Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 254/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 563/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 116/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26.06.2015 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Der am 00.00.1941 geborene Kläger erlitt am 27.10.1975 auf dem Rückweg von Besorgungen als mittätiger Ehemann in der von seiner damaligen Ehefrau betriebenen Bahnhofsgaststätte einen Verkehrsunfall. Im Durchgangsarztbericht des Dr. Q vom 22.06.1979 diagnostizierte dieser eine Rippenfraktur bds. 3. Rippe, eine bimalleloäre Luxationsfraktur des rechten Sprunggelenks, eine Daumenendgliedfraktur rechts, Prellungen, Schürfungen und Platzwunden am Kinn und rechten Knie.
Nach Anzeige des Unfalls gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) im Dezember 1978 sowie deren Ermittlungen u.a. durch Gutachten des Chirurgen Dr. B (22.01.1979, Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - 20 v.H.), des Chirurgen Dr. Q (07.11.1979, MdE 20 v.H.) und des Orthopäden Prof. Dr. M (24.01.1980, MdE allenfalls 20 v.H.) erkannte diese den Unfall mit Bescheid vom 11.03.1980 als Wegeunfall mit den Folgen "Bewegungseinschränkung im rechten oberen und unteren Sprunggelenk, geringe Einschränkung der Zehenbeweglichkeit, noch liegendes Osteosynthesematerial, subjektive Beschwerden im Bruchbereich, minimale Bewegungseinschränkung im rechten Daumenendgelenk" an und bewilligte ab 01.12.1978 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. Die hiergegen gerichtete Klage (Sozialgericht - SG - Kassel, S-3/U-72/80), in deren Verlauf u.a. nervenfachärztliche Gutachten des Dr. I vom 16.07.1980 (keine Unfallfolgen) sowie des Prof. Dr. T vom 09.02.1983 (keine Unfallfolgen) eingeholt wurden, nahm der Kläger im Februar 1983 zurück.
Mit weiterem Bescheid vom 16.08.1982 lehnte es die Beklagte nach Einholung eines Gutachten des Chirurgen Dr. P vom 26.05.1982 ab, einen Sturz des Klägers vom 01.12.1981 als mittelbare Folge des Unfalls vom 27.10.1975 anzuerkennen
Auf Antrag des Klägers vom 24.02.1983 wurde die Rente nach Einholung eines internistischen Gutachtens des Dr. I vom 18.04.1983 mit Bescheid vom 27.04.1983 nach einer MdE um 20 v.H. auf Lebenszeit abgefunden.
Mit Bescheid vom 21.08.1992 und Widerspruchsbescheid vom 21.06.1993 lehnte die Beklagte eine vom Kläger geltend gemachte Entschädigung für einen weiteren Unfall vom 14.02.1991 ab. Es fehle an einem Beweis dafür, dass es sich bei diesem Unfall um eine mittelbare Folge des Unfalls des Unfalls von 1975 handele.
Ebenfalls lehnte die Beklagte einen Verschlimmerungsantrag aus Oktober 1997 nach Einholung eines Gutachtens des Chirurgen Dr. N vom 08.01.1998 (MdE weiter 20 v.H.) mit Bescheid vom 16.02.1998 ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.1998 zurückgewiesen, die Klage (SG Aachen, S 1 U 43/98) mit Gerichtsbescheid vom 02.02.1999 abgewiesen.
Auch ein Änderungsantrag des Klägers aus August 2003 wurde - auf der Grundlage eines Gutachtens des Chirurgen Dr. C vom 01.07.2004 (u.a. posttraumatische Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks mit beginnender posttraumatischer Arthrose des rechten unteren Sprunggelenks, MdE 25 v.H.) mit Bescheid vom 03.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 31.05.2005 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage (SG Aachen, S 14 U 68/05), in deren Verlauf orthopädische Gutachten des Dr. S vom 28.02.2006 (MdE 25 v.H.) und Dr. L vom 17.06.2006 (MdE 25 v.H.) eingeholt wurden, nahm der Kläger zurück.
Mit einem weiteren Antrag vom 08.09.2010 begehrte der Kläger die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung seit 1975 und Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. sowie die Gewährung einer Verletztenrente um 40 v.H. seit 07.09.2010 wegen einer Verschlechterung des Fußes und um 55 v.H. seit 07.09.2007 wegen "Rücken-Hüft-Gehbehinderungsschäden". Zur Begründung seines Antrags verwies er u.a. auf ein in einem zivilrechtlichen Verfahren wegen eines Autounfalls vom 17.10.2007 eingeholtes psychologisches Gutachten des Prof. Dr. F vom 12.08.2010 (Landgericht Stuttgart, 7 O 141/09).
Die Beklagte legte den Antrag zum einen als Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 11.03.1980 gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und zum anderen als Verschlimmerungsantrag gem. § 48 SGB X aus.
Den Antrag auf Anerkennung einer PTBS gem. § 44 SGB X lehnte sie mit Bescheid vom 14.12.2010 und - nach Einholung eines psychologischen Gutachtens des Prof. Dr. F vom 13.07.2011 (PTBS nach dem Unfall, jetzt Anpassungsstörung, MdE 30 v.H.) - mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 ab. Die hiergegen vom Kläger erhobene Kläger (SG Aachen, S 6 U 211/11) wurde nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. C vom 19.11.2012 und 15.04.2013 (keine PTBS) abgewiesen (Urteil vom 30.08.2013). Die Berufung (L 15 U 553/13) blieb nach u.a. Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Herrn L gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (PTBS, MdE 30 v.H.) sowie eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens der Dr. L vom 10.12.2014 (keine PTBS) ohne Erfolg (Urteil vom 17.06.2015).
Im Verfahren um die geltend gemachte Verschlimmerung wies der Kläger die Beklagte auf einen weiteren Unfall vom 16.01.2011 hin. Die Beklagte zog den Behandlungsbericht des städtischen Krankenhauses I, Unfallchirurgie, vom 16.01.2011 bei und holte - auf Wunsch des Klägers - ein Gutachten des Unfallchirurgen Prof. Dr. C vom 06.05.2011 ein. Dieser schätzte die aus den Folgen des Arbeitsunfalls vom 27.10.21975 resultierende MdE nach wie vor mit 20 v.H. ein.
Mit Bescheid vom 08.06.2011 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der abgefundenen Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, eine wesentliche Änderung sei in den Unfallfolgen nicht eingetreten. In einem im anschließenden Widerspruchsverfahren auf Wunsch des Klägers eingeholten orthopädischen Gutachtens vom 15.03.2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 17.06.2013 führte Dr. L eine erhebliche Sturzneigung des Klägers auf die posttraumatische Arthrose des rechten oberen und unteren Sprunggelenks zurück, die sich als Folge des Arbeitsunfalls entwickelt habe. Allein im Bereich des rechten Sprunggelenks resultiere hieraus eine MdE von 30 v.H. Auch bestehe ein Rotatorenmanschettendefekt (MdE 20 v.H.) sowie eine linkskonvexe Skoliose mit nachfolgender Hyperlordose der Lendenwirbelsäule und Spondylolisthesis, die eine MdE von 10 v.H. bedinge. Beide letzteren MdE-Werte seien ebenfalls auf den Unfall von 1975 zurückzuführen. Nachdem der beratende Chirurg der Beklagten M in einer Stellungnahme vom 30.07.2013 die aus den Unfallfolgen resultierende MdE insgesamt mit 30 v.H. bewertetet und dabei Schulter- und Rückenbeschwerden als schicksalhafte Erkrankungen angesehen hatte, nahm die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 20.08.2013 "den Bescheid vom 14.12.2010" (gemeint 08.06.2011) teilweise zurück, erkannte eine Abnahme der Beweglichkeit im rechten Fußgelenk und die Herausbildung einer deutlichen Arthrose rechts als Unfallfolgen an und bewilligte dem Kläger ab dem 01.08.2012 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H., die aufgrund der Abfindung nur in Höhe einer MdE um 10 v.H. zur Auszahlung komme. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2013 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurück.
Gegen den Bescheid vom 08.06.2011 in der Gestalt des Bescheides vom 20.08.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 hat der Kläger am 31.10.2013 Klage beim SG Aachen erhoben. Seiner Auffassung nach müsse ihm eine Rente nach einer MdE um mind. 60 v.H. abzüglich abgefundener Ansprüche in Höhe von 20 v.H. ab Antragstellung, spätestens ab 05.07.2011 gewährt werden. Das im SG-Verfahren eingeholte Gutachten des Dr. I könne nicht verwertet werden, da der Sachverständige ihn aufgefordert habe, zur Untersuchung seine Versichertenkarte mitzubringen, um so Sozialdaten auszulesen. Damit habe er sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte der Dr. L vom 03.01.2014 mit Fremdarztberichten sowie des Städtischen Krankenhauses I vom 14.01.2014 eingeholt. Sodann hat es eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Chirurgie Dr. I veranlasst. Nach Zurückweisung seines gegen Dr. I gerichtetes Ablehnungsgesuchs durch das SG mit Beschluss vom 22.08.2014 (Az. S 6 SF 61/14 AB) hat der Kläger mitgeteilt, er lehne eine Begutachtung durch Dr. I weiterhin ab und gedenke daher nicht, bei diesem zur Begutachtung zu erscheinen. Er habe inzwischen eine "Gutachterphobie" und nach Gutachtenterminen monatelang psychisch gelitten.
Dr. I ist im Rahmen seines (auf Veranlassung des SG) nach Aktenlage erstellten Gutachtens vom 11.12.2014 zu dem Ergebnis gelangt, die aus den Unfallfolgen resultierende MdE sei hinsichtlich der Sprunggelenkserkrankung und in ihrer Gesamtheit mit 30 v.H. richtig eingeschätzt. Hingegen ließen sich weder die Schulter- noch die Rückenerkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 27.10.1975 zurückführen.
Das SG hat dem schriftlichen Vorbringen des Klägers den sinngemäßen Antrag entnommen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.06.2011 in der Fassung des weiteren Bescheides vom 20.08.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 zu verurteilen, den Bescheid vom 11.03.1980 abzuändern und ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27.10.1975 ab 05.07.2011 Verletztenrente nach einer MdE von 60 v.H. der Vollrente zu gewähren
sowie das Gutachten von Dr. I vom 01.12.2014 aus der Gerichtsakte zu entfernen.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26.06.2015 abgewiesen. In den Verhältnissen des von der Beklagten erlassenen Verwaltungsakts vom 11.03.1980 sei keine wesentliche Änderung iSv § 48 SGB X eingetreten, da die Folgen des Unfalls vom 27.10.1975 keine MdE von mehr als 30 v.H. bedingten.
Unter Zugrundelegung der Maßgaben der gesetzlichen Unfallversicherung sei die posttraumatische Arthrose im rechten oberen und unteren Sprunggelenk mit deutlicher Einschränkung der Beweglichkeit, nicht jedoch die Ruptur der Rotatorenmanschette rechts mit Bursitis und Synovitis sowie die linkskonvexe Skoliose der Lendenwirbelsäule mit Hyperlordose und Spondylolisthesis im Segment L5/S1 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.
Die Kammer stütze ihre Auffassung auf die Ausführungen des von Amts wegen gehörten Sachverständigen Dr. I. Der Sachverständige sei als Facharzt für Chirurgie aufgrund eingehender Würdigung des umfangreichen Aktenmaterials zu der von ihm vorgenommenen Kausalitätsbewertung hinsichtlich der Unfallfolgen gelangt. Anhaltspunkte für unvollständige Befunderhebungen oder unzutreffende Bewertungen der MdE seien nicht ersichtlich, die Ausführungen des Sachverständigen in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend begründet. Die Kammer habe keine Bedenken, sich dessen Einschätzungen anzuschließen. Die vom Kläger gegen die Neutralität des Sachverständigen erhobenen Einwendungen seien im Beschluss der Kammer vom 22.08.2014 (S 6 SF 61/14 AB) als unbegründet zurückgewiesen worden.
Soweit die im Widerspruchsverfahren gehörte Sachverständige Dr. L im Rahmen ihres Gutachtens vom 15.03.2013 ausgeführt habe, der Rotatorenmanschettenschaden sei ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 27.10.1975 zurückzuführen, vermöge sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Insbesondere sei die Ruptur der Rotatorenmanschette nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Benutzung eines infolge der anerkannten Unfallfolgen vom Kläger seit 2005 genutzten rechtsseitigen Gehstocks zurückzuführen. Einer solchen Annahme stehe mit Dr. I entgegen, dass mit dem vom Kläger verwendeten Gehstock mit anatomischem Haltegriff nur eine Teilentlastung des rechten Beines erzielt werden könne und damit nicht das gesamte Körpergewicht über die Gehstütze auf die Schulter übertragen werde. Eine solche Teilentlastung der unteren Extremität sei nicht geeignet, den bei dem Kläger vorliegenden Rotatorenmanschettenschaden herbeizuführen. Für einen unfallunabhängigen Verschleiß der rechten Rotatorenmanschette spreche aus Sicht der Kammer zudem, dass der Kläger offensichtlich am 12.08.2010 eine Rotatorenmanschettenruptur auch der linken Schulter erlitten habe.
Auch soweit Dr. L im Rahmen ihres Gutachtens ausgeführt habe, die beim Kläger vorliegende linkskonvexe Skoliose sei ursächlich auf das Unfallereignis vom 27.10.1975 zurückzuführen, folge die Kammer dem mit Dr. I nicht. So habe letzterer überzeugend dargelegt, dass bei einer durch Fehlbelastung induzierten sekundären linkskonvexen Skoliose der Lendenwirbelsäule eine kontrakte Skoliose mit Spondylarthrose rechts zu erwarten gewesen wäre, die jedoch bei dem Kläger nicht zu sichern gewesen sei. Vielmehr habe sich auch im Rahmen der Begutachtung durch Dr. L die Seitwärtsneigung im Bereich von Brust- und Lendenwirbelsäule seitengleich und nicht kontrakt gezeigt. Überdies zeigten die durchgeführten Röntgenaufnahmen und Magnetresonanztomographien der Lendenwirbelsäule des Klägers eine beidseitige und nicht eine isoliert rechtsseitige Spondylarthrose.
Die damit allein ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 27.10.1975 zurückzuführende posttraumatische Arthrose im rechten oberen und unteren Sprunggelenk mit deutlicher Einschränkung der Beweglichkeit bedinge keine MdE von mehr als 30 v.H. Die Kammer stütze sich auf die insoweit übereinstimmenden Ausführungen von Dr. I und Dr. L, welche im Übrigen dem Stand der Wissenschaft entsprächen.
Der Kläger habe schließlich keinen Anspruch auf Entfernung des Gutachtens von Dr. I aus den Gerichtsakten. Unabhängig von der prozessrechtlichen Grundlage für einen solchen Anspruch liege eine Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vor. Denn der Sachverständige Dr. I habe - da es zu einer Untersuchung des Klägers nicht gekommen sei - dessen Versichertenkarte nicht verwendet. Überdies habe sich der Kläger im Rahmen seiner umfassenden schriftlichen Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht mit der Heranziehung und Einsichtnahme in über ihn geführte medizinische Unterlagen durch den Sachverständigen oder das Gericht ausdrücklich einverstanden erklärt. Schon angesichts dieses Einverständnisses sei eine Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch Dr. I oder das Gericht nicht ersichtlich.
Gegen das ihm am 19.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.09.2015 Berufung eingelegt und sein Begehren einer höheren Verletztenrente weiter verfolgt.
Er sei in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt, da die Kammer das persönliche Erscheinen angeordnet, die mündliche Verhandlung aber trotz seines Attestes und der vorigen Niederlegung des Mandats durch den Anwalt durchgeführt habe. Somit handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Im Übrigen sei Dr. I ein Durchgangsarzt und für die jeweiligen Berufsgenossenschaften tätig. Die Widersprüche zwischen dessen Gutachten und dem der Dr. L seien nicht aufgeklärt worden. Die Kammer habe übersehen, dass die Beschwerden der Schulter nicht - wie Dr. I meine - von einem Gehstock, sondern von der Nutzung zweier Unterarmgehstützen herrührten. Die Verschlechterung seines Fußes liege schon seit Antragstellung im September 2010 vor. Dass diese erst durch den radiologischen Befund vom 25.09.2012 nachgewiesen seien, liege allein an dem Umstand, dass die Beklagte eine CT-Untersuchung zunächst verweigert habe und diese nur auf seine Veranlassung durch die Krankenkasse vorgenommen worden sei.
Soweit im Berufungsverfahren Dr. H ein Gutachten erstattet habe, sei dies wegen einer Verletzung des Datenschutzes nicht verwertbar. Er habe in der Schweigepflichtsentbindungserklärung ein Einverständnis mit der Heranziehung und Einsichtnahme in die über ihn geführten medizinischen Unterlagen durch die (vom Gericht) beauftragten medizinischen Sachverständigen ausdrücklich gestrichen. Das Verfahren L 15 U 553/13 habe sich allein mit der Klage auf psychische Folgeschäden befasst und somit keinen Bezug hier zum Verfahren gehabt. Entsprechend hätte dieses Dr. H nicht mit übersendet werden dürfen. Im Übrigen werde das Gutachten des Dr. H wegen falscher Tatsachenbehauptung angezweifelt. U.a. nehme dieser den Unfall von 1991 zum Anlass, dass die Schulterbeschwerden durch diese Verletzung und Benutzung von Gehstützen entstanden seien. Er begehre aber die Anerkennung der Folgebeschwerden, weil er vor dem Unfall 1991 jahrelang an Gehstützen gelaufen sei. Wäre eine Untersuchung durchgeführt worden, hätte Vieles aufgeklärt werden können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26.06.2015 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 08.06.2011 und 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente ab dem 05.07.2011 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 60 v.H., abzüglich des abgefundenen Anteils i.H.v. 20 v.H., zu zahlen.
Die Beklagte, die das angefochtene Urteil für zutreffend erachtet, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat im Rahmen der Beweiserhebung auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG ein Gutachten des Orthopäden Dr. H vom 16.11.2016 eingeholt. In seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Unfallfolgen mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten seien. Eine höhere Bewertung komme nicht in Betracht, da erst eine vollständige Einsteifung, die aber beim Kläger nicht vorliege, mit einer MdE um 30 v.H. bewertet werden könne. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfall von 1975 und den Schäden an der rechten Schulter bzw. der Lendenwirbelsäule bestehe hingegen nicht. Dr. L berücksichtige nur unzureichend biomechanische Zusammenhänge. Diese seien vielmehr von Dr. I korrekt herausgearbeitet worden. Im Übrigen habe diese Ärztin nicht die weiteren Unfallereignisse, insbesondere den schweren Unfall vom 14.02.1991 beachtet, der in der Schwere der Unfallfolgen denjenigen von 1975 weit übertroffen habe. Hier sei es zur Verletzung beider Beine mit in nachfolgender Zeit häufiger Nutzung des Rollstuhls sowie Mobilisierung durch zwei Unterarmgehstützen gekommen. Zudem sei durch den Unfall 1991 eine posttraumatische Arthrose auch im li. Sprunggelenk sowie der re. Hüfte aufgetreten mit schließlich Implantation einer Hüftprothese. Ein Verschleiß des Hüftgelenks wirke sich weit mehr auf die Haltung und LWS aus, als eine Verletzung des Sprunggelenks. Diese Mehrbelastung sei zudem auf eine bereits beim Kläger bestehende Spondylolysthesis L5/S1 Mayerding Grad 1 getroffen. Diese konkurrierenden Ursachen habe Dr. L nicht beachtet.
Dem Kläger ist eine Frist zur Abgabe bzw. Benennung weiterer Erklärungen und Beweismittel gem. § 106a SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG zum 27.12.2016 gesetzt worden (Schreiben vom 28.11.2016 zugestellt am 30.11.2016).
Der Senat hat einen ergänzenden Befundbericht der Dr. L vom 25.01.2017 eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass sich am rechten Sprunggelenk des Klägers seit 2012 keine Verbesserung oder Verschlechterung ergeben habe. Die diesbezügliche MdE sei mit 30 v.H. zu bewerten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten des Verfahrens L 15 U 553/13 verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als insgesamt 30 v.H. zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 08.06.2011 in der Gestalt des Bescheides vom 20.08.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. abzüglich des nach einer MdE um 20 v.H. abgefundenen Anteils.
Gem. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst eine eventuelle Beeinträchtigung des aktuellen körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens und sodann zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.
Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (vgl. BSG Urt. v. 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R - juris Rn. 15 f. mwN.). Hiernach liegt bei dem Kläger eine MdE um mehr als 30 v.H. - wie von ihm über die bindende Feststellung der Beklagten hinaus begehrt - nicht vor.
Zur Überzeugung des Senats ist die MdE für das rechte Sprunggelenk des Klägers - höchstens - mit 30 v.H. zu bewerten. Dies folgt - wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat - aus den Befunden und insoweit vollständig übereinstimmenden Darlegungen aller Sachverständigen und steht im Einklang mit den Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine höhere Bewertung kommt auch nicht wie vom Kläger beansprucht bereits ab September 2010 in Betracht. Dahinstehen kann dabei, welches Ergebnis ein früher angefertigtes CT ergeben hätte. Dies gilt schon deshalb, weil maßgeblich für die Bewertung der MdE im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht hypothetische Befunde, sondern aus Beweisgründen allein konkret tatsächlich erhobene Befunde sind. Darüber hinaus liegen durch die noch im Mai 2011 von Prof. Dr. C1 durchgeführte Begutachtung sowohl bildgebende als auch Funktionsuntersuchungsbefunde vor, die das Begehren des Klägers gerade nicht stützen.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann eine Höherbewertung seiner MdE auch nicht auf bei ihm bestehende Schulter- und Rückenbeschwerden gestützt werden, da diese - den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. I folgend - nicht wahrscheinlich wesentlich durch den hier allein streitigen Unfall aus 1975 bedingt sind. Dass die gegenteilige Auffassung der Dr. L einer ausreichenden Grundlage entbehrt, hat bereits das SG ausführlich dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die Darstellung im angefochtenen Urteil des SG, die er sich nach Überprüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
Soweit der Kläger geltend macht, dass seine Schulterbeschwerden nicht, wie von Dr. I gemeint, von einem Gehstock, sondern von der im Anschluss an den Unfall 1975 notwendigen Nutzung zweier Unterarmgehstützen herrührten, findet eine schwere, die tatsächliche langjährige Nutzung derartiger Unterarmgehstützen rechtfertigende Gehbehinderung des Klägers in den aktenkundigen Unterlagen keinerlei Stütze. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt dies nicht an fehlenden Untersuchungen. Vielmehr sind im Laufe der Jahre nach dem Unfall 1975 zahlreiche Gutachten eingeholt worden, die zu keiner Zeit eine auf diesem beruhende, vom Kläger behauptete erhebliche Gehstörung objektiv befunden konnten. Eine derartige Gehstörung als Folge des Unfalls aus 1975 erscheint im Hinblick auf die insoweit nur geringfügige und über Jahrzehnte mit lediglich einer MdE um 20 v.H. bewerteten Beeinträchtigung des Sprunggelenks rechts auch nicht plausibel. Vielmehr ist im Gegenteil zu beachten, dass die Darstellung des Gehvermögens durch den Kläger von einer Vielzahl von Sachverständigen ausdrücklich als in erheblichem Maß demonstriert bzw. aggraviert bezeichnet worden ist (vgl. z.B. insbesondere die zeitnahen Gutachten des Dr. B 1979, des Dr. Q 1979, des Prof. Dr. M 1980 und des Dr. P 1982).
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das ihn überzeugende Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens durch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. H weiter bestätigt worden ist. Dieser hat sowohl die für das Sprunggelenk anzusetzende MdE nicht mit mehr als 30 v.H. zu bewerten vermocht als auch - übereinstimmend mit Dr. I - einen Ursachenzusammenhang zwischen den Schulter- bzw. Rückenbeschwerden des Klägers und dem Unfall von 1975 für nicht hinreichend wahrscheinlich erachtet.
Das Gutachten des Dr. H unterliegt auch keinem Verwertungsverbot. Die vom Kläger gegen die Neutralität des Sachverständigen erhobenen Einwendungen vermögen eine Ablehnung des Sachverständigen nicht zu begründen, wie der Senat mit Beschluss vom 14.11.2016 (L 4 SF 548/16 AB) ausgeführt hat.
Ebenso wenig ist das Gutachten aufgrund einer Verletzung des Datenschutzes erstellt worden. Anders als es der Kläger im Berufungsvortrag formuliert, hat er mit der von ihm gestrichenen Passage der Schweigepflichtsentbindungserklärung bereits nicht erkennbar "dem Senat untersagt, die Akte L 15 U 533/15 an den Sachverständigen Dr. H weiterzugeben". Soweit im dortigen Gesamtsatz "Ich stimme der Heranziehung und der Einsichtnahme in über mich geführte medizinische Unterlagen ( ) durch das Gericht und die von ihm beauftragten medizinischen Sachverständigen zu" die Worte "die von ihm beauftragten medizinischen Sachverständigen" gestrichen worden sind, lässt sich dies nach objektivem Empfängerhorizont nur so verstehen, dass der Kläger der Heranziehung und Einsichtnahme in über ihn geführte medizinische Unterlagen durch vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige widersprechen wollte, somit also einer eigenständigen Heranziehung von bis dahin nicht aktenkundigen Unterlagen durch den Sachverständigen selbst.
Aber auch dann, wenn man der Streichung den vom Kläger nunmehr angegebenen Sinn zuschreiben würde, wäre die Gutachtenerstellung durch Dr. H nicht datenschutzrechtlich fehlerhaft zustande gekommen. Hier ist zu berücksichtigen, dass es als Ausfluss des Amtsermittlungsprinzips Aufgabe des Gerichts ist, den gesamten Sachverhalt in seinen relevanten Zügen vollständig zu ermitteln. Beauftragt das Gericht einen Sachverständigen mit einer Gutachtenerstellung, hat es diesen gem. §§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 404a ZPO, der im Rahmen seines Anwendungsbereichs das Bundesdatenschutzgesetz verdrängt (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg Urt. v. 23.04.2015 - L 10 U 5100/10 - juris Rn. 48 mwN), anzuleiten und ihm auch die zugrundezulegenden Tatsachen vorzugeben. Welche Tatsachen und Akten dabei übersandt werden, ist vom Gericht zu bestimmen. Bei einem - wie hier vom Kläger gestellten und entsprechend zu überprüfenden - Verschlimmerungsantrag sind zu einer qualifizierten Gutachtenerstellung nach Auffassung des Senats auch nach Güterabwägung mit dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung alle in den streitigen Zeitraum fallenden medizinischen Unterlagen und Gutachten, somit ebenfalls die im Verfahren L 15 U 553/13 eingeholten medizinischen Befunde, zu berücksichtigen. Denn auch wenn der Schwerpunkt des dortigen Verfahrens auf der Beurteilung des psychiatrischen Beschwerdebildes lag, sind dort gleichwohl über dieses Fachgebiet hinausgehende allgemein-körperliche und neurologische Befunde erhoben bzw. benannt worden, die für die Bewertung einer etwaigen Verschlimmerung Relevanz entfalten können.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst dann, wenn man aus der Übersendung der als Beiakten des Verfahrens geführten Akten L 15 U 553/13 an den Sachverständigen Dr. H entgegen den obigen Ausführungen eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts herleiten würde, das Gutachten dieses Sachverständigen dennoch keinem Beweisverwertungsverbot unterläge. Ob ein unter Verletzung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen zustande gekommenes Gutachten verwertet werden kann, ist unter Abwägung sämtlicher Umstände zu beurteilen (vgl. zB BSG Urt. v. 05.02.2008 - B 2 U 10/07 R - juris Rn. 51 f). Vorliegend träte bei Würdigung des konkreten Sachverhalts ein - für die Übersendung der Akten L 15 U 553/13 unterstelltes - Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung hinter das Interesse an einer ordnungsgemäßen Beweiserhebung zurück. Zu beachten ist dabei, dass die selektive Übersendung von nur Teilen der Akte die Erstellung eines auf eine umfassende Tatsachenkenntnis gestützten Gutachtens des Sachverständigen hindert und damit - wenn die Übersendung einseitig vom Kläger eingeschränkt wird - entgegen dem Neutralitätsgebot des Gerichts zulasten der Beklagten ginge. Dies muss erst recht dann gelten, wenn der Sachverständige, dem die Gerichtsakten übersandt werden, nicht vom Gericht, sondern wie hier gerade vom Kläger selbst benannt worden ist. Gründe, warum dem vom Kläger gem. § 109 SGG selbst gewählten Arzt seines Vertrauens hier bestimmte Teile der Akten nicht hätten übersandt werden sollen, sind nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger im Übrigen geltend macht, dass das SG eine "Überraschungsentscheidung" getroffen habe, weil er zum dortigen Verhandlungstermin aus gesundheitlichen Gründen nicht habe kommen können und auch nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, ist dies für die vom Senat als weiterem Tatsachengericht getroffene Sachentscheidung ohne Relevanz. Eine etwaige Verletzung rechtlichen Gehörs wäre lediglich im Rahmen einer - hier nicht streitgegenständlichen - Beschwerde auf Zulassung einer nicht zulässigen bzw. nicht zugelassenen Berufung im Rahmen der Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG von Bedeutung gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Der am 00.00.1941 geborene Kläger erlitt am 27.10.1975 auf dem Rückweg von Besorgungen als mittätiger Ehemann in der von seiner damaligen Ehefrau betriebenen Bahnhofsgaststätte einen Verkehrsunfall. Im Durchgangsarztbericht des Dr. Q vom 22.06.1979 diagnostizierte dieser eine Rippenfraktur bds. 3. Rippe, eine bimalleloäre Luxationsfraktur des rechten Sprunggelenks, eine Daumenendgliedfraktur rechts, Prellungen, Schürfungen und Platzwunden am Kinn und rechten Knie.
Nach Anzeige des Unfalls gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) im Dezember 1978 sowie deren Ermittlungen u.a. durch Gutachten des Chirurgen Dr. B (22.01.1979, Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - 20 v.H.), des Chirurgen Dr. Q (07.11.1979, MdE 20 v.H.) und des Orthopäden Prof. Dr. M (24.01.1980, MdE allenfalls 20 v.H.) erkannte diese den Unfall mit Bescheid vom 11.03.1980 als Wegeunfall mit den Folgen "Bewegungseinschränkung im rechten oberen und unteren Sprunggelenk, geringe Einschränkung der Zehenbeweglichkeit, noch liegendes Osteosynthesematerial, subjektive Beschwerden im Bruchbereich, minimale Bewegungseinschränkung im rechten Daumenendgelenk" an und bewilligte ab 01.12.1978 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. Die hiergegen gerichtete Klage (Sozialgericht - SG - Kassel, S-3/U-72/80), in deren Verlauf u.a. nervenfachärztliche Gutachten des Dr. I vom 16.07.1980 (keine Unfallfolgen) sowie des Prof. Dr. T vom 09.02.1983 (keine Unfallfolgen) eingeholt wurden, nahm der Kläger im Februar 1983 zurück.
Mit weiterem Bescheid vom 16.08.1982 lehnte es die Beklagte nach Einholung eines Gutachten des Chirurgen Dr. P vom 26.05.1982 ab, einen Sturz des Klägers vom 01.12.1981 als mittelbare Folge des Unfalls vom 27.10.1975 anzuerkennen
Auf Antrag des Klägers vom 24.02.1983 wurde die Rente nach Einholung eines internistischen Gutachtens des Dr. I vom 18.04.1983 mit Bescheid vom 27.04.1983 nach einer MdE um 20 v.H. auf Lebenszeit abgefunden.
Mit Bescheid vom 21.08.1992 und Widerspruchsbescheid vom 21.06.1993 lehnte die Beklagte eine vom Kläger geltend gemachte Entschädigung für einen weiteren Unfall vom 14.02.1991 ab. Es fehle an einem Beweis dafür, dass es sich bei diesem Unfall um eine mittelbare Folge des Unfalls des Unfalls von 1975 handele.
Ebenfalls lehnte die Beklagte einen Verschlimmerungsantrag aus Oktober 1997 nach Einholung eines Gutachtens des Chirurgen Dr. N vom 08.01.1998 (MdE weiter 20 v.H.) mit Bescheid vom 16.02.1998 ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.1998 zurückgewiesen, die Klage (SG Aachen, S 1 U 43/98) mit Gerichtsbescheid vom 02.02.1999 abgewiesen.
Auch ein Änderungsantrag des Klägers aus August 2003 wurde - auf der Grundlage eines Gutachtens des Chirurgen Dr. C vom 01.07.2004 (u.a. posttraumatische Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks mit beginnender posttraumatischer Arthrose des rechten unteren Sprunggelenks, MdE 25 v.H.) mit Bescheid vom 03.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 31.05.2005 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage (SG Aachen, S 14 U 68/05), in deren Verlauf orthopädische Gutachten des Dr. S vom 28.02.2006 (MdE 25 v.H.) und Dr. L vom 17.06.2006 (MdE 25 v.H.) eingeholt wurden, nahm der Kläger zurück.
Mit einem weiteren Antrag vom 08.09.2010 begehrte der Kläger die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung seit 1975 und Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. sowie die Gewährung einer Verletztenrente um 40 v.H. seit 07.09.2010 wegen einer Verschlechterung des Fußes und um 55 v.H. seit 07.09.2007 wegen "Rücken-Hüft-Gehbehinderungsschäden". Zur Begründung seines Antrags verwies er u.a. auf ein in einem zivilrechtlichen Verfahren wegen eines Autounfalls vom 17.10.2007 eingeholtes psychologisches Gutachten des Prof. Dr. F vom 12.08.2010 (Landgericht Stuttgart, 7 O 141/09).
Die Beklagte legte den Antrag zum einen als Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 11.03.1980 gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und zum anderen als Verschlimmerungsantrag gem. § 48 SGB X aus.
Den Antrag auf Anerkennung einer PTBS gem. § 44 SGB X lehnte sie mit Bescheid vom 14.12.2010 und - nach Einholung eines psychologischen Gutachtens des Prof. Dr. F vom 13.07.2011 (PTBS nach dem Unfall, jetzt Anpassungsstörung, MdE 30 v.H.) - mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 ab. Die hiergegen vom Kläger erhobene Kläger (SG Aachen, S 6 U 211/11) wurde nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. C vom 19.11.2012 und 15.04.2013 (keine PTBS) abgewiesen (Urteil vom 30.08.2013). Die Berufung (L 15 U 553/13) blieb nach u.a. Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Herrn L gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (PTBS, MdE 30 v.H.) sowie eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens der Dr. L vom 10.12.2014 (keine PTBS) ohne Erfolg (Urteil vom 17.06.2015).
Im Verfahren um die geltend gemachte Verschlimmerung wies der Kläger die Beklagte auf einen weiteren Unfall vom 16.01.2011 hin. Die Beklagte zog den Behandlungsbericht des städtischen Krankenhauses I, Unfallchirurgie, vom 16.01.2011 bei und holte - auf Wunsch des Klägers - ein Gutachten des Unfallchirurgen Prof. Dr. C vom 06.05.2011 ein. Dieser schätzte die aus den Folgen des Arbeitsunfalls vom 27.10.21975 resultierende MdE nach wie vor mit 20 v.H. ein.
Mit Bescheid vom 08.06.2011 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der abgefundenen Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, eine wesentliche Änderung sei in den Unfallfolgen nicht eingetreten. In einem im anschließenden Widerspruchsverfahren auf Wunsch des Klägers eingeholten orthopädischen Gutachtens vom 15.03.2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 17.06.2013 führte Dr. L eine erhebliche Sturzneigung des Klägers auf die posttraumatische Arthrose des rechten oberen und unteren Sprunggelenks zurück, die sich als Folge des Arbeitsunfalls entwickelt habe. Allein im Bereich des rechten Sprunggelenks resultiere hieraus eine MdE von 30 v.H. Auch bestehe ein Rotatorenmanschettendefekt (MdE 20 v.H.) sowie eine linkskonvexe Skoliose mit nachfolgender Hyperlordose der Lendenwirbelsäule und Spondylolisthesis, die eine MdE von 10 v.H. bedinge. Beide letzteren MdE-Werte seien ebenfalls auf den Unfall von 1975 zurückzuführen. Nachdem der beratende Chirurg der Beklagten M in einer Stellungnahme vom 30.07.2013 die aus den Unfallfolgen resultierende MdE insgesamt mit 30 v.H. bewertetet und dabei Schulter- und Rückenbeschwerden als schicksalhafte Erkrankungen angesehen hatte, nahm die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 20.08.2013 "den Bescheid vom 14.12.2010" (gemeint 08.06.2011) teilweise zurück, erkannte eine Abnahme der Beweglichkeit im rechten Fußgelenk und die Herausbildung einer deutlichen Arthrose rechts als Unfallfolgen an und bewilligte dem Kläger ab dem 01.08.2012 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v.H., die aufgrund der Abfindung nur in Höhe einer MdE um 10 v.H. zur Auszahlung komme. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2013 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurück.
Gegen den Bescheid vom 08.06.2011 in der Gestalt des Bescheides vom 20.08.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 hat der Kläger am 31.10.2013 Klage beim SG Aachen erhoben. Seiner Auffassung nach müsse ihm eine Rente nach einer MdE um mind. 60 v.H. abzüglich abgefundener Ansprüche in Höhe von 20 v.H. ab Antragstellung, spätestens ab 05.07.2011 gewährt werden. Das im SG-Verfahren eingeholte Gutachten des Dr. I könne nicht verwertet werden, da der Sachverständige ihn aufgefordert habe, zur Untersuchung seine Versichertenkarte mitzubringen, um so Sozialdaten auszulesen. Damit habe er sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte der Dr. L vom 03.01.2014 mit Fremdarztberichten sowie des Städtischen Krankenhauses I vom 14.01.2014 eingeholt. Sodann hat es eine Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Chirurgie Dr. I veranlasst. Nach Zurückweisung seines gegen Dr. I gerichtetes Ablehnungsgesuchs durch das SG mit Beschluss vom 22.08.2014 (Az. S 6 SF 61/14 AB) hat der Kläger mitgeteilt, er lehne eine Begutachtung durch Dr. I weiterhin ab und gedenke daher nicht, bei diesem zur Begutachtung zu erscheinen. Er habe inzwischen eine "Gutachterphobie" und nach Gutachtenterminen monatelang psychisch gelitten.
Dr. I ist im Rahmen seines (auf Veranlassung des SG) nach Aktenlage erstellten Gutachtens vom 11.12.2014 zu dem Ergebnis gelangt, die aus den Unfallfolgen resultierende MdE sei hinsichtlich der Sprunggelenkserkrankung und in ihrer Gesamtheit mit 30 v.H. richtig eingeschätzt. Hingegen ließen sich weder die Schulter- noch die Rückenerkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 27.10.1975 zurückführen.
Das SG hat dem schriftlichen Vorbringen des Klägers den sinngemäßen Antrag entnommen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.06.2011 in der Fassung des weiteren Bescheides vom 20.08.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 zu verurteilen, den Bescheid vom 11.03.1980 abzuändern und ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27.10.1975 ab 05.07.2011 Verletztenrente nach einer MdE von 60 v.H. der Vollrente zu gewähren
sowie das Gutachten von Dr. I vom 01.12.2014 aus der Gerichtsakte zu entfernen.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26.06.2015 abgewiesen. In den Verhältnissen des von der Beklagten erlassenen Verwaltungsakts vom 11.03.1980 sei keine wesentliche Änderung iSv § 48 SGB X eingetreten, da die Folgen des Unfalls vom 27.10.1975 keine MdE von mehr als 30 v.H. bedingten.
Unter Zugrundelegung der Maßgaben der gesetzlichen Unfallversicherung sei die posttraumatische Arthrose im rechten oberen und unteren Sprunggelenk mit deutlicher Einschränkung der Beweglichkeit, nicht jedoch die Ruptur der Rotatorenmanschette rechts mit Bursitis und Synovitis sowie die linkskonvexe Skoliose der Lendenwirbelsäule mit Hyperlordose und Spondylolisthesis im Segment L5/S1 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.
Die Kammer stütze ihre Auffassung auf die Ausführungen des von Amts wegen gehörten Sachverständigen Dr. I. Der Sachverständige sei als Facharzt für Chirurgie aufgrund eingehender Würdigung des umfangreichen Aktenmaterials zu der von ihm vorgenommenen Kausalitätsbewertung hinsichtlich der Unfallfolgen gelangt. Anhaltspunkte für unvollständige Befunderhebungen oder unzutreffende Bewertungen der MdE seien nicht ersichtlich, die Ausführungen des Sachverständigen in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend begründet. Die Kammer habe keine Bedenken, sich dessen Einschätzungen anzuschließen. Die vom Kläger gegen die Neutralität des Sachverständigen erhobenen Einwendungen seien im Beschluss der Kammer vom 22.08.2014 (S 6 SF 61/14 AB) als unbegründet zurückgewiesen worden.
Soweit die im Widerspruchsverfahren gehörte Sachverständige Dr. L im Rahmen ihres Gutachtens vom 15.03.2013 ausgeführt habe, der Rotatorenmanschettenschaden sei ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 27.10.1975 zurückzuführen, vermöge sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Insbesondere sei die Ruptur der Rotatorenmanschette nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Benutzung eines infolge der anerkannten Unfallfolgen vom Kläger seit 2005 genutzten rechtsseitigen Gehstocks zurückzuführen. Einer solchen Annahme stehe mit Dr. I entgegen, dass mit dem vom Kläger verwendeten Gehstock mit anatomischem Haltegriff nur eine Teilentlastung des rechten Beines erzielt werden könne und damit nicht das gesamte Körpergewicht über die Gehstütze auf die Schulter übertragen werde. Eine solche Teilentlastung der unteren Extremität sei nicht geeignet, den bei dem Kläger vorliegenden Rotatorenmanschettenschaden herbeizuführen. Für einen unfallunabhängigen Verschleiß der rechten Rotatorenmanschette spreche aus Sicht der Kammer zudem, dass der Kläger offensichtlich am 12.08.2010 eine Rotatorenmanschettenruptur auch der linken Schulter erlitten habe.
Auch soweit Dr. L im Rahmen ihres Gutachtens ausgeführt habe, die beim Kläger vorliegende linkskonvexe Skoliose sei ursächlich auf das Unfallereignis vom 27.10.1975 zurückzuführen, folge die Kammer dem mit Dr. I nicht. So habe letzterer überzeugend dargelegt, dass bei einer durch Fehlbelastung induzierten sekundären linkskonvexen Skoliose der Lendenwirbelsäule eine kontrakte Skoliose mit Spondylarthrose rechts zu erwarten gewesen wäre, die jedoch bei dem Kläger nicht zu sichern gewesen sei. Vielmehr habe sich auch im Rahmen der Begutachtung durch Dr. L die Seitwärtsneigung im Bereich von Brust- und Lendenwirbelsäule seitengleich und nicht kontrakt gezeigt. Überdies zeigten die durchgeführten Röntgenaufnahmen und Magnetresonanztomographien der Lendenwirbelsäule des Klägers eine beidseitige und nicht eine isoliert rechtsseitige Spondylarthrose.
Die damit allein ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 27.10.1975 zurückzuführende posttraumatische Arthrose im rechten oberen und unteren Sprunggelenk mit deutlicher Einschränkung der Beweglichkeit bedinge keine MdE von mehr als 30 v.H. Die Kammer stütze sich auf die insoweit übereinstimmenden Ausführungen von Dr. I und Dr. L, welche im Übrigen dem Stand der Wissenschaft entsprächen.
Der Kläger habe schließlich keinen Anspruch auf Entfernung des Gutachtens von Dr. I aus den Gerichtsakten. Unabhängig von der prozessrechtlichen Grundlage für einen solchen Anspruch liege eine Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vor. Denn der Sachverständige Dr. I habe - da es zu einer Untersuchung des Klägers nicht gekommen sei - dessen Versichertenkarte nicht verwendet. Überdies habe sich der Kläger im Rahmen seiner umfassenden schriftlichen Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht mit der Heranziehung und Einsichtnahme in über ihn geführte medizinische Unterlagen durch den Sachverständigen oder das Gericht ausdrücklich einverstanden erklärt. Schon angesichts dieses Einverständnisses sei eine Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch Dr. I oder das Gericht nicht ersichtlich.
Gegen das ihm am 19.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.09.2015 Berufung eingelegt und sein Begehren einer höheren Verletztenrente weiter verfolgt.
Er sei in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt, da die Kammer das persönliche Erscheinen angeordnet, die mündliche Verhandlung aber trotz seines Attestes und der vorigen Niederlegung des Mandats durch den Anwalt durchgeführt habe. Somit handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Im Übrigen sei Dr. I ein Durchgangsarzt und für die jeweiligen Berufsgenossenschaften tätig. Die Widersprüche zwischen dessen Gutachten und dem der Dr. L seien nicht aufgeklärt worden. Die Kammer habe übersehen, dass die Beschwerden der Schulter nicht - wie Dr. I meine - von einem Gehstock, sondern von der Nutzung zweier Unterarmgehstützen herrührten. Die Verschlechterung seines Fußes liege schon seit Antragstellung im September 2010 vor. Dass diese erst durch den radiologischen Befund vom 25.09.2012 nachgewiesen seien, liege allein an dem Umstand, dass die Beklagte eine CT-Untersuchung zunächst verweigert habe und diese nur auf seine Veranlassung durch die Krankenkasse vorgenommen worden sei.
Soweit im Berufungsverfahren Dr. H ein Gutachten erstattet habe, sei dies wegen einer Verletzung des Datenschutzes nicht verwertbar. Er habe in der Schweigepflichtsentbindungserklärung ein Einverständnis mit der Heranziehung und Einsichtnahme in die über ihn geführten medizinischen Unterlagen durch die (vom Gericht) beauftragten medizinischen Sachverständigen ausdrücklich gestrichen. Das Verfahren L 15 U 553/13 habe sich allein mit der Klage auf psychische Folgeschäden befasst und somit keinen Bezug hier zum Verfahren gehabt. Entsprechend hätte dieses Dr. H nicht mit übersendet werden dürfen. Im Übrigen werde das Gutachten des Dr. H wegen falscher Tatsachenbehauptung angezweifelt. U.a. nehme dieser den Unfall von 1991 zum Anlass, dass die Schulterbeschwerden durch diese Verletzung und Benutzung von Gehstützen entstanden seien. Er begehre aber die Anerkennung der Folgebeschwerden, weil er vor dem Unfall 1991 jahrelang an Gehstützen gelaufen sei. Wäre eine Untersuchung durchgeführt worden, hätte Vieles aufgeklärt werden können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 26.06.2015 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 08.06.2011 und 20.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente ab dem 05.07.2011 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 60 v.H., abzüglich des abgefundenen Anteils i.H.v. 20 v.H., zu zahlen.
Die Beklagte, die das angefochtene Urteil für zutreffend erachtet, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat im Rahmen der Beweiserhebung auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG ein Gutachten des Orthopäden Dr. H vom 16.11.2016 eingeholt. In seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Unfallfolgen mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten seien. Eine höhere Bewertung komme nicht in Betracht, da erst eine vollständige Einsteifung, die aber beim Kläger nicht vorliege, mit einer MdE um 30 v.H. bewertet werden könne. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfall von 1975 und den Schäden an der rechten Schulter bzw. der Lendenwirbelsäule bestehe hingegen nicht. Dr. L berücksichtige nur unzureichend biomechanische Zusammenhänge. Diese seien vielmehr von Dr. I korrekt herausgearbeitet worden. Im Übrigen habe diese Ärztin nicht die weiteren Unfallereignisse, insbesondere den schweren Unfall vom 14.02.1991 beachtet, der in der Schwere der Unfallfolgen denjenigen von 1975 weit übertroffen habe. Hier sei es zur Verletzung beider Beine mit in nachfolgender Zeit häufiger Nutzung des Rollstuhls sowie Mobilisierung durch zwei Unterarmgehstützen gekommen. Zudem sei durch den Unfall 1991 eine posttraumatische Arthrose auch im li. Sprunggelenk sowie der re. Hüfte aufgetreten mit schließlich Implantation einer Hüftprothese. Ein Verschleiß des Hüftgelenks wirke sich weit mehr auf die Haltung und LWS aus, als eine Verletzung des Sprunggelenks. Diese Mehrbelastung sei zudem auf eine bereits beim Kläger bestehende Spondylolysthesis L5/S1 Mayerding Grad 1 getroffen. Diese konkurrierenden Ursachen habe Dr. L nicht beachtet.
Dem Kläger ist eine Frist zur Abgabe bzw. Benennung weiterer Erklärungen und Beweismittel gem. § 106a SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG zum 27.12.2016 gesetzt worden (Schreiben vom 28.11.2016 zugestellt am 30.11.2016).
Der Senat hat einen ergänzenden Befundbericht der Dr. L vom 25.01.2017 eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass sich am rechten Sprunggelenk des Klägers seit 2012 keine Verbesserung oder Verschlechterung ergeben habe. Die diesbezügliche MdE sei mit 30 v.H. zu bewerten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten des Verfahrens L 15 U 553/13 verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als insgesamt 30 v.H. zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 08.06.2011 in der Gestalt des Bescheides vom 20.08.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2013 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 30 v.H. abzüglich des nach einer MdE um 20 v.H. abgefundenen Anteils.
Gem. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst eine eventuelle Beeinträchtigung des aktuellen körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens und sodann zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.
Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (vgl. BSG Urt. v. 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R - juris Rn. 15 f. mwN.). Hiernach liegt bei dem Kläger eine MdE um mehr als 30 v.H. - wie von ihm über die bindende Feststellung der Beklagten hinaus begehrt - nicht vor.
Zur Überzeugung des Senats ist die MdE für das rechte Sprunggelenk des Klägers - höchstens - mit 30 v.H. zu bewerten. Dies folgt - wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat - aus den Befunden und insoweit vollständig übereinstimmenden Darlegungen aller Sachverständigen und steht im Einklang mit den Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine höhere Bewertung kommt auch nicht wie vom Kläger beansprucht bereits ab September 2010 in Betracht. Dahinstehen kann dabei, welches Ergebnis ein früher angefertigtes CT ergeben hätte. Dies gilt schon deshalb, weil maßgeblich für die Bewertung der MdE im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht hypothetische Befunde, sondern aus Beweisgründen allein konkret tatsächlich erhobene Befunde sind. Darüber hinaus liegen durch die noch im Mai 2011 von Prof. Dr. C1 durchgeführte Begutachtung sowohl bildgebende als auch Funktionsuntersuchungsbefunde vor, die das Begehren des Klägers gerade nicht stützen.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann eine Höherbewertung seiner MdE auch nicht auf bei ihm bestehende Schulter- und Rückenbeschwerden gestützt werden, da diese - den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. I folgend - nicht wahrscheinlich wesentlich durch den hier allein streitigen Unfall aus 1975 bedingt sind. Dass die gegenteilige Auffassung der Dr. L einer ausreichenden Grundlage entbehrt, hat bereits das SG ausführlich dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die Darstellung im angefochtenen Urteil des SG, die er sich nach Überprüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
Soweit der Kläger geltend macht, dass seine Schulterbeschwerden nicht, wie von Dr. I gemeint, von einem Gehstock, sondern von der im Anschluss an den Unfall 1975 notwendigen Nutzung zweier Unterarmgehstützen herrührten, findet eine schwere, die tatsächliche langjährige Nutzung derartiger Unterarmgehstützen rechtfertigende Gehbehinderung des Klägers in den aktenkundigen Unterlagen keinerlei Stütze. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt dies nicht an fehlenden Untersuchungen. Vielmehr sind im Laufe der Jahre nach dem Unfall 1975 zahlreiche Gutachten eingeholt worden, die zu keiner Zeit eine auf diesem beruhende, vom Kläger behauptete erhebliche Gehstörung objektiv befunden konnten. Eine derartige Gehstörung als Folge des Unfalls aus 1975 erscheint im Hinblick auf die insoweit nur geringfügige und über Jahrzehnte mit lediglich einer MdE um 20 v.H. bewerteten Beeinträchtigung des Sprunggelenks rechts auch nicht plausibel. Vielmehr ist im Gegenteil zu beachten, dass die Darstellung des Gehvermögens durch den Kläger von einer Vielzahl von Sachverständigen ausdrücklich als in erheblichem Maß demonstriert bzw. aggraviert bezeichnet worden ist (vgl. z.B. insbesondere die zeitnahen Gutachten des Dr. B 1979, des Dr. Q 1979, des Prof. Dr. M 1980 und des Dr. P 1982).
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das ihn überzeugende Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens durch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. H weiter bestätigt worden ist. Dieser hat sowohl die für das Sprunggelenk anzusetzende MdE nicht mit mehr als 30 v.H. zu bewerten vermocht als auch - übereinstimmend mit Dr. I - einen Ursachenzusammenhang zwischen den Schulter- bzw. Rückenbeschwerden des Klägers und dem Unfall von 1975 für nicht hinreichend wahrscheinlich erachtet.
Das Gutachten des Dr. H unterliegt auch keinem Verwertungsverbot. Die vom Kläger gegen die Neutralität des Sachverständigen erhobenen Einwendungen vermögen eine Ablehnung des Sachverständigen nicht zu begründen, wie der Senat mit Beschluss vom 14.11.2016 (L 4 SF 548/16 AB) ausgeführt hat.
Ebenso wenig ist das Gutachten aufgrund einer Verletzung des Datenschutzes erstellt worden. Anders als es der Kläger im Berufungsvortrag formuliert, hat er mit der von ihm gestrichenen Passage der Schweigepflichtsentbindungserklärung bereits nicht erkennbar "dem Senat untersagt, die Akte L 15 U 533/15 an den Sachverständigen Dr. H weiterzugeben". Soweit im dortigen Gesamtsatz "Ich stimme der Heranziehung und der Einsichtnahme in über mich geführte medizinische Unterlagen ( ) durch das Gericht und die von ihm beauftragten medizinischen Sachverständigen zu" die Worte "die von ihm beauftragten medizinischen Sachverständigen" gestrichen worden sind, lässt sich dies nach objektivem Empfängerhorizont nur so verstehen, dass der Kläger der Heranziehung und Einsichtnahme in über ihn geführte medizinische Unterlagen durch vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige widersprechen wollte, somit also einer eigenständigen Heranziehung von bis dahin nicht aktenkundigen Unterlagen durch den Sachverständigen selbst.
Aber auch dann, wenn man der Streichung den vom Kläger nunmehr angegebenen Sinn zuschreiben würde, wäre die Gutachtenerstellung durch Dr. H nicht datenschutzrechtlich fehlerhaft zustande gekommen. Hier ist zu berücksichtigen, dass es als Ausfluss des Amtsermittlungsprinzips Aufgabe des Gerichts ist, den gesamten Sachverhalt in seinen relevanten Zügen vollständig zu ermitteln. Beauftragt das Gericht einen Sachverständigen mit einer Gutachtenerstellung, hat es diesen gem. §§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 404a ZPO, der im Rahmen seines Anwendungsbereichs das Bundesdatenschutzgesetz verdrängt (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg Urt. v. 23.04.2015 - L 10 U 5100/10 - juris Rn. 48 mwN), anzuleiten und ihm auch die zugrundezulegenden Tatsachen vorzugeben. Welche Tatsachen und Akten dabei übersandt werden, ist vom Gericht zu bestimmen. Bei einem - wie hier vom Kläger gestellten und entsprechend zu überprüfenden - Verschlimmerungsantrag sind zu einer qualifizierten Gutachtenerstellung nach Auffassung des Senats auch nach Güterabwägung mit dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung alle in den streitigen Zeitraum fallenden medizinischen Unterlagen und Gutachten, somit ebenfalls die im Verfahren L 15 U 553/13 eingeholten medizinischen Befunde, zu berücksichtigen. Denn auch wenn der Schwerpunkt des dortigen Verfahrens auf der Beurteilung des psychiatrischen Beschwerdebildes lag, sind dort gleichwohl über dieses Fachgebiet hinausgehende allgemein-körperliche und neurologische Befunde erhoben bzw. benannt worden, die für die Bewertung einer etwaigen Verschlimmerung Relevanz entfalten können.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst dann, wenn man aus der Übersendung der als Beiakten des Verfahrens geführten Akten L 15 U 553/13 an den Sachverständigen Dr. H entgegen den obigen Ausführungen eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts herleiten würde, das Gutachten dieses Sachverständigen dennoch keinem Beweisverwertungsverbot unterläge. Ob ein unter Verletzung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen zustande gekommenes Gutachten verwertet werden kann, ist unter Abwägung sämtlicher Umstände zu beurteilen (vgl. zB BSG Urt. v. 05.02.2008 - B 2 U 10/07 R - juris Rn. 51 f). Vorliegend träte bei Würdigung des konkreten Sachverhalts ein - für die Übersendung der Akten L 15 U 553/13 unterstelltes - Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung hinter das Interesse an einer ordnungsgemäßen Beweiserhebung zurück. Zu beachten ist dabei, dass die selektive Übersendung von nur Teilen der Akte die Erstellung eines auf eine umfassende Tatsachenkenntnis gestützten Gutachtens des Sachverständigen hindert und damit - wenn die Übersendung einseitig vom Kläger eingeschränkt wird - entgegen dem Neutralitätsgebot des Gerichts zulasten der Beklagten ginge. Dies muss erst recht dann gelten, wenn der Sachverständige, dem die Gerichtsakten übersandt werden, nicht vom Gericht, sondern wie hier gerade vom Kläger selbst benannt worden ist. Gründe, warum dem vom Kläger gem. § 109 SGG selbst gewählten Arzt seines Vertrauens hier bestimmte Teile der Akten nicht hätten übersandt werden sollen, sind nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger im Übrigen geltend macht, dass das SG eine "Überraschungsentscheidung" getroffen habe, weil er zum dortigen Verhandlungstermin aus gesundheitlichen Gründen nicht habe kommen können und auch nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, ist dies für die vom Senat als weiterem Tatsachengericht getroffene Sachentscheidung ohne Relevanz. Eine etwaige Verletzung rechtlichen Gehörs wäre lediglich im Rahmen einer - hier nicht streitgegenständlichen - Beschwerde auf Zulassung einer nicht zulässigen bzw. nicht zugelassenen Berufung im Rahmen der Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG von Bedeutung gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Rechtskraft
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