L 2 U 108/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 U 218/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 108/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine über dem Faxgerät angebrachte Liste muss klar und übersichtlich strukturiert sein, um Ablesefehler von vornherein auszuschließen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 23.06.2004 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Im Streit steht die Anerkennung von Folgen eines Arbeitsunfalls.

Die vom Kläger am 26.08.2002 erhobene Klage hat das Sozialgericht Chemnitz (SG) mit Urteil vom 23.06.2004 abgewiesen. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich Empfangsbekenntnis am 14.07.2004 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 16.08.2004 (Montag) haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Schriftsatz ist mit richtiger postalischer Anschrift beim LSG erstmalig und im Original am 17.08.2004 einge-gangen. Die Versendung des Schriftsatzes per Telefax bereits am 16.08.2004 hat das LSG erst am 18.08.2004 erreicht. Das Telefax ist dem Sächsischen Landesarbeitsgericht (LAG) unter dessen Fax-Nummer am 16.08.2004 um 16.10 Uhr zugegangen und anschließend an das LSG postalisch weitergeleitet worden.

Mit weiterem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20.09.2004, einge-gangen beim LSG am gleichen Tag, beantragten sie nach einem Hinweis des Senats vom 03.09.2004 auf die verspätet eingelegte Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LAG hätte bei ordnungsgemäßer Besetzung der Geschäftsstelle das Versehen schon am 16.08.2004 bemerken und den Schriftsatz an das LSG weiterleiten können. Ein Verschulden sei nicht gegeben, die richtige postalische Anschrift sei auf dem Schrift-satz vermerkt gewesen und auch von ihr überprüft worden. Die Wahl der richtigen Tele-faxnummer stelle eine rein büromäßige Aufgabe dar und sei keine juristische Aufgabe. Es befinde sich an der Wand über dem Faxgerät ein Faxnummern-Verzeichnis der Gerichte in Sachsen, die Nummern des LSG und des LAG stünden direkt untereinander. Die Rechts-anwaltsfachangestellte, die ansonsten ohne Beanstandungen arbeite, sei um eine Zeile ver-rutscht und habe die falsche Nummer eingegeben. Bei der Kontrolle der Nummer im Dis-play mit der Nummer auf dem Faxnummern-Verzeichnis habe sie demzufolge keine Dis-krepanz feststellen können, so dass das Fax unmittelbar und mit dem entsprechenden ord-nungsgemäßen Sendebericht an das falsche Gericht gefaxt worden sei. Es habe sich um ein Augenblicksversagen gehandelt. Da sich in dem verwendeten Faxnummern-Verzeichnis zwischen den Gerichten kein Trennstrich befinde, sei zu vermuten, dass die Angestellte eine Zeile verrutscht sei. In der Folge sei das Faxnummernverzeichnis neu strukturiert worden, damit ein Falsch-ablesen der korrekten Faxnummer nicht mehr vorkommen könne. Ferner sei insbesondere bei rechtsmittelwahrenden Schriftsätzen die Anweisung gegeben worden, nach Versenden des Faxes den Eingang beim zuständigen Gericht mittels Anruf zu überprüfen. Die Rechtsanwaltsfachangestellte hat in einer eidesstattlichen Versicherung vom 08.09.2006 ausgeführt, dass sie sowohl bei der Eingabe als auch bei der Kontrolle der Fax-nummer in der Zeile des Fax-Nummern-Verzeichnisses verrutscht sei, so dass ihr der Feh-ler nicht aufgefallen sei; ein derartiger Fehler sei ihr vorher noch nie unterlaufen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Chemnitz vom 23.06.2004 zu verurteilen, den Bescheid der Beklagten vom 14.03.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 aufzuheben und festzustellen, dass die Verletzung des Muskulus Trapezius, ein Muskelabriss im Bereich des Dornfort-satzes C5/C6 mit Schwindelgefühlt, Brechreiz und Sensibilitätsstörung des linken Armes Folge des Arbeitsunfalls vom 19.09.2000 sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakte der Be-klagten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen, die Gegenstand der Be-ratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

Die Berufung ist unzulässig.

1. Der Kläger hat die Berufungsfrist versäumt. Die Berufung ist gemäß § 151 Abs. 1 Sozi-algerichtsgesetz (SGG) bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustel-lung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Gemäß § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

a) Das mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des SG vom 23.06.2004 wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14.07.2004 gegen Emp-fangsbekenntnis zugestellt (§ 63 Abs. 2 SGG, § 174 ZPO). Die Berufungsfrist begann mit-hin am 15.07.2004 und endete am 16.08.2004, einem Montag. Bei Eingang des Schriftsat-zes des Klägers vom 16.08.2004 am 17.08.2004 beim LSG war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.

b) Die am 16.08.2004 per Telefax beim LAG eingegangene Berufungsschrift entspricht nicht den Anforderungen einer fristwahrenden Berufungseinlegung gemäß § 151 SGG. Eine erweiternde Auslegung über den eindeutigen Wortlaut von § 151 SGG hinaus ist nicht zu rechtfertigen.

2) Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren. Nach § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist einem Beteiligten auf Antrag Wiederein-setzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist - hier die Berufungsfrist - einzuhalten. Der Antrag auf Wieder-einsetzung ist gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hin-dernisses zu stellen. Innerhalb der Antragsfrist ist nach § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG die ver-säumte Rechtshandlung nachzuholen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 76 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Zwar hat der Kläger die versäumte Rechtshandlung am Tag nach Fristablauf nachgeholt. Auch hat er nach dem Hinweis des Senats vom 03.09.2004 mit beim LSG am 20.09.2004 eingegangenen Schriftsatz die Wiedereinsetzung rechtzeitig beantragt.

Der Kläger hat jedoch nicht ohne ihm zuzurechnendes Verschulden die Berufungsfrist ver-säumt. Ihm ist ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Hierzu zählt auch ein sog. Organisationsverschulden. Dahinstehen kann, ob der Fehler der Rechtsan-waltsfachangestellten, zweimal die falsche Nummer abgelesen zu haben, von den Prozess-bevollmächtigten des Klägers zu vertreten ist. Bereits die ihr zur Verfügung gestellte Liste offenbart einen Fehler in der Kanzleiorganisation. Es ist zwar grundsätzlich ausreichend, wenn ein Rechtsanwalt seinem Personal aktuelle Listen mit Fax-Nummern der Gerichte zur Verfügung stellt und die Angestellten anweist, den Sendebericht darauf zu überprüfen, ob Fax-Nummer des Absendeprotokolls mit der Fax-Nummer des Gerichts übereinstimmt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 151 Rn. 10g). Für diesen Fall muss aber verlangt werden, dass Fehler weitmöglichst ausge-schlossen werden können. Bei einer solchen (über dem Faxgerät angebrachten) Liste ist daher erforderlich, dass diese klar und übersichtlich strukturiert ist, um gerade Ablesefeh-ler von vornherein auszuschließen. Nach der Darstellung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 20.01.2006 befand sich auf der zum im Streit stehenden Zeitpunkt verwendeten Liste zwi-schen den einzelnen Gerichten kein Trennstrich, so dass selbst nach den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu vermuten ist, dass die Angestellte deshalb um eine Zeile verrutschte. Ferner haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 15.09.2006 mitgeteilt, dass das Faxnummerverzeichnis neu strukturiert wurde, damit ein Falsch-Ablesen nicht mehr vorkommen kann. Das im Jahr 2004 verwendete Verzeichnis konnte nicht mehr vorgelegt werden, dem Senat war es daher nicht möglich, dessen Übersichtlichkeit zu überprüfen. Da jedoch ursprüng-lich keine Trennstriche zwischen den einzelnen Gerichten vorhanden waren, was auch nach Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers wohl zum falschen Ablesen der Faxnummer geführt hat, ist davon auszugehen, dass bereits in der Form der ursprünglichen Liste die Ursache für den Ablesefehler in Gestalt eines Fehlers in der Büroorganisation liegt.

Darüber hinaus ist bei der Übersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax kurz vor Fristende eine erhöhte Sorgfaltspflicht zu beachten (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 67 Rn. 9n). Auch diesem Umstand haben die Prozess-bevollmächtigten des Klägers mit der im Schriftsatz vom 15.09.2006 dargelegten Anweisung, den Faxeingang mittels Anruf beim zuständigen Gericht zu überprüfen, erst nach-träglich Rechnung getragen.

Auch eine Pflicht seitens des LAG, ein um 16:10 Uhr eingegangenes Fax noch am Tag des Fristablaufs dem Richter vorzulegen und nach Feststellung des Versehens die Prozessbe-vollmächtigte des Klägers noch an diesem Tag auf das Versehen hinzuweisen, erschließt sich dem Senat nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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