L 3 AS 88/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 549/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 88/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Der am 1976 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 04. Januar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Kläger ist ledig; er lebt nach seiner Angabe nicht mit einer anderen Person zusammen.

Arbeitslosengeld (Alg) bezog er zuletzt im September 2000. Er ist Eigentümer einer Eigentumswohnung mit 70 m², die sich in drei Zimmer aufteilt. Er legte eine Immatrikulations-bescheinigung der Hochschule für Technik und Wirtschaft D (FH) vor, wonach er im Wintersemester 2005/06 dort im Studiengang Fahrzeugtechnik im 1. Fachsemester immat-rikuliert ist. Darüber hinaus befand er sich bereits im 11. Hochschulsemester. Die Regelstudienzeit für seinen derzeit besuchten Studiengang wurde mit acht Fachsemestern ange-geben.

Er gab an, über kein Einkommen zu verfügen. Er habe im letzten Jahr 1 EUR Zinsen bezogen. Weiter besitze er zwei Kraftfahrzeuge mit einem Wert von geschätzt 700,00 EUR bzw. 900,00 EUR.

Wegen weiterer Einzelheiten zur Frage seines Einkommens und Vermögens sowie seiner Ausgaben wird auf das Antragsformular sowie die diesem beigegebene Unterlagen verwie-sen.

In der Zeit vom 01. August 1992 bis 28. Februar 1996 absolvierte er eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur. Anschließend war er vom 30. März bis 31. Dezember 1996 als Klempner/Monteur angestellt. Vom 01. Januar 1997 bis 29. März 1997 war der Kläger arbeitslos und vom 30. März 1997 bis 31. Juli 1997 wiederum als Klempner und Monteur beschäftigt. In der Zeit vom 01. August 1997 bis 15. Juli 2000 holte er das Abitur nach. In der Zeit vom 11. Juli 2000 bis 30. September 2000 bezog er Alg. Ab dem 01. Oktober 2000 nahm er ein Studium auf.

Mit Bescheid vom 01. Februar 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da ein Studium grundsätzlich nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderungsfähig sei und damit nach § 7 Abs. 5 und 6 SGB II ein Leistungsausschluss vorliege. Es bestehe die Möglichkeit eines Antrages auf Wohngeld bei der jeweiligen Kommune.

Hiergegen legte der Kläger am 15. Februar 2006 Widerspruch ein. In seinem Fall sei zwar das BAföG grundsätzlich anwendbar, allerdings stünden ihm keine Leistungen nach die-sem Gesetz zu. Im SGB II komme es aber nicht auf die grundsätzliche Anwendbarkeit des BAföG an, sondern es sei zu unterscheiden, ob BAföG dem Grunde nach, oder eben der Höhe nach, nicht gewährt werde. Ein Nichtgewähren der Höhe nach würde dann vorliegen, wenn sein eigenes Einkommen, das Vermögen oder von ihm bezogene Unterhaltsleistung den Freibetrag übersteigen würden. Dies sei jedoch nicht der Fall. Bei ihm sei die Ausbil-dungsförderung schon dem Grunde nach ausgeschlossen, da gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 BAföG die Förderungshöchstdauer bei Universitätsstudiengängen 9 Semester betrage. Er studiere jedoch bereits im 11. Hochschulsemester. Des Weiteren sehe § 10 Abs. 3 BAföG eine Förderung nur bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres vor, welches er überschritten habe. Da für seine derzeitige Ausbildung dem Grunde nach keine BAföG-Förderung mög-lich sei, finde § 7 Abs. 5 und 6 SGB II keine Anwendung. Ihn von Leistungen nach dem Alg II auszuschließen, liefe dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) zu-wider. Außerdem sei sein Recht auf Bildung und freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, da er ohne jede Beihilfe zum Lebensunterhalt sein Studium ab-brechen müsste.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zu-rück. Der Besuch einer schulischen Einrichtung nach § 2 Abs. 1 Ziffer 6 (Hochschule) [gemeint ist wohl BAföG] sei grundsätzlich nach dem BAföG förderungsfähig. Die Ge-währung von Alg II komme gemäß § 7 Abs. 5 SGB II in diesen Fällen nicht in Betracht. Lediglich bei Ausschlusstatbeständen nach § 2 Abs. 1a BAföG komme dennoch eine Leistungsgewährung nach dem SGB II in Betracht. Andere Ausschlusstatbestände wie Alter oder Zweitstudium seien unbeachtlich. Ein Ausschlusstatbestand nach § 2 Abs. 1a BAföG liege jedoch nicht vor.

Bei außergewöhnlichen, schwerwiegenden, atypischen und möglichst nicht selbst ver-schuldeten Umständen, die einen zügigen Ausbildungsdurchlauf verhindert oder die sons-tige Notlage hervorgerufen hätten, könne in besonderen Härtefällen ein Darlehen gewährt werden. Eine Härte liege auch vor, wenn der Hilfebedürftige ohne die Leistung nach dem SGB II in eine existenzbedrohende Notlage geriete, die auch nicht bei Unterbrechung der Ausbildung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beseitigt werden könne. Einem Auszu-bildenden an Hochschulen sei jedoch grundsätzlich zumutbar, durch gelegentliche Neben-tätigkeit einen Verdienst zu erzielen, der ausreiche, den sozialhilferechtlichen Lebensunterhalt mit abzudecken. Eine besondere Härte liege nicht vor. Daher komme auch die Ge-währung eines Darlehens nicht in Betracht.

Die hiergegen beim Sozialgericht Chemnitz (SG) am 08. März 2006 erhobene Klage, mit der ergänzend vorgetragen wurde, § 7 Abs. 5 SGB II greife nicht ein, weil im Fall des Klä-gers bereits nach § 7 Abs. 3 BAföG dem Grunde nach kein Anspruch auf Ausbildungsvergütung bestehe, was der Kläger durch Einreichung des Bescheides vom 21. März 2006 belegt habe, hat der Kläger weiter damit begründet, das zum einen die Sozialgerichte Dresden und Hamburg entschieden hätten, § 7 Abs. 5 SGB II greife bei Ablehnung von BAföG-Leistung wegen eines nach § 7 Abs. 3 BAföG nicht förderungsfähigen Fachrich-tungswechsels bzw. einer Zweitausbildung nicht. Ebenso sei zu berücksichtigen, dass er seinen Lebensunterhalt durch gelegentliche Nebentätigkeit nicht abdecken könne, weil die zeitliche Belastung durch das Studium einschließlich der Fahrtzeiten mit 11,9 Stunden täg-lich ihm nicht die Zeit gebe, nennenswerten Nebentätigkeiten nachzugehen. Nach Aus-kunft der Wohngeldstelle L ... habe er einen monatlichen Bedarf von deutlich über 1.000,00 EUR, was einige seiner Bekannten nicht einmal mit einer Vollzeittätigkeit erzielen würden. Im Übrigen sei in einschlägigen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und Bundesverfassungsgerichts regelmäßig darauf hingewiesen worden, dass ein geringerer sozialrechtlicher Unterhalt ohnehin nur bei dem typischen Studenten anzunehmen sei, der direkt nach dem Abitur sein Studium beginne und bis dahin bei seinen Eltern gewohnt ha-be. Dies sei bei ihm nicht der Fall. Er habe bereits sein 30. Lebensjahr vollendet, wohne seit Jahren nicht mehr bei seinen Eltern, habe eine abgeschlossene Berufsausbildung, auch in diesem Beruf schon gearbeitet und sich dadurch einen gewissen Lebensstandard aufge-baut, wozu u.a. auch seine Eigentumswohnung zähle.

Auch die Annahme, man müsse gegebenenfalls von der Ausbildung Abstand nehmen, um durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, könne bei über 5 Millionen Arbeitslosen nicht durchdringen. Er habe ja gerade wegen andauernder saison-bedingter Arbeitslosigkeit den Weg des Studiums gewählt, um einer dauerhaften Beschäf-tigung nachgehen zu können. Es sei völlig weltfremd anzunehmen, dass er nach zehn Jah-ren, in denen er seinen erlernten Beruf nicht mehr ausgeübt habe, jetzt wieder eingestellt werde. Außerdem könne er auf Grund von Verletzungen, die er bei einem Verkehrsunfall im April 1998 erlitten habe, nicht länger als zwei Stunden aufrechte Tätigkeiten verrichten (Stehen und Laufen), er müsse sich wegen starker Schmerzen im Fuß nach zwei Stunden mindestens 20 Minuten setzen. Er könne nicht schwer tragen. Dies führe zu einer Minde-rung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 10 %. Ein Abbruch des Studiums würde also mit allergrößter Wahrscheinlichkeit für ihn zur Folge haben, dass er arbeitslos wäre und daher ohnehin Leistungen nach dem SGB II beziehen würde. Da eine Anstellung in seinem erlernten Beruf als Gas- und Wasserinstallateur nahezu ausgeschlossen erscheine, bliebe ihm die Möglichkeit einer Umschulung, die dann wahrscheinlich sogar durch die ARGE bezahlt werden würde.

Die Gewährung als Darlehen habe er im Verfahren S 29 AS 543/06 ER hauptsächlich hilfsweise und nur für dieses Verfahren geltend gemacht, da sonst möglicherweise eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache gegeben wäre. Zum Vorliegen einer besonderen Härte verweise er trotzdem auf seine Klagebegründung.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. Juli 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begrün-dung hat es ausgeführt, nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II greife für Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähig sei. Hier könn-ten lediglich in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen geleistet werden (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II). Der Kläger absolviere ein Studium im 11. Semester, für welches ihm keine Leistungen nach dem BAföG gewährt würden. Entgegen der Auffassung des Klägers sei diese Ausbil-dung im Rahmen des BAföG gemäß § 2 Abs. 1 dem Grunde nach förderungsfähig. Aus der Formulierung "dem Grunde nach" werde deutlich, dass es hierbei nur auf die abs-trakte Förderungsfähigkeit der Ausbildung ankomme, nicht jedoch darauf, ob im konkreten Fall eine Förderung nach dem BAföG erfolge. § 7 Abs. 5 und 6 SGB II seien dem früheren § 26 BSHG nachgebildet. Die hierzu ergangene Rechtsprechung könne auf den vorliegen-den Fall übertragen werden. So habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass För-derungsfähigkeit dem Grunde nach im Sinne von § 26 Abs. 1 BSHG bei einer weiteren Ausbildung auch dann in Betracht komme, wenn der Auszubildende einzelne Vorausset-zungen des BAföG nicht erfülle. Ziel des § 26 BSHG sei es, die Sozialhilfe von einer ver-steckten Ausbildungsförderung "auf zweiter Ebene" zu befreien. Dementsprechend scheide Sozialhilfe aus, wenn das BAföG eine Ausbildung überhaupt – unter welchen Vorausset-zungen auch immer – als förderungsfähig regele (Hinweis auf Beschluss des BVerwG vom 13. Mai 1993 in MDR 1994, 418).

Dies überzeuge auch im Rahmen des SGB II. Da die Förderung einer grundsätzlich nach dem BAföG förderungsfähigen Ausbildung im konkreten Einzelfall ausgeschlossen sei, widerspreche es dem gesetzgeberischen Willen, wenn die Ausbildungsfinanzierung letzt-lich über das SGB II in Form von Alg II erfolge. Dies werde umso deutlicher, wenn man sich vor Augen führe, dass BAföG-Leistungen nur zur Hälfte als nichtrückzahlbare Zu-schüsse und zur Hälfte als Darlehen erbracht würden. Leistungen nach dem SGB II insgesamt jedoch nicht zurückzuzahlen und unter Umständen höher als BAföG-Leistungen sei-en. Derjenige, der kein BAföG erhalte, weil die Voraussetzungen für eine Ausbildungsförderung nicht erfüllt seien, würde durch die Gewährung von Alg II besser gestellt werden, obwohl eine ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung gegen die Förderung seiner Ausbildung vorliege. Diese Auffassung werde zwischenzeitlich auch obergerichtlich ver-treten (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2006 – L 5 B 1351/05 AS-ER, Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 22. September 2005 – L 7 AS 635/05 ER und Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08. Mai 2006 – L 6 AS 136/06 ER).

Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass er schlechter gestellt werde, als jeder Arbeitsunwillige Alg II- bzw. Sozialhilfe-Empfänger. Allenfalls käme ein Vergleich mit Arbeitswilligen Leistungsempfängern in Betracht. Insofern sei jedoch auf den korrek-ten Einwand im Widerspruchsbescheid hinzuweisen, dass es Auszubildenden an Hoch-schulen grundsätzlich zumutbar sei, durch gelegentliche Nebentätigkeiten einen Verdienst zu erzielen, der ausreiche, den sozialhilferechtlichen Lebensunterhalt mit abzudecken. Dies müsse erst recht gelten, wenn der Bezug von BAföG wegen Überschreitens der Regelstu-diendauer und des Höchstalters ausgeschlossen sei. Es sei nicht in Abrede gestellt, dass es für den Kläger wünschenswert wäre, das Studium erfolgreich abzuschließen. Da dafür aber keine BAföG-Leistungen mehr vorgesehen seien, könne nicht auf Kosten des Steuerzahlers über das SGB II eine nicht vorgesehene weitergehende Finanzierung herbeigeführt werden.

Auch die Bewilligung der Leistung als Darlehen wegen eines besonderen Härtefalles komme nicht in Betracht, da ein solcher nicht vorliege. Ein besonderer Härtefall sei nur dann anzunehmen, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgin-gen, das regelmäßig mit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhal-tes verbunden sei und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Grundsicherungs-leistung von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung frei zu halten, als über-mäßig hart erschienen. Der Anspruchsausschluss greife grundsätzlich selbst dann ein, wenn ein Auszubildender – betriebe er die Ausbildung nicht – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen seine Arbeitskraft nicht zur Erzielung von Einkommen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts einzusetzen könnte (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.10.1993 – 5 C 16/91 BVerwGE 94, 224). Ein besonderer Härtefall setze demgemäß einen atypischen Sachverhalt voraus, der es für den Auszubildenden auch unter Berück-sichtigung der öffentlichen Interessen unzumutbar mache, seine bereits begonnene Ausbil-dung abzubrechen oder zu unterbrechen. Dies könne nach den in der Rechtsprechung ent-wickelten Grundsätzen beispielsweise der Fall sein, wenn das Studium wegen Krankheit oder Behinderung länger dauere als es durch das BAföG gefördert werden könne und der erfolgreiche Abschluss wegen fehlender Mittel gefährdet sei. Ebenso sei dies zu beurteilen, wenn es einen Schwerbehinderten bei Abbruch der schulischen oder beruflichen Ausbil-dung langfristig und möglicherweise auf Dauer nicht möglich sein werde, seinen Lebens-unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit ausreichend zu sichern, wenn ein Auszubildender unter Überwindung erheblicher gesundheitlicher und familiärer Schwierigkeiten eine wich-tige Zwischenprüfung bestanden habe und zu besorgen sei, dass er bei Abbruch des Studi-ums dauerhaft ohne Berufsausbildung bleiben werde oder wenn ein mittelloser Studieren-der sich in der akuten Phase des Abschlussexamens befinde und ihm deshalb ein Abbruch der Ausbildung nicht zugemutet werden könne (Hinweise auf SG Hamburg, Beschluss vom 06.06.2005 – S 51 AS 312/05 ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 31.08.2005 – L 5 B 185/05 ER-AS).

Ein vergleichbarer Sachverhalt liege beim Kläger nicht vor. Insbesondere genüge es nicht, dass er bei Nichtgewährung von Leistungen nach dem SGB II möglicherweise das Studium wegen fehlender finanzieller Mittel abbrechen müsse. Dies sei die typische Folge des An-spruchsausschlusses und gehe nicht über die Härte hinaus, die jeden treffe, der zum Stu-dienabbruch gezwungen werde. Auch bleibe der Kläger in diesem Fall nicht gänzlich ohne Ausbildungsabschluss, da er bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge, selbst wenn es dahingehend gegebenenfalls gesundheitliche Einschränkungen geben solle. Wesentlich sei hier jedoch, dass der voraussichtliche Studienabschluss erst im Jahre 2009 liege, der Kläger sich also keinesfalls in der Endphase des Studiums befinde. Auch habe der Kläger nach Lage der Leistungsakte in der Vergangenheit sein Studium (mit) über die Vermietung der in seinem Eigentum befindlichen Eigentumswohnung finanziert. Auch wenn diese – da der Kläger sie jetzt selbst bewohne – im Rahmen einer SGB II-Bewilligung als Schonvermögen anzusehen sei, müsse für die Anwendung der Härtefall-klausel schon gefragt werden, ob sich nicht daraus ein Weg für die weitere Studienfinan-zierung ergeben könne.

Gegen das ihm am 22.07.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. August 2006 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der er an seinem Begehren festhält. Er wiederholt seinen bisherigen Vortrag.

Ergänzend trägt er vor, es sei unwahrscheinlich, dass er nach einem Abbruch der Ausbil-dung seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten könne. Zudem sei ein solcher nicht verhält-nismäßig. Es sei nicht im Sinne des Gebotes für erwerbsfähige Hilfebedürftige, ihre Ar-beitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhaltes einzusetzen, wenn bedürftige Menschen daran gehindert würden, Bildungsziele anzustreben und damit die Voraussetzungen für eine effektivere Einsetzung ihrer Arbeitskraft zu schaffen.

Auch sei es nicht im Sinne des Gleichheitsgebotes, dass in Zwickau oder Dresden lebende Studenten, welche die gleichen Voraussetzungen wie er erfüllten, nachweislich Leistungen nach dem SGB II bewilligt bekämen, die ihm versagt blieben, nur weil er zu dem Einzugs-bereich der ARGE Chemnitzer Land gehöre.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2006 zu verurteilen, ihm ab dem 04. Januar 2006 Leistungen nach dem SGB II zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Studium der Fahrzeugtechnik sei dem Grunde nach gemäß BAföG förderungsfähig. Die Überschreitung der Förderungshöchstdauer sei ausschließlich auf individuelle Gründe zurückzuführen und schließe die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach eben nicht aus. Es bleibe dem Kläger unbenommen, ein Bankdarlehen zur Weiterfinanzierung seines Studi-ums aufzunehmen. Der Gesetzgeber sehe diese Möglichkeit ausdrücklich in § 17 Abs. 3 BAföG bei Überschreitung der Förderungshöchstdauer vor. Die Vorschriften des BAföG hätten darüber hinaus abschließenden Charakter. Anderenfalls würde das SGB II zum Auf-fangbecken werden, was mit der Intention des Gesetzgebers nicht im Einklang stehe. Ein besonderer Härtefall sei nicht gegeben. Die langen Fahrzeiten, die den Kläger seiner An-sicht nach hindern würden, nennenswerten Nebentätigkeiten nachzugehen, könnten nicht über die Gewährung von staatlichen Leistungen zu Lasten des Steuerzahlers gehen. Dass der Kläger über die Regelstudienzeit hinaus aus Gründen, die sich der Kenntnis der Be-schwerdegegnerin entzögen, offensichtlich die Fachrichtung nach neun Semestern noch einmal gewechselt habe und jetzt im 3. Semester Fahrzeugtechnik studiere, könne eben-falls nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist statthaft, da der Kläger nach den Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen mindestens Anspruch auf den Regelsatz von 331,00 EUR hätte, wenn der Anspruch nicht nach § 7 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ausge-schlossen wäre. Selbst bei einer angenommenen Beschränkung auf einen Bewilligungsab-schnitt von sechs Monaten ergäbe sich damit ein Betrag von deutlich über 500,00 EUR. Die Statthaftigkeitsvoraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen damit vor. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Insoweit wird auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbe-scheides Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.

Ergänzend ist folgendes auszuführen: Dass § 7 Abs. 5 SGB II dahin auszulegen ist, wie vom Sozialgericht (SG) vorgenommen, erschließt sich insbesondere aus der Gesamtkonzeption des SGB II. Hierzu hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 3. Mai 2006 – L 3 B 20/06 AS-ER – ausgeführt: § 1 Abs. 1 und 2 SGB II verdeutlichen, dass dieses Gesetz primär auf die Integration Er-werbsfähiger in den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist. Der Vorrang der Leistungen zur Ein-gliederung in Arbeit vor den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (BT-Drs. 15/16, S. 41) erschließt sich aus der gesamten Struktur der Einführungsvorschriften des SGB II. § 2 SGB II macht im unmittelbaren Anschluss an § 1 deutlich, dass zunächst das Fordern im Vordergrund des SGB II steht: Der erwerbsfähige Hilfebedürftige muss alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Er muss insbesondere aktiv an allen Maßnahmen zu einer Eingliederung in Arbeit mitwir-ken. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB II wird Hilfebedürftigkeit gerade durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit abgewendet. Eine Verpflichtung hierzu normiert auch § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II; so dass letztlich § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 SGB II dreimal dieselbe Aussage treffen: Der erwerbsfähige Hilfebedürftige muss alles tun, um seine Hilfebedürftigkeit zu beenden. (Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Rn. 4 zu § 2) Schließlich wird auch der in § 3 Abs. 3 SGB III nochmals normierte Subsidi-aritätsgrundsatz als weitere sprachliche Umschreibung dieses Gedankens aufgefasst. Es heißt dort, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur erbracht werden dür-fen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Bei Aufnahme und/oder Fortführung einer (hier Fachhochschul-) Ausbildung werden je-doch gerade nicht alle Möglichkeiten zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit unternommen; vielmehr nimmt der Kläger in Kauf, dass diese zumindest für die Dauer der Ausbildung aufrechterhalten bleibt.

Deshalb entspricht die Ausbildungsförderung auch nicht den gesetzlichen Zwecken des SGB II. In § 7 Abs. 5 SGB II wird dies allerdings durch die Formulierung "dem Grunde nach" nur mehr unvollständig deutlich gemacht. Danach könnte man meinen, dass bei dem Grunde nach nicht förderungsfähigen Ausbildungen/Studien Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich zu erbringen seien. Dass dies nicht so ist, wird jedoch aus der Gesetzesgene-se deutlich: § 7 enthielt in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen vom 05. September 2003 (BT-Drs. 15/16) lediglich 4 Absätze. Absatz 4 lautete in diesem Entwurf zunächst: "Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die sich in Ausbildung, in einer Schule oder Hochschule befinden oder stationär untergebracht sind, erhalten keine Leistungen nach diesem Gesetz". Die späteren Absätze 4, 5 und 6 wurden durch den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ein- bzw. hinzugefügt. Zur Begründung wird in dem Ausschussbe-richt vom 16. Oktober 2003 (BT-DrS. 17/49, S. 31) ausgeführt, dass hierdurch eine Har-monisierung des Sprachgebrauchs mit dem Sozialhilferecht erfolgen sollte (vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Rn. 5 zu § 7). Demnach sollten durch die Schaffung des Abs. 5 nicht etwa dem Grunde nach nicht förderungsfähige Ausbildungen, wie z. B. die berufliche Zweitausbildung, zu einer grundsätzlichen Anspruchsberechtigung auf Alg II führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, da die Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung hat und eine höchstrichterliche Entscheidung des BSG hierzu noch nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
Saved