Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 4474/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 821/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.03.2017 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015.
Seit dem 01.02.2012 bezog der am 00.00.1959 geborene Kläger vom Jobcenter L durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Am 08.11.2013 wurde die vom Kläger bewohnte 75 m2 große Wohnung zwangsgeräumt. Der Kläger legte dem Jobcenter L ein Mietangebot über eine ca. 62 m2 große Wohnung, Q-straße 00, G, mit drei Zimmern, einer Küche, Badezimmer vor. Mit Bescheid vom 07.03.2014 lehnte das Jobcenter L die Erteilung einer Zustimmung zum Umzug wegen Unangemessenheit der Miete ab.
Am 28.03.2014 schloss der Kläger einen Mietvertrag über eine Wohnung in der Q-straße 00, G zum 01.04.2014. Die Nettokaltmiete betrug 450,00 Euro und die Nebenkostenvorauszahlung - inklusive Heizkosten - 130,00 Euro. Das Warmwasser wird dezentral über einen Durchlauferhitzer erzeugt. Zum 15.04.2014 meldete sich der Kläger zur Adresse Q-straße 00, G um.
Am 29.04.2014 beantragte er beim Beklagten die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Mit Bescheid vom 14.05.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 502,50 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.05.2014 sowie i.H.v. 893,50 Euro monatlich für die Zeit vom 01.06.2014 bis zum 30.09.2014. Er berücksichtigte Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 502,50 Euro monatlich, die sich aus einer Grundmiete von 372,50 Euro, einer Betriebskostenvorauszahlung von 57,50 Euro und einer Heizkostenvorauszahlung von 72,50 Euro zusammensetzten.
Hiergegen legte der Kläger am 16.06.2014 Widerspruch ein und begehrte die Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 580,00 Euro monatlich sowie der damit zusammenhängenden Folgekosten. Mit Änderungsbescheid vom 30.07.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig höhere Leistungen aufgrund der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 22 Abs. 7 SGB II i.H.v. 8,99 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.
Mit Bescheid vom 30.09.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.10.2014 bis zum 31.03.2015 i.H.v. 902,49 Euro monatlich (Regelbedarf 391,00 Euro + Mehrbedarf Warmwasser 8,99 Euro + Kosten der Unterkunft und Heizung 502,50 Euro). Hiergegen legte der Kläger am 20.10.2014 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2014, zugegangen am 28.10.2014, wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.05.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30.07.2014 zurück. Angemessen seien Kosten der Unterkunft und Heizung nur in Höhe von 502,50 Euro monatlich. Dies ergebe sich aus Richtlinien des kommunalen Trägers, die aufgrund eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der örtlichen Vergleichsmieten erlassen worden seien. Es sei auf den Wohnraumbedarf für eine Person abzustellen, da das wahrgenommene Umgangsrecht mit der Tochter nicht nachgewiesen sei, und ein höherer Wohnraumbedarf ohnehin erst bei zwei Kindern, die gleichzeitig an mindestens zwei Wochenenden im Monat im Haushalt übernachteten, berücksichtigt werden könne. Eine Zusicherung vor dem Wohnungswechsel sei nicht erfolgt und wegen der Unangemessenheit der Kosten auch nicht möglich gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2014, zugegangen am 17.11.2014, wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.09.2014 als unbegründet zurück.
Am 24.11.2014 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Begehren auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für seine Wohnung für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015.
Er hat vorgetragen, er habe seine Wohnung nicht gewechselt, sondern eine Wohnung aufgrund einer bestehenden Notsituation (Wohnungslosigkeit) verbunden mit einer chronischen Erkrankung und zur Aufrechterhaltung der Vater-Tochter-Beziehung angemietet, nachdem seine umfangreichen Bemühungen, eine Wohnung in L zu finden, gescheitert gewesen seien. Seine Tochter habe ihn in der Wohnung in L in 14-tägigem Rhythmus und in den Ferien regelmäßig besucht, ebenso in der neuen Wohnung in G. Das Angebot für seine jetzige Wohnung habe er auf eigene Initiative, vermittelt durch Freunde, erhalten. Die Anmietung dieser Wohnung sei im Hinblick auf seine verzweifelte Situation (Obdachlosigkeit), seinen Gesundheitszustand sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Wohnung mit Laminatboden ausgestattet sei, worauf er wegen seiner Asthmaerkrankung angewiesen sei, dringend erforderlich gewesen. Dies habe er dem Jobcenter L angezeigt. Durch die Zwangsräumung seiner Wohnung in L, die eingetretene Wohnungslosigkeit, die wechselnden Übernachtungsmöglichkeiten bei Bekannten und Freunden, die fehlende Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit, den der Gesundheit und dem Heilungsprozess abträglichen Aufenthalt in einer nicht beheizten Kirche und eine ansteckende Hauterkrankung sei er in einem sowohl körperlich als auch psychisch desolaten Zustand gewesen und habe unter Angstzuständen gelitten. Er habe im Januar 2014 ca. 700 Handzettel in L-T und Umgebung verteilt. Die Suche nach Wohnungen im Zeitraum der Obdachlosigkeit habe sich allein auf den Raum der Stadt L, nicht auf den der Stadt G bezogen, da er wieder in L-T habe wohnen wollen und vom Jobcenter L betreut worden sei. Desweiteren sei geplant gewesen, dass seine schwerbehinderte Mutter nach dem Tod ihres Mannes nach L-T ziehe, um von ihm dann, bei dem erhofften Wohnsitz ebenfalls in L-T, besser betreut zu werden.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2017 hat der Kläger u. a. beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 30.09.2014 zur Nummer BG 000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2014 zu Az. 001, zugegangen am 17.11.2014, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 580,- Euro zu bewilligen,
2. den Bescheid des Beklagten vom 14.05.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 30.07.2014 zur Nummer BG000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2014 zu Az. 002, zugegangen am 28.10.2014, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 580,- Euro zu bewilligen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
Mit Urteil vom 14.03.2017 hat das Sozialgericht Köln unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2016 verpflichtet, dem Kläger weitere 238,00 Euro für die Kosten der Einzugsrenovierung zu bewilligen und den Überprüfungsantrag des Klägers vom 22.08.2014 zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und dem Beklagten 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Der Beklagte sei nicht verpflichtet, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 580,00 Euro monatlich zu übernehmen. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung seien nur im bewilligten Umfang (502,50 Euro) angemessen. Der Beklagte habe in Anwendung der Produkttheorie auf der Grundlage eines nicht zu beanstandenden gerichtsbekannten schlüssigen Konzepts die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung bei einem abstrakt angemessenen Wohnraumbedarf von 50 m² für eine Person zutreffend ermittelt. Es könne ausgeschlossen werden, dass es dem Kläger objektiv unmöglich gewesen sei, zu diesem Betrag eine Wohnung im räumlichen Vergleichsgebiet anzumieten. Denn dem schlüssigen Konzept des Beklagten lägen statistische Erhebungen zur Häufigkeit von Wohnungsangeboten mit dem angemessenen Quadratmeterpreis zugrunde. Danach seien 20 % aller in G angebotenen Wohnungen um 50 m² für diesen Betrag anmietbar. Auf die übrigen Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Der Kläger hat am Montag, dem 24.04.2017, beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für die Einlegung der Berufung gegen das am 23.03.2017 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Köln zu bewilligen. Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 26.06.2017 Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung bewilligt, soweit er die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 580,00 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015 begehrt. Im Übrigen hat er den Antrag abgelehnt. Dieser Beschluss ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 03.07.2017 zugestellt worden.
Am 17.07.2017 hat der Kläger Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungseinlegungsfrist beantragt und Berufung eingelegt.
Der Kläger verfolgt sein Begehren auf Übernahme der tatsächlichen Bruttowarmmiete i.H.v. 580,00 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015 weiter. Er bestreitet, dass der Beklagte bei der Bildung der Angemessenheitsgrenze für einen Ein-Personen-Haushalt die für die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze beachtet habe. Soweit das Sozialgericht die Feststellung getroffen habe, dass das gerichtsbekannte Konzept als schlüssiges Konzept nicht zu beanstanden sei, beruhe diese Beweiswürdigung auf wesentlichen Verfahrensmängeln, da das Konzept des Beklagten weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und ihm insoweit kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Eine Subsumtion unter die für die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze sei nicht erfolgt, so dass auch der von dem Sozialgericht gezogene Rückschluss auf die Schlüssigkeit des Konzepts nicht nachvollziehbar sei.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.03.2017 insoweit aufzuheben, als die Klage auf Bewilligung von höheren Kosten für Unterkunft und Heizung unter Zugrundelegung eines Wertes von 580,00 Euro für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015 abgewiesen worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf das erstinstanzliche Urteil und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 14.08.2017 hinsichtlich der versäumten Frist zur Berufungseinlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Streitgegenstand des Verfahrens ist die Differenz zwischen den tatsächlichen Unterkunftskosten i.H.v. 580,00 Euro monatlich und den vom Beklagten übernommenen Kosten i.H.v. 502,50 Euro monatlich, also von 77,50 Euro monatlich für die Dauer von zwölf Monaten. Damit beläuft sich die Beschwer auf insgesamt 930,00 Euro (12 x 77,50 Euro). Hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorliegen Stand gewährt worden.
Die Berufung ist begründet und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Köln.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts auf ihm beruhen kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 159 Rn. 3a). Dabei ist (nur) auf die Rechtsauffassung des Sozialgerichts abzustellen.
Vorliegend leidet das Verfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Das Sozialgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers (§§ 62, 128 SGG) verletzt und gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen.
Gemäß § 62 Halbs. 1 SGG, der einfachrechtlich das durch Art 103 Abs. 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Demgemäß darf ein Urteil nach § 128 Abs. 2 SGG nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 29.08.1995 - 2 BvR 175/95; BSG, Beschluss vom 31.08.2017 - B 2 U 74/17 B - m.w.N.)
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheitsprüfung hat unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einheitlichen Kriterien zu erfolgen, wobei zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze auf einer ersten Stufe eine abstrakte und auf einer zweiten Stufe eine konkret-individuelle Prüfung vorzunehmen ist (BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 9/14 R - BSGE 117, 250 m.w.N.). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 18.11.2014, a.a.O.) ist für die Unterkunftskosten auf die Bruttokaltmiete als einheitliche Angemessenheitsgrenze abzustellen, die aus einer abstrakt angemessenen Grundmiete und abstrakt angemessenen Betriebskosten zu bilden ist. Auch der Anspruch auf Leistungen für Heizung als Teil der Gesamtleistung besteht grundsätzlich in Höhe der konkret-individuell geltend gemachten Aufwendungen, soweit sie angemessen sind.
Das Sozialgericht hat sich in seiner Entscheidung betreffend die Höhe der angemessenen abstrakten Unterkunftskosten auf ein "gerichtsbekanntes schlüssiges" Konzept des Beklagten gestützt. Gerichtskundige Tatsachen, d.h. solche, die dem Gericht kraft Amtes aus früheren Prozessen bekannt geworden sind, darf ein Gericht nur berücksichtigen, wenn es die Beteiligten dazu gehört hat. Solche Tatsachen bedürfen zwar keines Beweises. Dass eine Tatsache gerichtskundig ist, enthebt das Gericht aber nicht der Pflicht, die ihm bekannte Tatsache, wenn es sie verwerten will, in den Prozess einzuführen. Dabei genügt nicht, nur zu mitzuteilen, was das Gericht als festgestellt ansehen will; vielmehr muss das Gericht auch unmissverständlich deutlich machen, dass ihm die festzustellende Tatsache gerichtsbekannt ist. Die Gelegenheit, einen Gegenbeweis anzutreten, darf einem Beteiligten nicht abgeschnitten werden (vgl. BSG, Urteile vom 16.11.1972 - 11 RA 42/72 - SozR Nr. 91 zu § 128 SGG, vom 03.10.1972 - 1 RA 13/72 und vom 29.08.1984 - 1 RJ 22/84; BVerfG, Beschluss vom 29.08.1995 - 2 BvR 175/95). Weder dem angefochtenen Urteil noch der Sitzungsniederschrift ist zu entnehmen, dass eine Gerichtskunde des Sozialgerichts betreffend dem vom Beklagten im streitbefangenen Zeitraum verwandten Konzept zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und dem Kläger hierzu Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Demnach ist nicht ersichtlich, dass das Konzept des Beklagten Gegenstand des Verfahrens gewesen ist (vgl. hierzu LSG Bayern, Urteil vom 25.04.2017 - L 11 AS 872/15). Damit ist das rechtliche Gehör des Klägers nicht gewahrt worden.
Das Sozialgericht hat auch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen Zur Überprüfung des vom Beklagten verwandten Konzeptes wären vom Sozialgericht weitere Ermittlungen anzustellen gewesen, selbst wenn der Kläger im Klageverfahren vor dem Sozialgericht nicht explizit dargelegt hat, weshalb das Konzept nicht schlüssig sein solle. Das Sozialgericht hätte seinen Prüfungsumfang nicht einschränken können (vgl. dazu für den Fall einer "Unstreitigstellung": BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R). Zwar wird die Amtsermittlungspflicht auch vom Vortrag der Beteiligten mit gesteuert, in keinem Fall ist das Gericht aber von der Pflicht zur nachvollziehbaren Darlegung einzelner Anspruchselemente entbunden (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R).
Das Sozialgericht hat weder den Inhalt des Konzepts festgestellt noch sich inhaltlich damit auseinandergesetzt, ob das verwandte Konzept den vom Bundessozialgericht aufgestellten Mindestanforderungen hinsichtlich der Datenerhebung und -auswertung sowie der Folgerichtigkeit betreffend die Bildung einer abstrakt angemessenen Grundmiete und abstrakt angemessenen Betriebskosten genügt (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 85; siehe auch Urteil des Senats vom 12.10.2017 - L 19 AS 502/16 zu Angebotsmietenkonzepten und Ermittlung der abstrakt angemessenen Betriebskosten; vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 25.04.2017 - L 11 AS 872/15 und Beschluss vom 28.03.2017 - L 11 AS 201/17 NZB zum Umfang der Amtsermittlungspflicht bei Prüfung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II).
Auch die Tatsache, dass die vom Beklagten im streitbefangenen Zeitraum verwandte Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten eines Ein-Personen-Haushalts in der Stadt G von 430,00 Euro (330,00 Euro Grundmiete + 100,00 Euro Betriebskosten) den nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Fall des Erkenntnisausfalles anzuwendenden Wert des § 12 WoGG i.d.F. ab dem 01.01.2011 (Gesetz vom 09.12.2010, BGBl. I 1885 - a.F.) + 10 % Sicherheitszuschlag i.H.v. 393,80 Euro (358,00 Euro nach Mietstufe IV nach der Anlage zu § 1 Abs. 3 WoGV [i.d.F. der 10. WoGVÄndV vom 15.12.2008, BGBl. I 2486] + 10%) überschritten hat, entbindet das Sozialgericht nicht von seiner Amtsermittlungspflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann zur Festlegung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten i.S. einer Obergrenzen auch bei Übernahme von Aufwendungen, die höher als der Wert nach § 12 WoGG a.F. + 10% Zuschlag sind, für die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger nicht dahingestellt bleiben, ob ein Ausfall von lokalen Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten nach einem schlüssigen Konzept vorliegt (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 72). Des Weiteren fehlen jedwede Feststellungen zu den tatsächlichen Heizkosten, ob diese Heizkosten den vom Beklagten anscheinend angesetzten Wert von 72,50 Euro überschritten haben und gegebenenfalls ob der vom Beklagten anscheinend verwandte Wert den vom Bundessozialgericht aufgestellten Mindestanforderungen an die Ermittlung abstrakt angemessener Heizkosten entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2015 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1).
Die Verfahrensmängel sind auch wesentlich, weil die Entscheidung des Sozialgerichts auf ihnen beruhen kann (zur Wesentlichkeit des Mangels siehe Keller, a.a.O., SGG, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn. 3a). Es ist beim gegenwärtigen Sachstand auch davon auszugehen, dass der vorliegende Verfahrensmangel eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich macht.
Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Entscheidung gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen und insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zurückverweisung die Ausnahme sein soll (Keller, a.a.O., § 159 Rn. 5a). Bei der Entscheidung für eine Zurückverweisung hat der Senat berücksichtigt, dass der Rechtsstreit angesichts des bisherigen Ermittlungsausfalls noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich sind. Der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, dass die Klage nunmehr abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln ist. Den Beteiligten würde eine Instanz verloren gehen. Durch die Zurückverweisung verbleibt den Beteiligten die Möglichkeit, ihre Rechte in zwei Tatsacheninstanzen zu wahren. Dementsprechend stellt die Zurückverweisung die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her.
Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 159 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015.
Seit dem 01.02.2012 bezog der am 00.00.1959 geborene Kläger vom Jobcenter L durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Am 08.11.2013 wurde die vom Kläger bewohnte 75 m2 große Wohnung zwangsgeräumt. Der Kläger legte dem Jobcenter L ein Mietangebot über eine ca. 62 m2 große Wohnung, Q-straße 00, G, mit drei Zimmern, einer Küche, Badezimmer vor. Mit Bescheid vom 07.03.2014 lehnte das Jobcenter L die Erteilung einer Zustimmung zum Umzug wegen Unangemessenheit der Miete ab.
Am 28.03.2014 schloss der Kläger einen Mietvertrag über eine Wohnung in der Q-straße 00, G zum 01.04.2014. Die Nettokaltmiete betrug 450,00 Euro und die Nebenkostenvorauszahlung - inklusive Heizkosten - 130,00 Euro. Das Warmwasser wird dezentral über einen Durchlauferhitzer erzeugt. Zum 15.04.2014 meldete sich der Kläger zur Adresse Q-straße 00, G um.
Am 29.04.2014 beantragte er beim Beklagten die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Mit Bescheid vom 14.05.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 502,50 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.05.2014 sowie i.H.v. 893,50 Euro monatlich für die Zeit vom 01.06.2014 bis zum 30.09.2014. Er berücksichtigte Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 502,50 Euro monatlich, die sich aus einer Grundmiete von 372,50 Euro, einer Betriebskostenvorauszahlung von 57,50 Euro und einer Heizkostenvorauszahlung von 72,50 Euro zusammensetzten.
Hiergegen legte der Kläger am 16.06.2014 Widerspruch ein und begehrte die Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 580,00 Euro monatlich sowie der damit zusammenhängenden Folgekosten. Mit Änderungsbescheid vom 30.07.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig höhere Leistungen aufgrund der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 22 Abs. 7 SGB II i.H.v. 8,99 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.
Mit Bescheid vom 30.09.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.10.2014 bis zum 31.03.2015 i.H.v. 902,49 Euro monatlich (Regelbedarf 391,00 Euro + Mehrbedarf Warmwasser 8,99 Euro + Kosten der Unterkunft und Heizung 502,50 Euro). Hiergegen legte der Kläger am 20.10.2014 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2014, zugegangen am 28.10.2014, wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.05.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30.07.2014 zurück. Angemessen seien Kosten der Unterkunft und Heizung nur in Höhe von 502,50 Euro monatlich. Dies ergebe sich aus Richtlinien des kommunalen Trägers, die aufgrund eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der örtlichen Vergleichsmieten erlassen worden seien. Es sei auf den Wohnraumbedarf für eine Person abzustellen, da das wahrgenommene Umgangsrecht mit der Tochter nicht nachgewiesen sei, und ein höherer Wohnraumbedarf ohnehin erst bei zwei Kindern, die gleichzeitig an mindestens zwei Wochenenden im Monat im Haushalt übernachteten, berücksichtigt werden könne. Eine Zusicherung vor dem Wohnungswechsel sei nicht erfolgt und wegen der Unangemessenheit der Kosten auch nicht möglich gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2014, zugegangen am 17.11.2014, wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.09.2014 als unbegründet zurück.
Am 24.11.2014 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Begehren auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für seine Wohnung für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015.
Er hat vorgetragen, er habe seine Wohnung nicht gewechselt, sondern eine Wohnung aufgrund einer bestehenden Notsituation (Wohnungslosigkeit) verbunden mit einer chronischen Erkrankung und zur Aufrechterhaltung der Vater-Tochter-Beziehung angemietet, nachdem seine umfangreichen Bemühungen, eine Wohnung in L zu finden, gescheitert gewesen seien. Seine Tochter habe ihn in der Wohnung in L in 14-tägigem Rhythmus und in den Ferien regelmäßig besucht, ebenso in der neuen Wohnung in G. Das Angebot für seine jetzige Wohnung habe er auf eigene Initiative, vermittelt durch Freunde, erhalten. Die Anmietung dieser Wohnung sei im Hinblick auf seine verzweifelte Situation (Obdachlosigkeit), seinen Gesundheitszustand sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Wohnung mit Laminatboden ausgestattet sei, worauf er wegen seiner Asthmaerkrankung angewiesen sei, dringend erforderlich gewesen. Dies habe er dem Jobcenter L angezeigt. Durch die Zwangsräumung seiner Wohnung in L, die eingetretene Wohnungslosigkeit, die wechselnden Übernachtungsmöglichkeiten bei Bekannten und Freunden, die fehlende Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit, den der Gesundheit und dem Heilungsprozess abträglichen Aufenthalt in einer nicht beheizten Kirche und eine ansteckende Hauterkrankung sei er in einem sowohl körperlich als auch psychisch desolaten Zustand gewesen und habe unter Angstzuständen gelitten. Er habe im Januar 2014 ca. 700 Handzettel in L-T und Umgebung verteilt. Die Suche nach Wohnungen im Zeitraum der Obdachlosigkeit habe sich allein auf den Raum der Stadt L, nicht auf den der Stadt G bezogen, da er wieder in L-T habe wohnen wollen und vom Jobcenter L betreut worden sei. Desweiteren sei geplant gewesen, dass seine schwerbehinderte Mutter nach dem Tod ihres Mannes nach L-T ziehe, um von ihm dann, bei dem erhofften Wohnsitz ebenfalls in L-T, besser betreut zu werden.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2017 hat der Kläger u. a. beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 30.09.2014 zur Nummer BG 000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2014 zu Az. 001, zugegangen am 17.11.2014, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 580,- Euro zu bewilligen,
2. den Bescheid des Beklagten vom 14.05.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 30.07.2014 zur Nummer BG000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2014 zu Az. 002, zugegangen am 28.10.2014, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 580,- Euro zu bewilligen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
Mit Urteil vom 14.03.2017 hat das Sozialgericht Köln unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2016 verpflichtet, dem Kläger weitere 238,00 Euro für die Kosten der Einzugsrenovierung zu bewilligen und den Überprüfungsantrag des Klägers vom 22.08.2014 zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und dem Beklagten 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Der Beklagte sei nicht verpflichtet, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 580,00 Euro monatlich zu übernehmen. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung seien nur im bewilligten Umfang (502,50 Euro) angemessen. Der Beklagte habe in Anwendung der Produkttheorie auf der Grundlage eines nicht zu beanstandenden gerichtsbekannten schlüssigen Konzepts die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung bei einem abstrakt angemessenen Wohnraumbedarf von 50 m² für eine Person zutreffend ermittelt. Es könne ausgeschlossen werden, dass es dem Kläger objektiv unmöglich gewesen sei, zu diesem Betrag eine Wohnung im räumlichen Vergleichsgebiet anzumieten. Denn dem schlüssigen Konzept des Beklagten lägen statistische Erhebungen zur Häufigkeit von Wohnungsangeboten mit dem angemessenen Quadratmeterpreis zugrunde. Danach seien 20 % aller in G angebotenen Wohnungen um 50 m² für diesen Betrag anmietbar. Auf die übrigen Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Der Kläger hat am Montag, dem 24.04.2017, beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für die Einlegung der Berufung gegen das am 23.03.2017 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Köln zu bewilligen. Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 26.06.2017 Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung bewilligt, soweit er die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 580,00 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015 begehrt. Im Übrigen hat er den Antrag abgelehnt. Dieser Beschluss ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 03.07.2017 zugestellt worden.
Am 17.07.2017 hat der Kläger Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungseinlegungsfrist beantragt und Berufung eingelegt.
Der Kläger verfolgt sein Begehren auf Übernahme der tatsächlichen Bruttowarmmiete i.H.v. 580,00 Euro monatlich für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015 weiter. Er bestreitet, dass der Beklagte bei der Bildung der Angemessenheitsgrenze für einen Ein-Personen-Haushalt die für die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze beachtet habe. Soweit das Sozialgericht die Feststellung getroffen habe, dass das gerichtsbekannte Konzept als schlüssiges Konzept nicht zu beanstanden sei, beruhe diese Beweiswürdigung auf wesentlichen Verfahrensmängeln, da das Konzept des Beklagten weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und ihm insoweit kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Eine Subsumtion unter die für die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze sei nicht erfolgt, so dass auch der von dem Sozialgericht gezogene Rückschluss auf die Schlüssigkeit des Konzepts nicht nachvollziehbar sei.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 14.03.2017 insoweit aufzuheben, als die Klage auf Bewilligung von höheren Kosten für Unterkunft und Heizung unter Zugrundelegung eines Wertes von 580,00 Euro für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 31.03.2015 abgewiesen worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf das erstinstanzliche Urteil und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 14.08.2017 hinsichtlich der versäumten Frist zur Berufungseinlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Streitgegenstand des Verfahrens ist die Differenz zwischen den tatsächlichen Unterkunftskosten i.H.v. 580,00 Euro monatlich und den vom Beklagten übernommenen Kosten i.H.v. 502,50 Euro monatlich, also von 77,50 Euro monatlich für die Dauer von zwölf Monaten. Damit beläuft sich die Beschwer auf insgesamt 930,00 Euro (12 x 77,50 Euro). Hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorliegen Stand gewährt worden.
Die Berufung ist begründet und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Köln.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts auf ihm beruhen kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 159 Rn. 3a). Dabei ist (nur) auf die Rechtsauffassung des Sozialgerichts abzustellen.
Vorliegend leidet das Verfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Das Sozialgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers (§§ 62, 128 SGG) verletzt und gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen.
Gemäß § 62 Halbs. 1 SGG, der einfachrechtlich das durch Art 103 Abs. 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Demgemäß darf ein Urteil nach § 128 Abs. 2 SGG nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 29.08.1995 - 2 BvR 175/95; BSG, Beschluss vom 31.08.2017 - B 2 U 74/17 B - m.w.N.)
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheitsprüfung hat unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einheitlichen Kriterien zu erfolgen, wobei zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze auf einer ersten Stufe eine abstrakte und auf einer zweiten Stufe eine konkret-individuelle Prüfung vorzunehmen ist (BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 9/14 R - BSGE 117, 250 m.w.N.). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 18.11.2014, a.a.O.) ist für die Unterkunftskosten auf die Bruttokaltmiete als einheitliche Angemessenheitsgrenze abzustellen, die aus einer abstrakt angemessenen Grundmiete und abstrakt angemessenen Betriebskosten zu bilden ist. Auch der Anspruch auf Leistungen für Heizung als Teil der Gesamtleistung besteht grundsätzlich in Höhe der konkret-individuell geltend gemachten Aufwendungen, soweit sie angemessen sind.
Das Sozialgericht hat sich in seiner Entscheidung betreffend die Höhe der angemessenen abstrakten Unterkunftskosten auf ein "gerichtsbekanntes schlüssiges" Konzept des Beklagten gestützt. Gerichtskundige Tatsachen, d.h. solche, die dem Gericht kraft Amtes aus früheren Prozessen bekannt geworden sind, darf ein Gericht nur berücksichtigen, wenn es die Beteiligten dazu gehört hat. Solche Tatsachen bedürfen zwar keines Beweises. Dass eine Tatsache gerichtskundig ist, enthebt das Gericht aber nicht der Pflicht, die ihm bekannte Tatsache, wenn es sie verwerten will, in den Prozess einzuführen. Dabei genügt nicht, nur zu mitzuteilen, was das Gericht als festgestellt ansehen will; vielmehr muss das Gericht auch unmissverständlich deutlich machen, dass ihm die festzustellende Tatsache gerichtsbekannt ist. Die Gelegenheit, einen Gegenbeweis anzutreten, darf einem Beteiligten nicht abgeschnitten werden (vgl. BSG, Urteile vom 16.11.1972 - 11 RA 42/72 - SozR Nr. 91 zu § 128 SGG, vom 03.10.1972 - 1 RA 13/72 und vom 29.08.1984 - 1 RJ 22/84; BVerfG, Beschluss vom 29.08.1995 - 2 BvR 175/95). Weder dem angefochtenen Urteil noch der Sitzungsniederschrift ist zu entnehmen, dass eine Gerichtskunde des Sozialgerichts betreffend dem vom Beklagten im streitbefangenen Zeitraum verwandten Konzept zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und dem Kläger hierzu Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Demnach ist nicht ersichtlich, dass das Konzept des Beklagten Gegenstand des Verfahrens gewesen ist (vgl. hierzu LSG Bayern, Urteil vom 25.04.2017 - L 11 AS 872/15). Damit ist das rechtliche Gehör des Klägers nicht gewahrt worden.
Das Sozialgericht hat auch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen Zur Überprüfung des vom Beklagten verwandten Konzeptes wären vom Sozialgericht weitere Ermittlungen anzustellen gewesen, selbst wenn der Kläger im Klageverfahren vor dem Sozialgericht nicht explizit dargelegt hat, weshalb das Konzept nicht schlüssig sein solle. Das Sozialgericht hätte seinen Prüfungsumfang nicht einschränken können (vgl. dazu für den Fall einer "Unstreitigstellung": BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R). Zwar wird die Amtsermittlungspflicht auch vom Vortrag der Beteiligten mit gesteuert, in keinem Fall ist das Gericht aber von der Pflicht zur nachvollziehbaren Darlegung einzelner Anspruchselemente entbunden (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R).
Das Sozialgericht hat weder den Inhalt des Konzepts festgestellt noch sich inhaltlich damit auseinandergesetzt, ob das verwandte Konzept den vom Bundessozialgericht aufgestellten Mindestanforderungen hinsichtlich der Datenerhebung und -auswertung sowie der Folgerichtigkeit betreffend die Bildung einer abstrakt angemessenen Grundmiete und abstrakt angemessenen Betriebskosten genügt (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 85; siehe auch Urteil des Senats vom 12.10.2017 - L 19 AS 502/16 zu Angebotsmietenkonzepten und Ermittlung der abstrakt angemessenen Betriebskosten; vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 25.04.2017 - L 11 AS 872/15 und Beschluss vom 28.03.2017 - L 11 AS 201/17 NZB zum Umfang der Amtsermittlungspflicht bei Prüfung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II).
Auch die Tatsache, dass die vom Beklagten im streitbefangenen Zeitraum verwandte Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten eines Ein-Personen-Haushalts in der Stadt G von 430,00 Euro (330,00 Euro Grundmiete + 100,00 Euro Betriebskosten) den nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Fall des Erkenntnisausfalles anzuwendenden Wert des § 12 WoGG i.d.F. ab dem 01.01.2011 (Gesetz vom 09.12.2010, BGBl. I 1885 - a.F.) + 10 % Sicherheitszuschlag i.H.v. 393,80 Euro (358,00 Euro nach Mietstufe IV nach der Anlage zu § 1 Abs. 3 WoGV [i.d.F. der 10. WoGVÄndV vom 15.12.2008, BGBl. I 2486] + 10%) überschritten hat, entbindet das Sozialgericht nicht von seiner Amtsermittlungspflicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann zur Festlegung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten i.S. einer Obergrenzen auch bei Übernahme von Aufwendungen, die höher als der Wert nach § 12 WoGG a.F. + 10% Zuschlag sind, für die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger nicht dahingestellt bleiben, ob ein Ausfall von lokalen Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten nach einem schlüssigen Konzept vorliegt (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 72). Des Weiteren fehlen jedwede Feststellungen zu den tatsächlichen Heizkosten, ob diese Heizkosten den vom Beklagten anscheinend angesetzten Wert von 72,50 Euro überschritten haben und gegebenenfalls ob der vom Beklagten anscheinend verwandte Wert den vom Bundessozialgericht aufgestellten Mindestanforderungen an die Ermittlung abstrakt angemessener Heizkosten entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2015 - B 14 AS 60/12 R - BSGE 114, 1).
Die Verfahrensmängel sind auch wesentlich, weil die Entscheidung des Sozialgerichts auf ihnen beruhen kann (zur Wesentlichkeit des Mangels siehe Keller, a.a.O., SGG, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn. 3a). Es ist beim gegenwärtigen Sachstand auch davon auszugehen, dass der vorliegende Verfahrensmangel eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich macht.
Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Entscheidung gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen und insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zurückverweisung die Ausnahme sein soll (Keller, a.a.O., § 159 Rn. 5a). Bei der Entscheidung für eine Zurückverweisung hat der Senat berücksichtigt, dass der Rechtsstreit angesichts des bisherigen Ermittlungsausfalls noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist und weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich sind. Der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, dass die Klage nunmehr abschließend in der Berufungsinstanz zu behandeln ist. Den Beteiligten würde eine Instanz verloren gehen. Durch die Zurückverweisung verbleibt den Beteiligten die Möglichkeit, ihre Rechte in zwei Tatsacheninstanzen zu wahren. Dementsprechend stellt die Zurückverweisung die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her.
Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 159 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
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