L 3 B 151/06 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 AS 980/05 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 151/06 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschwerdegegnerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Herr Rechtsanwalt S ..., ..., L ..., beigeordnet. Derzeit sind keine Raten zu zahlen.
II. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 03. April 2006 dahingehend abgeändert, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten hat. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren um die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Bg.) in dem vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) geführten Rechtsstreits, Az.: S 7 AS 980/05 ER.

Die Bg. begehrte im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antrags-gegnerin und Beschwerdeführerin (Bf.), ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhal-tes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ohne Anrechnung des Existenz-gründerzuschusses zu zahlen.

Die am ...1974 geborene Bf. ist erwerbsfähig und bezog bis 31.12.2004 Arbeitslo-senhilfe (Alhi). Bei ihr im Haushalt leben ihre zwei Töchter C. (geb ...1991) und M ... (geb ...1997). Zum 31.01.2005 nahm sie eine selbständige Tätigkeit auf. Mit Bescheid vom 17.02.2005 bewilligte ihr die Agentur für Arbeit Leipzig für den Zeitraum vom 31.01.2005 bis 30.01.2006 einen Existenzgründungszuschuss in Höhe von monatlich 600,00 EUR. Seit 01.02.2006 beträgt der Existenzgründungszuschuss monatlich 360,00 EUR. Die Bg. ist seit 01.02.2005 freiwillig bei der AOK krankenversichert.

Am 13.10.2004 stellte die Bg. Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 08.11.2004 bewilligte die Bf. der Bg. und den mit ihr in der Bedarfsge-meinschaft lebenden Töchtern Arbeitslosengeld II (Alg II) wie folgt: 01.01.2005 bis 28.02.2005 616,99 EUR monatlich 01.03.2005 bis 31.03.2005 616,82 EUR 01.04.2005 bis 30.06.2005 611,99 EUR monatlich.

Gegen diesen Bescheid legte die Bg. am 23.11.2004 Widerspruch ein.

Mit Änderungsbescheid vom 07.04.2005 bewilligte ihr die Bf. Alg II für Januar 2005 in Höhe von 686,21 EUR.

Mit Bescheid vom 07.04.2005 hob die Bf. die Entscheidung über die Bewilligung von Alg II mit Wirkung vom 01.02.2006 auf, da die Hilfebedürftigkeit weggefallen sei. Die Gewährung des Existenzgründungszuschusses decke ihren Bedarf ab.

Mit Erstattungsbescheid vom 13.07.2005 machte die Bf. für die Zeit ab 01.02.2005 einen Rückforderungsbetrag in Höhe von 1.273,91 EUR geltend. Gegen diesen legte die Bg. am 25.07.2005 Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 26.07.2005 wies die Bf. nach Erteilung des Änderungsbescheides vom 07.04.2005 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ab 01.02.2005 erhalte die Bg. einen Existenzgründerzuschuss in Höhe von 600,00 EUR mo-natlich. Somit bestehe ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Leistungen lediglich in Höhe von 86,21 EUR. Da der Hilfebedarf sich ausschließlich auf M ... begründe, sei die Leistung nach dem SGB II aufzuheben und die Bg. auf die Beantragung von Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz zu verweisen.

Am 20.06.2005 stellte die Bg. einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Am 25.08.2005 hat sich die Bg. an das SG gewandt und beantragt, den Bescheid vom 07.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2005 aufzuheben und ihr Einkommen neu und richtig zu berechnen (S 7 AS 604/05).

Am 08.11.2005 stellte die Bg. einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Am 18.11.2005 hat die Bg. beim SG Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beantragt, die Bf. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab 01.03.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von mindestens 686,21 EUR zu be-willigen. Der Existenzgründerzuschuss könne nicht als Einkommen angerechnet werden. Gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II seien die mit der selbständigen Tätigkeit verbundenen Aufwen-dungen, die zu den ausgewiesenen Verlusten geführt hätten, abzusetzen.

Mit Urteil vom 23.03.2006 hat das SG die Bescheide vom 07.04.2005 und 13.07.2005 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2005 aufgehoben und die Bf. verurteilt, Alg II für die Zeit ab dem 01.01.2005 in Höhe von 686,21 EUR ohne die Anrechnung des E-xistenzgründerzuschusses zu gewähren. Der Existenzgründerzuschuss diene nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes wie die Leistungen des Alg II, sondern anderen Zwecken, nämlich der Bekämpfung der Schwarz-arbeit, der sozialen Sicherung und der Unterhaltung des neugegründeten Betriebs.

Am 23.04.2006 hat die Bg. hinsichtlich ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-nung für erledigt erklärt und Kostenantrag gestellt.

Am 03. April 2006 hat das SG beschlossen, die Bf. habe die notwendigen außergerichtli-chen Kosten der Bg. zu tragen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte Erfolg gehabt. Wie in dem Ur-teil vom 23.03.2006 dargelegt, habe der Existenzgründerzuschuss nicht als Einkommen bei der Prüfung der Gewährung von Alg II angerechnet werden dürfen. Ein Anordnungsgrund sei darin zu sehen, dass es der Bg. mit den Geldern, die sie erhielt (Existenzgründerzu-schuss und Kindergeld) nicht möglich gewesen wäre, gleichzeitig ihre Bedarfsgemein-schaft zu unterhalten und ihre Existenzgründung fortzuführen.

Gegen den am 07.04.2006 zugestellten Beschluss des SG hat die Bf. am 08.05.2006 beim SG Beschwerde eingelegt. Zu Unrecht sei die Anrechnung des Existenzgründungszuschusses als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 SGB II versagt worden.

Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 03.04.2006 aufzuheben, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen und zu entscheiden, dass Kosten nicht zu erstatten sind.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vor-gelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Ver-waltungsakte und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht gemäß §§ 172, 173 Sozi-algerichtsgesetz (SGG) erhoben.

1. Die Beschwerde ist jedoch nur zum Teil begründet.

Der Antrag auf Kostenerstattung war gemäß § 193 Abs. 1 SGG zulässig.

Grundsätzlich hat das Gericht von Amts wegen zu entscheiden, ob und in welchem Um-fang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Wird ein Verfahren jedoch ohne gerichtliche Entscheidung beendet, hat das Gericht auf Antrag hin durch Beschluss über die Kostenerstattung zu entscheiden, § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG. Zwar wurde – entgegen der Ansicht des Sozialgerichts Leipzig (SG) ? das Verfahren nicht durch Erledigungserklärung beendet, da die Bg. nur einseitig die Sache für erledigt erklärt hat. Diese Erklärung ist jedoch als Antragsrücknahme auszulegen.

Maßstab für die Entscheidung über die Kostenlast ist, ohne das eine Bindung des Gerichts an die Anträge der Beteiligten besteht, eine Verteilung unter Berücksichtigung des in §§ 91a ff. Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens. Das Gericht hat folglich das voraussichtliche Ergebnis des Rechtsstreits unter Einbeziehung des sich aus den Akten ergebenden Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu würdi-gen. Hierbei entspricht es in der Regel der Billigkeit, dass derjenige die Kosten trägt, der in der Hauptsache unterlegen wäre.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine solche Regelungsanordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsgrund und ein Anord-nungsanspruch glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 3, 4 SGG i.V.m. §§ 920Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).

a) Soweit mit der einstweiligen Anordnung bis zum 01.03.2005 rückwirkende Leistungen erreicht werden sollten, hätte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Denn nach allgemeiner Ansicht sind Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung nur mit Wirkung für die Zukunft zuzusprechen (Münder et al., Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II, Anhang Verfahren, Rdziff. 121). Das SG konnte demnach vorläufige Leis-tungen frühestens ab 18.11.2005 zusprechen. Bei der Sachlage war es der Bg. zumutbar, eine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung im Hauptsache-verfahren abzuwarten.

b) Hinsichtlich des Zeitraums ab 18.11.2005 war ein Anordnungsgrund gegeben. Es be-stand die Gefahr, dass bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache die Bg. gezwungen sein konnte, ihre Selbstständigkeit aufzugeben, um den Lebensbedarf sicher-stellen zu können.

c) Nach Überzeugung des Senats war hier ein Anordnungsanspruch gegeben, da mit über-wiegender Wahrscheinlichkeit ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des gewährten Existenzgründerzuschusses nach § 421 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetz-buch (SGB III) als Einkommen besteht.

Die Bf. hat einen Anspruch darauf, dass der ihr gewährte Existenzgründungszuschuss nach § 421 l SGB III nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Der Existenzgründungszuschuss dient als zweckbestimmte Einnahme einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), so dass er gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II als Einkommen nicht zu berücksichtigen ist. Durch die Gewährung des Existenzgründungszu-schusses wird die Lage der Empfängerin nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leis-tungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.

Der Existenzgründungszuschuss dient anderen Zwecken als der Sicherung des Lebensun-terhaltes wie die Leistung des Arbeitslosengeldes II und darf somit bei der Bedarfsberech-nung zu Lasten der Bf. nicht berücksichtigt werden. Nach dem SGB III haben Arbeitnehmer, welche eine bestehende Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit beenden und in einem engen zeitlichen Zusammenhang Entgeltersatzleistungen nach § 116 SGB III bezogen haben, entweder einen Anspruch auf Überbrückungsgeld gemäß § 57 SGB III oder auf einen Exis-tenzgründungszuschuss gemäß § 421 l SGB III.

§ 421 l SGB III wurde durch Art. 1 Nr. 15 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleis-tungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 eingeführt. Mit dem Existenzgründungszuschuss und der damit einhergehenden Einführung einer neu-en Form der Selbstständigkeit soll zunächst eine Bekämpfung der Schwarzarbeit erfolgen (vgl. dazu Bericht der Hartz-Kommission, in Soziale Sicherheit 2002, Seite 254, 259; Bun-desdrucksache 15/26, Seite 19 dort § 421), indem Lohnersatzleistungsempfänger davon abgehalten werden sollen, nebenbei Schwarzarbeit zu verrichten.

Ansonsten bezweckt die Einführung des Existenzgründungszuschusses ? insoweit ebenso wie das Überbrückungsgeld gemäß § 57 SGB III – die Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Während das Überbrückungsgeld jedoch ausdrücklich auch die "Sicherung des Lebensunterhaltes" bezweckt, wird in § 421 l SGB III dieser Zweck nicht angeführt. Der Existenzgründungszuschuss ist nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr insbesondere als Kompensation für die von Selbstständigen aufzubringenden Sozialversi-cherungsbeiträge gedacht (Bundesdrucksache 15/26, Seite 22). Der Existenzgründer soll damit in die Lage versetzt werden, die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge zu bezah-len. Tatsächlich hat sich die Bf. auch freiwillig bei der AOK-Sachsen krankenversichert. Diesem Zweck dient das Arbeitslosengeld II nicht. Die grundsätzliche Rentenversiche-rungspflicht dieses Personenkreises ergibt sich aus § 2 Satz 1 Nr. 10 Sechstes Buch Sozial-gesetzbuch (SGB VI).

Dass der Existenzgründungszuschuss nicht darauf ausgerichtet ist, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern, ergibt sich des Weiteren aus dessen inhaltlicher Ausgestal-tung. Die jeweilige Höhe der Zuschüsse ist unabhängig davon, in welcher Höhe der Exis-tenzgründer zuvor Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen hat, gesetzlich pau-schal festgesetzt. Außerdem ist der Zuschuss degressiv gestaffelt und beträgt im ersten Jahr nach Beendigung der Arbeitslosigkeit monatlich 600 EUR, im zweiten Jahr monatlich 360 EUR und im dritten Jahr monatlich 240 EUR. Der Existenzgründungzuschuss wird auch gewährt, wenn das Arbeitseinkommen im jeweiligen Jahr bis zu 25.000 EUR beträgt. Übersteigt das Arbeitseinkommen im Jahr 25.000 EUR, so wird der Zuschuss bis zum Ablauf des bewilligten Zeitraums weiter gezahlt. Daraus kann geschlossen werden, dass ein weiterer Zweck des Existenzgründungszuschus-ses darin liegt, den neu gegründeten Betrieb sicherzustellen, indem dadurch die anfängli-chen speziellen betrieblichen Belastungen (Anschaffungen und Erhalt der Betriebsmittel) aufgefangen werden.

2. Bezüglich des Antrages auf Zurückverweisung in der Sache ist die Beschwerde mangels eines weiteren Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Da die Bg. ihren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz am 23.04.2006 zurückgenommen hat, ist eine Entscheidung in der Sache nicht mehr möglich.

3. Prozesskostenhilfe (PKH) ist zu gewähren, da die Bg. nach ihren persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. Eine Prüfung der Erfolgsaussichten hat zu unterbleiben. Denn in einem höheren Rechtszug ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Im vorliegenden Fall hat aber die Gegnerin die Beschwerde eingelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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