L 18 KN 44/17 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 89/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 KN 44/17 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 30.5.2017 wird als unzulässig verworfen. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auf EUR 8,42 festgesetzt.

Gründe:

I.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Münster hat der Kläger die Aufhebung eines Bescheides der Beklagten begehrt, mit dem diese für den Zeitraum vom 1.1. bis 28.2.2011 die Versicherungspflicht der beim Kläger beschäftigten W L festgestellt hat.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.5.2017 (dem Kläger bekannt gegeben am 6.6.2017) abgewiesen und den Streitwert auf EUR 8,42 festgesetzt. In der beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist (u.a.) ausgeführt, dass der Gerichtsbescheid nur dann mit der Berufung angefochten werden könne, wenn diese nachträglich durch Beschluss des Landessozialgerichts zugelassen werde. Zu diesem Zweck könne die Nichtzulassung der Berufung durch Beschwerde angefochten werden. Weiter heißt es im letzten Absatz der Rechtsmittelbelehrung, anstelle der Beschwerde könne [ ...] mündliche Verhandlung beantragt werden.

Der Kläger hat am 3.7.2017 beim SG beantragt, mündliche Verhandlung anzuberaumen. Am gleichen Tag hat er beim erkennenden Gericht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 30.5.2017 zuzulassen. Er meint, beide Rechtsbehelfe finden nebeneinander statt.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme im Beschwerdeverfahren nicht für erforderlich gehalten, die Beigeladene hat sich bislang nicht geäußert.

Der Senat hat den Kläger mehrfach darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde wegen des Antrags auf mündliche Verhandlung unzulässig sei (Verfügungen vom 28.7., 18.9. und 7.11.2017). Der Kläger ist bei seiner Auffassung verblieben.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht statthaft ist.

Obgleich sich im Tenor des angefochtenen Gerichtsbescheides kein Ausspruch zur Nichtzulassung der Berufung findet, hat das SG eine solche Entscheidung bereits dadurch (konkludent) getroffen, dass es die Berufung in einem Fall nicht zugelassen hat, in dem die Berufung nach objektiver Rechtslage der Zulassung bedarf. Zu Recht ist das SG nämlich (ausweislich der dem Gerichtsbescheid angefügten Rechtsbehelfsbelehrung) davon ausgegangen, dass die Berufung nicht statthaft ist, weil die Klage einen auf eine Geldleistung von EUR 8,42 (Beitragsdifferenz für den streitigen Zeitraum) gerichteten Verwaltungsakt betrifft, und damit der Wert des Beschwerdegegenstands EUR 750 nicht übersteigt, § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG.

Die Nichtzulassung der Berufung kann zwar grundsätzlich durch Beschwerde angefochten werden, § 145 Abs 1 Satz 1 SGG. § 105 SGG enthält jedoch in Abs 2 Sätze 2 und 3 Sonderregelungen, die hier zur Anwendung kommen. Nach diesen Vorschriften kann, sofern die Berufung (nach § 144 Abs 1 SGG) nicht gegeben ist, mündliche Verhandlung beantragt werden. Diese Vorschriften tragen Art 6 Abs 1 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) Rechnung. Danach muss (auch im sozialgerichtlichen Verfahren) mindestens eine mündliche Verhandlung stattfinden bzw. zumindest möglich sein (vgl dazu zuletzt Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 9. Juni 2016, Aktenzeichen (Az) 44164/14 mwN).

Bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid, gegen den die Berufung - wie hier - nicht stattfindet, besteht damit ein Wahlrecht zwischen den Rechtsbehelfen "Nichtzulassungsbeschwerde" und "Antrag auf mündliche Verhandlung" (M. Kühl in: Breitkreutz/Fichte. SGG. 2. Aufl. 2014, § 105 Rn 6). Werden beide Rechtsbehelfe eingelegt, besagt die gesetzliche Kollisionsregel, dass mündliche Verhandlung stattfindet, § 105 Abs 2 Satz 3 SGG. Damit ist im Kollisionsfall nur der Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft (" [ ] findet [ ] statt"), die Nichtzulassungsbeschwerde findet (im Umkehrschluss) nicht statt (so wohl auch Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a. SGG. Kommentar. 12. Aufl. 2017, § 105 Rn 17). Das kommt zutreffend in der dem Gerichtsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung zum Ausdruck, wenn es dort heißt, anstelle (und nicht: neben) der Beschwerde könne mündliche Verhandlung beantragt werden.

Die aus dem Wortlaut hergeleitete formale Logik des Gesetzes ("Wenn beide Rechtsbehelfe eingelegt sind, dann findet - nur - mündliche Verhandlung statt") wird durch die Regelung in § 105 Abs 3 SGG ergänzt und bestätigt. Diese Vorschrift besagt, dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt, wenn rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wird ("Wenn mündliche Verhandlung beantragt ist, dann existiert keine anfechtbare Entscheidung mehr"). Das ist hier der Fall, da der Kläger gegen den ihm am 6.6.2017 bekannt gegebenen Gerichtsbescheid am 3.7.2017 - und damit rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG - die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat. Damit existiert kraft gesetzlicher Fiktion im Zeitpunkt der rechtzeitigen Beantragung einer mündlichen Verhandlung keine Entscheidung mehr, gegen die ein Rechtsmittel eingelegt werden könnte. Eine bereits oder gleichzeitig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde geht ins Leere; sie ist/wird auch deshalb unzulässig, weil es (fortan) an einer formell beschwerenden Entscheidung fehlt.

Das steht in Einklang mit der Systematik des Verfahrensrechts im SGG und dem Sinn und Zweck dieser den Kläger ausschließlich begünstigenden Regelungen. Mit dem Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wird das Klageverfahren wieder beim SG anhängig, das hier für die Klage ausschließlich funktionell (instanziell) zuständig ist, § 8 SGG. Vor diesem Gericht findet eine mündliche Verhandlung unter Beteiligung ehrenamtlicher Richter statt, §§ 12 Abs 1 Satz 1, 124 Abs 1 Satz 1 SGG. Gegen die (verfahrensabschließende) Entscheidung des SG stehen dem Kläger erneut die im Prozessrecht vorgesehenen Rechtsmittel gegen verfahrensabschließende Entscheidungen zur Verfügung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs 2 Satz 1, 53 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 1 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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