen Rechtsmittelbelehrung ein mindestens fahrlässig schuldhaftes Handeln vor. Der Kläger wusste oder hätte bei Beachtung der Rechtsmittelbelehrung ohne weiteres wissen können, dass die gewählte Form der Rechtsmitteleinlegung nicht der vorgeschriebenen entsprach.

Die Fristversäumnis beruht auch nicht entscheidend auf daran anschließenden Fehlern oder Versäumnissen des Gerichts (Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer a.a.O § 67 Rz. 3c, 4d).

Für die Fristversäumnis unerheblich war es insbesondere, dass das Gericht den Kläger nicht umgehend auf die Unwirksamkeit seiner per E-Mail eingelegten Berufung hingewiesen hat (vgl. § 65a Abs. 2 S. 3 SGG). Ein schuldhaftes Zögern des Gerichtes, auf dem die Fristversäumnis beruhen könnte, ist nicht zu erkennen. Denn die E-Mail des Klägers ist ausweislich des Sendedatums am 07.02.2016 versandt worden, der Eingang beim LSG wurde von der Poststelle mit dem 08.02.2016 vermerkt. Da es sich bei dem 07.02.2016 um einen Sonntag handelte und eine Bearbeitung der E-Mail im normalen Geschäftsbetrieb - für den Kläger erkennbar - erst am 08.02.2016 erfolgen konnte, kann der Senat dahinstehen lassen, wann die E-Mail tatsächlich auf den Posteingangsserver des Gerichts gelangt ist. Nach Ausdruck der E-Mail am Montag, dem 08.02.2016, erfolgte in Umsetzung des Geschäftsverteilungsplanes die Vergabe eines gerichtlichen Aktenzeichens in der Datenerfassungsstelle des Gerichts planmäßig am nächsten Tag, Dienstag, dem 09.02.2016, um 11:34 Uhr. Erst dann konnte sie - in papierner Form - der Geschäftsstelle des Senats zugeleitet werden. Dort wurde sodann die Zuständigkeit des Berichterstatters nach der internen Geschäftsverteilung des Senats ermittelt und am nächsten Tag, dem 10.02.2016, mit der sog Eingangsverfügung dem Vorsitzenden des Senats vorgelegt. Ohne dass mithin irgendwelche Verzögerungen im notwendigen und üblichen Geschäftsgang entstanden waren (zur Maßgeblichkeit des üblichen Geschäftsgangs vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 67 Rz. 4d mwN), war frühestens zu diesem Zeitpunkt erstmals eine richterliche Überprüfung möglich, ob das Rechtsmittel den Formvorschriften entsprach. Da zu diesem Zeitpunkt die Berufungsfrist bereits abgelaufen war, wäre es dem Kläger auch bei einem sofortigen Hinweis nicht (mehr) möglich gewesen, das Rechtsmittel nunmehr form- und fristgerecht einzulegen. Fristgerecht wäre eine Berufung nur bis Dienstag, dem 09.02.2016, möglich gewesen, da der angefochtene Gerichtsbescheid dem Kläger ordnungsgemäß am 09.01.2016 zugestellt worden war (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch).

Im Übrigen wäre aber auch bei einem irgendwie gearteten schuldhaften Zögern des Gerichts bei der Bewertung der Gesamtumstände zu berücksichtigen, dass jeder Kläger zwar die Verfahrensfristen grundsätzlich bis zum letzten Tage ausschöpfen darf, ihn aber kurz vor Fristablauf erhöhte Sorgfaltspflichten mit Blick auf die erfolgreiche Einlegung, d.h. Einlegung des formgerechten Rechtsmittels innerhalb der Frist treffen. Der Kläger hat hier am Sonntag, dem 07.02.2016, zwei Tage, aber nur einen Arbeitstag vor Fristablauf am 09.02.2016 - nicht formgerecht - Berufung eingelegt. Auf dieser Zeitachse hat der Kläger bereits sorgfältig zu prüfen, ob er alles Erforderliche zur Einhaltung der Verfahrensfrist getan hat, da in jedem Fall nur ein kurzes Zeitfenster verblieb, um eine fehlerhafte Verfahrenshandlung zu korrigieren bzw. eine korrekte nachzuholen. Zu diesen Sorgfaltspflichten gehört es, die Rechtsmittelbelehrung zu lesen, um das statthafte Rechtsmittel form- und fristgerecht einzulegen. In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheids wurde ausdrücklich auf das Erfordernis einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes und weitergehende Informationsmöglichkeiten auf der Internetseite des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalens hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 192 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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