L 3 B 223/05 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AS 405/05 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 223/05 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 16.08.2005 wird aufgehoben.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragssteller und Beschwerdegegner (Bg.) begehrt im Wege der einstweiligen An-ordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (Bf.), ihm Ar-beitslosengeld II (Alg II) i. H. v. 339,24 EUR monatlich zu zahlen.

Der am ...1954 geborene Bg. ist seit 1974 verheiratet. Er bezog bis 10.06.2003 Ar-beitslosengeld (Alg) und anschließend bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Seine Ehefrau, R. E ..., bezieht Alg i. H. v. 155,40 EUR wöchentlich.

Am 05.10.2004 beantragte der Bg. bei der Bf. Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-haltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Bescheid vom 30.11.2004 bewilligte die Bf. dem Bg. für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (einschließlich eines Zuschlags gem. § 24) i. H. v. 339,24 EUR monatlich. Dabei legte sie das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Bg. und R. E ... zugrunde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berechnung, die Bestandteil des Bescheides war, Bezug genommen.

Am 10.03.2005 stellte der Bg. einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Nach dem in Ablichtung vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 01.04.2005 erhielten der Bg. und seine Ehefrau R. E ... eine Erstattung der Einkommens-steuer i. H. v. 6.385,86 EUR, die am 04.04.2005 auf dem Konto des Bg. gutgeschrieben wur-de.

Mit Bescheid vom 18.04.2005 hob die Bf. die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.04.2005 bis 31.05.2005 auf, da er während des genannten Zeitraums Einkommen durch Steuerrückerstattung erzielt habe. Gleichzeitig stellte sie fest, dass der Bg. für die Zeit vom 01.04.2005 bis voraussichtlich 08.09.2006 seinen Lebensunterhalt durch die Steuernach-zahlung bestreiten könne und dass ab dem 01.05.2005 keine Zahlung mehr erfolge.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bg. mit Schreiben vom 01.05.2005, eingegangen am 02.05.2005, Widerspruch. Er erkenne die Zahlungseinstellung für die Monate April und Mai 2005 auf Grund des ge-nannten Zuflussprinzips an, jedoch nicht die grundsätzliche Ablehnung seines Weiterbe-willigungsantrages ab 01.06.2005.

Einen weiteren Antrag des Bg. auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhaltes nach dem SGB II vom 03.05.2005 lehnte die Bf. mit Bescheid vom 17.05.2005 ab, da der Bg. nicht hilfebedürftig sei. Mit Bescheid vom 18.04.2005 sei ihm bereits mitgeteilt worden, dass bis voraussichtlich 08.09.2006 für seine Bedarfsgemeinschaft auf Grund der Steuernachzahlung keine Hilfe-bedürftigkeit bestehe und somit kein Anspruch auf Alg II.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bg. am 20.05.2005 Widerspruch. Er könne sich mit der Begründung, dass die Steuererstattung als Einkommen auf mehrere Monate aufgeteilt werde, nicht einverstanden erklären.

Am 23.05.2005 stellte der Bg. nochmals einen Antrag auf Fortzahlung des Alg II.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2005 wies die Bf. die Widersprüche als unbegründet zurück. Gem. § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberück-sichtigung von Einkommen und Vermögen beim Alg II/Sozialgeld seien einmalige Ein-nahmen, von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Der mit dem Bescheid vom 30.11.2004 festgestellte Bedarf der Bedarfsgemeinschaft des Bg. an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes betrage monatlich 339,24 EUR. Das ergebe einen täglichen Leistungsanspruch von 11,31 EUR. Zu diesem täglichen Bedarf seien Absetzungsbetrag nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (Versicherungspauschale) von 30,00 EUR monatlich, also 1,00 EUR täglich hinzuzurechnen. Da der Bg. über seine Ehefrau in der Kran-ken- und Pflegeversicherung familienversichert sei, seien hierfür keine weiteren Bedarfe anzuerkennen. Die von diesem erzielte Steuerrückerstattung sei auf die zukünftigen monat-lichen Bedarfe wie folgt anzurechnen: 6.385,86 EUR: 12,31 EUR/täglich Gesamtbedarf = 518 Tage.

Am 01.07.2005 hat der Bg. beim SG Leipzig beantragt, die Bf. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab sofort Alg II i. H. v. 339,24 EUR monatlich zu zahlen. Es bestehe lediglich für den Monat April 2005 kein Anspruch auf Leistungen gem. SGB II, da sich das im April 2005 zugeflossene am 01.05.2005, 0.00 Uhr in Vermögen umgewan-delt habe und das Gesamtvermögen weit unter den gesetzlichen Grenzen liege. Das vom Gesetz vorgegebene monatliche Zuflussprinzip dulde keine Durchbrechung zugunsten der Sozialleistungsträger und zu Lasten des Bürgers.

Er versicherte am 29.06.2005 u. a. an Eides Statt, dass seine Frau und er von der Steuer-rückerstattung zum einen ihre Schulden getilgt und Lebensmittel, Kleidung, Gartenmöbel, einen Elektroherd und Hochzeitsgeschenke (Ringe, Topfset) für ihren am 08.08.2005 hei-ratenden Sohn gekauft hätten. Derzeit hätten sie noch einen Restbetrag i. H. v. ca. 3.500,00 EUR in bar. Sie hätten ihrem Sohn versprochen, die Kosten für die auf den 08.08.2005 angesetzte Hochzeitsfeier mit dessen Schwiegervater zu teilen; sie rechneten dabei mit Kosten in Höhe von 1.500,00 EUR. Die Bf. hat sinngemäß beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 16.08.2005 hat das SG die Bf. verpflichtet, den Bg. ab 01.07.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 19 ff. SGB II i. H. v. monatlich 339,24 EUR zu gewähren. Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund seien gegeben. Die Einkommenssteuererstattung sei Vermögen i. S. d. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb eine solche bereits bestehende aber noch nicht erfüllte Forde-rung nur dann als Vermögen angesehen werden solle, wenn diese freiwillig angespart wor-den sei. Zudem könne (zumindest) ein Teil einer Steuererstattung "freiwillig angespart" sein. Dies sei dann der Fall, wenn die Eintragung eines Freibetrages bewusst nicht bean-tragt oder eine Steuerklassenänderung nicht vorgenommen werde, obwohl der Steuerzahler wisse, dass eine Steuerentlastung damit verbunden wäre und deshalb eine höhere Steuerer-stattung zur Folge habe. Es sei auch eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben. Nach der vom Bg. abgegebenen ei-desstattlichen Versicherung werde die Steuererstattung durch Zahlung von Schulden und den Kauf von Gebrauchsartikeln bald aufgebraucht sein. Dabei sei allerdings zu beachten, dass einstweiliger Rechtsschutz dann nicht ergehen könne, wenn der Bg. sich durch vorei-lige Maßnahmen selbst in eine wirtschaftliche Zwangslage gebracht habe. Dass es sich bei diesen Ausgaben um voreilige Maßnahmen im obigen Sinne handele, sei nicht ersichtlich.

Gegen diesen am 29.08.2005 zugestellten Beschluss hat die Bf. am 23.09.2005 beim SG Leipzig Beschwerde eingelegt. Es liege kein Anordnungsanspruch vor, da die Auszahlung der Steuererstattung Einkom-men i.S.v. § 11 Abs. 1 SGB II sei.

Die Bf. beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 25.08.2005 aufzuheben und den An-trag auf einstweilige Anordnung abzulehnen.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat vorgelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Ver-waltungsakte der Bf. und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist auch form- und fristgerecht i. S. d. § 73 des Sozialgesetzbuches erhoben.

Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht (SG) hat zu Unrecht die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung bejaht. Hierfür mangelt es bereits an einen hinreichenden Anord-nungsgrund.

Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung der Reglung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis tref-fen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig er-scheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang ei-nen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Ein solcher Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Dringlichkeit der Entscheidung lag weder zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz, noch liegt ein solcher derzeit vor. Grundsätzlich ist der Rechtsuchende auf das vom Gesetzgeber vorgesehene Hauptsacheverfahren zu verweisen. Eine Regelungsanordung hingegen dient lediglich der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit des Hauptsacheverfahrens vor Zeit überholenden Entwicklungen; das Hauptsachebegehren soll nicht in Folge Zeitablaufs oder anderer Hemmnisse durch die lange Verfahrensdauer des Hauptsacheverfahrens entwertet oder vereitelt werden (Berliner Komm. zum SGG, § 86 b Rdziff. 13).

Die Folgenabwägung im Rahmen dieser Voraussetzungen fällt vorliegend zugunsten der Beschwerdeführerin (Bf.) aus. Hierbei wurde berücksichtigt, dass die Leistung der Grund-sicherung für Erwerbsfähige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) der Si-cherung eines menschenwürdigen Lebens dient. Dies ergibt sich aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde i. V. m. dem Sozialstaatsgebot. Da der Bg. und seine Ehefrau jedoch am 04.04.2005 eine Erstattung der Einkommenssteuer i. H. v. 6.385,86 EUR erhalten haben, besteht nicht die Gefahr, dass ab 01.07.2005 ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung das Existenzminimum des Bg. für mehrere Monate ungedeckt bliebe. Selbst wenn man nach der eidesstattlichen Versicherung des Bg. davon ausgeht, dass zum 29.06.2005 nur noch 3.500,00 EUR übrig waren, konnte damit das Existenzminimum bis zum jetzigen Zeitpunkt abgedeckt werden. Soweit mit der Steuerrückerstattung Ausgaben getä-tigt wurden, die nicht für die Sicherung des Existenzminimums dienten, kann sich der Bg. auf eine dadurch – selbstverschuldet – entstandene wirtschaftliche Zwangslage nicht beru-fen.

Bei dieser Sachlage kam es entgegen der Ansicht des SG auf die von ihm allein geprüfte materiell-rechtliche Frage eines Anordnungsanspruchs und die dazu erforderliche Ausei-nandersetzung, ob die Steuerrückerstattung als Einkommen oder als Vermögen zu behan-deln sei, für die hier zu treffende vorläufige Entscheidung nicht an. Trotzdem weist der Senat darauf hin, dass die Zuerkennung der Leistung ab 01.07.2005 durch das SG hinsichtlich eines Betrages von 131,00 EUR monatlich bereits deshalb unrecht-mäßig ist, als der dabei in Ansatz gebrachte Anspruch auf Zuschlag gem. § 24 SGB II be-reits zum 10.06.2005 endete.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG endgültig.
Rechtskraft
Aus
Saved