L 17 U 749/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 U 189/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 749/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.11.2014 (Az. S 13 U 188/13) wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im zugrundeliegenden Verfahren streiten die Beteiligten über die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.8.2009 und die Gewährung einer Verletztenrente. Sein ursprünglich auch auf die Gewährung von Verletztengeld gerichtetes Begehren verfolgt der Kläger nicht weiter.

Der 1968 geborene Kläger war als Müllwerker bei der Stadt N beschäftigt. Ausweislich des Durchgangsarztberichtes des Privatdozenten (PD) Dr. L vom 20.8.2009 hatte sich der Kläger an diesem Tag den 3. und 4. Finger rechts in einer Ladeluke eingeklemmt. Die Erstdiagnose lautete: Nagelkranzfrakturen Finger 3 und 4 rechts. Im Bericht des Krankenhauses C C GmbH H vom 8.10.2009, der sich zu einem stationären Aufenthalt vom 20.8. bis 21.8.2009 verhält, heißt es, es sei eine Gipsschienenruhigstellung für vier Wochen vorgenommen worden. Der Chirurg und Durchgangsarzt Dr. C, N, berichtete am 8.12.2009, der 3. und 4. Finger seien leicht geschwollen, die Streckung der Langfinger sei mittlerweile möglich, die Beugung des 3.und 4. Fingers noch eingeschränkt, eine rentenberechtigende MdE werde nicht entstehen. Die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik E (BGU) führt in ihrem auf einer ambulanten Untersuchung beruhenden Bericht vom 25.3.2010 aus, vom klinischen Aspekt zeige sich ein eingeschränkter aktiver Faustschluss für die Finger D 3 und D 4 von 2,5 cm, passiv ließen sich die Finger nahezu komplett in die Hohlhand einschlagen. Eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß verbleibe nicht.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens legt der Kläger einen Bericht des ihn seit Oktober 2010 behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. T, I, vom 15.11.2010 vor. Darin heißt es, es ergebe sich die Diagnose einer depressiven Anpassungsstörung sowie einer erheblich ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung, die sich verlaufstypisch erst mit einer gewissen Verzögerung nach dem Unfallgeschehen vom 20.8.2009 eingestellt habe. Im Übrigen äußerte er die Verdachtsdiagnose eines chronisch regionalen Schmerzsyndroms (CRPS). Es sei ein Dauerschaden zu befürchten, der nicht unter 30 v.H. liege, er könne auch signifikant höher liegen. Der Arzt für Anästhesie L, F, bei dem der Kläger sich in schmerztherapeutische Behandlung begeben hat, berichtete am 14.2.2011 von einem chronischen Schmerzsyndrom Stadium II nach Gerbershagen im direkten Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen. Entgegen Dr. T schätzte er die MdE prognostisch mit mindestens 40 v.H. ein.

Die Beklagte holte sodann das chirurgische Gutachten des Prof. Dr. C1, Klinikum W S, vom 28.6.2011 ein. Er gelangte aufgrund einer körperlichen Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, als Folgen des Unfalls lägen eine knöchern konsolidierte Nagelkranzfraktur D3/D4 rechts ohne Zeichen einer posttraumatischen Arthrose der angrenzenden Gelenke, eine endgradige Bewegungseinschränkung der Langfinger D3/D4 rechts mit unvollständigem Faustschluss und einem verbleibenden Abstand Nagelrand/ quere Hohlhandfalte von 1 cm im Bereich D3/D 4 rechts, Verschmächtigung der Handbinnenmuskulatur rechts, reizlose Narbenbildungen am dritten und vierten Strahl nach chirurgischer Wundversorgung und Kirschnerdrahtosteosynthese D3/D4 rechts, beschriebene radiologische Veränderungen und ein Teil der beklagten Beschwerden vor. Die MdE schätzte er unter 10 v.H. ein. Weiter führte er aus, die Klagen stimmten mit dem Befund nicht überein, es bestehe eine auffällige Diskrepanz. Die Nagelkranzfraktur sei vollständig konsolidiert, der Kläger beklage aber eine nahezu vollständige Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes. Es werde eine fachneurologische und dermatologische Zusatzbegutachtung mit Durchführung eines seitenvergleichenden Schweißsekretionstestes zur Feststellung einer möglicherweise zentral sympathischen Nervenschädigung sowie eine handchirurgische Begutachtung vorgeschlagen.

In seinem dermatologischen Gutachten vom 18.7.2011 gelangt Prof. Dr. T2, Klinikum W, zu dem Ergebnis, es bestünden keine Hinweise auf eine verstärkte oder reduzierte Schweißsekretion palmar beiderseits. Der Neurologe Prof. Dr. C2, Klinikum W, gelangte in seinem Gutachten vom 14.10.2011 zu dem Ergebnis, der Verlauf der geklagten Beschwerden und die Temperaturdifferenz sprächen für ein chronisch regionales Schmerzsyndrom, das Ergebnis des Schweißsekretionstestes aber dagegen. Er empfahl die Durchführung einer Dreiphasenskelettszintigraphienach deren Durchführung er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 5.12.2011 ausführte, es liege ein normaler skelettszintigraphischer Befund vor. Dieser schließe ein CRPS nicht aus, da die Szintigraphie bei 30 % der Erwachsenen auch normal ausfallen könne.

Nach Sichtung der fachdermatologischen und fachneurologischen Zusatzbegutachtung schätzte Prof. Dr. C1 in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12.1.2012 die MdE nach dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 6.4.2010 mit unter 10 v.H. ein. Beratungsärztlich befragt gelangte der Neurologe Dr. Q am 16.4.2012 zu dem Ergebnis, unfallbedingte Schäden könnten Schmerzen und eine Bewegungseinschränkung am Endglied des 3. und 4. Fingers rechts sein. Unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender Befunde betrage die unfallbedingte MdE 10 v.H.

Mit Bescheid vom 25.4.2012 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 20.8.2009 als Arbeitsunfall an, lehnte aber die Gewährung einer Rente ab. Als Unfallfolgen erkannte sie eine Bewegungseinschränkung in den Endgliedern des 3. und 4. Fingers der rechten Hand an, MdE 10 v.H., weitere Unfallfolgen, insbesondere ein CRPS, lägen nicht vor.

Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.5.2013 zurückwies.

Hiergegen hat der Kläger am 17.6.2013 vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen fristgerecht Klage erhoben. Prof. Dr. C2 habe darauf hingewiesen, dass ein typischer Verlauf eines CRPS vorliege, dessen Feststellung nicht in die medizinische Bewertung von Prof. Dr. C1 eingeflossen sei. Den Ausführungen des Beratungsarztes Dr. Q fehle die Begründung, er sei abhängig von der Beklagten. Das Ergebnis der dermatologischen Begutachtung sei kritikwürdig, weil die Tests nicht mit den erforderlichen Standards dokumentiert worden seien, das neurologische Gutachten schließe den Befund des Dr. T nicht ein. Der Kläger hat zwei weitere Stellungnahmen des Dr. T vom 28.2.2012 und 29.10.2013 vorgelegt und einen Bericht des Dermatologen Dr. B vom 27.2.2012, in dem es heißt, dermatologischerseits spreche im Zusammenhang mit der Pathogenese nichts gegen die Annahme eines CRPS. Darüber hinaus hat er das Gutachten des Neurologen Prof. Dr. I, N, vom 22.4.2013 vogelegt, das im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vor dem Landgericht Düsseldorf eingeholt worden ist.

Der Kläger hat nach dem Inhalt seiner Schriftsätze beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 25.4.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.5.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.8.2009 Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat nach dem Inhalt ihrer Schriftsätze beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Handchirurgen Dr. T1 vom 11.11.2013. Als Unfallfolge sah dieser die knöchern in Verformung konsolidierte Nagelkranzfraktur des rechten Mittel-und Ringfingers an. Keine Unfallfolgen seien die gravierende Einschränkung der rechtsseitigen Schulterbeweglichkeit, Einschränkung der Ellenbogen- und Handgelenksbeweglichkeit, geminderte Streckfähigkeit der Finger, erheblich geminderte Beugefähigkeit aller Langfinger mit Unfähigkeit, einfache Gegenstände festzuhalten sowie eine völlige Kraftlosigkeit der rechten oberen Extremität. Die MdE für die Unfallfolgen liege unter 10 v.H. Eine vorgesehene neurologische Begutachtung durch Dr. C, Knappschaftskrankenhaus E, hat nicht stattfinden können, da der Kläger den Begutachtungstermin nicht wahrgenommen hat.

Gestützt auf das Gutachten von Dr. T1 hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26.11.2014 abgewiesen. Ein CRPS sei hier keine Unfallfolge. Ein Anspruch auf Verletztenrente bestehe nicht,

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 5.12.2014 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 23.12.2014. Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Die unterlassene neurologische Begutachtung solle nachgeholt werden. Die Frage, ob ein CRPS vorliege, sei für die Zahlung der Verletztenrente bedeutsam.

Nachdem der Kläger seine ursprünglich auch gegen die Einstellung des Verletztengeldes (mit Bescheid vom 21.5.2012 in der Gestalt des weiteren Widerspruchsbescheides vom 15.05.2013; weiteres klageabweisendes Urteil S 13 U 189/13 des SG vom 26.11.2014, nach Berufungseinlegung Verbindung beider Verfahren durch Beschluss des Senats vom 26.1.2015) gerichtete weitere Berufung im Termin vor dem erkennenden Senat am 10.11.2017 zurückgenommen hat, beantragt er nun noch,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.11.2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.5.2013 zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und ein CRPS als weitere Folge des Unfalls vom 20.8.2009 anzuerkennen,

hilfsweise,

von Amts wegen Beweis zu erheben durch eine erneute stationäre Untersuchung und Beobachtung des Klägers neurologisch/psychiatrischerseits sowie zu der Tatsache, ob die zeitnah nach dem hier streitigen Unfall erhobenen Befunde das Vorliegen eines CRPS als Folge des Unfalls vom 20.8.2009 wahrscheinlich machen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines handchirurgischen Gutachtens des Dr. X, F, vom 26.10.2015. Die Nagelkranzfraktur am rechten Mittel- und Ringfinger hat dieser als Unfallfolge im Sinne der Entstehung angesehen. Relevante Funktionsstörungen lägen dadurch aber nicht vor. Die MdE liege unter 10 v.H. Ob eine vermehrte Schweißneigung als Unfallfolge vorliege, müsse neurologisch geklärt werden. Dazu hat der Senat das auf einer Untersuchung beruhende Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. L2, F, vom 10.1.2016 eingeholt. Danach liegen auf diesem Fachgebiet keine Unfallfolgen vor. Bis sechs Monate nach dem Unfall seien nur Befunde beschrieben worden, die gut mit der ursprünglichen Verletzung (Nagelkranzfrakturen des rechten Mittel-und Ringfingers) vereinbar bzw. allein damit erklärt seien. Insbesondere liege kein CRPS vor. Hierfür fehle es bereits am Vorliegen auch nur geringster Anfangsbefunde. Die beim Kläger durchgeführten Untersuchungen und die dabei erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunde im 1. Halbjahr nach dem Unfall seien ausreichend, im Nachhinein ein CRPS in dieser Zeit auszuschließen. Seit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 6.4.2010 bestehe nur die handchirurgisch festgestellte MdE von unter 10 vH. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im Gutachten Bezug genommen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wurde das Gutachten der Neurologin Prof. Dr. B1, E, vom 19.7.2016 eingeholt. Sie gelangt zu dem Ergebnis, beim Kläger liege ein komplexes regionales Schmerzsyndrom vor. Die Diagnose sei in erster Linie klinisch zu stellen. Sie basiere auf den sogenannten Budapester Kriterien (autonome, sensorische und motorische Defizite). Im Vordergrund stünden Schmerzen und eine wiederholt dokumentierte Schwellung der rechten Hand, letztere könne Atrophien maskieren. Von Dermatologen würden autonome Symptome (vermehrtes oder vermindertes Schwitzen) beschrieben. Frau Dr. L2, die das Vorliegen eines CRPS bestreite, müsse man entgegenhalten, wie sie denn die Schwellung der Hand fast sieben Jahre nach dem Unfallgeschehen erklären wolle. Als ursächlich für das komplexe regionale Schmerzsyndrom seien in der Forschung entzündliche, autoimmune und genetische Mechanismen identifiziert. Beim Kläger liege eine chronische Form des CRPS vor. Der Kläger sei vom Unfalltag an zu 100 %, dann bis zur Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit bei der Müllabfuhr im Jahre 2011 zu 80 % erwerbsunfähig, aktuell betrage die MdE 60 v.H.

Ergänzend befragt zur Kritik der Beklagten, das Gutachten erfülle nicht die an ein medizinisches Sachverständigengutachten anzulegenden Qualitätsanforderungen, es gehe nicht einmal aus dem Gutachten hervor, ob es aufgrund einer Untersuchung oder nach Aktenlage erstellt worden sei, führte Prof. Dr. B1 am 20.9.2016 im wesentlichen aus, das Gutachten beruhe auf einer Untersuchung des Klägers. Es sei verständlich, dass Beklagte versuchten, Argumente für sich zu nutzen, dennoch solle man vor einer gegebenen Realität die Augen nicht verschließen. Die Realität besage, es liege ein komplexes regionales Schmerzsyndrom vor, das drei habilitierte, akademisch tätige und langjährig erfahrene Neurologen unabhängig voneinander festgestellt hätten.

Ebenfalls ergänzend befragt führte Frau Dr. L2 am 2.12.2016 aus, wenn sich Prof. Dr. B1 wiederholt auf die Budapester Kriterien berufe, sei dazu nur zu sagen, dass das Kriterien seien, mit denen möglichst zeitig das Frühstadium eines CRPS als solches erkannt und eine Behandlung eingeleitet werden solle, eben dann, wenn die fatalen Dauerfolgen noch nicht eingetreten und vielleicht noch vermeidbar seien. Darum gehe es aber bei dem Kläger schon lange nicht mehr. Es sei abwegig, nur aufgrund einer Schwellung in einer Extremität ohne einen einzigen weiteren Befund ein CRPS zu diagnostizieren, noch dazu ein vier Jahre altes. Im Übrigen habe sie sich tatsächlich weit weniger auf die eigene Urteilsbildung als auf verschiedene Vorgutachter bezogen, mit denen aber im Hauptgutachten eine eingehende Auseinandersetzung erfolgt sei. Die Sachverständige scheine die Diagnose Schwellung mit CRPS gleichzusetzen. Die Gutachterin gehe außerdem von fachlich nicht zutreffenden Vorstellungen aus, wie ein chronifiziertes CRPS tatsächlich aussehe. Die Ergebnisse des Gutachtens, die Diagnose CRPS sowie die Bejahung des Unfallzusammenhangs entbehrten jeglicher medizinisch nachvollziehbaren Grundlage.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten sowie auf den Vortrag der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Streitgegenstand des Verfahrens ist nach Berufungsrücknahme im Übrigen noch die Feststellung einer weiteren Gesundheitsstörung (CRPS) als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente. Beides hat die Beklagte mit Bescheid vom 25.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.5.2013 abgelehnt. Sein Begehren verfolgt der Kläger zulässig mit der kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 S.1, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid vom 25.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.5.2013 ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 S. 1 SGG. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines CRPS als weitere Folge des Unfalls vom 20.8.2009 noch auf die Gewährung einer Verletztenrente.

Anspruch auf Rente, § 56 Abs.1 S.1 und 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung -, haben Versicherte, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier: des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls (§ 8 Abs. 1 SGB VII) - über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. oder bei Vorliegen eines Stützrententatbestandes um 10 v.H. gemindert ist. Für die Gewährung einer Rente ist erforderlich, dass länger andauernde Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität) und hierdurch der rentenberechtigende Grad der MdE bedingt wird. Dabei müssen Art und Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zulasten des Versicherten. Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien liegen als Gesundheitsstörungen, die Folge der beim Unfall am 20.8.2009 erlittenen Verletzungen als Gesundheiterstschaden sind, ein Zustand nach Nagelkranzfraktur am rechten Mittel- und Ringfinger mit bindegewebiger Abheilung am Ringfinger vor. Die Fingerverletzungen, die der Kläger sich beim Unfall zugezogen hat, sind so gut wie folgenlos ausgeheilt. Diese Gesundheitsstörungen führen zu keiner relevanten Funktionsbeeinträchtigung mehr, die nach dem Auslaufen des Verletztengeldes mit einer MdE in rentenberechtigendem Grade zu bewerten wäre. Bei dieser Einschätzung stützt der Senat sich auf das Gutachten des Handchirurgen Doktor X. Seine Feststellungen stimmen überein mit denen des Handchirurgen Dr. T1, der bereits im Auftrag des Sozialgerichts ein Gutachten auf diesem Fachgebiet erstellt hat. Auch der bereits im Verwaltungsverfahren gehörte Gutachter Prof. Dr. C1, S, ist in seinem Gutachten vom 28.6.2011 zu keiner abweichenden Beurteilung gelangt. Die Übereinstimmung der Sachverständigen bestätigt die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen. Der Senat hat daher keine Veranlassung, den gutachterlichen Vorschlägen nicht zu folgen, zumal auch der Kläger selbst die Richtigkeit der Ergebnisse der auf handchirurgisch/chirurgischem Gebiet eingeholten Gutachten nicht anzweifelt.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist jedoch ein CRPS nicht als weitere Folge des Unfalls vom 20.8.2009 anzuerkennen. Dabei kann die Frage, ob überhaupt ein CRPS beim Kläger gegeben ist, dahingestellt bleiben, denn es fehlt auf jeden Fall am Zusammenhang eines solchen mit dem erlittenen Arbeitsunfall. Hierbei stützt der Senat sich auf die Ausführungen im Gutachten von Dr L2 vom 10.1.2016 i.V.m. ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 2.12.2016. Die Sachverständige hat die erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen schlüssig dargelegt und die darauf beruhende Beurteilung überzeugend begründet. Dr. L2 ist dem Senat als versierte Sachverständige auf dem Fachgebiet der Neurologie aus zahlreichen Parallelverfahren hinreichend bekannt. Sie ist mit den Begutachtungskriterien für Kausalitätsfragen in der gesetzlichen Unfallversicherung bestens vertraut und zeichnet sich durch eine gründliche und detailgetreue Aufarbeitung des gesamten Akteninhalts und eine exakte Anamneseerhebung aus. Gegen die Heranziehung des Gutachtens der Dr. L2 als Entscheidungsgrundlage spricht nicht, dass sie Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers äußert, da es sich hierbei nur um einen Teilaspekt der Begründung ihres Ergebnisses handelt und auch die handchirurgischen Sachverständigen Dr. T1 und Dr. X von fehlenden Hinweisen auf eine Gebrauchsminderung der rechten Hand sowie einer auffälligen Diskrepanz zwischen erhobenen Befunden und geschilderter Symptomatik berichten. Maßgeblich und für den Senat überzeugend stellt Dr. L2 auf den nur von ihr umfassend geprüften zeitlichen Verlauf der vom Kläger nach dem Unfall geäußerten Beschwerden und der von den Ärzten erhobenen Befunde ab, was für die Diagnosestellung eines CRPS von elementarer Bedeutung ist.

In den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS), Stand September 2012 (nachfolgend: DGN-Richtlinien), die den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft widerspiegeln und auf die sich die Sachverständige bei ihrer Beurteilung stützt, wird im Zusammenhang mit der Diagnostik ausgeführt, die Diagnose CRPS sei eine klinische Diagnose, deshalb seien die Anamneseerhebung und die klinisch-orthopädische und neurologische Untersuchung die entscheidenden Schritte. Das CRPS ist danach ein posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, bei dem die Schmerzen im Vergleich zum erwarteten Heilungsverlauf unangemessen stark sind. Die Symptome müssen deshalb außerhalb der Traumastelle auftreten und sich nicht auf das Innervationsgebiet peripherer Nerven oder Nervenwurzeln beschränken. Die gut sichtbaren Befunde des CRPS und nicht nur die Beschwerdeangaben entwickeln sich immer zeitnah zu der Verletzung (DGN-Richtlinien, S. 3 Abb. 63.1 oben). Darauf hatte bereits der Beratungsarzt Dr. Q in seiner Stellungnahme vom 16.4.2012 hingewiesen, in der er ausführt, wichtige Voraussetzung zur Anerkennung eines CRPS sei, dass innerhalb von drei Monaten nach dem Akutereignis Entzündungszeichen (Schwellung, Rötung, Wärme, Schmerzen und Funktionsstörungen) aufträten und es im weiteren Verlauf zu einer Blaufärbung der Haut, zu einem Kältegefühl und einer erhöhten Schweißbildung komme. Eine zeitnahe Entwicklung liegt auch nach Dr. L2 nur vor, wenn die Störungen innerhalb von Tagen oder in Einzelfällen einigen Wochen auftreten aber nicht mehr, wenn der erste Befund erst nach Monaten beschrieben wird.

So liegt der Fall aber hier: Allein schon an der Voraussetzung des zeitlichen Zusammenhangs der genannten Befunde mit dem Unfallgeschehen mangelt es vorliegend. Die klinische Diagnosestellung erfolgt nach den DGN-Richtlinien im Wesentlichen durch vier Kriterien: 1) Hyperalgesie, Hyperästhesie, Allodynie; 2) Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe; 3) Asymmetrie im Schwitzen, Ödem; 4) reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, Schwäche, Veränderungen von Haar-/Nagelwachstum. Die sichtbare Klinik und der Schmerz als Symptomatik müssen in zeitlichem Zusammenhang mit einem Extremitätentrauma auftreten und über die Traumastelle hinausgehen. Beim Kläger sind bis sechs Monate nach dem Unfall nur Befunde beschrieben worden, die mit der ursprünglichen Verletzung (Nagelkranzfrakturen des rechten Mittel- und Ringfingers) vereinbar bzw. allein damit erklärt sind. Von auch nur geringen Anfangsbefunden eines CRPS ist in den Befundberichten aus dieser Zeit nicht ansatzweise etwas zu finden. Nach dem Unfall am 20.8.2009 sind übereinstimmend in mehreren Berichten als Verletzungsfolgen (nur) dokumentiert: Äußerliche Quetschung und Beschädigung der Fingernägel an den Endgliedern des rechten Mittel- und Ringfingers, röntgenologisch mit Brüchen der körperfernen Enden der knöchernen Endglieder dieser beiden Finger (Nagelkranzmehrfragmentfrakturen, vgl. Berichte des BKB vom 20.8.2009 und 8.10.2009, Nachschaubericht Doktor H vom 18.12.2009). Im Operationsbericht vom Unfalltag sowie im Entlassungsbericht der Klinik finden sich keine Hinweise auf ein CRPS, auch nicht auf den Ohnmachtsanfall mit krampfanfallähnlichen Zuckungen, den der Kläger nach der Operation erlitten haben will und von dem er erstmals mehr als ein Jahr später berichtet (Bericht Dr. C, I, vom 2.1.2012). Der weitere Verlauf ab 21.8.2009 wird als völlig komplikationslos beschrieben. Am 30.9.2009, also ca. sechs Wochen nach dem Unfall, ist eine restliche Schwellung nur an den ursprünglich auch tatsächlich verletzten Fingerendgliedern beschrieben, eine Druckschmerzhaftigkeit und Missempfindungen ausdrücklich nur an den Fingerbeeren vom rechten Ring- und Mittelfinger (Nachschaubericht Doktor H vom 30.9.2009). Am 8.12.2009 beschreibt Dr. C noch eine leichte Schwellung und Beugebehinderung des rechten Mittel- und Ringfingers, keine Auffälligkeiten sonst, auch keine ungewöhnlichen Schmerzangaben und keine Symptome oder auch nur Beschwerdeangaben über das ursprüngliche Verletzungsgebiet (Fingerkuppen) hinaus. Vielmehr wurde zu diesem Zeitpunkt eine berufliche Wiedereingliederung angeregt mit vorübergehender innerbetrieblicher Umsetzung. Auch auf Röntgenaufnahmen vom 31.12.2009, also gut vier Monate nach dem Unfall, sind bis auf die Folgen der Nagelkranzfrakturen an den Endgliedern von Mittel- und Ringfinger keine Auffälligkeiten beschrieben, weder eine diffuse leichte Entkalkung, wie bei erheblichem Mindergebrauch der Hand der Finger zu erwarten, noch die spezifische Form kleinfleckiger Entkalkung der Knochen, wie sie zum CRPS gehört (Nachschaubericht Dr. H vom 30.12.2009). Damit lagen zu diesem Zeitpunkt weder Beschwerdeschilderungen noch Befunde vor, die den Verdacht auf einen irgendwie komplizierten Heilverlauf oder gar ein CRPS hätten aufkommen lassen können. Unter dem 2.3.2010 beschreibt Dr.S, BGU E, eine Verschmächtigung der Fingerkuppen von rechtem Ring-und Mittelfinger, also keine Schwellung mehr, wie bei einem CRPS zu fordern wäre, ausdrücklich keine Nagelwachstumsstörungen oder sonstigen auffälligen Befunde an der Haut und den Weichteilen der Hand, keine Muskelminderung an der Extremität, wie sie bei einem monatelangen nennenswerten Mindergebrauch hätte vorliegen müssen. Die Röntgenkontrolle wird mit verheilten Knochenbrüchen beschrieben, am Ringfinger mit lose gebliebenen Bruchstücken, erneut keine über die ursprüngliche Verletzung hinausgehenden Knochenveränderungen. Es bestand lediglich eine erhebliche Klopf- und Berührungsempfindlichkeit als subjektive Angabe des Klägers, sowie als Beweglichkeitsbehinderung ein aktiv unvollständiger Faustschluss rechts, passiv vollständig. In seinem Bericht vom 27.4.2010 führt Dr. K, BGU E, aus, das Heilverfahren werde mit Arbeitsfähigkeit am 6.4.201 abgeschlossen, eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß verbleibe nicht. Angesichts dieses Verlaufs steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es an dem oben beschriebenen Kriterium des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem CRPS und dem Arbeitsunfall mangelt, so dass es auf weitere Kriterien (Handschwellung, Hautverfärbung regelmäßige Arztbesuche, aktuelle Medikamenteneinnahme) insbesondere zur Klärung der Frage, ob beim Kläger ein solches überhaupt vorliegt, nicht ankommt ... Soweit das Gutachten von Prof. Dr. B1 zum gegenteiligen Ergebnis gelangt, überzeugt es den Senat nicht. Es stützt sich allein auf die nicht belegten Angaben des Klägers zur Schmerzentwicklung, die die Sachverständige ungeprüft übernimmt. Auch auf den entsprechenden Vorhalt wird im Rahmen der ergänzenden Stellungnahme keine plausible Begründung für das Ergebnis abgegeben. Die Ausführungen lassen jegliche Auseinandersetzung mit den Kriterien für die Diagnose eines CRPS vermissen und genügen auch nicht den Anforderungen an die Kausalitätsbegutachtung der gesetzlichen Unfallversicherung, da allein die Beschwerdeangaben des Klägers als maßgebliches Entscheidungskriterium herangezogen werden, ohne die Diagnose anhand gängiger Kriterien, wie sie in der DGN-Leitlinie dargestellt werden, zu begründen. Ein zeitlicher Zusammenhang wird nicht belegt. Gleiches gilt auch für die Ausführungen des Dr. T in seinen vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen. Dr. T hatte schon im November 2010 ausgeführt, als Verdachtsdiagnose sei durch die Unfallakten ein CRPS belegt. Diese Ausführungen sind schon deshalb nicht überzeugend, weil eine Verdachtsdiagnose keine Unfallfolge begründet, weil zeitnah zum Unfall die notwendigen aktenkundigen Befunde gerade fehlen und weil er darauf hinweist, erst seit dem 15.10. 2010 mit den Gegebenheiten vertraut zu sein, was bedeutet, dass der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt in seine Behandlung gekommen ist. Zu diesem Zeitpunkt lag der Unfall aber schon mehr als ein Jahr zurück, so dass die von Dr. T gemachten Ausführungen für die zu klärende Frage des Zusammenhangs eines CRPS mit dem Arbeitsunfall vom 20.8.2009 nicht aussagekräftig sind. Auch das Gutachten des Prof. Dr. I, dass dieser in dem vom Kläger geführten Zivilprozess vor dem Landgericht Düsseldorf erstellt hat gibt zu keiner abweichenden Beurteilung Anlass, denn ausweislich des zu den Akten gereichten Protokolls über die Sitzung vom 8.7.2014 - 9 O 487/11 -, in der der Sachverständige mündlich angehört wurde, wird der für die Diagnosestellung erforderliche zeitliche Zusammenhang nicht problematisiert.

Der hilfsweise geäußerten Anregung des Klägers nachzugehen, weiter Beweis zu erheben durch einen stationären Aufenthalt in einer neurologisch/psychiatrischen Klinik, sieht der Senat keinen Anlass. Da es, wie ausgeführt, für die Kausalität des Arbeitsunfalls für ein evtl. CRPS auf die zeitnah erhobenen Befunde ankommt, vermag ein mehr als acht Jahre nach dem streitigen Unfall stattfindender stationärer Aufenthalt hierüber keine weitere Klärung zu bringen. Die maßgeblichen zeitnah erhobenen Befunde sind hinreichend dokumentiert, es wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht, dass diese unvollständig seien. Ebenso wenig besteht Ermittlungsbedarf zu der Frage, ob diese Befunde das Vorliegen eines CRPS hinreichend wahrscheinlich machen. Hierzu verhält sich, wie dargestellt, das Gutachten der Dr. L2 in hinreichender Weise. Die Frage der Überzeugungskraft dieses Gutachtens für die streitentscheidende Frage, ob ein CRPS hinreichend wahrscheinlich kausal durch den Unfall verursacht ist, ist eine Frage richterlicher Beweiswürdigung, für die es weiterer Beweiserhebung nicht bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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