L 11 KR 112/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KR 57/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 112/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 20.02.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage hierauf Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und merkt ergänzend an:

Weder ein Anordnungsanspruch (dazu I.) noch ein Anordnungsgrund (dazu II.) sind glaubhaft gemacht.

I. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich weder aus § 39 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V; dazu 1.) noch aus § 13 Abs. 3a SGB V (dazu 2.).

1. Die von den Krankenkassen ihren Versicherten geschuldete Krankenbehandlung umfasst auch die (vollstationäre) Krankenhausbehandlung, allerdings nur in nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16.02.2005 - B 1 KR 18/03 R -). Hierzu zählt die EC Klinik in Münster nicht. Behandlungen in nicht zugelassenen Krankenhäusern sind nur bei Notfällen von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst (BSG, Urteil vom 09.10.2001 - B 1 KR 6/01 R -). Ein solcher ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Gegenstand des Begehrens der Antragstellerin ist auch keine Notfallbehandlung.

Ein Notfall besteht, wenn ein nicht vorhersehbarer unmittelbar auftretender Behandlungsbedarf aus medizinischen Gründen eine sofortige Behandlung zur Beseitigung von Gefahren für Leib bzw. Leben oder zur Bekämpfung von - ansonsten unzumutbaren - Schmerzen erfordert und ein an der vertragsärztlichen Versorgung Teilnahmeberechtigter nicht rechtzeitig zur Verfügung steht (BSG, Beschlüsse vom 18.10.2010 - B 3 KR 12/10 B - und 14.12.2006 - B 1 KR 114/06 -; Landessozialgericht (LSG) Hessen, Urteil vom 15.01.2009 - L 1 KR 255/07 -; vgl. auch Senat, Urteil vom 28.01.2009 - L 11 KA 24/08 -). Demgegenüber stellt eine - wie hier - von vornherein auf einen größeren Umfang und Zeitaufwand angelegte Therapie keine Notfallbehandlung dar (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.10.2006 - L 16 B 50/06 KR ER -), insbesondere wenn diesbezüglich ein Krankenhausaufnahmevertrag abgeschlossen wird. Allein der "unvermittelt" auftretende Behandlungsbedarf kennzeichnet den Notfall (LSG Hessen a.a.O.). Vorliegend ist eine Behandlung nicht so dringlich, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Leistungserbringers fehlt. Vielmehr hat die Antragstellerin die EC Klinik gewählt und möchte dort zu Lasten der Antragsgegnerin behandelt werden. Im Übrigen ist der nicht zugelassene Leistungserbringer im Notfall auf die Notfallbehandlung beschränkt und darf die enge Ausnahmebestimmung des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht als Einfallstor für umfangreiche Leistungen zu Lasten der GKV nutzen (BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -). In der psychotherapeutischen Versorgung kommt daher die Notfallbehandlung nur als Maßnahme der Krisenintervention in Frage (Stellpflug/Wipperfürth, ZGMR 2017, S. 225, 227). Eine solche (kurzzeitige) Notfallbehandlung, die sie i.ü. jederzeit in der LWL-Klinik in Hamm erhalten kann, wünscht die Antragstellerin ausdrücklich nicht. Vielmehr hat sie eine längerfristige Behandlung im Blick.

Ein Sachleistungsanspruch der Antragstellerin gerichtet auf stationäre Behandlung in einem nicht zugelassenen Krankenhaus besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens. Von den in der Rechtsprechung des BSG gebildeten Fallgruppen (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.08.2012 - L 9 KR 244/11 -) kommt hier allein die Variante in Betracht, dass mangels einer hinreichenden Zahl von Therapeuten eine Versorgunglücke besteht (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -).

Einen solchen Mangel hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Es fehlen Angaben dazu, wie lang ihre individuelle Wartezeit für eine Aufnahme in der LWL-Klinik in Hamm oder Münster wäre. Nach einem ambulanten Vorgespräch in der jeweiligen Klinik wird die Dringlichkeit der Behandlung bei der Aufnahme in die Warteliste berücksichtigt. Die mitgeteilte Wartezeit wird von der Klinik also für zumutbar gehalten. Obwohl die LWL-Klinik Hamm im Entlassungsbrief ausdrücklich eine erneute Aufnahme nach Absprache mit dem ambulanten Behandler in Betracht zog, hat weder der behandelnde Facharzt Kontakt zur Klinik zwecks Absprache einer erneuten Aufnahme aufgenommen noch hat sich die Antragstellerin dort zu einem Vorgespräch vorgestellt, um überhaupt die dort für sie individuell bestehende Wartezeit zu erfragen. Damit ist nicht glaubhaft gemacht, dass eine Behandlung im Rahmen des Sachleistungssystems derzeit nicht zur Verfügung steht. Darüber hinaus steht den Versicherten bei Systemversagen kein Anspruch auf eine Sachleistung sondern allein ein Kostenerstattungs- oder -freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 SGB V zu. Denn der Primäranspruch erfasst ausschließlich die Behandlung durch zugelassene Leistungserbringer (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.2006 a.a.O.; zur ambulanten Behandlung: Stellpflug/Wipperfürth, ZGMR 2017, 225, 229).

2. Darüber hinaus ergibt sich ein Anordnungsanspruch nicht aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Eine Genehmigungsfiktion ist vorliegend nicht eingetreten. Die Antragsgegnerin hat den Antrag vom 16.12.2017 innerhalb der am 22.01.2018 endenden Frist beschieden. Es galt die gesetzliche Fünf-Wochen-Frist (§ 13 Abs. 3a Satz 1 Fall 2 SGB V). Denn die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin mit Schreiben vom 18.12.2017 und damit innerhalb der drei Wochen nach Antragseingang darüber, dass sie eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) einholen wollte (vgl. § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V; zum maßgeblichen Zeitpunkt: BSG, Urteile vom 26.09.2017 - B 1 KR 8/17 R - und 07.11.2017 - B 1 KR 2/17 R -). Entscheidend dafür, dass die Fünf- und nicht die Drei-Wochen-Frist läuft, ist allein die Beauftragung des MDK und die rechtzeitige Information des Leistungsberechtigten. Denn dieser soll erkennen können, wann die Fiktion der Genehmigung eintritt (BSG, Urteil vom 07.11.2017 a.a.O.; vgl. auch BT-Drucks. 17/10488 S. 32). Nicht erheblich kann daher der Zeitpunkt, die Länge, die Qualität oder das Ergebnis der Stellungnahme des MDK sein. Denn dann könnte erst bei deren Vorliegen quasi rückwirkend entscheiden werden, welche Frist für den Eintritt der Fiktion maßgeblich war. Das widerspräche jedoch Regelungsgehalt und Beschleunigungszweck der Norm (vgl. dazu BSG, Urteile vom 07.11.2017 und vom 11.07.2017 a.a.O.) und ist auch mit dem Wortlaut von § 13 Abs. 3a SGB V nicht vereinbar. Dementsprechend ist auch in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Krankenkasse die Fünf-Wochen-Frist auch dann einhalten muss, wenn der MDK nicht in der für ihn maßgeblichen Drei-Wochen-Frist Stellung nimmt (BT-Drucks. 17/10488 S. 32). Wäre hingegen die Auffassung der Antragstellerin zutreffend, müsste die Krankenkasse in diesen Fällen innerhalb der Drei-Wochen-Frist entscheiden - ohne dies bis zu deren Ablauf erkennen zu können: denn zu diesem Zeitpunkt kann sie nicht vorausahnen, ob und wie der MDK innerhalb der Fünf-Wochen-Frist Stellung nimmt.

Nicht entschieden werden muss daher, was daraus folgt, dass die Antragstellerin bewusst eine Leistung durch einen nicht zugelassenen Leistungserbringer beantragt. Eine solche ist grundsätzlich nicht fiktionsfähig, denn sie liegt offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV (vgl. dazu Senat, Urteil vom 12.07.2017 - L 11 KR 28/16 -). Ob hier ausnahmsweise dennoch eine Fiktion hätte eintreten können, weil die Antragstellerin von einem Systemversagen ausgeht, ist eine schwierige Rechtsfrage, die im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes im Rahmen einer vorläufigen summarischen Prüfung nicht entschieden werden kann. Eine höchstrichterliche Klärung ist bislang noch nicht erfolgt. Die Entscheidung ist der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorzubehalten. Grundsätzlich sieht das Gesetz für die Fälle des Systemversagens in § 13 Abs. 3 SGB V jedoch vor, dass der Versicherte sich eine unaufschiebbare Leistung selbst beschafft und Kostenerstattung oder -freistellung von der Krankenkasse begehrt. Dabei handelt es sich um einen Anspruch auf eine Geldleistung, der nicht von der Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V erfasst wird (BSG, Urteile vom 07.11.2017 - B 1 KR 2/17 R und B 1 KR 24/17 R -, vom 26.09.2017 - B 1 KR 6/17 R und B 1 KR 8/17 R -, vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R - und vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -; Senat, Urteil vom 31.01.2018 - L 11 KR 591/16 -).

II. Auch ein Anordnungsgrund ist nicht (hinreichend) glaubhaft gemacht. Die von der Antragstellerin begehrte Regelungsanordnung bedarf eines Anordnungsgrundes in der Form, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).

Der Anordnungsgrund ist nach Maßgabe des § 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung verlangt eine Beweisführung (Senat, Beschluss vom 30.07.2015 - L 11 KR 303/15 B ER -). Daran fehlt es. Die Antragstellerin hat zur Begründung des Anordnungsgrundes zwei Fotos, eidesstattliche Versicherungen ihrer Eltern und ihrer Schwester und Stellungnahmen von Dr. L und Herrn L1 vorgelegt, denen zufolge die beantragte Maßnahme kurzfristig dringend erforderlich sei. Angaben dazu, ob und ggf. aus welchen Gründen eine Vorleistung der Klägerin nicht möglich ist, fehlen hingegen vollständig. Aus welchen Gründen sie nicht auf den für unaufschiebbare Leistungen im Gesetz vorgezeichneten Weg des § 13 Abs. 3 SGB V verwiesen werden sollte, ist nicht erkennbar.

Darüber hinaus kann auch weder dem Vortrag der Antragstellerin noch den vorgelegten ärztlichen und psychotherapeutischen Stellungnahmen entnommen werden, ob und wann die Antragstellerin einen Aufnahmeantrag bei der LWL-Klinik in Münster, in Marl und/oder in Hamm gestellt hat, dass Wartezeiten bestehen und diese auch unter Berücksichtigung der von der LWL-Klinik Hamm bei Entlassung am 01.12.2017 gegebenen Hinweise (insbesondere auf ambulante Jungendhilfe) und ggf. psychiatrischer häuslicher Krankenpflege (§ 37 SGB V) nicht zumutbar sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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