L 17 SB 347/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
17
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 39 SB 1459/16
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 SB 347/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) nur in Betracht, wenn eine Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht dann, wenn der Antragsteller/die Antragstellerin - bei summarischer Prüfung - in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Erfolgsaussichten bestehen vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§ 103 SGG), bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88, NJW 1991, 413, 414f.; Kammerbeschlüsse vom 10.12.2001 - 1 BvR 1803/97 - NJW-RR 2002, 665, 666 und vom 20.02.2002 - 1 BvR 1450/00 - NJW-RR 2002, 1069, 1070; Senatsbeschluss vom 04.07.2017 - L 17 U 386/17 B). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Prüfung der Erfolgsaussicht ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gerichts (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl., § 73a Rn. 13d).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien hat die Rechtsverfolgung durch die Klägerin im Berufungsverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Entscheidung in der Hauptsache weder von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt noch weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen sind. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der Beweiserhebung im sozialgerichtlichen Verfahren hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 30.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2016 und des angenommenen Teil-Anerkenntnisses der Beklagten vom 05.10.2017 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, denn dieser Bescheid entspricht hinsichtlich der allein noch streitigen Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" der Sach- und Rechtslage. Ein Anspruch auf Feststellung dieser Voraussetzungen besteht nach summarischer Prüfung nicht.

Maßgeblich für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen ist bei der vorliegenden Verpflichtungsklage die Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. hierzu Meyer-Ladewig et al, aaO., § 54 Rn 34 ff.). Die am 01.01.2018 in Kraft getretenen Regelung des § 229 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bestimmt - inhaltsgleich mit der bis zum 31.12.2017 geltenden Regelung des § 146 Abs. 3 SGB IX a.F. - dass schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung sind, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Nach Satz 3 der Vorschrift zählen hierzu insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Weitere, in Satz 4 der Vorschrift beispielhaft aufgeführte Gesundheitsstörungen sind nach § 229 Abs. 3 Satz 5 SGB IX als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.

Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" normiert § 229 Abs. 3 SGB IX somit zwei Voraussetzungen, welche kumulativ vorliegen müssen: Bei dem Betroffenen muss (1.) eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen, die (2.) einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 entspricht. Der Senat kann hier offen lassen, ob bei der Klägerin eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung besteht, denn die bei ihr vorliegenden Behinderungen, die sich negativ auf die Mobilität auswirken, erreichen keinen GdB von mindestens 80 und kommen dieser Beeinträchtigung auch nicht gleich. Ausweislich des fachorthopädischen Gutachtens des Dr. L vom 05.01.2017 und seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 17.02.2017 und 27.04.2017 leidet die Klägerin an Verschließerscheinungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit Funktionseinschränkungen (Einzel-GdB 20), Verschleißerscheinungen in beiden Schultergelenken und beiden Schultereckgelenken mit Funktionseinschränkung (Einzel-GdB 30), Verschleißerscheinungen in beiden Hüftgelenken mit Funktionseinschränkung (Einzel-GdB 20), Knietotalendoprothese beidseits mit eingeschränkter Versorgungsqualität und Lymphstauung beider Beine (Einzel-GdB 40) und einer erheblichen Knick-Senkfußstellung beidseits mit statischer Auswirkung stärkeren Grades und Funktionseinschränkung in beiden oberen und unteren Sprunggelenken stärkeren Grades (Einzel-GdB 30). Für die einzelnen Funktionssysteme hat Dr. L - für den Senat anhand der von ihm benannten Funktionseinschränkungen und der aktenkundigen medizinischen Befunde nachvollziehbar - den Einzel-GdB mit 50 für das Funktionssystem Psyche, 20 für das Funktionssystem Rumpf (Wirbelsäule), 30 für das Funktionssystem Arme und 60 für das Funktionssystem Beine sowie den Gesamt-GdB mit 80 bewertet. Dr. L hat ausdrücklich betont, dass die funktionellen Einschränkungen der Lendenwirbelsäule, der Hüftgelenke, der Knietotalendoprothese beidseits und der Fußfehlstellung für sich alleine noch keinen GdB von 80 bedingt.

Für die Annahme einer zusätzlichen Erhöhung des GdB wegen der Adipositas besteht - wie Dr. L zutreffend ausgeführt hat - kein Raum. Die Adipositas per magna als solche ist nicht mit einem eigenständigen GdB zu bewerten (Abschnitt 15.3 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV)), lediglich deren besondere funktionelle Auswirkungen u.a. am Stütz- und Bewegungsapparat können einen GdB begründen. Die funktionellen Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates der Klägerin sind von Dr. L ausführlich beschrieben worden und in die GdB-Bewertung eingeflossen. Für eine darüber hinausgehende Berücksichtigung der Adipositas im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzung des Vorliegens eines mobilitätsbezogenen GdB von mindestens 80 vH besteht keine Grundlage. Sofern Dr. L in seiner Stellungnahme vom 27.04.2017 meint, durch die psychischen Veränderungen sei eine Gleichstellung und die Anerkennung des Vergünstigungsmerkmals "aG" gerechtfertigt, bleibt er eine Begründung für diese Annahme schuldig. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aus psychischen Gründen an der Fortbewegung gehindert ist, finden sich weder in den gutachterlichen Äußerungen des Dr. L noch in den weiteren aktenkundigen medizinischen Unterlagen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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