L 7 R 770/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 19 R 1148/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 770/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Chemnitz vom 8. August 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem nach Nummer 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschafts-überführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten des Klägers als Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsent-gelte festzustellen.

Dem 1943 geborenen Kläger war von der Bergakademie F. mit Urkunde vom 30. Januar 1968 der akademische Grad Diplom-Mineraloge und mit Urkunde vom 15. Oktober 1976 der akademische Grad doctor rerum naturalium (Dr. rer. nat.) verliehen worden. Er war ausweislich der Eintragungen im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung vom 15. Feb-ruar 1968 bis 30. Oktober 1975 als wissenschaftlicher Assistent bei der Bergakademie F. , vom 1. November 1975 bis 26. Oktober 1986 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zent-ralen Geologischen Institut in Berlin und vom 27. Oktober 1986 bis über den 30. Juni 1990 hinaus als Abteilungsleiter Geologie beim VEB Geologische Forschung und Erkundung F. (später: Geologische Landesuntersuchung GmbH F. ) beschäftigt. Ab 1. September 1971 entrichtete er Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR).

Der Kläger war nach eigenen Angaben weder in ein Zusatz- noch in ein Sonderversorgungssystem einbezogen. Er gab im Antrag auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften an, nicht anerkannter Verfolgter im Sinne der Gesetzes über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet zu sein oder einen entsprechenden Antrag gestellt zu haben. Den auf das Urteil des Bundessozial-gerichts vom 24. März 1998 (B 4 RA 27/97 R) gestützten Antrag des Klägers, die Beschäf-tigungszeiten von 1968 bis 1990 als Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssys-tem sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen, lehnte die Beklagte mit Be-scheid vom 10. Juni 2002 ab. Den hiergegen unter dem 28. Juni 2002 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger nicht berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Das Anspruchs- und Anwartschaftsüber-führungsgesetz sei daher auf ihn nicht anwendbar.

Hiergegen hat der Kläger am 7. Juni 2005 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass seine Qualifizierung mindestens der eines Ingenieurs gleichzustellen sei. Die ablehnende Entscheidung könne nicht allein darauf gestützt wer-den, dass ihm die Berechtigung zur Titelführung fehle. Zudem seien ihm ehemalige Arbeitskollegen bekannt, die bei gleicher Ausbildung und Berufsbezeichnung bis März 2002 eine positive Entscheidung der Beklagten erhalten hätten.

Das Sozialgericht Chemnitz hat mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2005 die Klage ab-gewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrten Feststellungen habe. Der Kläger falle nicht unter den Anwendungsbereich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, weil er am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzes, weder einen Versorgungsanspruch noch eine Versorgungsanwartschaft gegen den Versorgungsträger gehabt habe. Auch habe er keine fingierte Versorgungsanwartschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozial-gerichtes besessen. Er erfülle nicht die persönliche Voraussetzung für eine obligatorische Einbeziehung in den Kreis der Angehörigen der technischen Intelligenz. Er sei nicht berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Nach der Verordnung über die Berufsbe-zeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl. II S. 278) sei der Titel des Diplom-Mineralogen auch nicht dem eines Ingenieurs gleichgestellt. Auf eine Vergleichbarkeit der Qualität der Ausbildung des Klägers komme es nicht an.

Der Kläger hat am 8. September 2005 Berufung eingelegt und führt zur Begründung er-gänzend aus, dass es nicht sein könne, dass Personen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihr Universitätsstudium in den Fachrichtungen Geologie oder Geophysik abbrechen mussten und ihre Ausbildung an einer Fachschule mit dem Abschluss als Geologie- oder Geophysik-Ingenieur beendeten, nunmehr in den Genuss von Zusatzversorgungsanwartschaf-ten kämen, er hingegen mit dem höherwertigen Abschluss leer ausgehe. Zu berücksichti-gen sei insoweit ferner, dass nach den aktuellen Ingenieurgesetzen der Bundesländer Ab-solventen von Universitäten in naturwissenschaftlichen Fachrichtungen ebenfalls das Recht zuerkannt werde, die Berufsbezeichnung Ingenieur führen zu dürfen. Auch liege eine Ungleichbehandlung gegenüber den ehemaligen Arbeitskollegen vor, die mit entsprechendem Ausbildungsabschluss von der Beklagte eine positive Entscheidung erhalten haben.

Der Kläger beantragt:

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 8. August 2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 26. April 2005 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörig-keit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet, weil das Sozialgericht zu Recht die Klage abgewiesen hat. Ein Anspruch auf die begehrten Feststellungen besteht nicht.

In dem Verfahren nach § 8 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606, 1677; zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2005 [BGBl. I S. 1672]), das einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenverfahrens durchzu-führen ist (dazu stellvertretend: Urteil des BSG vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 - SozR 3-8570 § 8 Nr. 2), ist die Beklagte nur dann zu den vom Kläger begehrten Feststellungen verpflichtet, wenn dieser dem persönlichen Anwendungsbereich des Anspruchs- und An-wartschaftsüberführungsgesetzes nach § 1 Abs. 1 AAÜG unterfällt. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist in einem weiteren Schritt festzustellen, ob er Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die einem Zusatzversorgungssystem, hier der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz, zuzuordnen sind (§ 5 AAÜG).

Gemäß § 1 Abs. 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versor-gungsberechtigungen), die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Bei-trittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssyste-me einen Verlust der Anwartschaft bei Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2).

1. Der Kläger war bei Inkrafttreten des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes am 1. August 1991 nicht Inhaber einer erworbenen Versorgungsberechtigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Einen "Anspruch" auf Versorgung (= Vollrecht) besaß er zu diesem Zeitpunkt nicht, weil schon kein "Versorgungsfall" (Alter, Invalidität) eingetreten war. Er war zu diesem Zeitpunkt auch nicht Inhaber einer bestehenden Versorgungsanwart-schaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Dies hätte vorausgesetzt, dass er in das Ver-sorgungssystem einbezogen gewesen wäre. Eine solche Einbeziehung in das Zusatzversor-gungssystem der technischen Intelligenz konnte durch eine Versorgungszusage in Form eines nach Artikel 19 Satz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889, ber. S. 1239) bindend geblie-benen Verwaltungsaktes, durch eine Rehabilitierungsentscheidung auf der Grundlage von Artikel 17 des Einigungsvertrages oder durch eine Einzelentscheidung, zum Beispiel auf Grund eines Einzelvertrages (vgl. § 1 Abs. 3 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 [GBl. Nr. 62 S. 487; im Folgenden: 2. DB]), erfolgen. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt.

2. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Der Kläger war zu keinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem einbezogen und vor Eintritt des Leistungsfalls ausgeschieden (Fall einer gesetzlich fingierten Versorgungsan-wartschaft).

3. Der Kläger war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsan-wartschaft im Sinne der vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urtei-le vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 14, vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 20; vom 10. April 2002 - B 4 RA 10/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 5 S. 33, vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 40, vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 60, vom 10. April 2000 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 S. 74) vorgenommenen erweiternden ver-fassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG.

Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem nicht einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versor-gungszusage gehabt hätten. Maßgeblich für das Sprachverständnis ist hierbei der staatliche Sprachgebrauch der Deutschen Demokratischen Republik am 2. Oktober 1990 (BSG, Ur-teil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 13). Ein fiktiver An-spruch hängt im Bereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. I Nr. 93 S. 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung von drei Voraussetzungen ab, nämlich von 1. der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und 2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar 3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens im Sinne von § 1 Abs. 1 der 2. DB oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichge-stellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Ausgehend hiervon war der Kläger nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft im Bereich der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz, weil er am 30. Juni 1990 keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte. Es kann dahinstehen, ob es sich beim letzten maßgeblichen Beschäftigungsbetrieb, dem VEB Geologische Forschung und Erkundung F. , um einen volkseigenen Produktionsbe-trieb oder einem gleichgestellten Betrieb, etwa um ein Forschungsinstitut, gehandelt hat und damit die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, da der Kläger jedenfalls weder die persönliche noch die sachliche Voraussetzung für eine obligatorische Einbeziehung in dieses Zusatzversorgungssystem erfüllt.

Hinsichtlich der persönlichen Voraussetzung kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgesehen und vollum-fänglich auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung des Sozialge-richts Chemnitz verwiesen werden. Es sei ergänzend darauf hingewiesen, dass es auch hin-sichtlich der Berechtigung zur Führung des Titels eines Ingenieurs allein auf die tatsächli-chen Gegebenheiten am 30. Juni 1990 ankommt (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 36/01 R - JURIS-Dokument Rdnr. 19), so dass der Hinweis des Klägers auf "aktuelle In-genieurgesetze der Bundesländer" im vorliegenden Zusammenhang unbeachtlich ist. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur persönlichen Voraussetzung im Rahmen der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz ist mittlerweile durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden (BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 - SozR 4-8570 § 5 Nr. 4 - NVwZ 2005, 81; weiter Beschlüsse vom 8. September 2004 - 1 BvR 1094/03 und 1 BvR 2359/02).

Darüber hinaus erfüllt der Kläger als Abteilungsleiter Geologie auch nicht die sachliche Voraussetzung. In § 1 Abs. 1 der 2. DB werden zwei Personengruppen unterschieden: Die in § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der 2. DB genannte (z.B. Ingenieure, Konstrukteure und Archi-tekten) war obligatorisch in das Zusatzversorgungssystem einzubeziehen. Die Einbezie-hung der unter § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB bezeichneten Personengruppe, zu der auch die Abteilungsleiter gehörten, setzte einen Antrag des Werkdirektors und eine Entscheidung durch das zuständige Fachministerium bzw. die zuständige Hauptverwaltung voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes wurden alle Regelungen kein Bun-desrecht, die eine bewertende oder Ermessensentscheidung eines Betriebes, eines Direktors oder einer staatlichen Stelle der DDR vorsahen (vgl. BSG, Urt. vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 13). Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass sämtliche in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB aufgeführte Personengruppen, mithin auch Abteilungsleiter, keinen Anspruch auf eine fiktive Versorgungsanwartschaft im Bereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz haben.

Die Formulierung "Personen, die verwaltungstechnische Funktionen bekleiden" in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB erfasst nicht nur Beschäftigte, die nicht berechtigt waren, den Titel eines Ingenieurs oder Technikers zu führen, sondern sämtliche Personen mit verwal-tungstechnischen Funktionen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

a) Aus dem Wortlaut und der Systematik der Regelungen des Zusatzversorgungssystems ergibt sich, dass die in § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der 2. DB genannten Personengruppen am Produktionsprozess beteiligt sein mussten, um einen Anspruch auf eine fiktive Versor-gungsanwartschaft zu haben

Im Wortlaut von § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB wird sodann zwischen Personen, "die verwaltungstechnische Funktionen bekleiden" und Personen, die "durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluß auf den Produktionsprozeß ausüben", unterschieden. Der Normgeber der Zweiten Durchführungsbestimmung hat also zwischen Personen mit ingenieurtechnischen und verwaltungstechnischen Funktionen unterschieden.

Für diese Auslegung spricht auch die Behandlung der Werkdirektoren in der Zweiten Durchführungsbestimmung. Werkdirektoren hatten nach § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der 2. DB einen obligatorischen Anspruch auf die Zusatzversorgung. Da es keine Beschränkung auf Werkdirektoren, die nicht den Titel Ingenieur oder Techniker hatten, gab, folgt daraus im Umkehrschluss, dass der Normgeber sich veranlasst sah, auch Werkdirektoren, die den Titel Ingenieur oder Techniker führen durften, ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Zusatzversorgungssystems der technischen Intelligenz einzubeziehen.

Ein gegenteiliges Ergebnis kann nicht aus dem Zusatz "die nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers haben, aber durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluss auf den Produk-tionsprozeß ausüben" am Ende von § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB hergeleitet werden. Dieser Zusatz bezieht sich nur auf die unmittelbar vorhergehenden Worte "andere Spezia-listen" und nicht auf die eingangs genannten "anderen Personen". Denn diese "anderen Personen" sind gerade durch ihre verwaltungstechnischen Funktionen, mithin durch ihren leitenden Einfluss auf die Abläufe und Tätigkeiten im Betrieb, und nicht durch den Ein-fluss auf den Produktionsprozess gekennzeichnet.

b) Diese aus dem Wortlaut und der Systematik hergeleitete Auslegung wird durch die historische Auslegung gestützt. Zwar sind die Normsetzungsmaterialien zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 und zur Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 für die vorliegende Rechtsfrage nicht ergie-big. Betreffend die 26. Sitzung der Regierung der DDR am 24. Mai 1951 hat das Bundes-archiv zum einen den Entwurf für das Kommunique des Politbüros der SED über die Ver-besserung der Lage der Intelligenz vom 23. April 1951 für die Sitzung am 25. April 1951 übersandt. Gegenstand waren Fragen der außertariflichen Entlohnung in Verbindung mit Einzelverträgen und der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben. Es wurde unter anderem ausgeführt, dass es kein Geheimnis sei, "dass die westdeutsche Protektoratsregierung im Auftrage der anglo-amerikanischen Kriegsbrandstifter dazu übergegangen ist, Wissenschaftler und Ingenieure unserer Deutschen Demokratischen Republik aus ihrer friedlichen Arbeit abzuwerben, um sie dem amerikanischen Krieg dienstbar zu machen." Das Politbüro kritisierte die mangelhafte Durchführung der einschlägigen Verordnungen und forderte unter anderem die Regierung auf, eine Durchführungsverordnung für die zusätzliche Altersversorgung zu erlassen und die Schaffung ähnlicher Bestimmungen für die übrigen Angehörigen der geistigen Berufe zu prüfen. Die Begründung zur (Dritten) Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 enthält Ausführungen zur bisherigen Entwicklung und dem Sachstand sowie Auftrage der Regierung der DDR unter anderem an die Minister für Arbeit und der Finanzen sowie die zu beteiligen-den Fachminister, die Leiter der volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe der Industrie, des Eisenbahn- und Bauwesens, die Staatliche Plankommission sowie den Förderausschuss für die deutsche Intelligenz. Beide Dokumente enthalten keine Ausführungen zur Frage, welcher Personenkreis konkret der technischen Intelligenz zugerechnet wird, und zu einer etwaigen differenzierten Behandlung von verschiedenen Gruppen der technischen Intelligenz.

Jedoch entspricht die oben dargestellte Auslegung dem Ansatz der Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 26. September 1950 (GBl. Nr. 111 S. 1043; im Folgenden: 1. DB). Zum Kreis der Versorgungsberechtigten gehörten nach § 1 Satz 1 der 1. DB: "Ingenieure, Chemiker und Techniker, die konstruktiv und schöpferisch in einem Produktionsbetrieb verantwortlich tätig sind und hervorragenden Einfluß auf die Herstellungsvorgänge nehmen, sowie konstruktiv und schöpferisch tätige Baumeister und Architekten." Neben dieser Regelung für obligatorisch Begünstigte enthielt § 1 Satz 2 der 1. DB folgende Ermessensregelung: " Die Leiter industrieller Ferti-gungsbetriebe und der Vereinigungen volkseigener Betriebe können, sofern die vorgenann-ten Voraussetzungen auf sie zutreffen, in den Kreis der Versorgungsberechtigten einbezogen werden." Diese Zweiteilung von obligatorischer und fakultativer Einbeziehung einer-seits sowie die Unterscheidung von ingenieurtechnischer und verwaltungstechnischer Tätigkeit andererseits wurde in der Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 fortgeführt und detaillierter ausgestaltet.

c) Eine Stütze findet diese Auslegung in der Anordnung über die Einführung der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 (GBl. 1975 Nr. 1 S. 1, geändert durch die Anordnung Nr. 2 vom 13. Oktober 1982 [GBl. I Nr. 37 S. 616]). Sie kennt ebenfalls die Unterscheidung.

Zwar wurden nach Nummer 1 Position 41 der Rahmenrichtlinie Fachdirektoren - und damit auch das nachgeordnete Leitungspersonal - nicht dem Büro des Direktors (Leiters) des Betriebes, sondern den jeweiligen Arbeitsbereichen zugeordnet. Allerdings sieht die Ra-henrichtlinie nicht nur in Nummer 1 die Gliederung der Beschäftigten nach Arbeitsberei-chen vor, sondern in Nummer 2 die Zuordnung der Beschäftigten im jeweiligen Arbeitsbe-reich zu einer der folgenden Tätigkeitshauptgruppen: (10) Produktionspersonal, (11) Pro-duktionsarbeiter, (12) Ingenieurtechnisches Personal, (20) Produktionsvorbereitendes Per-sonal, (30) Leitungs- und Verwaltungspersonal, (50) Betreuungspersonal, (60) Pädagogi-sches Personal und (90) Übriges Personal. Nach Absatz 3 Satz 2 der Erläuterung zur Grup-pe 10 (einschließlich 11 und 12) gehören das Leitungs- und Verwaltungspersonal in den produzierenden Bereichen nicht zum Produktionspersonal. Eine entsprechende Regelung findet sich in Absatz 4 der Erläuterung zu Gruppe 20. Das Leitungspersonal wird im ersten Spiegelstrich der Erläuterung zur Gruppe 30 als "Werktätige zur Leitung (Anleitung, Ent-scheidung, Organisation, Koordinierung, Kontrolle) politischer, technisch-ökonomischer und sozialer Prozesse eines bestimmten Verantwortungsbereiches" definiert.

d) Ein weiteres Indiz dafür, dass im Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz bewusst zwischen ingenieurtechnischen und verwaltungstechnischen Funktionen unterschieden worden ist, ist die Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Verbesserung der Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl. Nr. 62 S. 488). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 dieser Durchführungsbestimmung gehörten zur technischen Intelligenz " Ingenieure, Kon-strukteure, Techniker, Chemiker, Werkleiter, Leiter großer Werkabteilungen, hervorragen-de Wirtschaftler, Leiter von Laboratorien, Leiter von Arbeitsvorbereitungsabteilungen in größeren Betrieben, Bauingenieure, Bautechniker, Statiker und Bauleiter von großen Baustellen." Diese Durchführungsbestimmung sah im Gegensatz zu § 1 Abs. 1 der 2. DB keine Unterscheidung zwischen Personen mit ingenieurtechnischen und mit verwaltungstechnischen Funktionen vor. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der unterschiedlichen Ausgestaltung und Textfassung der beiden Durchführungsbestimmungen, die am selben Tag, dem 24. Mai 1951, von der Regierung der DDR erlassen wurden, um ein Re-daktionsversehen handelt. Vielmehr lässt sich der Unterschied zwischen beiden Durchführungsbestimmungen dadurch erklären, dass die Regierung der DDR unterschiedliche Ansätze zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der technischen Intelligenz verfolgte. Zum einen sollten Anreize kurzfristig bei der Entlohnung, zum anderen langfristig bei der Altersversorgung gesetzt werden. Beide Ansätze müssen sich in ihrer Ausgestaltung nicht zwangsläufig decken. Es kann dahingestellt bleiben, ob beide Ansätze und die maßgeblichen Regelwerke aufeinander abgestimmt waren. Denn es besteht für die bundesdeutschen Gerichte keine Rechtsgrundlage, diese Regelungen, die nach der Herstellung der Einheit Deutschlands nicht bundesdeutsches Recht geworden sind, zu korrigieren.

e) Die Unterscheidung von Ingenieuren, die ingenieurtechnisch tätig waren, und solchen, die zwar eine ihrer Qualifikation adäquate Tätigkeit ausgeübt haben, die aber nicht mehr unmittelbar mit dem Produktionsprozess verbunden war, fand ihre Parallele in der betrieb-lichen Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Versorgungsanwartschaft. Dort wurde zwischen volkseigenen Produktionsbetrieben und solchen volkseigenen Betrieben unter-schieden, die zwar für die Produktion notwenig waren, denen aber die Produktion nicht das Gepräge verliehen hat. Erstere werden von § 1 Abs. 1 der 2. DB erfasst; letztere sind, wie zum Beispiel die Konstruktionsbüros, in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannt.

f) Die Benennung von stellvertretenden Direktoren, Abteilungsleitern und Produktionsleitern in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB sind als gesetzlich festgelegte Regelbeispiele von "Personen, die verwaltungstechnische Funktionen bekleiden" formuliert. Der Normgeber ordnete Personen mit diesen Funktionen typisierend dem verwaltungstechnischen Bereich zu.

Diese typisierende Zuordnung entspricht auch dem allgemeinen Sprachverständnis in der DDR. So wird sowohl im Lexikon des Arbeitsrechts (Berlin 1972) als auch im Lexikon Arbeitsrecht von A bis Z (Berlin 1983 sowie 2. Aufl., Berlin 1987) unter dem Stichwort "Abteilungsleiter" auf das Stichwort "leitender Mitarbeiter" verwiesen. Im Lexikon der Wirtschaft - Arbeit, Bildung, Soziales - (Berlin 1982) wird unter dem Stichwort "Leiter" ausgeführt, er sei "Werktätiger, der im Leitungsbereich einer Organisationseinheit - z.B. Betrieb, Kombinat, Universität, Fachschule, Krankenhaus, Staatsorgan - tätig ist und Lei-tungsfunktionen ausübt (leitender Mitarbeiter, leitender Kader, Leitungskader)." Leiter sei "jede Person, die anderen vorgesetzt ist - Brigadier, Meister, Abt.-leiter, Direktor, Minister -, diesen Aufgaben übertragen und Weisungen erteilen darf,". Im Organigramm unter dem Stichwort "Leitungspyramide" wird der hierarchische Aufbau - von oben nach unten - wie folgt dargestellt: Direktor - Bereichsleiter - Abteilungsleiter - Sektoren-/Gruppenleiter.

Die nicht an den Umständen des Einzelfalles orientierte Normanwendung ist auch bei an-deren Tatbestandsmerkmalen der Zweiten Durchführungsbestimmung üblich. So wird beim Begriff "Ingenieur", d.h. bei der persönlichen Voraussetzung; darauf abgestellt, ob die betreffende Person berechtigt war, den Titel "Ingenieur" zu führen, und nicht darauf, ob sie als Ingenieur tätig war (BSG, Urteil vom 10. April 2000 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 S. 77). Hinsichtlich des Begriffs "volkseigener Betrieb" wird auf die Rechtsform und die Rechtsgrundlage - einschließlich der Bezeichnung des Betriebes sowie dessen Eintragung in das Register der volkseigenen Wirtschaft - (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 61) abgestellt und nicht darauf, wie die Eigentumsverhältnisse an dem Betrieb gestaltet waren.

Auf Grund der abstrakten Zuordnung des Abteilungsleiters in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der 2. DB zum verwaltungstechnischen Bereich bedarf es keiner Ermittlungen, welche Aufga-ben die genannten Personen tatsächlich ausgeübt haben.

4. Die vom Kläger behauptete Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist nicht gegeben. Sollten Kollegen des Klägers in vergleichbarer Position von der Beklagten eine für ihn günstige Entscheidung erhalten haben, so kann der Kläger selbst aus dieser nach dem oben Gesagten fälschlicherweise getroffenen Entscheidung keinen Anspruch herleiten. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt das geltende Recht nicht (siehe nur BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 - 1 BvL 25/77 - BVerfGE 50, 142 [166] = JURIS, Rdnr. 59, und BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 - B 6 KA 32/02 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 1 = JURIS, Rdnr. 38).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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