L 5 KR 130/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 28 KR 704/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 130/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 4/18 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.01.2017 wird geändert und der Bescheid vom 07.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2016 insoweit aufgehoben, als die Beklagte die Kostenübernahme für die Kinder der Klägerin abgelehnt hat. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über die Bewilligung der Maßnahme als Mutter-Kind-Maßnahme unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für zwei Kinder als Begleitkinder zu einer der Klägerin bewilligten Vorsorgemaßnahme für Mütter tragen muss.

Die 1971 geborene Klägerin ist verheiratet und bei der Beklagten krankenversichert. Sie arbeitet als Verwaltungsfachangestellte in Teilzeit (20 Wochenstunden). Ihr Ehemann ist als verbeamteter Schulleiter einer Grundschule in Vollzeit tätig, wobei die Konrektorenstelle an dieser Schule seit längerer Zeit unbesetzt ist. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Tätigkeitsbeschreibung des Ehemannes der Klägerin vom 24.04.2017 (Blatt 72 f. der Prozessakte) Bezug genommen. Die gemeinsamen 2009 und 2012 geborenen Söhne der Klägerin und ihres Ehemannes sind über ihren Vater beihilfeberechtigt und im Übrigen privat krankenversichert. Der jüngere Sohn besucht eine Kindertagesstätte, der ältere eine Ganztagsgrundschule. Die Betreuung in der Grundschule ist täglich bis 15:00 Uhr obligatorisch und darüber hinaus bis maximal 16:00 Uhr möglich. Die Kindertagesstätte hat bis 16:30 Uhr geöffnet. Bei dem älteren Sohn wurde eine ADHS-Erkrankung diagnostiziert.

Unter dem 23.02.2016 beantragte die Klägerin für sich und die beiden Söhne bei der Beklagten über den Caritasverband I eine dreiwöchige stationäre medizinische Vorsorge- bzw. Rehabilitationsmaßnahme in einer Klinik des Müttergenesungswerkes. Dem Antrag waren für beide Kinder Atteste des behandelnden Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin S vom 16.02.2016 beigefügt. Eine Trennung von der Mutter für die Dauer der Maßnahme sei nicht zu verantworten oder unzumutbar, weil eine enge Mutter-Kind-Bindung bestehe. In der Selbstauskunft gab die Klägerin u.a. an, sie erhoffe sich von der Kur Hilfe und Tipps für den Umgang mit ihrem an ADHS erkrankten Sohn und eine Aufarbeitung der belastenden Mutter-Kind-Beziehung.

Die Beklagte legte den Antrag ihrem Sozialmedizinischen Dienst (SMD) vor, der in einer formularmäßigen Stellungnahme nach Aktenlage vom 02.03.2016 mitteilte, die beantragte Maßnahme sei als Vorsorgeleistung einschließlich der Mitaufnahme der Kinder medizinisch erforderlich.

Mit Bescheid vom 07.03.2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine dreiwöchige medizinische Vorsorgemaßnahme für Mütter gemäß § 24 SGB V "in einer Einrichtung der KAG Müttergenesung (Caritas)". Gleichzeitig lehnte sie die Kostenübernahme für die beiden Söhne ab. Es fehle insoweit an einer gesetzlichen Grundlage für eine Kostenübernahme, weil ein Versicherungsverhältnis der Söhne mit der Beklagten nicht bestehe. Die Klägerin möge sich an die private Versicherung der Kinder wenden oder die Kosten selbst tragen.

Hinsichtlich der Ablehnung der Kostenübernahme für die beiden Söhne legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Krankenversicherung der Kinder sei nicht zuständig, da diese nicht selber behandlungsbedürftig, sondern lediglich Begleitkinder seien. Ohne die Mitaufnahme der Söhne könne die medizinisch notwendige Maßnahme für die Klägerin nicht stattfinden. Der Leistungsanspruch ergebe sich (auch) aus § 11 Abs. 3 SGB V.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Medizinische Vorsorgeleistungen für Mütter und Väter seien in § 24 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 23 Abs. 1 SGB V geregelt. Die Leistung könne in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden. Die Behandlung der Mutter stehe bei Mutter-Kind-Maßnahmen im Vordergrund. Allerdings könnten auch Kinder (in der Regel bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres) mit aufgenommen werden, wenn

- das Kind selbst behandlungsbedürftig sei,
- bei Trennung eine psychische Störung des Kindes zu befürchten sei,
- eine belastete Mutter-Kind-Beziehung verbessert werden solle,
- die Trennung des Kindes von der Mutter unzumutbar sei,
- das Kind nicht anderweitig versorgt werden könne und die Durchführung der Leistung für die Mutter sonst scheitern würde.

Für den Fall, dass Mutter und Kind bei derselben Kasse versichert seien, sei die Mutter-Kind-Kur als Einheit anzusehen. Für den Fall, dass Mutter und Kind bei verschiedenen Kassen versichert seien, hätten die Krankenkassenverbände auf Bundesebene mit dem Müttergenesungswerk einschließlich seiner Trägergruppen in einer gemeinsamen Rahmenempfehlung folgendes geregelt:

- Wenn das Kind selber vorsorge- oder rehabilitationsbedürftig sei (Therapiekind), habe die Krankenkasse des Kindes dessen Kosten zu übernehmen.
- Werde das Kind aus sonstigen Gründen mitgenommen (Begleitkind), müsse die Krankenkasse des Elternteils die Kosten für das Kind übernehmen.

Diese Regelung gelte jedoch nicht für privat versicherte Kinder, da die Privatversicherungen weder an der Rahmenempfehlung beteiligt seien noch diese gegen sich gelten ließen. Die Mitaufnahme der Kinder zu Lasten der Beklagten sei hier daher ausgeschlossen.

Am 17.05.2016 hat die Klägerin beim Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben. Die Voraussetzungen des § 24 SGB V seien erfüllt. Die Vorschrift verlange nicht, dass die Kinder in der gleichen Versicherung oder überhaupt gesetzlich versichert seien. Da ihre beiden Söhne nicht anderweitig betreut werden könnten, ohne dass die Durchführung der Leistung scheitern würde, habe die Beklagte die Kosten für die Mitaufnahme zu tragen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 07.03.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2016 dahingehend abzuändern, dass die Kosten für die privat versicherten Begleitkinder durch die Beklagte zu übernehmen sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend hat sie die Auffassung vertreten, privat versicherte Kinder seien von der Leistung nach § 24 SGB V ausgeschlossen, da es sich um eine Regelung für gesetzlich Versicherte handele.

Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht am 24.01.2017 durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage abgewiesen. Von einer Darstellung der Entscheidungsgründe hat das Gericht unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten gemäß § 136 Abs. 3 SGG abgesehen.

Am 15.02.2017 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die von der Beklagten zitierte Rahmenvereinbarung verdränge § 24 SGB V nicht. Das Gesetz stelle nicht darauf ab, ob Kinder Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung seien. Da die Söhne der Klägerin nicht selbst behandlungsbedürftig seien, sei deren Mitaufnahme lediglich die akzessorische Nebenleistung zur Hauptleistung (Mutter-Kur). Diese Rechtsauffassung werde von dem (ehemaligen) Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Patientinnen und Patienten geteilt (vorgelegtes Schreiben vom 18.09.2012 an die Geschäftsführerin des ev. Fachverbandes für Frauengesundheit). Der Ehemann der Klägerin könne die Kinder nicht betreuen, da er als Schulleiter beruflich zu sehr eingespannt und in der Schule anwesenheitspflichtig sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24.01.2017 zu ändern und nach dem Klagantrag zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung und das erstinstanzliche Urteil weiterhin für zutreffend.

Die Klägerin hat zwei weitere (für die beiden Söhne der Klägerin gleichlautende) Atteste des Kinder- und Jugendmediziners S vom 26.04.2017 vorgelegt. Danach hält Herr S aufgrund des Alters der Kinder eine Trennung von der Klägerin für unzumutbar. Ein Kuraufenthalt während der Schulferien sei nicht möglich, da Ferientermine den Eltern mit Kindern auf weiterführenden Schulen vorbehalten seien.

Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 01.06.2017 Beweis erhoben durch die Vernehmung des Ehemannes der Klägerin als Zeugen. Zum Inhalt sowie zum Ergebnis des Termins und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 85 bis 88 der Prozessakte) Bezug genommen.

Nach dem Verhandlungstermin hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er es für erforderlich halte, zu ermitteln, ob die Mitaufnahme der Söhne der Klägerin aus anderen Gründen als einer fehlenden Betreuungsmöglichkeit notwendig sei (Schreiben vom 01.06.2017).

Der Klägerin ist aufgegeben worden, mitzuteilen, wann und wo sie die in dem Selbstauskunftsbogen angegebenen Maßnahmen der Erziehungsberatung, Eheberatung und eine Selbsthilfegruppe in Anspruch genommen bzw. besucht habe und die entsprechenden Stellen von der Schweigepflicht zu entbinden. Des Weiteren möge sie Herrn S oder andere geeignete Personen (z.B. Leitung der Kindertagesstätte, Klassenlehrer, OGS-Betreuer) benennen, die konkrete Angaben dazu machen können, warum eine Trennung von ihren Söhnen bei diesen zu psychischen Störungen führen könnten, ob/warum/wie eine belastende Mutter-Kind-Beziehung verbessert werden solle und/oder warum eine Trennung aufgrund der besonderen familiären Situation unzumutbar sei.

Der Beklagten ist aufgegeben worden, mitzuteilen, zu welchen Terminen und in welchen geeigneten Einrichtungen während der Schulferienzeit in Nordrhein-Westfalen eine dreiwöchige Mutter-Kur stattfinden könne.

Die Beklagte hat unter dem 28.06.2017 mitgeteilt, dass während der Schulferienzeiten in Nordrhein-Westfalen Termine für Mutter-Kind-Maßnahmen in allen Mutter-Kind-Einrichtungen ausnahmslos ausgebucht seien.

Die Klägerin hat eine (weitere) Stellungnahme des Herrn S vom 23.06.2017 sowie ein Schreiben der Kurberaterin der Caritas, Frau H, vom 22.06.2017 vorgelegt und beantragt, die Angelegenheit erneut zu terminieren. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten dieser Ausführungen wird auf Blatt 94 bis 96 der Prozessakte Bezug genommen. Die Klägerin hat es ausdrücklich abgelehnt, Schweigepflichtentbindungserklärungen abzugeben, da dies einen tiefen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte bedeute. Weitergehende Fragen des Senats nach der Durchführung einer in Aussicht genommenen stationären Aufnahme des älteren Sohnes in der W Kinderklinik bzw. der zwischenzeitlichen Aufnahme einer Psychotherapie durch die Klägerin (Schreiben vom 24.08.2017) hat sie nicht beantwortet.

Der Senat hat beim Schulamt für die Stadt H genauere Informationen über die Anwesenheitspflicht von Schulleitern an Grundschulen in dem Schulbezirk beigezogen. Danach müssen Schulleiterinnen und Schulleiter in der Regel während der allgemeinen Unterrichtszeit in der Schule anwesend und bei Verhinderung die Vertretung sichergestellt sein. Auch in den Schulferien müssen die Dienstgeschäfte der Schulleitung ausreichend wahrgenommen werden (§ 30 Abs. 2 Allgemeine Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen (ADO)). Eine Vertretungsregelung ist zu treffen und der zuständigen Schulaufsichtsbehörde sowie dem Schulträger zu melden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

A) Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 07.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2016 (§ 95 SGG), soweit es die Beklagte darin abgelehnt hat, auch die Kosten für eine Mitaufnahme der beiden Söhne der Klägerin in der Kureinrichtung zu übernehmen.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 S. 1, 56 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Da es sich bei den Kosten für den Kuraufenthalt der Klägerin und den Kosten für die Mitaufnahme der Söhne um unterschiedliche sowohl logisch als auch tatsächlich trennbare Regelungsgegenstände handelt, bestehen insbesondere keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Teilanfechtung (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 54 Rn. 8b) der genannten Bescheide.

Die Klage ist jedoch nur insoweit begründet, als die Bescheide (im Umfang ihrer Anfechtung) aufzuheben sind (dazu I.) und die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten ist (dazu II.).

I. Zwar bestehen gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Bescheide keine Bedenken. Sie sind jedoch materiell rechtswidrig, weil die Beklagte die Kostenübernahme für die Mitaufnahme der beiden Söhne der Klägerin in die Kureinrichtung nicht schon auf tatbestandlicher Ebene mit der Begründung ablehnen durfte, diese seien nicht gesetzlich versichert. Die Klägerin ist damit beschwert im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2 SGG.

Nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte unter den in § 23 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung; die Leistung kann in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden.

1. Die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind erfüllt. Die Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Nach den Feststellungen des SMD liegt bei ihr eine Schwächung der Gesundheit vor, die in absehbarer Zeit zu einer Krankheit führen würde. Dies ist nach den Angaben der Klägerin in dem Selbstauskunftsbogen zur (Doppel-)Belastung durch Beruf und Familie nachvollziehbar und zwischen den Beteiligten im Übrigen unstreitig.

Da die Klägerin in der Vergangenheit noch keine Vorsorgemaßnahme absolviert hat, steht auch § 24 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 23 Abs. 5 S. 4 SGB V einer Leistungsgewährung nicht entgegen.

2. Die Voraussetzungen für (die Übernahme von Kosten für) die Mitaufnahme von Kindern im Rahmen von § 24 SGB V sind nicht explizit geregelt. Sowohl dem Wortlaut des Gesetzes als auch der Systematik lässt sich jedoch eindeutig entnehmen, dass es sich auch im Hinblick auf die Mitaufnahme von Kindern um einen einheitlichen Anspruch der Versicherten (also hier der Klägerin) handelt und somit die daraus resultierenden Kosten ebenfalls grundsätzlich zum Anspruch des versicherten Elternteils gegen die Kasse gehören (so etwa Schütze in jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 24 Rn. 26; Nolte in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: September 2017, § 24 SGB V Rn. 5 f.; Welti in Becker/Kingreen, SBG V, 5. Auflage 2017, § 24 Rn. 10; a.A. wohl Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 9/09 IX/09, K § 24 Rn. 9). Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten für die Mitaufnahme von Kindern nur dann von der Kasse zu tragen sein sollen, wenn auch diese gesetzlich krankenversichert sind, liegen nicht vor. So regelt § 24 SGB V nach der Gesetzesüberschrift die medizinische Vorsorge für Mütter und Väter, d.h. einen einheitlichen Anspruch der Versicherten und nicht etwa der (gesetzlich versicherten) Familie. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/1245 Seite 64) sollte (durch die Einfügung von § 24 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB V) lediglich klargestellt werden, dass alle Vorsorgeleistungen für Mütter einschließlich einer Mutter-Kind-Kur in besonderen Einrichtungen erbracht werden können. Erkenntnisse für die hier zu entscheidende Auslegungsfrage lassen sich daraus nicht ableiten. Allerdings hat das Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 16.12.2003 - B 1 KR 12/02 R Rn. 17) bereits ausgeführt, es sei vom Gesetz nicht gefordert, dass das gemeinsam mit der Mutter aufgenommene Kind gesetzlich versichert sei. Gegen diese Lesart bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn - wie hier geltend gemacht (vgl. Atteste des Herrn S vom 16.02.2016) - die mit aufzunehmenden Kinder ihrerseits nicht behandlungsbedürftig sind bzw. nicht behandelt werden sollen (Begleitkinder). Denn in diesen Fällen stellen sich die Kosten für die Mitaufnahme von Kindern allein als Vorsorgebedarf des Elternteils im Sinne einer notwendigen Nebenleistung dar, ohne die die Hauptleistung nicht erbracht werden kann (vgl. Schütze a.a.O. sowie Rn. 25 a.E.; ähnlich Nolte a.a.O. Rn. 4a).

Dies entspricht auch der Rechtsauffassung der Beklagten bzw. der Rahmenempfehlung gegenüber dem Müttergenesungswerk, soweit es um Fälle geht, in denen sowohl Eltern als auch Kinder gesetzlich versichert sind. Warum dann etwas anderes gelten soll, wenn es um privat versicherte Begleitkinder geht, erschließt sich dem Senat nicht.

3. Lagen somit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24 SGB V auch mit Blick auf eine Kostenübernahme für die beiden Söhne der Klägerin vor, ist die angefochtene Entscheidung jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil sie unter einem Ermessensfehler leidet. Denn nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut (des § 24 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB V " kann ") steht (auch) die Entscheidung, ob die Vorsorgeleistung nur als Elternmaßnahme oder als Eltern-Kind-Maßnahme bewilligt wird, im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39 Abs. 1 SGB I) der Beklagten, die jedoch weder in dem Bescheid vom 07.03.2016 noch in dem Widerspruchsbescheid vom 28.04.2016 entsprechende Erwägungen angestellt hat. Es liegt damit ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs (vgl. dazu z.B. Wagner in jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, § 39 Rn. 16 ff.) vor.

II. Eine Verpflichtung der Beklagten zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes konnte jedoch nicht erfolgen. Denn dies sieht das Verfahrensrecht, wenn es wie hier um eine Ermessenentscheidung geht, nur dann vor, wenn die Sache in jeder Hinsicht spruchreif ist (§ 131 Abs. 2 S. 1 SGG). Dies wäre hier wiederum nur dann der Fall, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Falles alle Erwägungen dazu führen würden, dass die der Klägerin bereits bewilligte Maßnahme hier als Mutter-Kind-Maßnahme (unter Mitaufnahme beider Söhne) zu gewähren wäre - sog. Ermessensreduzierung auf Null (vgl. dazu Wagner a.a.O. Rn. 30 ff.). Eine Ermessenreduzierung auf Null ist jedoch nicht festzustellen.

Dabei orientiert sich der Senat insoweit an der Begutachtungsrichtlinie "Vorsorge und Rehabilitation" (Stand: Februar 2012; abrufbar unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung 1/rehabilitation/richtlinien und vereinbarungen/begutachtungs richtlinie/2012 02 06 Reha BG-Richtlinien.pdf), die der GKV-Spitzenverband sowie der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. zur Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsgewährung in diesem Bereich erarbeitet haben und die der Senat nach eigener Prüfung für grundsätzlich geeignet hält, das Verwaltungsermessen ermächtigungskonform und sachgerecht auszuüben (vgl. zur generellen Zulässigkeit von ermessenlenkenden Richtlinien im Sozialrecht Wagner a.a.O. Rn. 26 m.w.N.).

In der genannten Richtlinie ist (soweit hier von Belang) unter 3.5.1 ausgeführt:

"Mutter-/Vater-Kind-Leistungen können in Betracht kommen, wenn

- das Kind behandlungsbedürftig ist und seiner Indikation entsprechend behandelt werden kann oder
- zu befürchten ist, dass eine maßnahmebedingte Trennung von der Mutter / dem Vater zu psychischen Störungen des Kindes führen kann (z. B. aufgrund des Alters) oder
- bei Müttern/Vätern, insbesondere bei alleinerziehenden oder berufstätigen Müttern/Vätern, eine belastete Mutter-/Vater-Kind-Beziehung verbessert werden soll oder
- wegen einer besonderen familiären Situation eine Trennung des Kindes / der Kinder von der Mutter/dem Vater unzumutbar ist oder
- das Kind während der Leistungsinanspruchnahme der Mutter / des Vaters nicht anderweitig betreut und versorgt werden und die Durchführung der Leistung für die Mutter/den Vater daran scheitern kann
- und die Mitaufnahme des Kindes / der Kinder den Erfolg der Vorsorgemaßnahme der Mutter / des Vaters nicht gefährdet.

1. Nach den im Laufe des Berufungsverfahrens gewonnen Erkenntnissen ist der Senat zwar davon überzeugt, dass eine Betreuung der Kinder im häuslichen Bereich bei Ortsabwesenheit der Mutter derzeit nicht sichergestellt ist, eine Ermessensreduzierung auf Null resultiert daraus jedoch nicht.

a) Ausgehend von der Tätigkeitsbeschreibung des Ehemannes der Klägerin vom 24.04.2017, seiner Zeugenaussage im Termin zur mündlichen Verhandlung am 01.06.2017 sowie den damit korrelierenden Angaben der Klägerin selbst, die der Senat für nachvollziehbar und überzeugend hält, kann der Ehemann der Klägerin unter Berücksichtigung der Vorgaben der ADO, denen er unterliegt, während der Schulzeit eine persönliche Betreuung der Kinder bis zum Beginn bzw. nach dem Ende der Schultages nicht lückenlos gewährleisten. Denn er muss regelmäßig selbst schon um 07:45 Uhr in der Schule anwesend sein, was es unter Berücksichtigung der Fahrtzeit ausschließt, den jüngeren Sohn vorher (zu einer zumutbaren Zeit) an der Kindertagesstätte abzusetzen. Auch am Nachmittag kann er es mit Blick auf seine Verpflichtungen als Schulleiter nicht gewährleisten, regelmäßig zu Hause zu sein, wenn der ältere Sohn aus der Schule kommt bzw. der jüngere Sohn von der Kindertagesstätte abgeholt werden muss. Lücken in der Betreuungszeit ergeben sich ferner durch Abend-/Nachmittagstermine, die der Ehemann der Klägerin als Schulleiter wahrnehmen muss. Dies gilt umso mehr, als eine - nach der ADO grundsätzlich denkbare - Vertretung mangels Besetzung der Konrektorenstelle für einen Zeitraum von mehreren Wochen nur schwer zu organisieren sein dürfte. In Anbetracht des noch jungen Alters der Kinder erscheint eine durchgehende Beaufsichtigung der Kinder durch eine erwachsene Betreuungsperson noch notwendig und geboten.

Die Tagesbetreuung der Kinder kann während einer längeren Abwesenheit der Klägerin auch nicht durch Bekannte oder Verwandte sichergestellt werden. Die Klägerin und ihr Ehemann haben insoweit übereinstimmend und damit nachvollziehbar mitgeteilt, dass Bekannte (Paten) hierfür nur ausnahmsweise zur Verfügung stehen und auch eine Unterbringung der Kinder bei den Eltern der Klägerin aus innerfamiliären Gründen nur für kurze Zeiträume möglich ist.

Die Betreuungsproblematik während der Schulzeit kann schließlich nicht umgangen werden, indem die Vorsorgemaßnahme für die Klägerin in eine Ferienzeit verlegt wird. Denn in Ferienzeiten sieht selbst die Beklagte keine Möglichkeit, die Klägerin in einer Einrichtung des Müttergenesungswerkes unterzubringen.

b) Allein dies vermag eine Ermessenreduzierung auf Null jedoch nicht zu begründen. Denn die Beklagte könnte sich insoweit im Rahmen ihrer Entscheidung - ggf. unter Berücksichtigung weiterer Ermessensgesichtspunkte - etwa gehalten sehen, der Klägerin eine Haushaltshilfe zur Verfügung zu stellen.

2. Aus allen übrigen in der Richtlinie genannten Gesichtspunkten ergibt sich eine Ermessensreduzierung auf Null (jedenfalls nach dem derzeitigen Sachstand) ebenfalls nicht.

a) Eine (eigene) Behandlungsbedürftigkeit der Kinder insbesondere des älteren Sohnes wird von der Klägerin ausdrücklich nicht geltend gemacht. Zudem bedürfte es (unabhängig von den rechtlichen Auswirkungen einer Behandlungsbedürftigkeit eines oder beider Kinder auf den Leistungsanspruch der Klägerin - s.o.) ggf. weiterer Ermittlungen zur konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes (des älteren Sohnes). Diese sind dem Senat jedoch derzeit nicht nur mangels entsprechender Anhaltspunkte im Klägervortrag, sondern auch wegen der fehlenden Schweigepflichtentbindungserklärung nicht möglich.

Nichts anderes gilt für die weiteren in der Richtlinie genannten Punkte (Gefahr des Entstehens psychischer Störungen bei den Söhnen durch maßnahmebedingte Trennung von der Klägerin, Verbesserung einer belasteten Mutter-Kind-Beziehung, Trennung wegen besonderer familiärer Situation unzumutbar). In dieser Hinsicht liegen zwar gewisse Anhaltspunkte in den Akten vor, die sich insbesondere aus den Attesten des Herrn S vom 16.02.2016, 26.04.2017 und vom 23.06.2017 ergeben. Für eine abschließende Beurteilung fehlt es jedoch auch insoweit insbesondere an aussagekräftigen Befunden sowie einer nachvollziehbaren substantiierten Begründung aus welchen Gründen, seit wann sowie wie nachhaltig und intensiv die Mutter-Kind-Beziehung belastet ist bzw. welche Probleme eine Trennung der Kinder von der Klägerin voraussichtlich mit sich bringen würde. Auch dazu konnte der Senat mangels Schweigepflichtentbindungserklärung bzw. entsprechenden Angaben der Klägerin keine weiteren Ermittlungen bei Herrn S oder an anderer Stelle anstrengen.

c) Schließlich erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte im weiteren Verlauf im Rahmen ihres Ermessens nach Würdigung aller - ggf. noch ergänzend zu ermittelnder - Umstände unter dem in den Richtlinien zuletzt genannten Gesichtspunkt zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Mitaufnahme der Söhne den Erfolg der Vorsorgemaßnahme für die Klägerin sogar eher gefährden könnte.

III. Bei mangelnder Entscheidungsreife in der Sache, war die Beklagte demnach hinter dem Klageantrag zurückbleibend lediglich zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden (§ 131 Abs. 3 SGG) und die Berufung im Übrigen zurückzuweisen.

B) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1 S. 1, 183 SGG. Die Kostenverteilung trägt dem Umstand Rechnung, dass die angefochtene Leistungsablehnung - mit der dort gegebenen Begründung - rechtswidrig war. Andererseits musste Berücksichtigung finden, dass die Klägerin mit ihrem Leistungsbegehren im Ergebnis nicht durchgedrungen ist.

C) Der Senat hat die Revision im Hinblick auf seine Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 (S. 1) SGB V wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved