L 1 P 18/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 P 98/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 P 18/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn ein Versicherter den Antrag auf Heraufsetzung der Pflegestufe gestellt und hierüber die Pflegekasse antragsgemäß entschieden hat (hier von Pflegestufe II auf Pflegestufe III), kann der Versicherte nicht nachträglich den Antrag zurücknehmen, um den sich aus der ebenfalls anzupassenden Pflegeklasse ergebenden höheren Eigenanteil an dem nunmehr insgesamt höheren Pflegesatz abzuwenden. Der mit der Regelung des § 87a Abs. 2 SGB XI verfolgte Zweck, dem Heimträger die Durchsetzung des Anspruchs auf Leistung des richtigen Pflegesatzes zu ermöglichen steht einem freien Antragsrücknahmerecht des Versicherten, der sich in vollstationärer Pflege befindet, entgegen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 13. Mai 2005 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die von ihrem Sohn als Betreuer gesetzlich vertretene Klägerin wendet sich gegen die Be-willigung von Leistungen nach der Pflegestufe III.

Die am ...1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet unter einem schweren Defektzustand einer chronisch paranoid-halluzinatorischen Schizo-phrenie bei schwerem hirnorganischen Psychosyndrom. Seit 1977 erfolgten mehrere stati-onäre Behandlungen in Nervenkliniken. Seit September 1994 erhält sie vollstationäre Pfle-ge bei der Beigeladenen. Von der Beklagten bezieht die Klägerin seit Juli 1996 Leistungen nach der Pflegestufe II. Im Februar 2002 erfolgte eine stationäre Behandlung aufgrund einer Oberschenkelhalsfraktur links nach Sturz. Die osteosynthetisch versorgte Oberschen-kelfraktur hatte keine dauerhafte Funktionseinschränkung zur Folge. Auf das Schreiben des Sohnes der Klägerin vom 08.11.2002, welches die Beklagte als Höherstufungsantrag angesehen hatte, das der Sohn der Klägerin hingegen in der mündlichen Verhandlung le-diglich als "Anregung zur Nachbegutachtung" verstanden wissen wollte, erstellte der Me-dizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Auftrag der Beklagten am 30.01.2003 durch die Pflegefachkraft H1 ein Pflegegutachten. Danach habe sich die psychische Symptomatik im Laufe der Zeit deutlich verschlechtert. Die Klägerin sei mittler-weile unruhig, umtriebig und nachtaktiv. Aufgrund der psychischen Grunderkrankung ha-be sich die an die osteosynthetisch versorgte Fraktur im Jahr 2002 anschließende Mobilisa-tion sehr schwierig gestaltet. Im November 2002 sei eine weitere stationäre Behandlung wegen Lungenembolie mit Synkopen notwendig geworden. Anschließend sei die Klägerin über längere Zeit bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand bettlägerig gewesen. Inzwischen könne sie wieder außerhalb des Bettes mobilisiert werden. Ihr Antrieb sei sehr wech-selhaft. Tageweise sei die Klägerin wach, gesprächig, umtriebig und in der Lage, nach aktivierender Anleitung im Beisein der Pflegeperson mitzuhelfen. Ansonsten gelinge ihr nichts mehr, die Klägerin schlafe mitunter am Tisch ein. Ihre Urteils- und Kritikfähigkeit sei bei hochgradigen Verhaltensauffälligkeiten aufgehoben. Die Klägerin sei situativ unangepasst, reagiere überwiegend inadäquat und sei nicht anpassungsfähig. Durch ständige Fehlhandlungen könne sie nicht in Gruppen integriert werden. Ihre Stimmung sei sehr wechselhaft. Es bestehe ständiger Speichelfluss. Auch nachts sei sie aktiv mit Fehlhand-lungen bei Umtriebigkeit. Im Bereich der Körperpflege seien 109 Minuten täglich an Hil-feleistungen notwendig, wobei nahezu sämtliche Verrichtungen vollständig übernommen werden müssten. Pflegeerschwerend sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin häufig nicht fixierbar sei und weglaufe. Im Bereich der Ernährung sei ein Hilfebedarf von 91 Minuten zu verzeichnen. Dabei müsse die mundgerechte Zubereitung voll übernommen werden (täglicher Zeitaufwand: 11 Minuten); die orale Aufnahme der Nahrung teilweise (täglicher Zeitaufwand: 80 Minuten). Im Bereich der Mobilität seien 57 Minuten an täglicher Hilfe notwendig. Hinzu komme ein nächtlicher Grundpflegebedarf aufgrund zwei- bis dreimal erforderlichen Windelwechsels. Bei Umtriebigkeit müsse die Klägerin beruhigt und ins Bett zurückgeführt werden. Schließlich seien die Auswirkungen ihrer Fehlhandlungen zu beseitigen. Insgesamt ergebe sich ein grundpflegerischer Hilfebedarf von 257 Minuten täglich. Der hauswirtschaftliche Hilfebedarf belaufe sich täglich auf 60 Minuten. Die Klägerin benötige aufgrund ihrer Erkrankungen und Fähigkeitsstörungen rund um die Uhr Hilfe im grundpflegerischen Bereich. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin Leis-tungen nach der Pflegestufe III ab dem 01.11.2002 (Bescheid vom 04.02.2003). Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch. Der Pflegeaufwand sei zwar gestiegen – hierzu wurden detaillierte Angaben gemacht –, rechtfertige jedoch noch nicht die Zuord-nung in die genannte Pflegestufe. Der MDK (Pflegefachkraft H1 ) bestätigte in seinem Gutachten vom 23.05.2003 seine Wertungen im Vorgutachten. Die Angaben zum Hilfebe-darf würden anhand der vorgelegten Pflegedokumentation untermauert. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 31.07.2003).

Dagegen hat sich die am 22.08.2003 – zunächst vor dem Sozialgericht Altenburg - erhobe-ne Klage gerichtet. Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 25.09.2003 an das örtlich zu-ständige Sozialgericht Chemnitz (SG) verwiesen worden. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, die Bewilligung der Pflegestufe III bewirke zugleich eine höhere Zuzahlung an die Beigeladene für privatrechtlich erbrachte Leistungen. Letztere hätten sich nur unwe-sentlich erhöht, zumal die Klägerin bezüglich der Zuordnung zur Pflegestufe III nur knapp über dem dafür gesetzlich notwendigen Grundpflegebedarf von 240 Minuten täglich liege. Das SG hat – neben dem Befundbericht von Dr. T. vom 08.06.2004 – mit Beweisanord-nung vom 19.07.2004 ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches Dr. M. am 21.08.2004 erstellt hat. Danach benötige die Klägerin für alle gewöhnlichen und regelmä-ßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens Pflege, und zwar "rund um die Uhr", da ihr Allgemeinzustand schwerstens beeinträchtigt sei. Der von ihm ermittelte Grundpflegebedarf entspreche der Annahme des MDK. Der von Letzterem empfohlene zeitliche Beginn zur Zuordnung der Klägerin in die streitgegenständliche Pflegestufe ab November 2002 sei nachvollziehbar und plausibel. Die Einschätzung des Hilfebedarfs durch Dr. M. weicht mit 256 Minuten/Tag für die Grundpflege (Körperpflege: 107 Minu-ten; Ernährung: 91 Minuten; Mobilität: 58 Minuten) und 60 Minuten/Tag für die hauswirt-schaftliche Versorgung nur ganz geringfügig vom MDK-Gutachten ab. Wegen der weite-ren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Blatt 105 bis 150 der SG-Akte verwiesen. Mit Schriftsatz vom 10.10.2004 hat die Klägerin hiergegen Einwendungen vorgebracht. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.05.2005). Die trotz des Herabstufungsbegeh-rens zulässige Klage sei unbegründet. Die Beklagte habe die Klägerin zutreffend der Pfle-gestufe III zugeordnet. Dies folge aus dem Gutachten des MDK sowie aus dem Gutachten von Dr. M ...

Gegen das ihr am 09.06.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.07.2005 Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Mit Schriftsatz vom 13.03.2005 hat die Klägerin ausdrücklich den Antrag vom 12.11.2002 auf Nachbegutachtung zur Höherstu-fung in die Pflegestufe III zurückgenommen. Zur weiteren Begründung hat sie ausgeführt, sie sei darin frei, ihren Antrag zurückzunehmen. Eine Pflegeeinrichtung habe keinen An-spruch auf eine zutreffende Einstufung (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 01.09.2005 – B 3 P 4/04 R – juris Rn. 28). Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nicht vor. Der Hilfebedarf im Bereich der Ernährung sei geringer als von den Gutachtern angenommen. Schließlich könne sie weit überwiegend selbständig essen. Dies sei den vom Sohn der Klägerin hergestellten Filmaufnahmen zu entnehmen (welche auf einer zur Akte gereichten CD gespeichert sind). Insbesondere im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. M. habe sie sich in einer extremen Ausnahmesituation befunden. Auch der Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege sei unzutreffend dargestellt. Sie sei in der Lage, ohne fremde Hilfe zu duschen. Auch der Zeitbedarf der hauswirtschaftlichen Versorgung beruhe auf unzutreffenden Annahmen. So seien Einkäufe nicht zweimal wö-chentlich notwendig, sondern lediglich sechs- bis zehnmal pro Quartal. Dr. T. habe in seinem Befundbericht vom 08.06.2004 einen Grundpflegebedarf von täglich 165 Minuten angegeben; der Sohn der Klägerin habe diesbezüglich insgesamt 172 Minuten ermittelt. Schließlich würde von der Höherstufung allein die Beigeladene aufgrund des daraufhin gestiegenen Pflegesatzes profitieren, den zu einem erheblichen Teil die Klägerin tragen müsse. Dabei hätten sich die effektiv erbrachten Leistungen der Beigeladenen nicht erhöht. Selbst wenn man davon ausginge, dass sie, die Klägerin, die Voraussetzungen für die Zu-ordnung in die Pflegestufe III erfülle, hätte es die Beklagte bei der Pflegestufe II belassen müssen. Dies folge aus § 84 Abs. 2 Satz 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die Beklagte habe das ihr gesetzlich eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt, weshalb die ange-fochtenen Bescheide rechtswidrig seien. Zudem habe die Bewilligung der Pflegestufe III eine Verschlechterung des Krankheitsverlaufs zur Folge gehabt, denn die Klägerin werde nur noch " ruhig gestellt" und im Rollstuhl "sitzen gelassen".

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 13. Mai 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 04. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie hat im Verfahren ausführlich Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 44 bis 57 und Blatt 82 bis 99 der LSG-Akte verwiesen. Insbesondere wird auf die mit vorgelegte Stellungnahme von Dipl.-Med. H2 vom 26.06.2000 verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin H3. Bezüglich ihrer Aussage wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2007 Bezug genommen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die Kläge-rin ist durch den Bescheid vom 04.02.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2003 nicht in rechtswidriger Weise beschwert. Die Berufung der Klägerin wäre nur erfolgreich, wenn sie den Antrag auf Höherstufung hätte zurücknehmen können oder wenn die Pflegestufe III, ohne dass der Antrag zurückgenommen werden kann, rechtswid-rig zuerkannt wurde. Denn die Klägerin ist auch im letzten Fall nicht verpflichtet, eine rechtswidrig zu hoch zuerkannte Leistung hinzunehmen. Die Berufung der Klägerin ist jedoch nach beiden Varianten unbegründet. Ihren Höherstufungsantrag vom 08.11.2002 durfte die Klägerin ohne Zustimmung der Beigeladenen nicht mehr zurücknehmen (I). Die Zuordnung der Klägerin in die Pflegestufe III ab November 2002 erweist sich als zutref-fend (II).

I.

Die Klägerin hat einen Höherstufungsantrag nach § 33 Abs. 1 SGB XI gestellt und diesen auch zurückgenommen (1), die Rücknahme des Höherstufungsantrages ist aber rechtlich unbeachtlich (2).

1. Dass die Beigeladene die Klägerin nach § 87a Abs. 2 SGB XI schriftlich aufgefordert hat, einen Höherstufungsantrag zu stellen, kann nicht festgestellt werden und ist von der Beigeladenen auch nicht behauptet worden. Jedenfalls aber hat der Sohn der Klägerin als ihr gesetzlicher Vertreter am 08.11.2002 bei der Beklagten einen "Antrag auf Nachbegutachtung auf Grund der Verschlechterung des Gesundheitszustandes" gestellt. Damit hat er sich zwar nicht ausdrücklich, aber in der Sache mit einem Höherstufungsbegehren an die Beklagte gewandt. Unter Zugrundelegung der anzuwendenden Grundsätze über die Ausle-gung von Willenserklärungen kann die formularmäßige Erklärung des Sohnes der Klägerin nach dem Empfängerhorizont der Beklagten nur als Höherstufungsantrag verstanden wer-den. Denn es handelt sich ausdrücklich um einen Leistungsantrag. Da die Klägerin damals aber schon Leistungen nach Pflegestufe II erhielt und auch keine spezielle Leistung be-gehrte, sondern lediglich auf den sich verschlechternden Gesundheitszustand hingewiesen wurde, konnte das Schreiben nur dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin eine Erhöhung der Leistungen dem Grunde nach, also unter Berücksichtigung einer höheren Pflegestufe begehrte. Unerheblich ist, dass dem Sohn der Klägerin bei der Antragstellung der Zusammenhang zwischen Pflegestufe und Pflegeklasse (dazu sogleich unter 2. d) aa)) nicht bewusst war. Dadurch war die Erklärung nicht unwirksam. Der Sohn der Klägerin hat den Antrag auch nicht bis zum Erlass des Bescheides vom 04.02.2003 zurückgenom-men.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob bereits im Widerspruch der Klägerin gegen den Be-scheid vom 04.02.2003 konkludent die Rücknahme des Antrags erklärt wurde oder die Rücknahmeerklärung erst im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 13.03.2006 enthalten ist. In beiden Fällen ist die Rücknahme des Höherstufungsantrages rechtlich unbeachtlich.

a) Allerdings ist der Versicherte bei antragsabhängigen Sozialleistungen (§ 19 Satz 1 SGB IV) grundsätzlich berechtigt, im Rahmen seiner allgemeinen Dispositi-onsbefugnis einen gestellten Antrag wieder zurückzunehmen. Demgemäß ist es nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich statthaft, einen Rentenantrag bis zum Ergehen eines Rentenbescheides und auch darüber hinaus bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist zurückzunehmen. Dies gilt selbst dann, wenn damit der mit einer Rentenbewilligung verbundene Wegfall einer anderen Sozialleistung verhindert wird, weil es sich nicht um einen nach den Grundsätzen des § 46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu beurteilenden Verzicht handelt. Da die Antragsrücknahme zum Wegfall einer notwendigen Tatbestandsvorausset-zung des Rentenanspruchs führt, besteht damit ein verzichtbarer Anspruch nicht mehr (BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 6/03 RSozR 4-2500 § 51 Nr. 1 Rn. 12 = BSGE 94, 26; Urteil vom 09.08.1995 – 13 RJ 43/94SozR 3-2500 § 50 Nr. 3 = BSGE 76, 218).

b) Über einen einmal gestellten Leistungsantrag kann jedoch nicht mehr disponiert werden, wenn z.B. ein an einer möglichst späten Antragstellung wirtschaftlich interessierter Leistungsträger mit dem Versicherten zu Lasten des ersten leistungspflichtigen Trägers kollu-siv zusammenwirkt (BSG, Urteil vom 01.09.1999 – B 13 RJ 49/98 R - SozR 3-1300 § 86 Nr. 3).

c) Speziell im Schnittbereich der Leistungspflicht von Kranken- und Rentenversicherung kann die Dispositionsfreiheit des Versicherten unter einem weiteren Gesichtspunkt eingeschränkt sein. Der Krankenkasse wird durch die Aufforderung und Fristsetzung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V das Recht eingeräumt, Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Rente wegen Erwerbsminderung zu nehmen (vgl. § 99 Abs. 1 SGB VI) und einen Wegfall ihrer Leistungszuständigkeit für das Krankengeld schon vor Erreichen der An-spruchshöchstdauer (§ 48 SGB V) zu bewirken. Um der Krankenkasse diesen Vorteil zu erhalten, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung bereits zu § 183 Abs. 7 und 8 Reichs-versicherungsordnung – den Vorgängerregelungen zu § 51 Abs. 1 und 2 SGB V – ent-schieden, dass der Versicherte, der auf die Aufforderung der Krankenkasse hin einen ent-sprechenden Antrag gestellt hat, diesen Antrag wirksam nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen bzw. beschränken kann (BSG, Urteil vom 04.06.1981 – 3 RK 50/80 - BSGE 52, 26, 29 ff = SozR 2200 § 1248 Nr. 33). Diese Rechtsprechung ist auch unter der Geltung des § 51 SGB V aufrechterhalten worden (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995 – 13 RJ 43/94 – a.a.O.).

Nach dieser Rechtsprechung kann der Versicherte in Fällen, in denen die Rücknahme sei-nes Leistungsantrags von der Zustimmung der Krankenkasse abhängt, eine förmliche Ent-scheidung der Kasse darüber herbeiführen. Die Krankenkasse ist in ihrer Entschließung über den Antrag nicht völlig freigestellt, sondern hat ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (BSG, Urteil vom 04.06.1981 – 3 RK 50/80 – a.a.O.; Urteil vom 07.08.1991 – 1/3 RK 26/90 - BSGE 69, 187, 190 = SozR 3-2200 § 183 Nr. 2). Kann der Versicherte ein berechtigtes Interesse am Hinausschieben des Rentenbeginns geltend machen, das die Belange der Krankenkasse überwiegt, muss die Kasse ihre Zustimmung erteilen. Ein solches berechtigtes Interesse des Versicherten kommt nach der Rechtsprechung vor allem in Betracht, wenn eine erhebliche Verbesserung des Rentenanspruchs erreicht werden kann, z.B. durch eine eventuell noch mögliche Erfüllung der Voraussetzungen für eine Erhöhung der Rentenbemessungsgrundlage (BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 6/03 R – a.a.O.; Urteil vom 04.06.1981 – 3 RK 50/80 – a.a.O.). Das bloße Interesse des Versicherten, weiterhin und möglichst lange das im Vergleich zu Rentenleistungen höhere Krankengeld in Anspruch nehmen zu wollen, ist hingegen nicht schützenswert und kann regelmäßig kein durchgreifender Umstand für das Abgehen von der Antragsfiktion sein. Bei den durchgreifenden berechtigten Interessen des Versicherten muss es sich um Belan-ge handeln, die nicht in erster Linie darauf ausgerichtet sind, die der Krankenkasse zuste-henden Befugnisse zu schmälern (BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 6/03 R – a.a.O.).

d) Ungeachtet des Umstands, dass es sich bei dem Beigeladenen um keinen (weiteren) Leistungsträger, sondern um einen Leistungserbringer handelt, ist der streitgegenständliche Sachverhalt mit den vom BSG entschiedenen Konstellationen vergleichbar. Eine ausdrück-liche gesetzliche Regelung, die umfassend die Interessengegensätze zwischen pflegebe-dürftigen Versicherten nebst unterhaltsverpflichteten Angehörigen, den Pflegekassen und den Heimträgern löst, wenn es um die Pflegestufe geht, besteht aber nicht. Auch das An-tragsproblem des streitgegenständlichen Sachverhaltes ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Die Lösung ist hier aus dem SGB XI selbst zu entwickeln.

aa) Der Gesetzgeber hat den Interessengegensatz zwischen dem Pflegeheim, das zur Durchsetzung seines Anspruchs auf leistungsgerechte Vergütung (§ 82 Abs. 1 Satz 1, § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB XI) die Höherstufung eines Heimbewohners erreichen möchte, und vielen Versicherten, die wegen der drohenden höheren Zuzahlung aus eigenen Mitteln eine Höherstufung vermeiden wollen und deshalb keinen Höherstufungsantrag (§ 33 SGB XI) stellen, allerdings erkannt und deshalb die Vorschrift des § 87a Abs. 2 SGB XI eingeführt.

Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten zugelassene Pflegeheime und Pflegedienste nach Maßgabe des 8. Kapitels eine leistungsgerechte Vergütung für die allgemeinen Pflegeleis-tungen (Pflegevergütung) sowie bei stationärer Pflege ein angemessenes Entgelt für Unter-kunft und Verpflegung. Die Pflegevergütung umfasst bei stationärer Pflege auch die medi-zinische Behandlungspflege und die soziale Betreuung; sie ist von den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern zu tragen. Für Unterkunft und Verpflegung bei stationärer Pflege hat der Pflegebedürftige selbst aufzukommen (§ 82 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB XI). Das Ge-samtheimentgelt setzt sich somit aus den Pflegesätzen, den Entgelten für Unterkunft und Verpflegung sowie den hier nicht streitgegenständlichen gesondert berechenbaren Investi-tionskosten gemäß § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XI zusammen, für welche ebenfalls der Pflege-bedürftige aufzukommen hat.

Die allgemeinen Pflegeleistungen kennzeichnen den Katalog aller Pflegeleistungen, die von den Pflegekassen erbracht und durch die Pflegesätze abgegolten werden (§ 84 Abs. 4 SGB XI). Den Inhalt dieses Sachleistungsanspruchs konkretisieren die Vertragspartner durch Rahmenverträge nach § 75 SGB XI. Schuldner der Pflegesätze, die das Entgelt für die Heimpflege bestimmen (§ 84 Abs. 1 SGB XI), sind bis zu den Höchstbeträgen des § 43 Abs. 5 SGB XI die Pflegekassen (§ 87a Abs. 3 Satz 1 SGB XI) und im Übrigen die Versi-cherten; soweit diese nicht leistungsfähig (und bedürftig) sind, haben die Sozialhilfeträger für die vom Versicherten geschuldeten Leistungen aufzukommen. Der Pflegesatz gilt für alle Beteiligten gleichermaßen, und er richtet sich nach der Pflegeklasse, in welche der Versicherte eingestuft wird (§ 84 Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Die Pflegeklasse wiederum rich-tet sich grundsätzlich nach der zuerkannten Pflegestufe (§ 84 Abs. 2 Satz 3 SGB XI).

Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass nicht nach dem Selbstkostendeckungsprinzip Aufwendungen in weitgehender Abstraktion von tatsächlich erbrachten Leistungen bezahlt, sondern stattdessen konkrete voll- und teilstationäre Leistungen vergütet werden sollen, differenziert nach dem Versorgungsaufwand, den der Pflegebedürftige nach der Art und Schwere seines Pflegebedarfs hat. Zu diesem Zweck werden Pflegeklassen als "Vergü-tungsklassen" vorgesehen, die sich in Anlehnung an die vor dem Hintergrund des § 93 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz entwickelte Praxis an der leistungsrechtlichen Zuord-nung zu den jeweiligen Pflegestufen orientieren sollen (vgl. BT-Drucks. 12/5262, S. 160). Dies verdeutlicht, dass sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers regelmäßig Pflegeklas-se und Pflegestufe entsprechen sollen; nicht zuletzt deshalb, damit das Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung seinen Versorgungsauftrag gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI erfüllen kann.

Um dies sicherzustellen, hat der Gesetzgeber mit dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz (PQsG vom 09.09.2001, BGBl I S. 2320 ff) die zum 01.01.2002 in Kraft getretene Vorschrift des § 87a Abs. 2 SGB XI eingefügt, die darauf abzielt, dass alle angesichts des Pflegebedarfs der Heimbewohner zu erbringenden Leistungen im vollen Umfang vergütet werden. In der Praxis habe es sich – so die Begründung des Gesetzentwurfs – gezeigt, dass pflegebedürftige Heimbewohner bei sich verschlechterndem Zustand einen Antrag auf Höherstufung bei der Pflegekasse scheuten, da die Differenz zum Heimentgelt in der höhe-ren Vergütungsklasse häufig nicht voll durch die höheren Leistungen der Pflegeversiche-rung aufgefangen werde. Deshalb sollte dem Heimträger die Möglichkeit eingeräumt wer-den, einem solchen Heimbewohner unter bestimmten Voraussetzungen vorläufig den Pfle-gesatz der nächst höheren Pflegeklasse zu berechnen, da mit der Verschlimmerung des Zustands eines Pflegebedürftigen in der Regel ein höherer Versorgungs- und Betreuungs-aufwand verbunden sei, der finanziert werden müsse. Mit einer weniger belastenden Rege-lung – etwa Beratung durch das Heim oder durch die Pflegekasse – sei das gesetzgeberi-sche Ziel nicht zu erreichen, da die Heimbewohner oder ihre Angehörigen erfahrungsge-mäß gleichwohl Höherstufungsanträge ablehnten (vgl. BT-Drucks. 14/5395, S. 40).

bb) Diese Regelung zeigt einen Weg auf, wie der Heimträger seinen Anspruch auf leis-tungsgerechte Vergütung gegenüber dem Versicherten verfolgen kann. Sie gibt aber keine Antwort auf die Frage, was geschieht, wenn der Versicherte das Verfahren nicht ernsthaft betreibt, einen (ablehnenden) Bescheid ohne Weiteres bestandskräftig werden lässt oder seinen Antrag – wie hier – im Falle eines bewilligenden Bescheides sogar zurücknimmt. Die Regelung ist deshalb nur unvollkommen geeignet, den Interessen des Heimbetreibers gerecht zu werden, weil er weitgehend vom Verhalten des Versicherten abhängig bleibt (BSG, Urteil vom 01.09.2005 – B 3 P 4/04 RSozR 4-3300 § 43 Nr. 1 Rn. 29 = BSGE 95, 102).

Die Ansicht des BSG, wonach dem Heimträger zur vollen Wahrung seiner Interessen nur die Vergütungsklage gegen die Pflegekasse verbleibe, in deren Rahmen die Einstufung des Heimbewohners auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen sei, ist allerdings nach Ansicht des Senats nicht dahin zu verstehen, dass in diesem Fall die Beigeladene auf eine solche Vergütungsklage zu verweisen wäre. Hierfür besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn – wie hier (dazu unter II.) – geklärt ist, dass beim Versicherten eine höhere Pflegestufe vorliegt und insoweit zwischen dem Heimträger und der Pflegekasse Übereinstimmung besteht. Stellt der Versicherte bei einer derartigen Konstellation keinen Höherstufungsantrag, ob-wohl er von dem Heimträger nach § 87a Abs. 2 SGB XI dazu schriftlich aufgefordert wurde, findet unmittelbar § 87a Abs. 2 Satz 3 SGB XI Anwendung, wonach der Heimträger vorläufig den Pflegesatz nach der höheren Pflegestufe berechnen darf. Die Vorschrift regelt hingegen nicht ausdrücklich, was im Leistungsverhältnis zu geschehen hat, wenn der MDK die Einschätzung des Heimträgers bestätigt. Allerdings geht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB XI hervor, dass ausnahmsweise Pflegestufe und Pflegeklasse voneinander abweichen können. Das SGB XI regelt auch hier nicht, wer verbindlich gegenüber dem Versicherten die Pflegeklasse festsetzt. Hierfür kommt aber nur die Pflegekasse in Betracht; dem Heimträger steht insoweit keine Regelungsbefugnis zu. Die Pflegekasse setzt die Pflegeklasse gegenüber dem Versicherten durch Verwaltungsakt fest, wenn insoweit der Heimträger und der MDK ein entsprechendes Einvernehmen erzielt haben und die Pflegekasse sich dem anschließt (Vogel/Schmähling in LPK-SGB XI, 2. Aufl., § 84 Rn. 14; unklar Gürtner in Kasseler Kommentar, § 84 SGB XI Rn. 7, Stand: Oktober 1996). Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt dazu – soweit ersichtlich – bislang nicht vor. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 01.09.2005 (B 3 P 4/04 R – a. a. O. Rn. 31) aber klargestellt, dass im Fall des § 87a Abs. 2 SGB XI, in dem sich die vorläufige Höherstufung der Pflegeklasse in einen endgültigen Anspruch des Heimträgers umwandelt und auch ein Auseinanderfallen von Pflegestufe und Pflegeklasse droht, die Pflegekasse verpflichtet ist, dem Versicherten einen Änderungsbescheid über die Leistungsbewilligung nach der höheren Pflegestufe zu erteilen, womit seine sich aus der Höherstufung der Pflegeklasse ergebende Mehrbelastung teilweise ausgeglichen wird.

Wenn dem so ist – und der Senat folgt dieser Auffassung des BSG –, dass in diesem Fall das Antragsprinzip (§ 33 Abs. 1 SGB XI) auch im Hinblick auf die Erteilung eines (Grund-)Leistungsbescheides über die Gewährung von Leistungen nach einer höheren Pflegestufe durchbrochen ist, kann erst recht nichts anderes gelten, wenn der Versicherte bereits einen Antrag gestellt und einen (zutreffenden) Leistungsbescheid erhalten hat. Denn würde man hier dem Versicherten gleichwohl das Recht einräumen, seinen Höher-stufungsantrag zurückzunehmen, hätte dies zur Folge, dass der Heimträger den Weg des § 87a SGB XI beschreiten müsste, obwohl aufgrund der Begutachtung durch den MDK bereits feststeht, dass die Pflegeklasse anzupassen und dem Versicherten dann von Amts wegen unter Durchbrechung des Antragsprinzips ein Leistungsbescheid entsprechend der höheren Pflegestufe zu erteilen wäre. Der Versicherte könnte mithin, würde man ihm ein Recht zur Antragsrücknahme einräumen, aufgrund einer formalen Verfahrensposition kurzfristig das Verfahren über die Festsetzung der höheren Pflegestufe und damit der höheren Pflegeklasse verzögern. Das zwischen dem Versicherten und der Pflegekasse beste-hende Sozialversicherungsverhältnis ist als gesetzliches Dauerschuldverhältnis den sich aus Treu und Glauben ergebenden Grundsätzen unterworfen. Der Versicherte würde da-nach treuwidrig handeln, wenn er einerseits durch seine Antragstellung den Heimträger von der Einleitung eines Verfahrens nach § 87a Abs. 3 SGB XI abhielte, ja ihn nicht ein-mal dazu zwänge, schriftlich zur Antragstellung aufzufordern, dann aber nachträglich sei-nen Höherstufungsantrag zurückziehen könnte, obwohl der Heimträger bei einer Ableh-nung der Höherstufung in die Lage versetzt worden wäre, sofort das Verfahren nach § 87a Abs. 2 SGB XI einzuleiten.

Der Versicherte kann sich in einem derartigen Fall auch nicht darauf berufen, dass dann aber nur die Zeit zwischen Antragstellung und Kenntnis von der Antragsrücknahme für eine endgültige Höherstufung in Betracht komme, weil der Heimträger zumindest für die Zeit danach weiterhin die Möglichkeit habe, umgehend das Verfahren nach § 87a Abs. 2 SGB XI einzuleiten. Auch dieses Verhalten widerspricht dem Zweck des § 87a Abs. 2 SGB XI und ist deswegen unbeachtlich. Denn mit einer (rechtmäßigen) Entscheidung über die Höherstufung der Pflegestufe ist bereits der verwaltungsverfahrensmäßige Zustand erreicht, der letztlich unter Durchbrechung des Antragsprinzips über § 87a Abs. 2 SGB XI herbeigeführt werden soll, wenn der Versicherte keinen Antrag gestellt hat. § 87a Abs. 2 SGB XI dient dazu, einen nicht gestellten Antrag des Versicherten zu ersetzen, um im Interesse des Heimträgers die Leistungen der Pflegekasse den objektivrechtlichen Gegebenhei-ten anzupassen. Ist der Antrag gestellt und hierüber entschieden, ist der Regelungszweck des § 87a Abs. 2 SGB XI bereits erreicht. Das Interesse des Versicherten, die leistungs- und leistungserbringungsrechtliche Verwirklichung der objektiven Rechtslage nach ord-nungsgemäßer Eröffnung des Verwaltungsverfahrens noch hinauszögern zu können, ist rechtlich nicht schützenswert.

Der Gesetzgeber hat bereits durch die Einführung des § 87a Abs. 2 SGB XI zu erkennen gegeben, dass er der Durchsetzung des objektiv-rechtlich gewollten Zustands Vorrang so-gar gegenüber dem entgegenstehenden Willen des Pflegebedürftigen einräumt. Dabei war es dem Gesetzgeber bekannt, dass die Differenz zum Heimentgelt in der höheren Pflege-klasse häufig nicht voll durch die höheren Leistungen der Pflegeversicherung aufgefangen wird (BT-Drucks. 14/5395, Seite 40). Er hat damit den in § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI gere-gelten Grundsatz höher gewichtet, wonach es einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Be-triebsführung möglich sein muss, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Dieser kann jedoch nicht nur durch unzureichende Pflegesätze, sondern auch durch zu geringe Entgelte für Unterkunft und Verpflegung gefährdet werden (BSG, Urteil vom 24.07.2003 – B 3 P 1/03 RSozR 4-3300 § 82 Nr. 1 Rn. 22 = BSGE 91, 182). Dieser Argumentation folgt das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 20.01.2003 (L 3 B 20/02 P – zitiert nach juris), in dem es zutreffend ausführt, dass dem verständigen Versicherten am Erhalt der Leistungsfähigkeit "seiner" Pflegeeinrichtung gelegen sei, deren Dienstleistungen er in Anspruch nehme. Die Leistungsfähigkeit der Einrichtung hänge aber davon ab, dass ihr zur Abdeckung des tatsächlichen Pflegeaufwands genügend Mittel zur Verfügung stünden. Nach alledem ist die Rücknahme des einmal gestellten Höherstufungsantrages jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn bereits ein Bescheid ergangen ist.

Der Rechtsschutz des Versicherten wird durch die Versagung des Antragsrücknahmerechts auch nicht eingeschränkt. Denn er kann die Rechtmäßigkeit der Heraufsetzung der Pflegestufe zunächst im Widerspruchs- und dann später im Gerichtsverfahren mit der Folge überprüfen lassen, dass dann, wenn sich herausstellen sollte, dass die Höherstufung zu Un-recht erfolgt ist, die Pflegeklasse auch mit Wirkung gegenüber dem beigeladenen Heimträ-ger wieder auf die vorherige Stufe zurückgeführt werden muss. Der Versicherte hat jeden-falls kein anzuerkennendes rechtliches Interesse, trotz eines bereits durchgeführten, mit einem Verwaltungsakt abgeschlossenen Höherstufungsverfahrens den Beginn eines neuen Verwaltungsverfahrens zu erzwingen, wenn bereits das erste Höherstufungsverfahren ihm ausreichenden Rechtsschutz bietet.

Sollte die Klägerin die Auffassung vertreten, die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Zuzahlungen seien der Höhe nach unangemessen, wäre sie gehalten, sich an die Heimaufsicht wenden, zivilrechtlich auf der Grundlage des Heimvertrages gegen die Bei-geladene vorzugehen oder aber das Heim zu wechseln. Auch wenn ihr Heimvertrag bezüglich der so genannten "Hotelkosten" und der Zuzahlungen an die Pflegeklasse gebunden sein mag, kann dies nicht dazu führen, der Beigeladenen die leistungsgerechte Vergütung für die allgemeinen Pflegeleistungen nach der für die Klägerin zutreffenden Pflegestufe III vorzuenthalten.

II.

Die Klägerin ist aufgrund des festgestellten Pflegebedarfs der Pflegestufe III zuzuordnen. Nach den §§ 14, 15 SGB XI sind Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraus-sichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe be-dürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen sind gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppen steigen oder das Verlassen und Wiederaufsu-chen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechsel und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen der Wohnung.

Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Der Hilfebedarf muss täglich rund um die Uhr, auch nachts, bestehen.

Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin mindestens seit November 2002 vor. Nach den übereinstimmenden Gutachten des MDK vom 30.01.2003 und vom 23.05.2003 sowie das diese bestätigende Gutachten von Dr. M. vom 21.08.2004 ist nachvollziehbar und plausibel dargetan, dass die Klägerin für alle gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehren-den Verrichtungen des täglichen Lebens der Pflege rund um die Uhr bedarf, da ihr Allge-meinzustand schwer beeinträchtigt ist. Dies hat die Zeugin H3 , welche als Altenpflegerin bei der Beigeladenen beschäftigt ist und die Klägerin seit zehn Jahren kennt, mit ihrer Aussage während der mündlichen Verhandlung bestätigt. Die Sachverständigen haben nahezu übereinstimmend einen täglichen Grundpflegebedarf von 256 bzw. 257 Minuten ermittelt.

1. Im Bereich der Körperpflege müssen nach den übereinstimmenden gutachtlichen Fest-stellungen nahezu sämtliche Verrichtungen übernommen werden; wobei erschwerend hin-zukommt, dass die Klägerin häufig wegläuft. Das Beruhigen bei Umtriebigkeit (erwähnt beim nächtlichen Hilfebedarf im MDK-Gutachten vom 30.01.2003) ist zwar bei der Er-mittlung des Pflegebedarfs nicht zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.1999 – B 3 P 7/98 R – SozR 3-300 § 14 Nr. 10 = Breithaupt 2000, 68). Gleichwohl ändert dies nichts an dem auch nächtens bestehenden Grundpflegebedarf, da die Klägerin auch in der Nacht gewindelt werden muss. Dabei ist aufwandsteigernd zu berücksichtigen, dass diese nach den Ausführungen des Gutachters Dr. M. dazu neigt, das Inkontinenzmaterial nach dem Zu-Bett-Gehen zu "zerpflücken". Diese Beobachtung hat auch der Hausarzt Dr. T. in seinem Befundbericht vom 08.06.2004 mitgeteilt.

2. Der Einwand des Sohnes der Klägerin, wonach der Hilfebedarf bei der Ernährung gerin-ger sei als von den Gutachtern angenommen, greift ebenfalls nicht durch. Dass sie sich "weit überwiegend selbständig ernähren" könne, kann auch nicht anhand von Filmaufnah-men ihres Sohnes "bewiesen" werden; wobei im Anschluss an das Urteil des BSG vom 29.04.1999 (Az.: B 3 P 7/98 RSozR 3-3300 § 14 Nr. 10) fraglich erscheint, ob die Klä-gerin überhaupt in der Lage ist, irgendeine Verrichtung "selbständig" auszuführen. Denn danach bestehen Fähigkeitsstörungen bereits dann, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, die jeweilige Verrichtung "vernunftgeleitet und zielgerichtet" durchzuführen. Dazu ist die Klägerin bei dem von den Gutachtern beschriebenen Krankheitsbild nicht mehr in der Lage. Die vielfältigen und wechselnden Fähigkeitsstörungen hat die Zeugin H3 anschaulich und überzeugend geschildert. Bei den Filmaufnahmen des Sohnes handelt es sich bestenfalls um eine situative Darstellung ("Momentaufnahme"), ohne dass sämtliche Verfahrensbeteiligte, ggf. unter Hinzuziehung eines Pflegesachverständigen, zugegen gewesen sind. Gerade bei dem schweren Krankheitsbild der Klägerin, das aber eine gewis-se Varianz aufweist, ist das Gericht in besonderem Maße auf die Sachkunde und die Erfah-rung von Sachverständigen bei den unvermeidlich zu schätzenden Durchschnittswerten angewiesen. Dagegen fehlt es dem Sohn der Klägerin an der fachlichen Kompetenz, den Pflegebedarf der Klägerin sachgerecht erheben und zeitlich bewerten zu können. Dazu bedarf es einer medizinisch-pflegerischen Begutachtung. Dabei greift der Sachverständige auf seine ärztliche oder pflegerische Berufserfahrung zurück, unterstützt durch Richtzeitwerte und Zeitkorridore in den Begutachtungsrichtlinien. Unabhängig von den Angaben des Pflegebedürftigen und/oder der jeweiligen Pflegeperson hat der Sachverständige zu prüfen, ob der tatsächliche Pflegebedarf dem entspricht, was von einer durchschnittlichen, nicht professionellen Pflegekraft erwartet werden kann. Im Zweifel hat er den angemesse-nen Hilfebedarf zu schätzen (BSG, Urteil vom 07.07.2005 – B 3 P 8/04 RSozR 4-1300 § 48 Nr. 6 Rn. 18 = SGb 2006, 320). Diese Anforderungen erfüllen selbst angefertigte Film-aufnahmen jedenfalls nicht, weshalb der Senat davon abgesehen hat, sich selbige anzuschauen. Auch die vom Sohn der Klägerin erhobenen, interessengeleiteten Zeitwerte zum Pflegebedarf (172 Minuten täglich) sind deshalb nicht zu berücksichtigen.

Im MDK-Gutachten vom 30.01.2003 wird demgegenüber differenziert dargelegt, dass die Klägerin bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung vollständig unterstützt werden muss, während sie bei der Aufnahme der Nahrung der teilweisen Unterstützung sowie der Beaufsichtigung und Anleitung bedarf. Der diesbezüglich angenommene Hilfebedarf ist nachvollziehbar und von der Klägerin auch nicht substantiiert bestritten worden. Dabei hat die Zeugin H3 überzeugend ausgeführt, dass die Anleitung und teilweise Übernahme im Bereich der Ernährung im Gegensatz zur Ansicht des Sohnes der Klägerin einen höheren zeitlichen Aufwand verursacht, als die vollständige Übernahme. Die auf diese Weise ge-leistete "aktivierende Pflege" verwirklicht jedoch eines der Ziele des SGB XI (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2) und ist daher der vollständigen Übernahme ("Füttern") vorzuziehen. Dem von der Klägerin herangezogenen Befundbericht von Dr. T. vom 08.06.2004 lässt sich zudem nichts anderes entnehmen. Der Hausarzt hat ausgeführt, dass die Klägerin über-haupt nicht in der Lage sei, die regelmäßigen Verrichtungen des täglichen Lebens selb-ständig und ohne fremde Hilfe wahrzunehmen. Sie könne den Hilfebedarf auch nicht selb-ständig anmelden. Der von Dr. T. eingeschätzte zeitliche Hilfebedarf entspricht nicht den Richtzeitwerten der Begutachtungsrichtlinien. Dabei hat der Arzt den Zeitaufwand einzel-ner Verrichtungen mit der Angabe "unterschiedlich" offen gehalten, offenbar, weil er aus eigener Anschauung keine exakten Zeitkorridore festzulegen vermochte. Dies erscheint auch sachgerecht, da der komplexe Vorgang der Ermittlung des Pflegebedarfs ohnehin nicht durch einen Befundbericht, sondern nur aufgrund einer gutachtlichen Untersuchung erfolgen darf (§ 18 SGB XI).

3. Die Ausführungen der Sachverständigen zur Mobilität begegnen keinen Bedenken.

4. Sämtliche der erwähnten Gutachten stellen heraus, dass die hauswirtschaftliche Versor-gung der Klägerin vollständig übernommen werden muss. Der Einwand der Klägerin, es seien lediglich sechs bis zehn Einkäufe pro Quartal erforderlich, ist nicht nachvollziehbar. Die Klägerin ist aufgrund ihres Gesundheitszustandes zu einer irgendwie gearteten haus-wirtschaftlichen Versorgung nicht in der Lage. Diese muss vollständig von Dritten übernommen werden. Der Klägerin fehlt jegliche Einsicht für die Notwendigkeit derartiger Verrichtungen und jegliche verstandesgeleitete Fähigkeit, die dafür notwendigen Handlungsabläufe auszuführen und miteinander zu verknüpfen. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI setzt lediglich voraus, dass der Pflegebedürftige der Pflegestufe III mehrfach in der Woche der Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bedarf. Ein solcher Bedarf ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass bei der Klägerin aufgrund ständigen Speichel-flusses (unabhängig von seinem tatsächlichen Ausmaß) sowie bestehender Inkontinenz häufiger die Kleidung und die Bettwäsche – teilweise auch nachts – gewechselt und gewa-schen werden muss (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.04.1999 – B 3 P 7/98 R – a.a.O.). Auch bei den weiteren Verrichtungen im Rahmen der hauswirtschaftlichen Versorgung (Kochen, Reinigen der Wohnung und Spülen) besteht ausweislich sämtlicher Gutachten mehrfach wöchentlich Hilfebedarf. Diesbezüglich hat der Gutachter Dr. M. darauf hingewiesen, dass psychisch kranke und geistig behinderte Menschen häufig noch in der Lage seien, die Verrichtungen des täglichen Lebens ganz oder teilweise selbst auszuführen; nicht aber die Klägerin mit einem "schwerstens gestörten" Allgemeinzustand (Seite 19 seines Gutach-tens).

5. Eine von der Pflegestufe abweichende Festsetzung der Pflegeklasse kommt – entgegen der klägerischen Auffassung – nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB XI schon deswegen nicht in Betracht, weil eine entsprechende gemeinsame Beurteilung des MDK und der Pflegelei-tung der Beigeladenen nicht vorliegt. Es kann daher auch dahingestellt beleiben, ob sich ein derartiger Einwand auf die Feststellung der Pflegestufe überhaupt auswirken kann. Die Klägerin hat jedenfalls vertreten durch ihren Betreuer, auch in der mündlichen Verhandlung allein an der Anfechtungsklage gegen den Höherstufungsbescheid vom 04.02.2003 festgehalten, wie dies bereits im Berufungsschriftsatz vom 08.07.2005 beantragt worden war. Es bedarf daher auch keine weiteren Ausführungen, ob ein weitergehender Klagean-trag mit dem Ziel der Absenkung der Pflegeklasse im vorliegenden Rechtsstreit überhaupt zulässig gewesen wäre. Er wäre aber allemal unbegründet gewesen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich der Frage der Antragsrücknahme zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

II
Rechtskraft
Aus
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