L 4 R 984/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 1980/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 984/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 342/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2013 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Weiterbewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über den 31.07.2010 hinaus.

Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist promovierter Maschinenbauingenieur und war zuletzt als Fachgebietsleiter Organisation in einer Unternehmungsberatung abhängig beschäftigt. Seit dem Jahr 2006 ist er arbeitsunfähig. Das Versorgungsamt hat bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt.

Der Kläger beantragte am 18.07.2008 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis auf ein Gutachten seiner privaten Krankenversicherung (Allianz) vom 10.07.2008, in dem er ab 09.07.2008 als berufsunfähig angesehen wurde.

Die Beklagte ließ ihn durch den Neurologen und Psychiater Dr. H untersuchen, der den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung äußerte und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit feststellte. Er empfahl eine medizinische Rehabilitation und anschließende psychotherapeutische und orthopädische Therapie. Bis dahin meinte er, könne kein Leistungsbild erstellt werden (Gutachten vom 19.08.2008). Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. S vom 29.08.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27.11.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.02.2009 befristet bis zum 31.07.2010.

Mit seinem Antrag auf Weiterzahlung vom 28.12.2009 legte der Kläger einen Arztbrief der Lungenklinik I vom 05.11.2009 vor, in dem von einem schwergradig obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndrom und der Einleitung einer Maskentherapie berichtet wurde. Des Weiteren übersandte er einen Kurzbefund des Orthopäden Dr. T vom 16.09.2009, einen MRT-Bericht des Schädels der Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin Dres. B u.a. vom 24.08.2009 sowie einen dortigen CT-Bericht der Lendenwirbelsäule vom 29.09.2009.

Die Beklagte ließ den Kläger durch die Orthopädin Dr. von B1 sowie den Neurologen und Psychiater Dr. X begutachten. Die Orthopädin fand ein chronisch-rezidivierendes Cervical- und Lumbalsyndrom bei Spondylolisthese L5/S1 und einen Zustand nach Morbus Scheuermann, ein Schulter-Arm-Syndrom rechtsseitig, eine beginnende medial betonte Arthrose beider Kniegelenke, einen chronischen Reizzustand beider oberer Sprunggelenke, einen Reizzustand beider Handgelenke, einen Senk- Spreizfuß beidseits sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Fachfremd erwähnte sie Depression, Nikotinabusus, Zustand nach Borreliose, Adipositas, Bluthochdruck, Asthma und Schlafapnoe-Syndrom. Sie meinte, körperlich leichte Arbeit sei dem Kläger vollschichtig sowohl in seiner letzten Tätigkeit als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich (Gutachten vom 22.02.2010). Dr. X diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine Dysthymie. Hierdurch bedingt könne die Tätigkeit in der Unternehmensberatung nur noch weniger als drei Stunden täglich ausgeübt werden. Der Kläger sei jedoch in der Lage, weniger fordernde Arbeiten, zum Beispiel in einer Büroroutineumgebung zu verrichten, auch leichte Arbeiten ohne wesentliche Belastungen des Achsensklettes sechs Stunden und mehr zu erledigen (Gutachten vom 02.03.2010).

Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes T1 vom 16.04.2010 bewilligte die Beklagte den Gutachten folgend mit Bescheid vom 27.04.2010 und 30.07.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 31.07.2010 hinaus. Die Weiterzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.08.2010 wurde mit dem Bescheid vom 27.04.2010 abgelehnt.

Der Kläger legte gegen die Ablehnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 04.05.2010 Widerspruch ein. Er meinte, er könne diese Beurteilung nicht nachvollziehen. Zu berücksichtigen seien das Rückfallrisiko, die Schmerzsymptomatik und auch das Schlafapnoe-Syndrom sowie der (mittlerweile) bis Ende Juli 2015 festgestellte GdB von 60 nach dem Schwerbehindertenrecht. Das psychische Leiden sei nicht richtig bewertet, Dr. X habe ihn überwiegend nur neurologisch untersucht. Seit den Vorgutachten sei keine Besserung eingetreten. Die seinerzeit vorgeschlagenen Therapiemaßnahmen hätten nicht angeschlagen.

Die Beklagte zog Befundberichte des Internisten Dr. X1 (28.07.2010), der psychologischen Psychotherapeutin N (07.08.2010) sowie des Neurologen und Psychiaters I (09.08.2010) bei und ließ diese durch ihre ärztlichen Beraterin Dr. H1 gutachtlich auswerten, die eine Änderung der Leistungsbeurteilung nicht erkennen konnte (24.08.2010).

Anschließend wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26.10.2010 mit der Begründung zurück, der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche leistungsfähig.

Hiergegen hat der Kläger am 19.11.2010 beim Sozialgericht Dortmund (SG) Klage erhoben, sein Begehren unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren weiter verfolgt und gemeint, für eine Arbeit nicht belastbar zu sein.

Der Kläger hat beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.07.2010 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte, die die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet hat, hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte, des Neurologen und Psychiaters Dr. I (14.02.2011), des Internisten Dr. X1 (15.02.2011), des Orthopäden Dr. T (18.02.2011) sowie der Psychotherapeutin N ("20.02.2010", gemeint 2011) beigezogen und sodann Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten des Orthopäden und Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L aus J (12.07.2011) sowie des Neuropsychologen Dr. S1 vom I-Klinikum X (14.06.2011). Bei den Begutachtungen hat der Kläger einen Befundbericht von Dr. Q vom 06.06.2011 vorgelegt, in dem eine Neuropathie, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie der Verdacht auf eine chronisch-entzündliche Polyneuropathie genannt wurden. Die Sachverständigen haben bei dem Kläger neben dem allgemeinmedizinisch medikamentös eingestellten Bluthochdruck und dem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom eine anhaltende leichte somatoforme Schmerzstörung, ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung, leichte medikamentös bedingte Adipositas, endgradige Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule bei nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Segment C5/6 sowie ein Wirbelgleiten vom Typ Meyerding I im Segment L5/S1 festgestellt. Die Intensität der geklagten Beschwerden sei orthopädisch nicht nachvollziehbar (Dr. L). Bei der Beantwortung der Fragebögen hätten sich Verfälschungstendenzen ergeben, die jedoch von untergeordneter Bedeutung seien, da sich der Kläger sonst äußerst kooperativ verhalten habe (Dr. S1). In der Verhaltensbeobachtung habe der Kläger stundenlang in einem Sessel sitzen können und sei in der Lage gewesen, ein konzentrativ und emotional forderndes Gespräch zu führen sowie komplexere Fragebögen zu beantworten. Der Kläger könne seine psychischen Störungen durch zumutbare Willensanstrengungen aus eigener Kraft überwinden. Eine medikamentöse Umstellung habe zu einer Schmerzreduktion geführt, die durch eine erfolgreiche Psychotherapie stabilisiert worden sei. Eine evtl. auf Nebenwirkungen der Medikation zurückzuführende leicht erhöhte Ermüdbarkeit könne evtl. durch eine Änderung der Medikation vermindert werden. Unter Einhaltung bestimmter qualitativer Leistungseinschränkungen könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich noch mindestens sechs Stunden unter betriebsüblichen Bedingungen arbeiten. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens sei weder orthopädisch noch schmerzpsychologisch zu begründen.

Auf mehrfache Kritik des Klägers insbesondere zur Berücksichtigung des Ergebnisses der bisherigen Behandlung und der Nebenwirkungen der Medikamentenvergabe (Missempfindungen, Schwitzen, beeinträchtigtes Tastempfinden, Müdigkeit sowie herabgesetztes Reaktionsvermögen) bzw. der Zumutbarkeit der Medikamenteneinnahme und seiner Leistungsfähigkeit ohne diese haben Dr. L am 05.12.2011 und Dr. S1 am 28.12.2011, 23.04.2012 sowie 02.10.2012 ergänzend und unter Verbleib bei ihrer Leistungsbeurteilung Stellung genommen. Dr. L hat erneut darauf hingewiesen, dass ein Teil der beklagten Beschwerden orthopädisch nachvollziehbar, die Gesamtintensität mit wechselnden Beschwerdeangaben, auch der Konzentrationsschwäche und Müdigkeit aus orthopädischer Sicht jedoch nicht zu erklären sei. Dr. S1 hat darauf hingewiesen, dass nennenswerte psychoreaktiv oder schmerzbedingte kognitive Beeinträchtigungen nicht vorlägen. Die Wirkung der Medikation und die Wechselwirkung der Erkrankungen wie auch der Beeinflussung der gesamten Leistungseinschränkung habe er berücksichtigt. Seine Beurteilung stimme mit der des Dr. L überein.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.08.2013 abgewiesen. Der Kläger sei seit 01.08.2010 nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI, weil er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfülle. Er könne noch mindestens sechs Stunden täglich mit Einschränkungen arbeiten. Der Kläger leide zwar unter einer somatoformen Schmerzstörung, einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, einer leichten medikamentös bedingten Adipositas, einer endgradigen Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule mit nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Segment C5/6 sowie einem Wirbelgleiten, einem medikamentös eingestellten Bluthochdruck und einem Schlafapnoe-Syndrom. Hingegen habe eine chronisch-entzündliche Nervenerkrankung nicht nachgewiesen werden können. Hierdurch sei er in seiner Leistungsfähigkeit auch eingeschränkt. So könne er keine schweren und mittelschweren Arbeiten verrichten. Auch seien längere gebückte Haltungen, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Gerüsten und Leitern sowie Tätigkeiten mit Einwirkungen von Kälte, Hitze, Zugluft, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm und Schmutz zu vermeiden. Ebenso könnten Tätigkeiten in Wechsel- und Nachtschicht und unter besonderem Zeit-druck (z.B. Akkord- oder Fließbandarbeit) nicht mehr verrichtet werden. Der Kläger sei jedoch noch in der Lage, sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen zumindest körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung unter Einhaltung der genannten Einschränkungen zu verrichten, wobei es ihm auch möglich sei, am PC zu arbeiten, sofern ein Positionswechsel im Rahmen der persönlichen Verteilzeit ermöglicht werde, was üblicherweise bei Bürotätigkeiten der Fall sei.

Die medizinische Beurteilung ergebe sich aus den im Gerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten der Dres. L und S1. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die Leistungsbeurteilung dieser Sachverständigen dem tatsächlichen Leistungsvermögen des Klägers entspreche. Die Diagnosen der Sachverständigen beruhten auf eingehenden ambulanten Untersuchungen und berücksichtigten nicht nur die dort erhobenen Befunde, sondern auch den Inhalt der zur Verfügung gestellten Akten einschließlich der darin enthaltenen umfangreichen medizinischen Berichte über die Behandlungen des Klägers. Beide Gutachter hätten sich mit den vom Kläger angegebenen Leiden intensiv und differenziert auseinander gesetzt und seien zu medizinisch fundierten Ergebnissen gekommen. Diese stimmten außerdem im Wesentlichen mit den im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten der Dres. von B1 und X überein.

Die Einwände des Klägers seien nicht geeignet, das Beweisergebnis in Frage zu stellen. Das Gericht schließe sich hierbei den umfangreichen, schlüssigen und überzeugenden ergänzenden Stellungnahmen des Dr. S1 an. Insbesondere könne das Gericht nicht feststellen, dass die Sachverständigen es verabsäumt hätten, die Wechselwirkungen der Erkrankungen zu berücksichtigen. Der Kläger habe auch, außer dem pauschalen Vorwurf, nicht konkret vorgetragen, inwieweit sich die festgestellten Erkrankungen gegenseitig und von den Sachverständigen unberücksichtigt beeinflussten.

Ebenso wenig habe die Kammer Zweifel daran, dass der Sachverständige Dr. S1 beim Kläger die einschlägigen Tests durchgeführt und diese auch zutreffend ausgewertet habe. Davon abgesehen, dass dieser Sachverständige in großem Umfang für viele Gerichte tätig sei und sich insbesondere bei der Beurteilung von Schmerzerkrankungen einen ausgezeichneten Ruf erworben habe, sei er als promovierter, in Lehre, Klinik und Forschung tätiger psychologischer Psychotherapeut und klinischer Neuropsychologe zur Beurteilung ausgezeichnet qualifiziert.

Schließlich könne der Kläger auch nicht mit dem Argument durchdringen, sein Zustand müsse ohne Medikation beurteilt werden, da die Medikamenteneinnahme nicht zumutbar sei. Hier sei zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger die Medikamente tatsächlich einnehme. Es erschließe sich nicht, warum er diese weglassen sollte, nur um seine Leistungsfähigkeit zu vermindern. Die Nebenwirkungen dieser Medikamente seien von beiden Sachverständigen berücksichtigt worden, schließlich sei die Begutachtung unter der üblichen Medikation erfolgt. Unter Einnahme der Medikamente seien aber beide Sachverständige übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger könne noch sechs Stunden arbeiten.

Letztlich habe die Kammer auch deshalb keine Zweifel am Ergebnis beider Gutachten, weil sich aus den Untersuchungen deutliche Tendenzen der Aggravation ergeben hätten.

Wenn es um die Beurteilung von Gesundheitsstörungen gehe, die im Wesentlichen auf subjektiven, nicht objektivierbaren Beschwerden beruhten, komme für den Nachweis der Gesundheitsstörungen wie auch deren Ausmaßes den Beobachtungen der Sachverständigen und dem Ergebnis der Tests besondere Bedeutung zu. Da subjektive Beschwerden nicht messbar seien, sei besonders die Glaubhaftigkeit der Angaben des Versicherten zu überprüfen. Bestünden hier Zweifel, könnten die subjektiven Angaben nicht als nachgewiesen zugrunde gelegt werden. So liege der Fall hier. Selbst wenn der Kläger von dem dargestellten Ausmaß seiner Beschwerden überzeugt sei, lägen erkennbare Verfälschungstendenzen vor, so dass nicht ungeprüft die Angaben des Klägers in die Beurteilung einfließen könnten. Diese Grundsätze hätten beide Sachverständige zutreffend berücksichtigt, ihre Schlussfolgerungen seien schlüssig und überzeugend.

Gegen das ihm am 20.09.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.10.2013 Berufung eingelegt und sein Begehren, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.07.2010 hinaus zu gewähren, weiter verfolgt. Eine Besserung seines Gesundheitszustandes seit Erstbewilligung der Erwerbsminderungsrente sei nicht eingetreten. Es fehle an einer ausreichenden Gesamtwürdigung seiner Leiden. Insbesondere habe das Sozialgericht versäumt, zu der bei ihm vorliegenden Nervenerkrankung zu ermitteln und auch die erhebliche Schmerzmedikation sowie deren Nebenwirkungen zu würdigen. Zutreffend werde die bei ihm vorliegende Leistungsminderung durch das gem. § 109 SGG auf seinen Antrag im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. G beurteilt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2013 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 zu verurteilen, ihm wegen Rente wegen voller Minderung der Erwerbsfähigkeit über den 31.07.2010 hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,

hilfsweise die Sachverständigen Dr. L1, Dr. C und Dr. G zur mündlichen Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten zu laden,

weiter hilfsweise ein pharmakologisches Sachverständigengutachten von Amts wegen bzw. gemäß § 109 SGG einzuholen,

weiterhin ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten von Amts wegen bzw. gemäß § 109 SGG einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und sieht sich durch die im Berufungsverfahren von Dr. L1 und Dr. C eingeholten Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen in ihrer Auffassung bestätigt.

Der Senat hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters I vom 30.01.2014, des Internisten Dr. X1 vom 31.01.2014 und des Orthopäden Dr. T vom 31.01.2014 sowie anschließend ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. L1 vom 19.05.2014 und ein orthopädisches Gutachten von Dr. C vom 31.08.2014 eingeholt.

Die Sachverständigen sind nach eigener Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, dass bei diesem ein normaler neurologischer Befund bestehe. Für die auswärtig vermutete CIDP (chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie) ergebe sich nicht der geringste Hinweis. Auch eine Neuroborreliose sei ausgeschlossen. Bei den vom Kläger beklagten Beschwerden in der Lendenwirbelsäule, im Nacken, in der gesamten Muskulatur und in den Gelenken handele es sich um Beschwerden bei leicht altersüberschreitenden degenerativen Veränderungen. Die erhöhte Schmerzwahrnehmungsschwelle und das gesteigerte Schmerzempfinden mit nicht rein organmorphologisch erklärbaren Schmerzen resultiere aus einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Der Kläger könne mit den bestehenden Leiden noch leichte (Dr. C) bzw. leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (Dr. L1) in wechselnden Körperhaltungen bei gewissen qualitativen Einschränkungen arbeitstäglich vollschichtig verrichten. Eine organische Grundlage der psychischen Beschwerden liege nicht vor. Der somatoformen Störung sei kein Krankheitswert im medizinischen Sinn zuzusprechen. Anteilig sei sie sicher durch zumutbare Willensanstrengung zu überwinden. Aus der Schmerzanalyse und der Exploration ergäben sich keine Hinweise dafür, dass eine quantitative Beschränkung des Leistungsbildes erforderlich sei. Soweit der Kläger im Dosierungsbereich der eingenommenen Medikamente Nebenwirkungen in Form von Benommenheit und Taumeligkeit bei raschen Kopfbewegungen beklage, seien diese nachvollziehbar. Relevante Koordinationsstörungen oder Feinmotorikstörungen hätten jedoch im Untersuchungsbefund nicht verzeichnet werden können. Bei subjektiver Angabe von Verschwommensehen und passageren Doppelbildern habe sich keine morphologisch objektivierbare Blickmotorikstörung und keine diesbezüglich relevante Behinderung im Alltag unter normalen Anforderungen ergeben. Neben einer Gewichtsreduktion könnten auch eine Nikotinkarenz sowie ein Kraftausdauertraining der Rumpfmuskulatur und physikalische sowie weitere Reizverfahren wie Elektrostimulation, transkutane Elektronervenstimulation, Akupunktur sowie Verfahren der Entspannung oder konzentrativen Bewegungstherapie die schmerztherapeutischen Optionen erweitern. In der klinischen Untersuchung seien zB durch wiederholte Prüfungen im Verlauf der Untersuchung leichte (Dr. C) bzw. deutliche (Dr. L1) Aggravationstendenzen festzustellen gewesen.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG ist anschließend Dr. G mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das sozialmedizinische Leistungsvermögen des Klägers nicht über eine dreistündige tägliche Arbeitszeit gesteigert werden könne (Gutachten vom 23.10.2015). Die Beschwerden seien ausnahmslos subjektiv und für den Betroffenen real.

Hierzu haben Dr. C am 11.04.2016 und Dr. L1 am 14.07.2016 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Das Gutachten von Dr. G sei in Aufbau und Inhalt hochgradig unschlüssig. Letztlich biete es eine reine Übernahme subjektiver Wahrnehmungen gepaart mit einer theoretisch-hypothetischen Unterfütterung. Aus gutachterlicher Sicht entbinde die eigentlich selbstverständliche Tatsache, dass sämtliche Beschwerden für Betroffene real erschienen, den Gutachter nicht davon, das Leistungsvermögen anhand objektivierbarer Kriterien zu prüfen. Soweit man die von Dr. G erhobenen objektiven Befunde aus dem Gutachten destilliere, ergebe sich keine relevanten Abweichung gegenüber der eigenen Befunderhebung.

Die ergänzenden Stellungnahmen sind dem Kläger mit Verfügung vom 21.07.2016 mit der Bitte um Mitteilung, ob die Berufung zurückgenommen werde, übersandt worden. Dieser hat erwidert, die Berufung derzeit nicht zurückzunehmen. Er habe die Stellungnahmen an Dr. G übersandt und bitte, dessen Stellungnahme abzuwarten. Den Beteiligten ist die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.09.2016 ausweislich der Empfangsbekenntnisse am 30.08.2016 zugegangen.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 29.09.2016, eingegangen bei Gericht am selben Tag um 19.50 Uhr, unter Angabe verschiedener Fragen beantragt, die Sachverständigen Dr. L1, Dr. C und Dr. G zur mündlichen Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten vom 19.05.2015, 31.08.2015 und 23.10.2015 zu laden. Zu Fragen zur Medikation des Klägers hat sie Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens pharmakologischer Fachrichtung gem. §§ 103, 106 SGG, hilfsweise gem. § 109 SGG von Prof. Dr. H2 und zu der von Dr. L1 erwähnten Aggravation und deren Abgrenzung von der somatoformen Schmerzstörung Antrag auf Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens gem. §§ 103, 106, hilfsweise § 109 SGG gestellt. Dem Antrag beigefügt war eine Erklärung des Klägers vom 26.09.2016.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 08.08.2013 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gem. § 43 Abs. 2 SGB VI über den 31.07.2010 hinaus, da die medizinischen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nicht nachgewiesen sind. Dies hat das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend und unter Würdigung der im Verwaltungsverfahren von den Dres. von B1 und X sowie den im Gerichtsverfahren von den Dres. L und S1 eingeholten Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen begründet, die nach Untersuchung des Klägers übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass dieser im streitigen Zeitraum ab dem 01.08.2010 unter bestimmten qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten könne. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Ausführungen im Urteil des SG, die er sich nach Überprüfung zu eigen macht, Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Diese Auffassung der Sachverständigen und des SG ist durch die Beweiserhebung im Berufungsverfahren zur Überzeugung des Senats durch die von Dr. L1 und Dr. C eingeholten Gutachten weiter bestätigt und verfestigt worden. Die Sachverständigen haben nach eigener Untersuchung des Klägers wie die Sachverständigen zuvor auf ihren Fachgebieten insbesondere eine somatoforme Schmerzstörung mit erhöhter Schmerzwahrnehmungsschwelle und gesteigertem Schmerzempfinden bei nicht rein organmorphologisch erklärbaren Schmerzen sowie Wirbelsäulenbeschwerden ohne wurzel- oder nervenbezogene Ausfallserscheinungen diagnostiziert. Unter Berücksichtigung der bestehenden Erkrankungen könne der Kläger leichte (Dr. C) bzw. leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (Dr. L1) in wechselnden Körperhaltungen bei gewissen qualitativen Einschränkungen arbeitstäglich vollschichtig verrichten.

Soweit allein der auf Antrag des Klägers gehörte Sachverständige Dr. G zu einem anderen, für ihn günstigen Ergebnis gelangt ist und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf eine lediglich dreistündige tägliche Arbeitszeit angenommen hat, vermag der Senat dessen Bewertung in keinster Weise zu folgen. Wie durchgängig auch in anderen Verfahren weist das Gutachten dieses Arztes in Aufbau, Gliederung und inhaltlicher Gedankenführung schwere Mängel auf, da Akteninhalte, subjektive Probandenangaben, Diagnosen, theoretische Referate über Erkrankungen und Schmerzsyndrome, Literaturstellen und durch Dr. G selbst aufgeworfene Fragestellungen in nicht nachvollziehbarem Duktus vermengt werden. Da die erhobenen Befunde - ausweislich des von Dr. L1 durchgeführten Vergleichs - nicht relevant von den vorigen Gutachten abweichen, ist die gegenüber diesen divergierende Schlussfolgerung nicht plausibel. Im Kern stützt Dr. G sein für den Kläger positives Ergebnis letztlich auch lediglich darauf, dass die Beschwerden des Klägers, die ausnahmslos subjektiv seien, der Beurteilung zugrunde gelegt werden müssten, weil diese für ihn als Betroffenen real seien. Hiermit aber verkennt er in gravierendem Maß die medizinisch-rechtlichen Voraussetzungen eines sozialgerichtlichen Verfahrens. Entsprechend ist das Gutachten des Dr. G - wie regelmäßig - in keiner Weise als Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung brauchbar.

Soweit der Kläger im Verfahren, insbesondere in seiner schriftlichen Erklärung vom 30.09.2016 und auch mündlich im Verhandlungstermin, eingehend erläutert hat, eine volle Erwerbstätigkeit nicht schaffen zu können, vermochte auch die Würdigung dieses Vortrags nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Die rentenerhebliche Leistungsminderung muss nach erfolgter sozialmedizinischer Beurteilung bewiesen sein, d.h. zur vollen Überzeugung des Gerichts bestehen. Eine derartige Überzeugung konnte aus den o.g. Gründen nach den umfangreichen Ermittlungen nicht gewonnen werden. Der fehlende Beweis einer rentenrelevanten Leistungsminderung geht nach den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten des Klägers, der einen Anspruch gegenüber der Beklagten geltend macht. Allein die subjektive Einschätzung des Versicherten vermag eine relevante Leistungsminderung im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass die Beschwerdeschilderung bei sachverständiger Plausibilitätsprüfung mit den objektiv erhobenen bzw. erhebbaren Befunden in Übereinstimmung gebracht wird und hier ihre ausreichende Stütze finden kann. Vorliegend entspricht die subjektive Einschätzung des Klägers zu seiner Leistungsfähigkeit nicht dem durch die umfangreiche Beweiserhebung gewonnenen Ergebnis. Zulasten des beweispflichtigen Klägers wirkt sich zusätzlich erschwerend aus, dass die Sachverständigen Dr. L, Dr. S1, Dr. C und Dr. L1 jeweils auf eine von ihnen festgestellte aggravierende Darstellung der Beschwerden durch den Kläger in den Untersuchungssituationen hingewiesen haben.

Die vom Kläger vertretene und auch zuletzt noch einmal herausgestellte Auffassung, seine Erwerbsminderung ergebe sich bereits aus den Nebenwirkungen der eingenommenen Medikamente, findet im Beweisergebnis keine Stütze. So haben die im Verfahren gehörten Sachverständigen die Nebenwirkungen ausdrücklich berücksichtigt und den Kläger aus ärztlicher Sicht gleichwohl zu einer vollen Erwerbstätigkeit in der Lage gesehen.

Den vom Kläger erstmalig bei Gericht am 29.09.2016 um 19.50 Uhr bei Gericht eingegangenen und im Termin am 30.09.2016 wiederholten Antrag, die Sachverständigen Dr. L1, Dr. C und Dr. G zur mündlichen Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten zum Termin zu laden, lehnt der Senat bereits deshalb ab, weil er nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist (vgl. hierzu BSG Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 100/12 B - juris Rn.14; Urt. v. 07.02.2013 - B 13 R 71/12 B - juris Rn. 17). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Sachverständigen ihre jeweiligen Auffassungen zu seiner Überzeugung ausreichend schriftlich dargelegt haben, so dass die Notwendigkeit einer mündlichen Anhörung auch in der Sache nicht ersichtlich ist.

Soweit der Kläger weiter die Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen bzw. pharmakologischen Gutachtens gem. § 106 SGG beantragt, ist dies als Anregung zur weiteren Ermittlung von Amts wegen zu verstehen. Der Senat sieht den Sachverhalt in beweisrechtlicher Hinsicht durch die vielfältigen gutachterlichen Untersuchungen und Beurteilungen als ausreichend ermittelt an. So ist der Kläger im Verfahren mit Dr. X und Dr. L1 von zwei Fachärzten für Psychiatrie sowie mit Dr. S1 von einem klinischen Neuropsychologen auf psychiatrisch-psychologischem Gebiet bereits umfänglich untersucht worden. Auch Dr. G besitzt nach seinen Angaben im Gutachten eine Zusatzqualifikation im Bereich psychosomatischer Grundversorgung. Eine Notwendigkeit zur Einholung eines pharmakologischen Gutachtens kann der Senat schon im Hinblick darauf, dass alle von Amts wegen gehörten Sachverständigen die Medikation des Klägers aufgenommen und deren Nebenwirkungen gewürdigt haben, gleichfalls nicht erkennen.

Der im Weiteren hilfsweise gestellte Antrag, ein psychiatrisch-psychologisches bzw. pharmakologisches Gutachten gem. § 109 SGG einzuholen, wird vom Senat bereits deshalb abgelehnt, weil der Kläger von seinem Antragsrecht bereits mit der Benennung von Dr. G Gebrauch gemacht hat und dieses damit mangels besonderer Gründe für eine wiederholte Antragstellung "verbraucht" ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rn. 10b). Darüber hinaus fehlt es dem Antrag auch an der in § 109 Abs. 1 SGG erforderlichen Bezeichnung eines bestimmten Arztes. Die Benennung eines Pharmakologen - wie noch schriftlich erfolgt - ist nach dem ausdrücklichen gesetzlichen Wortlaut nicht ausreichend. Zudem ist der Antrag verspätet iSv § 109 Abs. 2 SGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
Aus
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