S 4 KR 365/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 365/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Iscador hat und ihr die in der Vergangenheit hierfür bereits aufgewendeten Kosten von der Beklagten zu erstatten sind.

Die 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Ihr wurde im April 2005 nach einer Tumorerkrankung eine Niere entfernt.

Am 21.07.2005 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte eine Kostenübernahme für eine Misteltherapie, an der sie auf dringende Empfehlung ihrer Hausärztin Dr. M. teilnehme. Es werde um Zusage für die Kostenübernahme gebeten. Beigefügt war eine mit "Liquidation" überschriebene Aufstellung der Dr. M. vom 09.06.2005 über 12 x Injektion zu 27,96 Euro gemäß Ziffer 252 GOÄ und 2 x 7 Ampullen Iscador M Ser zu je 45,60 Euro, woraus sich ein zu zahlender Betrag von 119,16 Euro ergab. Dies wurde offensichtlich per Telefax vom 09.08.2005 an die Beklagte übermittelt. Ein in der Akte auf Seite 2 enthaltenes Rezept ist dagegen zu einem späteren Zeitpunkt erstellt worden. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12.08.2005 den Antrag abgelehnt, da es sich um nicht verschreibungspflichtige Rezepturen handele und diese von der Verordnung als Kassenleistung ausgeschlossen seien. Eine Möglichkeit der Kostenerstattung bestehe ebenfalls nicht. Der Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.

Mit Schreiben vom 20.08.2007 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und stellte einen gleichlautenden Antrag. Sie führte nunmehr aus, dass durch ein rechtskräftig gewordenes Sozialgerichtsurteil (SG Dresden, Urt. v. 29.06.2006, Az.: S 28 KR 534/05), ei-ne grundsätzliche Erstattungspflicht festgelegt worden sei. Es werde daher um eine Kostenerstattung der bisherigen Therapiekosten gebeten, wobei der Beginn der Therapie der 13.06.2005 gewesen sei. Dies ergebe einen Gesamtbetrag von 2.408,35 Euro.

Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenverin Bayern ein zu der Frage, ob die vorliegende Medikation eine Ausnahme nach den OTC-Richtlinien – mit OTC werden rezeptfreie Arzneimittel bezeichnet - darstelle. Im Folgenden wurden noch ergänzende medizinische Unterlagen angefordert. Vorgelegt wurde auch ein Telefaxschreiben der W. AG an die behandelnde Ärztin, wonach Iscador im Rahmen der Ausnahmeregelung gemäß 16.5 Arzneimittelrichtlinien (AMR) – anthroposophische und homöopathische Arzneimittel - bei der schwerwiegenden Erkrankung "Maligner Tumor" verordungs- und in der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähig sei. In ihrem Gutachten vom 26.09.2007 kam Frau Dr. Präfke vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern zum Ergebnis, dass Mistel-Präparate wie Iscador gemäß § 34 des Fünften Buches Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Zeit ab 01.01.2004 nicht verschreibungspflichtig seien. Sie könnten in der palliativen Therapie von malignen Tumoren nach Ziffer 16.4.27 der gültigen AMR ausnahmsweise vertragsärztlich verordnet werden. Für kein auf dem Markt befindliches Mistelpräparat sei je-doch bisher der Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit bei menschlichen Tumorleiden erbracht.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenerstattung für die Behandlung mit Iscador mit Schreiben vom 17.10.2007 ab. Derartige Präparate könnten nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren ausnahmsweise vertragsärztlich verordnet werden. Eine rückwirkende Kostenerstattung sei aufgrund gesetzlicher Bestimmungen leider nicht möglich. Eine Genehmigung durch die Kasse sei nicht vorgesehen. Der Vertragsarzt könne ggf. eigenverantwortlich unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes eine Verordnung auf Kassenrezept vornehmen.

Hiergegen legte die Klägerin mit Telefax vom 19.10.2007 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2007 zurückgewiesen wurde. Eine Therapie mit einem Mistelpräparat sei im Fall der Klägerin nach dem medizinischen Erkenntnisstand nicht Therapiestandard. Die Begrenzung der Misteltherapie auf die palliative Therapie von malig-nen Tumoren gelte nach Aussage des gemeinsamen Bundesausschusses auch für anthroposophische Mistelpräparate. Eine Ausweitung der Therapierichtungen und Vorordnungsfähigkeit zu Lasten der Krankenversicherung würde nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprechen. Zudem sei die Kostenübernahme für die Leistung erst nach bzw. während deren Durchführung beantragt worden.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 23.11.2007 am 29.11.2007 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Sie verwies darauf, dass ein rechtskräftiges Urteil zur Ersatz-pflicht von Krankenkassen bei Misteltherapien sowohl in der palliativen als auch in der adjuvanten Tumortherapie auf Kassenrezept vorliege (vgl. SG Dresden a.a.O.). Da die Therapie noch andauere, werde zunächst um eine Entscheidung gebeten, dass die Beklagte die Kosten für die Misteltherapie grundsätzlich zu übernehmen habe.

In einem Erörterungstermin am 03.06.2008 gab die Klägerin auf Nachfrage an, dass die Misteltherapie noch andauere und nicht auf eine bestimmte Laufzeit begrenzt sei. Die behandelnde Ärztin habe bei ihr angefragt, ob eine derartige Therapie von ihr finanziert wer-den könne. In der Apotheke hätte sie dann erfahren, dass gesetzliche Krankenkassen die eigentliche Medikation übernehmen würden. Die behandelnde Ärztin habe damals erklärt, dass sie mehrere Krebspatienten habe und eine Verordnung auf Kassenrecht dazu führen würde, dass das Budget überschritten würde und die Ärztin es aus eigener Tasche bezahlen müsste.

Die Klägerin erklärte, dass sie eine Überprüfung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 12.08.2005 anstrebe und dies auch schon mit ihrem Antrag vom 20.08.2007 gewollt habe. Hilfsweise werde zu Protokoll eine Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) beantragt.

Die Beklagte trägt vor, in einer Entscheidung des Sozialgerichts Köln (Az.: S 19 KA 29/05 vom 26.07.2006) sei die Planung des gemeinsamen Bundesausschusses zur Aufnahme von Mistelpräparaten zur adjuvanten Krebstherapie untersagt worden, weshalb die Überlegungen des Sozialgerichts Dresden zum Vorliegen eines Systemversagens so nicht mehr tragfähig seien.

Die Klägerin beantragt in der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2008, die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 17.10.2007 und des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2007 bei entsprechender Verordnung das Mistelpräparat Iscador als Kassenleistung zur Verfügung zu stellen, sowie rück-wirkend für die Zeit ab der ablehnenden Entscheidung der Beklagten die Kosten für das selbst beschaffte Arzneimittel in nachgewiesener Höhe zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezoge-nen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zustän-digen Sozialgericht erhoben (§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist jedoch nicht begründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf eine Behandlung mit Iscador zu Lasten der Beklagten bzw. auf Kostenerstattung für die Vergangenheit hat.

Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Hierzu gehört insbesondere die ärztliche Behandlung. Nach § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimittel, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.

Ein Vertragsarzt kann Arzneimittel, die aufgrund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Dabei ist in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V geregelt, dass die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen erhalten.

§ 13 SGB V regelt die Fälle, in denen anstelle der Sach- und Dienstleistung eine Kostenerstattung zugelassen ist. Im Fall der Klägerin könnte nur § 13 Abs. 3 SGB V einschlägig sein, wonach eine Krankenkasse für die selbstbeschaffte Leistung Kosten zu erstatten hat, soweit die Leistung notwendig war und die Krankenkasse im Falle einer unaufschiebbaren Leistung diese nicht rechtzeitig erbracht hatte oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin einen Leistungsantrag an die Beklagte erst gestellt, nachdem mit der Misteltherapie bereits begonnen worden war.

Nach Auffassung des Gerichtes lassen sich zwar aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen Hinweise dafür entnehmen, dass ein möglichst zeitnaher Beginn der Misteltherapie nach Durchführung der operativen Tumorbehandlung am förderlichsten angesehen wird. Die strengen Voraussetzungen für eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 1 S. 1 1. Hs. sind damit aus Sicht des Gerichtes aber nicht zu begründen.

Die verspätete Antragstellung steht aus Sicht des Gerichtes aber nur Erstattungsansprüchen für den Zeitraum vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten entgegen und führt nicht dazu, dass die Erstattung der Kosten für die gesamte Therapiedauer ausgeschlossen wäre. Dass im Fall der Klägerin eine solche Aufteilung der verschiedenen Therapieabschnitte möglich und geboten ist, ergibt sich für das Gericht daraus, dass aus dem Beginn der Therapie keine zwingende Notwendigkeit entsteht, diese Therapie über einen bestimmten Zeitraum fortzusetzen. Sie könnte jederzeit unterbrochen werden, ohne dass nachteilige Folgen hierfür erkennbar wären im Vergleich dazu, dass die Therapie über-haupt nicht durchgeführt worden wäre. Insofern ist von eigenständigen, einzeln prüfbaren Bewilligungsabschnitten mit je eigenen Bewilligungsvoraussetzungen auszugehen. Dass auch die Beklagte eine derartige Aufteilung grundsätzlich für möglich ansieht, ergibt sich für das Gericht auch daraus, dass die Beklagte ihre Ablehnung im Bescheid vom 17.10.2007 nicht darauf gestützt hat, dass über die Therapie bereits eine rechtskräftige Entscheidung vorliege und deshalb eine neuerliche Entscheidung der Beklagten ausgeschlossen sei. Vielmehr hat die Beklagte eine inhaltliche Prüfung und eine inhaltlich begründete Entscheidung vorgenommen und lediglich ergänzend darauf hingewiesen, dass bereits in der Vergangenheit eine rechtskräftig gewordene Entscheidung vorgelegen habe.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites sind aus Sicht des Gerichtes dagegen nur Erstattungen für die Zeit nach dem Ergehen des ablehnenden Bescheides durch die Beklagte am 17.10.2007 sowie die Frage der laufenden Bewilligung. In dem noch bei der Beklagten anhängigen Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X kann entsprechend wohl erst die Zeit nach dem Vorliegen der erstmaligen ablehnenden Entscheidung vom 12.08.2005 erfasst sein.

Bezüglich der Frage der Notwendigkeit der Therapie mit Iscador ergibt sich aus Sicht des Gerichtes kein Beleg, der eine Leistungs- und Kostenerstattungspflicht der Beklagten zwingend begründen würde. Der Gesetzgeber hat Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig sind, aus der Leistungsverpflichtung der Beklagten herausgenommen, soweit nicht eine entsprechende Ausnahmeregelung greift. Von diesen Regelungen sind immanent auch die mit der Applizierung der Medikation verbundenen ärztlichen Leistungen mitumfasst. Das heißt für die Erbringung von ärztlichen Leistungen in Bezug auf ein nicht der Kassenleistung unterfallendes Medikament besteht ebenfalls keine Leistungsverpflichtung der Beklagten, es sei denn – was hier nicht der Fall ist – die diesbezügliche ärztliche Behandlung hätte einen eigenständige und vorrangige Bedeutung (vgl. Kasseler Kommentar, Höfler, § 31 SGB V Rdnr. 28).

Das Sozialgericht Dresden (a.a.O.) ist im Anschluss an frühere Entscheidungen des Sozi-algerichts Düsseldorf (u.a. Urt. v. 01.03.2005, Az.: S 8 KR 321/04) zum Ergebnis gelangt, dass der gemeinsame Bundesausschuss in Umsetzung des gesetzlichen Auftrages in Ziffer 16.2 AMR eine Krankheit als schwerwiegend definiert habe, wenn sie lebensbedrohlich sei oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Als Therapiestandard habe er gemäß Ziffer 16.3 AMR ein Arzneimittel dann anerkannt, wenn der therapeutische Nut-zen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse entspreche. Auf dieser Grundlage habe der Bundesausschuss in Ziffer 16.4 AMR schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung aufgeführt, wobei die Aufzählung allein die Arzneimittel der allopathischen Medizin und diejenigen hinsichtlich ihrer Standardisierung vergleichbaren Phytotherapeutika umfasse. Nach dieser Aufzählung seien u.a. gemäß Ziffer 16.4.27 AMR Mistelpräparate, parenteral, auf Mistellectin normiert, in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität zu Lasten der Krankenkassen verordnungsfähig. Der Ansatzpunkt, in Ergänzung hierzu über Nr. 16.5 AMR einen Versorgungsanspruch mit dem beantragten Arzneimittel herleiten zu wollen und damit auch über die Versorgung in der palliativen Medizin hinaus eine adjuvante Krebstherapie abzudecken, wurde darauf gestützt, dass Nr. 16.5 AMR nicht den gesetzlichen Vorgaben ent-spreche, jedoch wegen eines darin liegenden normativen Systemversagens vorläufig in entsprechender Auslegung anzuwenden sei. Dabei müsse sich die Frage, ob eine Verordnung anthroposophischer Mistelpräparate aus Nr. 16.5 AMR möglich sei, an der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, namentlich mit den Vorgaben des § 34 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V bestimmen. Nicht mit dieser Vorschrift vereinbar sei die Auslegung der Nr. 16.5 AMR dahingehend, dass neben der Binnenanerkennung als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung kumulativ auch die für den Therapiestandard der allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimittel maßgeblichen Anwendungsvoraussetzungen für die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung erfüllt sein müssten. So wer-de das Ziel verkannt, dass eine Gleichstellung zwischen allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimitteln einerseits und Arzneimittel der anthroposophischen und homöopathischen Therapierichtungen andererseits intendiert sei. Es wäre Aufgabe des Bundesausschusses gewesen, in den Arzneimittelrichtlinien zu definieren, was er als Therapiestandard bei der Anwendung von Arzneimitteln der Anthroposophie und in der Homöopathie bei schwerwiegenden Erkrankungen bestimme, und dadurch die effektive und wirtschaftliche Versorgung der an schwerwiegenden Erkrankungen leidenden Versicherten mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der Homöopathie und Anthroposophie zu gewährleisten. Entscheidend solle sein, ob die Anwendung für diese Indikationsgebiete bei einer schwerwiegenden Erkrankung nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei und eine entsprechende qualifizierte Verordnung erfolgte. Hinsichtlich der Anthroposophika sei - wie sich aus dem Rundschreiben der Gesellschaft antroposophischer Ärzte in Deutschland vom 15.01.2006 ergebe - eine Zuordnung von Wirkstoffen, z. T. sogar von bestimmten Präparaten, zur Anwendung bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen durchaus möglich. Es seien positive Bewertungen in entsprechenden Studien festzustellen gewesen und insbesondere die "Mistelpräparate, parenteral: Abnova viscum, Helixor, Iscador, Iscucin, alle Sorten, alle Wirts-bäume, mit und ohne Metalle" als Standardmedikation bei der Indikation "Maligne Tumre" in o.g. Rundschreiben ausdrücklich benannt und als Therapiestandard aufgeführt. Die Gerichtsbarkeit sei bis zu einer den gesetzlichen Vorgaben genügenden Regelung der Verordnungsfähigkeit antroposophischer Medikamente gehalten, über die Versorgung der betroffenen Patienten mit Mistelpräparaten eine unmittelbar an den Vorgaben des Gesetzes orientierte Entscheidung zu treffen. Allerdings dürfe aus der Indikation allein noch nicht auf den Therapiestandard geschlossen werden. In seiner Beanstandungsverfügung vom 18.02.2005 habe das zuständige Bundesministerium die Auffassung vertreten, dass ein Arzt, der nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel der anthroposophischen Therapierichtung zu Lasten der Krankenkassen verordne, über entsprechende Fachkenntnisse auf dem Gebiet der jeweiligen Therapierichtung verfügen müsse; diese seien regelmäßig an-zunehmen, wenn der Arzt eine entsprechende anerkannte Fortbildung nachweisen könne. Ein Gericht könne zwar nicht den nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V dem gemeinsamen Bun-desausschuss obliegenden Prüfungsauftrag in das gerichtliche Einzelfallverfahren verlagern; es reiche jedoch aus, zur Überwindung des Systemversagens auf den Therapiestandard abzustellen, wie er sich innerhalb der anthroposophischen Therapierichtung dar-stelle.

Der gemeinsame Bundesausschuss hat bisher – d.h. auch in der Zeit seit dem Urteil des SG Dresden - die adjuvante Behandlung mit Mistelpräparaten bei malignen Tumoren nicht als Therapiestandard anerkannt und entsprechend in die Richtlinien aufgenommen.

Aus der Entscheidung des Sozialgerichts Köln vom 26.07.2006 (S 19 KA 29/05) geht her-vor, dass sich der gemeinsame Bundesausschuss auch in der Folgezeit intensiv mit die-sen Anerkennungsvorgängen befasst hat und hierbei eine einschränkende Auslegung durch Veränderung der entsprechenden Bestimmungen vornehmen wollte. Dies ist durch eine neuerliche Beanstandung des zuständigen Bundesministeriums – zu Recht, wie das Urteil feststellte – untersagt worden. Solange der gemeinsame Bundesausschuss keine Bewertung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen unter Heranziehung der Vertreter dieser Richtungen vorgenommen habe, sei entsprechend der Regelung nach Nr. 16.5 AMR bezüglich dieses Anwendungsgebietes lediglich auf die Binnenanerkennung zurückzugreifen.

Das Gericht sah ein Systemversagen aus mangelnder Befassung des gemeinsamen Bundesausschusses nicht gegeben, da sich dieser nachweislich mit der entsprechenden Thematik ausgiebig befasst hat.

In Betracht könnte lediglich ein Systemversagen wegen fehlerhafter Befassung des gemeinsamen Bundesausschusses kommen, wofür das Gericht zwar eine Reihe von Argumenten – wie in den vorgenannten Urteilen aufgezählt – erblickte, jedoch letztlich nicht mit hinreichender Sicherheit einen entsprechenden Nachweis als belegt ansah. Im vorliegen-den Fall war jedoch entscheidungserheblich, dass das Gericht sich nicht der Auffassung anschließen konnte, dass bei sämtlichen malignen Tumoren – und damit ohne zeitliche Beschränkung - eine adjuvante Therapie mit Mistelpräparaten als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Binnensicht der anthroposophischen Medizin erforder-lich sei. Selbst aus den im vorliegenden Verfahren zugänglichen Hinweisen des Medikamentenherstellers wird nur von einer längerfristigen Einnahme gesprochen, wobei sich die Empfehlung mindestens auf die ersten zwei Jahre nach der Operation bezieht. Dieser Zeitraum wäre aber außerhalb des im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Zeitraums zwischen der Entscheidung der Beklagten vom 17.10.2007 und der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2008 gelegen. Auch die vorliegende Verordnung auf Privatrezept setzt sich mit einer möglichen zeitlichen Beschränkung nicht auseinander.

Da das Gericht nicht die hinreichende Überzeugung gewinnen konnte, dass im streitgegenständlichen Zeitraum – oder aktuell - eine primäre Verpflichtung der Beklagten vorlag, die Klägerin im Rahmen der Kassenleistung mit dem Arzneimittel Iscador zu versorgen, kam auch eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Dementsprechend sah das Gericht eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht als geboten an und die Klage war abzuweisen.

Aus der Klageabweisung ergibt sich, dass eventuelle außergerichtliche Kosten der Klägerin nicht zu erstatten sind (§ 193 SGG).

Das Gericht sah es im Hinblick auf die vorhandene anderweitige Rechtsprechung als ge-boten an, die Berufung ausdrücklich zuzulassen. Dabei ist aus Sicht des Gerichtes aller-dings ohnehin nicht von einem Unterschreiten der Berufungssumme auszugehen, selbst wenn die bisher entstandenen Kosten nicht im Einzelnen nachgewiesen sind, da ja auch die laufende Bewilligung mitbeantragt worden ist. Das Gericht folgt insofern der Überlegung des Sozialgerichts Dresden (a.a.O.) wonach in den Fällen, in denen auf eine entsprechende Anfrage hin eine bescheidmäßige Erklärung der Krankenversicherung ergan-gen ist, dass ein bestimmtes Arzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf, ein Verweis auf eine nachträgliche Klärung im Wege der Einzelfallprüfung nach § 106 Abs. 3 S. 3 SGB V nicht zulässig ist, sondern eine unmittelbare und überprüfbare Entscheidung vorliegt.

Auch wenn das Gericht im vorliegenden Fall keine hinreichende Begründung für den geltend gemachten Leistungsanspruch als gegeben ansah, so ergibt sich daraus nicht automatisch, dass auch im Rahmen des noch ausstehenden Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X, über das hier nicht mitentschieden werden konnte, das Gericht bei der einzelfallbezogenen Abwägung und unter Berücksichtigung, dass der dortige Zeitraum deutlich kürzer nach der operativen Behandlung gelegenen ist, zum gleichen Ergebnis kommen müsste. Gleichwohl könnte es aus Sicht des Gerichtes durchaus sinnvoll sein, mit dem Überprüfungsverfahren einvernehmlich noch weiter zu warten, da es im Rahmen des Möglichen liegt, dass die Klägerin in einem Berufungsverfahren vollständig obsiegt und damit die materielle Grundlage für das Überprüfungsverfahren eine Klärung gefunden hätte.
Rechtskraft
Aus
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