L 18 R 713/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 44 R 2566/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 713/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 182/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.2015 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 05.08.2016 wird abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger 1/8 der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Regelaltersrente.

Der am 00.00.1947 in Polen geborene Kläger verbrachte sein Erwerbsleben bis 1974 in Polen. Aus seiner dort geschlossenen ersten Ehe gingen zwei Söhne (K und B, geboren 1970 und 1972) hervor. 1975 siedelte der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland über. Die in Polen zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA; Rechtsnachfolgerin seit dem 1.10.2005: Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund; fortan: DRV Bund) im Rahmen einer Kontenklärung mit Bescheid vom 19.10.1979 fest. Der Kläger ist in Deutschland seit dem 22.10.1986 in zweiter Ehe mit der ebenfalls aus Polen stammenden, 1963 geborenen und 1985 nach Deutschland gekommenen N L verheiratet. Der gemeinsame Sohn Q wurde am 00.00.1986 geboren. Nach eigenen Angaben war der Kläger vom 15.3.1978 bis 8.7.1993 als selbständiger Taxiunternehmer tätig und anschließend beim Taxiunternehmen T in E bis zum 30.6.2001 als Aushilfstaxifahrer geringfügig beschäftigt. Vom 1.9.1983 bis 28.2.1991 studierte der Kläger erfolgreich an der Fachhochschule E Elektrotechnik. Seine Ehefrau ging bis zum 30.9.1991 keiner Beschäftigung nach. Seither ist sie durchgehend versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 1.4.1993 bis 1.3.1994 durchlief sie erfolgreich eine Ausbildung zur Krankenpflegehelferin und ist in diesem Beruf seither am Universitätsklinikum E beschäftigt.

Im September 2004 beantragte die Ehefrau des Klägers bei der (damaligen) BfA die Klärung ihres Versichertenkontos. Sie machte gleichzeitig Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (fortan: KEZ bzw. BZ) für den Sohn Q geltend und fügte dazu ein ausgefülltes und unter dem 18.9.2004 unterschriebenes Formular "Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung" bei. Darin gab sie an, den Sohn Q "während der gesamten 10 Jahre erzogen" zu haben (Punkt 4.1). Eine Erziehung innerhalb der ersten 10 Jahre nach der Geburt durch eine andere Person sei nicht erfolgt (Punkt 5.2). Der Sohn Q sei während der ersten 10 Lebensjahre von beiden Elternteilen gemeinsam erzogen worden (Punkt 6; hier ist mit anderer Handschrift - wohl einer Mitarbeiterin der damaligen BfA Beratungsstelle Düsseldorf, die die Ehefrau aufgesucht hatte - ergänzt worden: "Geb. - 10 Lj."). Eine übereinstimmende Erklärung über die Zuordnung der Erziehungszeiten zu einem anderen Elternteil sei nicht abgegeben worden (Punkt 16.1). Unter Punkt 16.4 war offenbar zunächst von der Klägerin verneint worden, dass der Sohn Q innerhalb der ersten 10 Lebensjahre von einem Elternteil überwiegend erzogen wurde. Hier ist - wohl zur Anpassung an die Aussage unter Ziffer 6 - die Antwort mit der gleichen Handschrift wie dort geändert worden in "Ja - Q - Geb. - 10. Lj. von leiblicher Mutter" Die Richtigkeit dieser Angaben bestätigte der Kläger unter dem 21.9.2004. Welche der beiden Versionen er dabei unterschrieb, lässt sich nicht sicher feststellen.

Die DRV Bund merkte für die Beigeladene KEZ vom 1.12.1986 bis 30.11.1988 und BZ vom 26.11.1986 bis 25.11.1996 vor. Der andere Elternteil (also der Kläger) habe am 21.9.2004 bestätigt, dass er das Kind nicht überwiegend erzogen habe. Daher sei eine Anerkennung von KEZ für diesen Zeitraum beim Kläger ausgeschlossen (Bescheide vom 24.3.2006 und 14.11.2014, die dem Kläger nicht bekannt gegeben wurden).

Im November 2010 beantragte der Kläger (gegenüber der DRV Rheinland) die Klärung seines Versichertenkontos. Im Antragsformular machte er auf die Frage "Haben Sie Kinder geboren bzw. erzogen/betreut?" ausschließlich Angaben zu seinen 1970 und 1972 in Polen geborenen Söhnen.

Auf seinen Antrag vom 20.12.2011, in dem der Kläger angab, keine Kinder erzogen zu haben, bewilligte ihm die Beklagte ab dem 1.5.2012 Regelaltersrente in Höhe von vorläufig monatlich EUR 173,32. Für die polnischen Zeiten (1.8.1962 bis 16.9.1974) könnten die bisher vorgemerkten Beitragszeiten einschließlich der Einstufungen in Leistungsgruppen sowie die sich daraus ergebenden und vorgemerkten Arbeitsverdienste wegen einer Rechtsänderung nicht mehr wie im Bescheid vom 19.10.1979 festgestellt berücksichtigt werden. Sobald die polnischen Versicherungszeiten bekannt seien, werde die Rente endgültig festgestellt; dazu erhalte er zu gegebener Zeit weitere Nachricht (Bescheid vom 9.5.2012). Mit seinem Widerspruch wandte der Kläger ein, dass seine polnischen Versicherungszeiten weiter wie im Bescheid vom 19.10.1979 festgestellt anzuerkennen seien.

Während des Widerspruchsverfahrens stellte die Beklagte die Regelaltersrente des Klägers ab dem 1.5.2012 in Höhe von EUR 377,93 endgültig fest. Die Zeiträume vom 25.10.1990 bis 10.6.1991 und vom 17.12.1991 bis 31.12.2000 berücksichtigte sie als "Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, keine Anrechnung", die Zeit vom 11.06.1991 bis 16.12.1991 fand keine Berücksichtigung (Bescheid vom 27.7.2012). Der Kläger teilte mit, dass er "Kinderzuschläge vermisse". Seine 1. Ehefrau, die Mutter seiner beiden älteren Söhne, habe einen guten Arbeitsplatz gehabt. Er habe sie unterstützt und "sehr viel für die Erziehung der Kinder gemacht". Ausführungen zu seinem aus 2. Ehe stammenden Sohn machte er nicht.

Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Soweit Versicherungszeiten erstmalig geltend gemacht worden seien (u.a. 1.1.1989 bis 30.6.2001) könne keine Entscheidung getroffen werden, da es sich um einen erstmaligen (neuen) Antrag handele. Die Zeit vom 25.10.1990 bis 9.7.1993 könne nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt werden, weil eine Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht vorliege. Als Überbrückungstatbestand bleibe der Zeitraum erhalten (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2012).

Kurz darauf hob die Beklagte den Bescheid vom 9.5.2012 in der Fassung des Bescheides vom 27.7.2012 in Bezug auf die Rentenhöhe rückwirkend zum 1.5.2012 teilweise auf und stellte die Regelaltersrente des Klägers nunmehr in Höhe von EUR 331,67 monatlich endgültig fest. Der Anerkennung der KEZ/BZ für das Kind Q zur Kindesmutter habe der Kläger bereits mit Erklärung vom 21.9.2004 zugestimmt. Eine rückwirkende Zuordnung von KEZ/BZ sei nicht möglich. Die Zeit vom 1.12.1986 bis zum 30.11.1987 könne nicht als KEZ und die Zeit vom 26.11.1986 bis zum 25.11.1996 nicht als BZ anerkannt werden, weil ein anderer Elternteil das Kind überwiegend erzogen habe (Bescheid vom 1.11.2012).

Mit seiner Klage vom 30.11.2012 hat der Kläger weiter höhere versicherte Entgelte für polnische Zeiten geltend gemacht und ergänzend vorgetragen, dass die Zeit vom 24.10.1990 bis 30.6.2001 als Anrechnungszeit zu berücksichtigen sei. In dieser Zeit habe er als Taxifahrer höhere Entgelte als von der Beklagten berücksichtigt bezogen. Auch müsse ihm die Hälfte der bei seiner Ehefrau für den gemeinsamen Sohn Q berücksichtigten KEZ zustehen. Die familiäre Situation sei dergestalt gewesen, dass er ab dem 25.10.1990 in Teilzeit nachts bei der Firma Taxi T gearbeitet habe und seine Ehefrau tagsüber in Vollzeit. Die Erziehung und Betreuung des Sohnes Q sei gemeinsam zu gleichen Anteilen erfolgt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Ehefrau des Klägers zum Verfahren beigeladen (Beschluss vom 30.4.2014; fortan: Beigeladene).

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter entsprechender Änderung des Rentenbescheides vom 9.5.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.7.2012 beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 eine höhere Regelaltersrente unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 24.4.2014 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Sie hat gebeten, die KEZ/BZ für den Sohn Q bei beiden Eltern hälftig zu berücksichtigen. Damit sei sie einverstanden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene erläutert, inwiefern beide Elternteile (gleichermaßen) ihren Beitrag zu der Erziehung des Sohnes Q geleistet haben.

Das SG hat die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine höhere Regelaltersrente. KEZ/BZ für den Sohn Q könnten beim Kläger nicht berücksichtigt werden, weil die Beigeladene und der Kläger übereinstimmend im September 2004 erklärt haben, die KEZ/BZ für den im Jahre 1986 geborenen Sohn Q der Beigeladenen zuzuordnen. Die Kammer habe in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck gewonnen, dass der Kläger tatsächlich die überwiegende Erziehung des Sohnes Q übernommen habe, sondern lediglich ein Interesse daran habe, dass ihm - im Hinblick auf die Höhe seiner Regelaltersrente - weitere Zeiten zuerkannt werden (Urteil vom 30.6.2015, dem Kläger zugestellt am 15.7.2015).

Mit seiner Berufung vom 14.8.2015 hat der Kläger vorgetragen, in der Erklärung vom September 2004 seien in Bezug auf die Zuordnung der Kindererziehungszeiten die Kreuze für ein "Ja" oder "Nein" nicht eindeutig gesetzt worden. Überdies sei nicht verständlich, warum im Versicherungsverlauf die Zeit vom 25.10.1990 bis 31.3.1999 als "Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug" gewertet wurde, während der folgende Zeitraum als "geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung" festgestellt wurde. Er sei im gesamten Zeitraum geringfügig versicherungsfrei beschäftigt gewesen.

Zunächst hat der Kläger auch weiter höhere Rentenzahlungen unter Zugrundelegung höherer (pauschaler) versicherter Entgelte für die Beschäftigungszeiten in Polen vom 1.6.1968 bis 4.7.1972 und vom 7.8.1973 bis 5.7.1974 geltend gemacht. Nachdem die Beklagte angeboten hatte, für die Zeit vom 12.6.1968 bis 31.12.1971 höhere Entgelte zu berücksichtigen, hat der Kläger dieses Teilanerkenntnis angenommen und das Verfahren im Hinblick auf die restlichen Zeiträume für erledigt erklärt. Die Beklagte hat das Teilanerkenntnis während des Berufungsverfahrens ausgeführt (Bescheid vom 5.8.2016).

Der Kläger beantragt nur noch,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.6.2015 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 9.5.2012 in der Fassung des Bescheides vom 27.7.2012, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012, sowie des Bescheides vom 5.8.2016 zu verurteilen, ihm höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung der Zeit vom 1.1.1991 bis 31.3.1999 als Versicherungszeit bei geringfügiger Beschäftigung sowie unter Berücksichtigung von 5 Jahren Berücksichtigungszeit wegen der Erziehung des Sohnes Q zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass im Versicherungskonto geringfügige Beschäftigungen ohne Begründung einer Versicherungspflicht wie aus dem Versicherungsverlauf ersichtlich gespeichert seien. Durch das am 1.4.1999 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 seien für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer ab 1.4.1999 durch den Arbeitgeber erstmals Pauschalbeiträge zur Renten- und Krankenversicherung zu entrichten. Dadurch seien für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse erstmals rentenrechtlich relevante Versicherungszeiten zu berücksichtigen, aus denen für die Höhe der Rente Zuschläge an Entgeltpunkten zu ermitteln seien, und die im begrenzten Umfang für die Erfüllung der Wartezeit herangezogen werden könnten.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Sie hat ergänzend vorgetragen, von 1986 bis 1991 habe sie den Sohn Q ganz normal wie eine Mutter erzogen. Später haben sie und der Kläger den Sohn Q gleichermaßen erzogen. Besonderheiten dahingehend, dass sich ein Elternteil für einen längeren Zeitraum ausschließlich um den Sohn gekümmert hätte, seien ihr nicht erinnerlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und beigezogenen Verwaltungsakten der - für die Beigeladene zuständigen - DRV Bund Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung und die zweitinstanzliche Klage gegen den Bescheid vom 5.8.2016 sind unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert, weil die darin zur Höhe des Rechts auf Rente getroffenen Regelungen nicht rechtswidrig sind, § 54 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung zusätzlicher rentenrechtlicher Zeiten oder Entgeltpunkte und entsprechend höhere Regelaltersrente.

I. Gegenstand des Verfahrens ist die zulässigerweise gegen den höhere Rente versagenden Bescheid vom 27.7.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 in der Fassung der Bescheide vom 1.11.2012 und 5.8.2016 erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, §§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, 56 SGG. Soweit sich die Klage auch gegen den Bescheid vom 9.5.2012 richtet, ist die Berufung unbegründet, weil bereits die Klage unzulässig ist. Der Kläger ist durch die in diesem Bescheid zur Höhe der Rente getroffene vorläufige Regelung nicht (mehr) beschwert, weil sie durch die endgültige Regelung zur Rentenhöhe im Bescheid vom 27.7.2012 vollständig ersetzt wurde. Der zwischen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012 und Klageerhebung am 30.11.2012 bekannt gegebene Bescheid vom 1.11.2012 ist - jedenfalls nach Klageerhebung - in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, soweit er die Regelung zur Höhe der Regelaltersrente ändert (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. Kommentar. 11. Aufl. 2014, § 96 Rdnr 2 mwN). Ohne Belang ist, dass der Kläger diesen Bescheid im Sachantrag nicht ausdrücklich anführt. Es ergibt sich aus seinem Gesamtvorbringen zwingend, dass dieser Bescheid - der erstmals Ausführungen zu KEZ/BZ enthält - ausdrücklich (mit-)angefochten ist. Der während des Berufungsverfahrens bekannt gegebene Bescheid vom 5.8.2016 ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, weil er die Bescheide vom 27.7. und 1.11.2012 zur Höhe der Rente ändert, §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG. Der Senat entscheidet über den Bescheid vom 5.8.2016 aufgrund (zweitinstanzlicher) Klage (stRspr des Bundessozialgerichts (BSG) seit dem Urteil vom 30.1.1963, Aktenzeichen (Az) 2 RU 35/60 - SozR Nr 3 zu § 541 RVO).

Streitig ist damit die von der Beklagten getroffene Regelung zur Höhe des Rechts auf Regelaltersrente im Bescheid vom 27.7.2012 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2012, § 95 SGG) und in den Änderungsbescheiden vom 1.11.2012 und 5.8.2016. Diese Regelung ist vom Senat nur noch unter den beiden im Sachantrag des Klägers ausdrücklich angeführten sachlichen Gesichtspunkten zu prüfen.

Es kann dahinstehen, ob es generell der Dispositionsbefugnis eines Beteiligten unterliegt, im Rahmen eines einheitlichen Verfügungssatzes zur Höhe des monatlichen Werts auf Rente den Streit auf einzelne Berechnungsfaktoren zu beschränken (vgl dazu Senatsurteile vom 28.2.2012, Az L 18 KN 25/11, vom 22.5.2012, Az L 18 KN 46/11, vom 21.8.2012, Az L 18 KN 202/11, und vom 19.2.2013, Az L 18 R 889/12 sowie Beschluss vom 22.5.2013, Az L 18 KN 52/10; zuletzt Senatsurteil vom 28.5.2013, Az L 18 KN 135/12, insoweit bestätigt durch BSGE 119, 125-136 = SozR 4-5060 Art 6 § 4 Nr 3 mwN). Eine entsprechende Beschränkung ist wegen der Dispositionsmaxime und der damit verbundenen eigenständigen Bestimmung der Beschwer ("ne ultra petita") jedenfalls anzunehmen, wenn der Sachantrag ausdrücklich auf einzelne Berechnungs- bzw. Begründungselemente beschränkt ist. Damit hat der Kläger den Streitgegenstand zulässig auf einen abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des ursprünglich umfassend geltend gemachten Anspruchs auf höhere Rente beschränkt. Eine solche Beschränkung des Klageantrags macht (konkludent) deutlich, dass eine höhere Leistung aufgrund anderer Tatsachen nicht begehrt wird.

II. Der Kläger hat unter beiden Gesichtspunkten keinen Anspruch auf höhere Regelaltersrente. Er hat weder einen Anspruch auf Berücksichtigung von (5 Jahren) BZ für den Sohn Q (1.) noch auf Zuschläge an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung in der Zeit vom 1.1.1991 bis zum 31.3.1999 (2.).

Die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vom 26.11.1986 bis 25.11.1996 ist dem Kläger nicht, auch nicht teilweise zuzuordnen. Die Voraussetzungen für die Anrechnung einer BZ liegen im gesamten Zehnjahreszeitraum schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht vor. Entgegen der Vorstellung des Klägers und der Beigeladenen ist es nach dem Gesetz nicht möglich, die BZ im Nachhinein aus Opportunitätsgesichtspunkten einvernehmlich (hälftig) aufzuteilen.

Nach § 57 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach § 56 SGB VI auch in dieser Zeit vorliegen. Eine Kindererziehungszeit wird gemäß § 56 Abs 1 Satz 2 SGB VI für einen Elternteil angerechnet, wenn (1.) die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, (2.) die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und (3.) der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist. Hier ist dem Kläger eine BZ bereits nicht zuzuordnen, obwohl er - was der Senat an dieser Stelle als richtig unterstellt - den Sohn Q gleichwertig miterzogen hat. Die gesamte BZ (26.11.1986 bis 25.11.1996) ist nämlich (nur) der Beigeladenen zuzuordnen.

Nach § 56 Abs 2 Satz 2 SGB VI kann eine KEZ (und damit auch eine BZ) grundsätzlich auch dann nur einem Elternteil zugeordnet werdenwenn mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen haben. Welchem Elternteil die Erziehungszeit zuzuordnen ist, ist in § 56 Abs 2 Sätze 3ff SGB VI geregelt. Innerhalb der drei Kategorien der Erziehung, die § 56 Abs 2 Sätze 3ff SGB VI unterscheidet (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.12.1997, Az 4 RA 60/97 - SozR 3-2600 § 56 Nr. 10; BSG, Urteil vom 31.8.2000, Az B 4 RA 28/00 R), kommt eine Zuordnung zum Vater nur in Betracht, wenn - im Fall der gemeinsamen Erziehung durch beide Elternteile - diese vorab wirksam eine übereinstimmende öffentlich-rechtliche Erklärung über die Zuordnung zum Vater abgegeben haben oder wenn er das Kind allein oder überwiegend erzogen hat. Ansonsten ist die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen. Sinn und Zweck dieser Regelung ist zum einen die Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frau, zum anderen eine erhöhte Praktikabilität der Regelung und zum dritten eine Anknüpfung an die sozialtypische Rollenverteilung (vgl Gürtner in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 92. EL Dezember 2016, § 56 SGB VI, Rn 38).

Allerdings scheidet die begehrte (teilweise) Anrechnung der BZ nicht bereits deshalb aus, weil die Zeiten bereits bei der Beigeladenen bestandskräftig als rentenrechtliche Zeiten festgestellt sind (Bescheide vom 24.3.2006 und 14.11.2014). Diese Bescheide sind dem Kläger nicht bekannt gegeben worden, so dass er von ihrer Bindungswirkung nicht erfasst wird (vgl BSG, Urteil vom 17.4.2008, Az B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5). Dies kann sogar dazu führen, dass entgegen dem materiellen Recht für denselben Erziehungszeitraum Pflichtversicherungszeiten für beide Elternteile vorzumerken sein können (vgl BSG, Urteil vom 28.2.1991, Az 4 RA 76/90 - BSGE 68, 171).

Eine (teilweise) Zuordnung der BZ zum Kläger kommt gleichwohl nicht in Betracht. Es fehlt an einer den Kläger begünstigenden rechtswirksamen übereinstimmenden Erklärung zur Zuordnung der BZ (a.). Ein (zumindest) überwiegender Erziehungsanteil des Klägers in der Zeit vom 26.11.1986 bis 25.11.1996 ist weder behauptet noch sonst ersichtlich (b.).

a. Eine rechtzeitige übereinstimmende Erklärung über die Zuordnung von BZ nach § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VI liegt nicht vor. Die Abgabe einer solchen Erklärung über die Zuordnung ist im geltenden Recht des § 56 Abs 2 Satz 4 bis 6 SGB VI nur durch die Eltern gemeinsam und grundsätzlich nur mit Wirkung für künftige Kalendermonate sowie unter besonderen Voraussetzungen ausnahmsweise rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung vorgesehen. Dagegen ist es nicht möglich, KEZ und BZ im Nachhinein einvernehmlich aufzuteilen (vgl BSG, Urteil vom 3.4.2001, Az B 4 RA 89/00 R - SozR 3-2600 § 56 Nr 15, SozR 3-2600 § 249 Nr 1; BSG, Urteil vom 10.12.2013, Az B 13 R 91/11 R = SozR 4-2600 § 249b Nr 1; BSG, Urteil vom 31.8.2000, Az B 4 RA 28/00 R).

Der Kläger und die Beigeladene haben keine rechtzeitige Erklärung zur Zuordnung von (KEZ oder) BZ für ihren Sohn abgegeben. Vom 26.11.1986 bis zum 25.11.1996 haben sie keine gemeinsame Erklärung zur BZ abgegeben. Spätestens seit dem 25.1.1997 konnten sie keine übereinstimmende Erklärung iSv § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VI (mehr) abgegeben. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Beigeladene aus objektiver Empfängersicht unter dem 18. 9.2004 eine - durch den Kläger unter dem 21.9.2004 mitunterzeichnete - abweichende Zuordnungserklärung abgegeben hat. Denn eine solche wäre nicht mehr fristgerecht erfolgt. Gleiches gilt für die - zeitlich späteren - wechselseitigen Erklärungen des Klägers und der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren, die streitigen Zeiten "zur Hälfte" dem Kläger zuzuordnen. Auch diese Erklärungen konnten die streitigen Zeiten nicht (mehr) erfassen.

b. Ist eine übereinstimmende öffentlich-rechtliche (Willens-)Erklärung überhaupt nicht, nicht übereinstimmend oder nicht rechtswirksam abgegeben, hat nach dem Grundsatz des § 56 Abs 2 Satz 9 SGB VI im Verwaltungsverfahren der Versicherungsträger (§ 20 SGB X), im Streitfall das Gericht (§§ 103, 106 SGG) zu ermitteln, wer das Kind nach objektiven Gesichtspunkten überwiegend erzogen hat (vgl BSG, Urteil vom 31.8.2000, Az B 4 RA 28/00 R). Der Begriff der Erziehung folgt familienrechtlichen Bestimmungen und umfasst die Sorge für die körperliche, seelische und geistige Entwicklung eines Kindes. Sie ist Teil der Personensorge im Sinne des § 1626 Abs 1 BGB und setzt die Aufnahme in den Haushalt der Eltern voraus (vgl Gürtner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 92. EL Dezember 2016, § 56 SGB VI, Rn 21f.).

Waren die Erziehungsanteile in etwa gleichgewichtig oder ist jedenfalls eine überwiegende Erziehung des Vaters nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) feststellbar, greift die (Auffang- oder Grund-)Regelung des § 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI ein, nach der die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen ist (vgl BSG, Urteil vom 25.2.1992, Az 4 RA 34/91 - SozR 3-6180 Art 13 Nr 2; BSG, Urteil vom 16.12.1997, Az 4 RA 60/97 - SozR 3-2600 § 56 Nr 10). Von gleichwertigen Erziehungsbeiträgen ist insbesondere auszugehen, wenn die Prüfung ergibt, dass die Eltern das Kind gemeinsam erzogen, dh die Erziehungslast untereinander nach ihren Vorstellungen gleichgewichtig aufgeteilt haben (vgl Schuler-Harms, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 56 SGB VI Rn 37). Im Hinblick auf den einer objektiven Tatsachenfeststellung kaum zugänglichen inneren Lebensbereich beider Elternteile - regelmäßig der Familie - ist im Wesentlichen an die Erklärungen der Elternteile anzuknüpfen; diese sind der Entscheidung zugrunde zu legen (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.4.2016, Az L 33 R 851/13). Nach den übereinstimmenden Erklärungen des Klägers und der Beigeladenen in erster Instanz und im schriftlichen Vorbringen haben sie ihren Sohn Q im streitigen Zeitraum (also jedenfalls bis zum vollendeten 10. Lebensjahr) zu gleichen Anteilen erzogen. Das entspricht den Erklärungen des Klägers und der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Außerhalb dieser Erklärungen liegende Tatsachen, die Veranlassung gäben anzunehmen, dass der Kläger in einem abgrenzbaren Zeitraum einen zeitlich höheren Erziehungsanteil geleistet hat als die Beigeladene, liegen nicht vor. Keine der im Zuge der zahlreichen Verfahren vom Kläger oder der Beigeladenen abgegebenen Erklärungen lassen einen solchen abweichenden Schluss zu. Dabei kann offenbleiben, welche Erklärungen der Kläger und die Beigeladene im Jahre 2004 genau abgegeben haben: Entweder haben sie eine überwiegende Erziehung der Beigeladenen oder keine überwiegende Erziehung eines Elternteils bestätigt. In beiden Fällen sind die BZ (ausschließlich) der Beigeladenen zuzuordnen.

Die gesetzliche Regelung in § 56 Abs 2 Satz 8 und 9 SGB VI, aus der sich ein im Zweifel die Mutter bevorzugendes Alles-oder-Nichts-Prinzip ergibt, verstößt in Anbetracht der oben genannten Zielsetzung des Gesetzes auch nicht gegen Verfassungsrecht (so auch BSG, Urteil vom 17.4.2008, Az B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5).

2. Ein Anspruch auf Berücksichtigung zusätzlicher Entgeltpunkte für etwaige in der Zeit vom 1.1.1991 bis 31.3.1999 ausgeübte geringfügige, versicherungsfreie Beschäftigungen besteht nicht, § 76b Abs 1 SGB VI in der vom 1.4.1999 bis zum 31.12.2012 geltenden, alten Fassung (aF). Nach dieser Vorschrift gilt: Für Arbeitsentgelt aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung (vgl § 5 Abs 2 Nr 1 SGB VI aF), für das der Arbeitgeber einen Beitragsanteil getragen hat, werden Zuschläge an Entgeltpunkten ermittelt. Diese Norm findet auf den hier streitigen Zeitraum (noch) keine Anwendung, weil sie erst am 1.4.1999 in Kraft getreten ist. Vorschriften des SGB VI sind grundsätzlich erst vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt anzuwenden, § 300 Abs 1 SGB VI. § 76b SGB VI aF wurde mit Wirkung zum 1.4.1999 durch Art 4 des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 388) in das SGB VI eingefügt. Eine rückwirkende Anwendung der Vorschrift (iS einer Übergangsregelung) ist gesetzlich nicht angeordnet worden. Der Anwendungsbereich des § 76b Abs 1 SGB VI aF war somit - wie von der Beklagten zutreffend berücksichtigt - erst bei Beschäftigungen ab dem 1.4.1999 eröffnet.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Beklagte im Laufe des Verfahrens die Zeit vom 21.12.1975 bis 31.5.1976 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit (Vertreibung, Flucht) und die Zuordnung der Beschäftigungszeit vom 12.6.1968 bis 31.12.1971 in die Qualifikationsgruppe 2 anerkannt hat.

Darüber hinaus sind - auch der Beigeladenen - Kosten nicht zu erstatten. IV. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, § 160 Abs 2 SGG. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung; maßgeblich für die Entscheidung sind vielmehr die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls.
Rechtskraft
Aus
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