S 4 SF 45/15 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 SF 45/15 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Im nicht kostenprivilegierten Verfahren vor dem Sozialgericht (§ 197a SGG) kann ein nicht durch einen Rechtsanwalt vertretener Beteiligter aufgrund seines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nur seine tatsächlich entstandenen Kosten für die Anfertigung von Kopien verlangen, nicht aber die Dokumentenpauschale gem. Nr. 7000 VV RVG.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. August 2015 im Verfahren S 4 KR 294/12 wird aufgehoben.

Die Erinnerungsgegnerin hat der Erinnerungsführerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Kostenfestsetzung im zugrunde liegenden Ausgangsverfahren S 4 KR 294/12, das durch übereinstimmende Erledigungserklärung beendet wurde. Aufgrund außergerichtlicher Einigung zwischen den Beteiligten ist die Erinnerungsführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens verpflichtet, 7/12 der Kosten des Verfahrens zu tragen.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 6. November 2013 beantragte die Erinnerungsgegnerin, ihre außergerichtlichen Kosten wie folgt festzusetzen:

Auslagenpauschale, § 197a SGG, § 162 II 3 VwGO 20,00 EUR
Aktenübersendungskosten 12,00 EUR
Pauschale für die Überlassung und Herstellung von Dokumenten 48,25 EUR
80,25 EUR
hiervon 7/12 46,81 EUR

Hiergegen wandte sich die Erinnerungsführerin dahingehend, dass die geltend gemachten Kopierkosten nicht erstattungsfähig seien, da sie mit den "allgemeinen Gebühren" abgegolten seien. Die Telekommunikationspauschale (entsprechend Nr. 7002 VV RVG) sowie die Aktenversendungsgebühren erkannte sie an, woraus sich ein Zahlungsbetrag von 18,66 EUR (7/12 von 32,00 EUR) ergab.

Die Urkundsbeamtin des Gerichts sah die geltend gemachte Dokumentenpauschale gem. Nr. 7000 VV RVG als gerechtfertigt an, berücksichtigte zugunsten der Erinnerungsführerin den Betrag von 18,66 EUR, den diese zuvor schon an die Erinnerungsgegnerin gezahlt hatte, und setzte den weiteren von der Erinnerungsführerin an die Erinnerungsgegnerin zu zahlenden Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. August 2015, der dem Bevollmächtigten der Erinnerungsführerin am 27. August 2015 zugestellt worden ist, auf

28,15 EUR

nebst Verzinsung fest.

Hiergegen wendet sich die Erinnerungsführerin mit ihrer Erinnerungsschrift vom 28. September 2015, die am selben Tag bei dem SG Fulda eingegangen ist. Zur Begründung führt sie aus, dass die Anfertigung der geltend gemachten Kopien nicht erforderlich gewesen sei. Denn diese hätten nur der Untermauerung des eigenen Vortrags gegolten, wofür die Erinnerungsführerin nicht kostenpflichtig sei.

Die Erinnerungsführerin beantragt sinngemäß,
den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. August 2015 aufzuheben.

Die Erinnerungsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Erinnerung zurückzuweisen.

Zur Begründung erläutert sie den Inhalt der kopierten Dokumente, deren Vervielfältigung notwendig gewesen sei, und hält an ihrer Auffassung fest, dass sie berechtigt sei, die Kostenpauschale gem. Nr. 7000 VV RVG geltend zu machen. Trotz gerichtlicher Aufforderung vom 16. Oktober 2015 hat die Klägerin zu ihren tatsächlich entstandenen Kosten für die Anfertigung der Kopien keine Stellung genommen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige, insbesondere gem. § 197 Abs. 2 SGG fristgerecht erhobene Erinnerung ist begründet. Die Dokumentenpauschale gem. Nr. 7000 VV RVG ist zu Unrecht gegen die Erinnerungsführerin festgesetzt worden.

1. Soweit der Erinnerungsgegnerin wie hier ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch zusteht, sind die ihr entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen, soweit sie notwendig waren, zu ersetzen. Hierzu zählen auch Kopierkosten, was weithin außer Streit steht (s. etwa für das SGG Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 197a Rn. 27, BeckOK SozR/Jungeblut, SGG § 197a [Stand: 2015] Rn. 37; für die VwGO Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 162 [Stand 2005] Rn. 25; differenzierend für die ZPO Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 91 Rn. 13 Stichwort: Ablichtungen).

2. Die Einwendungen der Erinnerungsführerin gegen die Notwendigkeit der von der Erinnerungsgegnerin angefertigten Kopien dürften weithin nicht durchgreifen; lediglich die Vervielfältigung eigener Akten (hier 35 Seiten der eigenen Verwaltungsunterlagen) dürfte regelmäßig nicht erstattungsfähig sein. Dies kann aber offenbleiben, denn keinesfalls steht der Erinnerungsgegnerin die geltend gemacht Dokumentenpauschale zu.

a) Soweit im Rahmen der gerichtlichen Kostenfestsetzung die Dokumentenpauschale gem. Nr. 7000 VV RVG regelmäßig zugunsten eines Beteiligten festzusetzen ist, folgt dies aus der Gebührenforderung, der sich ein Beteiligter wegen der Vertretung durch einen Rechtsanwalt gegenübersieht. Dieser kann für seine von ihm angefertigten Kopien eben jene Pauschale von seinem Mandanten verlangen, so dass dieser im Falle eines Kostenerstattungsanspruchs Ersatz vom Prozessgegner fordern kann. Die Erstattungspflicht in Höhe der Pauschale unabhängig von den tatsächlich entstandenen Kosten ist daher mittelbare Folge eines Gebührenanspruchs eines Rechtsanwalts, nicht eines originär eigenen Anspruchs des Beteiligten. Der anwaltliche Pauschalanspruch wiederum beruht allein auf gesetzlicher Festlegung: Erst durch Nr. 7000 VV RVG werden pauschalierte und regelmäßig gegenüber dem Tatsächlichen erhöhte Kosten (vgl. VGH Ba.-Württ., KostRspr § 162 VwGO Nr. 31, zitiert nach Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 162 [Stand 2005] Fn. 93) "notwendig" im Sinne des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs. Auf Nr. 7000 VV RVG können sich aber nur die in § 1 Abs. 1 RVG Genannten berufen, wozu die Erinnerungsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht zählt. Daher kann sie nicht unter Berufung auf diese Norm beanspruchen, Kosten in solcher Höhe von der Erinnerungsführerin erstattet zu erhalten. Vielmehr müsste sie darlegen, dass ihr tatsächlich entsprechende Kosten entstanden sind. Dies hat die Erinnerungsgegnerin aber nicht getan und dürfte angesichts der allgemeinkundigen Kopierkosten selbst in gewerblichen Copy-Shops auch kaum möglich sein.

b) Nr. 7000 VV RVG kann auch nicht entsprechend zur Bestimmung der zu erstattenden Aufwendungen herangezogen werden. Dem steht die Entscheidung des VwGO-Gesetzgebers entgegen; dies missachten die Auffassungen, die – wie die von der Erinnerungsgegnerin im Verfahren vorgelegten Kostenfestsetzungsbeschlüsse meist ohne dies überhaupt zu problematisieren – die Pauschale in Anlehnung an die vorbezeichnete Norm oder auch Nr. 9000 KV-GKG bzw. entsprechend auch Behörden gegenüber gewähren wollen (so etwa auch Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 162 [Stand 2005] Rn. 25, was umso weniger überzeugt, als er in Rn. 85a gleichzeitig ausdrücklich bedauert, dass der Gesetzgeber keine "Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten nach RVG-VV Nr. 7000" eingeführt habe).

Der Gesetzgeber hat in der VwGO das Problem des prozessualen Kostenerstattungsanspruch von Behörden erkannt und insoweit neben dem Grundsatz in § 162 Abs. 1 VwGO, der eine Erstattung von "Aufwendungen", also von tatsächlich Aufgewandtem umfasst, in § 162 Abs. 2 S. 3 VwGO ausdrücklich nur einen einzigen Fall betreffend Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts wie die Erinnerungsgegnerin vorgesehen, in dem diese "an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen" eine Pauschale verlangen können: nämlich für den Fall der Inanspruchnahme von "Post- und Telekommunikationsdienstleistungen" (Nr. 7002 VV RVG; zur Entstehungsgeschichte dieser erst seit dem 1. Januar 2002 geltenden Ausnahme ausführlich Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 162 [Stand 2005] Rn. 85a).

Dies kann im logischen Umkehrschluss nur bedeuten, dass in anderen Bereichen gerade keine Pauschalierung zulässig ist. Der Gesetzgeber hat vielmehr die Kostenerstattungspflicht eines Beteiligten gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Bereich der Kopierkosten auf tatsächliche Aufwendungen beschränken wollen. Diese systematische und historische Auslegung des Gesetzes gilt ungeachtet der Tatsache, dass es, wenn der Gesetzgeber sich schon dazu entscheidet, einzelne Nummern des Vergütungsverzeichnisses zu zitieren, es bei entsprechendem Willen ohne Weiteres nahegelegen hätte, Nr. 7000 VV RVG hinzuzunehmen. Daher fehlt es auch an einer planwidrigen Lücke in der gesetzlichen Regelung, die eine analoge Anwendung insoweit erlauben würde. All diese Erwägungen gelten wegen der Verweisung in § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGG auch für das hiesige sozialgerichtliche Ausgangsverfahren.

Folglich sind die Kosten für die Anfertigung von Kopien zulasten der Erinnerungsführerin zu hoch festgesetzt worden.

c) Der Kammer ist es vorliegend auch verwehrt, unter Anwendung von § 287 ZPO i.V.m. § 202 SGG die tatsächlichen Vervielfältigungskosten der Erinnerungsgegnerin zu schätzen (so etwa OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 27. Oktober 1986 12 W 215/86 , juris LS; JurBüro 1987, S. 108 [109]). Denn die Erinnerungsgegnerin hat auf den Hinweis der Kammer vom 16. Oktober 2015, dass sie wegen des fehlenden Anspruchs auf pauschalierte Erstattung ihre tatsächlichen Kopierkosten spezifizieren möge, nichts vorgetragen, sondern unter dem 6. Januar 2016 ausdrücklich erklärt, auf ihrem pauschalierten Anspruch zu bestehen. Vor diesem Hintergrund wäre die Zuerkennung eines niedrigeren Betrages nicht nur ein Minus gegenüber dem Kostenfestsetzungsantrag, sondern ein aliud; hierzu ist die Kammer aber wegen der Bindung an das Begehren der Erinnerungsgegnerin nicht befugt.

Da lediglich die Aufwendungen für die Anfertigung der Kopien Gegenstand des angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschlusses sind, ist er insgesamt aufzuheben.

3. Die notwendige Kostenentscheidung (vgl. SG Fulda, Beschl. v. 10. Februar 2010 S 3 SF 22/09 E – juris Rn. 68 ff.) folgt der Sachentscheidung. Gerichtskosten sind gem. § 3 GKG i.V.m. Teil 7 der Anlage 1 des GKG für das Erinnerungsverfahren nicht vorgesehen.

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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