L 3 AL 234/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 5 AL 805/01
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 234/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 11. August 2004 wird zu-rückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Insolvenzgeld für März 1999 in Höhe von 1.155,43 EUR.

Der Kläger war nicht tarifgebunden als Heizungsmonteur bei der B.-H. GmbH beschäftigt und beendete dieses Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 1999 durch Aufhebungsvertrag. Ab 1. Juni 1999 nahm er eine Beschäftigung bei einer anderen GmbH auf, die vom gleichen Ge-schäftsführer wie die B. -H. GmbH geführt wurde. Zuvor hatte er durch schriftliche Erklä-rung vom 16. April 1999 für die Monate Februar und März 1999 auf Auszahlung seines Lohnes verzichtet, der im März 1999 netto 1.155,43 EUR betragen hätte. In der Verzichts-erklärung wird unter anderem ausgeführt, dass dem Kläger bekannt ist, dass der Verzicht der Sicherung von Arbeitsplätzen in der B.-H. GmbH dient, dass die B. H. GmbH im Gegenzug die pünktliche Lohnzahlung für April 1999 und die Folgemonate sicherstellt sowie dass er am Tag der Unterzeichnung des Verzichts einen Vorschuss über 2.000,00 DM für April 1999 erhalten hat und den Rest bei Fälligkeit am 10. Mai 1999 erhält. Für April und Mai 1999 erhielt er seinen Lohn vollständig. Am 1. Oktober 1999 wurde über das Vermögen der B.-H. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

Am 24. Januar 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten Insolvenzgeld für März 1999, was diese mit einem am 14. Februar 2001 an den Kläger abgesandten und auf den 14. Januar 2001 datierenden Bescheid ebenso ablehnte, wie auf den dagegen am 26. Februar 2001 erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001. Der Kläger habe die ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Oktober 1999 bis 1. Dezember 1999 laufende, zweimonatige Ausschlussfrist für die Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld versäumt, ohne dass ihm eine Nachfrist von weiteren zwei Monaten ab Wegfall des Hinderungsgrundes für die Antragstellung eingeräumt werden könne, weil er sich zwischenzeitlich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Lohnansprüche bemüht habe.

Dagegen hat der Kläger, nachdem ihm der Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 am 12. September 2001 zugestellt worden war, am 12. Oktober 2001 Klage erhoben, die das Sozialgericht mit Urteil vom 11. August 2004 abgewiesen hat. Zwar sei dem Kläger ein Sorgfaltsverstoß bei der Durchsetzung seiner Lohnansprüche nicht vorzuwerfen, weil er nicht gewusst habe, dass der Lohnverzicht unwirksam sein könne. Jedoch sei der Lohnverzicht hier arbeitsrechtlich wirksam, weil keine Tarifbindung bestehe und der Verzicht durch einen sachlichen Grund (die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der B. –H. GmbH) gerechtfertigt sei. Der Kläger habe somit bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen Lohnanspruch für März 1999 mehr gehabt.

Mit seiner – nach Zustellung des Urteils am 17. September 2004 – dagegen am Montag, den 18. Oktober 2004, eingelegten Berufung macht der Kläger unter Einbeziehung seines Vorbringens im Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren geltend, dass er seinen Pro-zessbevollmächtigten am 9. November 2000 mit der Durchsetzung anderer Forderungen beauftragt habe, wobei diesem der unwirksame Lohnverzicht aufgefallen sei. Erst dann habe er seine Lohnansprüche für Februar und März 1999 mit dessen Hilfe durchsetzen wollen, wozu der Prozessbevollmächtigte am 9. November 2000 zunächst beim Amtsge-richt nachgefragt habe, ob es die B. –H. GmbH noch gebe. Dadurch habe er am 24. No-vember 2000 von der Insolvenz der B. –H. GmbH erfahren. Vorher falle ihm deshalb kein Sorgfaltsverstoß zur Last, weil er nicht habe wissen können, dass der Lohnverzicht unwirksam sei. Dieser sei mindestens in Höhe des unpfändbaren Teils seines Lohnes unwirk-sam, hier mithin in Höhe von mindestens 1.043,03 EUR nach den Pfändungstabellen für März 1999 bei bestehender Unterhaltspflicht für die Ehefrau und ein Kind, weil der Verzicht insoweit dem Rechtsgedanken der §§ 394 und 400 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) widerspreche, dass ein monatlicher Grundbetrag zur Aufrechterhaltung der Lebensgrundlage verbleiben müsse. Mindestens in dieser Höhe stehe ihm deshalb Insolvenzgeld zu. Der Lohnverzicht habe aber ungeachtet dessen auch deshalb nicht zu einem Verlust seines Lohnanspruchs geführt, weil die vereinbarte Gegenleistung, die pünktliche Lohnzahlung, nicht sichergestellt worden sei. Er habe den Lohn für April 1999 vielmehr entge-gen seinem Arbeitsvertrag statt am 1. Mai 1999 erst am 10. Mai 1999 erhalten und den für Mai 1999 erst am 21. Juni 1999. Außerdem seien Arbeitsplätze durch den Lohnverzicht nicht gesichert worden, weil die GmbH bereits am 1. Oktober 1999 insolvent geworden sei. Der Lohnverzicht verstoße zudem gegen Treu und Glauben und sei sittenwidrig, weil dem Geschäftsführer bereits bei Abschluss des Verzichtsvertrages die Zahlungsunfähigkeit seiner GmbH bekannt gewesen sei und die Pflicht zur Insolvenzanmeldung bestanden ha-be, so dass er arglistig dazu gebracht worden sei, den Verzicht zu erklären, obwohl die Arbeitsplätze nicht mehr zu sichern gewesen seien. Dies werde durch das beigefügte Gut-achten des Insolvenzverwalters und den Insolvenzantrag der Krankenkasse vom 24. Juni 1999 nebst Nachweisen über deren bereits im Februar 1999 erfolglos durchgeführte Zwangsvollstreckung belegt. Er sei ebenso wie seine Kollegen vom Geschäftsführer der B. –H. GmbH im Glauben gelassen worden, dass der Betrieb lediglich nach B. verkauft worden sei. Von einer bevorstehenden Insolvenz habe dieser nichts mitgeteilt. Entgegen dem Sozialgericht gebe es deshalb keinen sachlichen Grund für den Lohnverzicht. Dieser sei vielmehr nur dazu benutzt worden, die Insolvenzanmeldung herauszuzögern, um das ge-samte operative Geschäft auf die neue GmbH verlagern zu können und bei der B. –H. GmbH nur die Schulden zu belassen, damit diese dann habe Insolvenz anmelden können. Eine Sicherung von Arbeitsplätzen durch den Lohnverzicht sei nicht möglich oder jeden-falls niemals beabsichtigt gewesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Leipzig vom 11. August 2004 und des Bescheides der Beklagten vom 14. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld für den Monat März 1999 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf die angegriffenen Bescheide und unter Einbeziehung ihrer erstinstanzlichen Ausführungen vor, dass die erste Beratung des Klägers bei seinem Pro-zessbevollmächtigten schon vor dem 24. November 2000 stattgefunden habe, so dass der Kläger mit seinem Antrag auf Insolvenzgeld vom 24. Januar 2001 selbst die zweimonatige Nachfrist versäumt habe. Ungeachtet dessen sei der Lohnverzicht wirksam, weil dadurch das Geschäftsrisiko nicht auf die Arbeitnehmer abgewälzt worden sei und der Verzicht auch keine unverzichtbaren Ansprüche betreffe. Gegen den Lohnanspruch könne nach Fälligkeit vielmehr aufgerechnet und dieser auch erlassen werden. Im Übrigen sei zu beachten, dass der Kläger bei einer anderen GmbH des gleichen Geschäftsführers nahtlos eine Anschlussbeschäftigung gefunden habe und sein Lohn für April und Mai 1999, wenn auch nicht pünktlich, so doch gezahlt worden sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die angesichts des streitigen Betrages von 1.155,43 EUR gemäß den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige kombi-nierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid vom 14. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 rechtmäßig ist und den Kläger deshalb nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat für März 1999 keinen Anspruch auf Insolvenzgeld.

Anspruch auf Insolvenzgeld hat gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches des Sozial-gesetzbuchs – Arbeitsförderung – (SGB III) in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2970); zwar ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die voraus-gehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Der Kläger hatte jedoch bei Eintritt des Insolvenzereignisses am 1. Oktober 1999, dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die B. –H. GmbH (vgl. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III) für die vorausgehenden drei Monate seines Arbeitsverhältnisses, das zum 31. Mai 1999 durch Aufhebungsvertrag endete, keine Ansprüche mehr auf Arbeitsentgelt, weil er das ihm zustehende Arbeitsentgelt für die Monate April und Mai 1999 erhalten und für März 1999 wirksam auf seinen Lohn verzichtet hat.

Es kommt mithin nicht darauf an, dass der Kläger die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III für die Beantragung des Insolvenzgeldes von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis lediglich aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat, wie das Sozialgericht zutreffend angenommen hat, so dass er den Antrag gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III noch innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes (hier die erstmalige Kenntnis von der Insolvenz der B. –H. GmbH frühestens am 24. November 2000 durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers) stellen konnte und am 24. Januar 2001 deshalb auch fristgerecht gestellt hat.

Hierbei ist der erkennende Senat insbesondere davon überzeugt, dass der Kläger die Versäumung der Frist auch nicht gemäß § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III zu vertreten hat. Zwar ist dies schon dann der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner rückständigen Lohnansprüche gegenüber dem Arbeitgeber bemüht hat, wobei er selbst leichte Fahrlässigkeit zu vertreten hat (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13. September 2005, Az. L 12 AL 30/01, JURIS-Dokument Rn. 29; Niesel, in: Niesel, SGB III [2. Aufl., 2002], § 324 Rn. 23). Jedoch geht der Senat nach der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2007 davon aus, dass selbst ein gewissenhaft handelnder Arbeitnehmer in der gleichen Situation wie der Kläger mit dessen subjektiven Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten (zum einschlägigen Sorgfaltsmaßstab vgl.: Peters-Lange, in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts [3. Aufl., 2003], § 8 Rn. 111/112; Leitherer, in: Eicher/Schlegel, SGB III [Stand: April 2007], § 324 Rn. 54) nicht hätte erkennen können, dass der erklärte Lohnverzicht unwirksam sein könnte. Er hätte sich deshalb selbst bei Anspannung aller seiner Fähigkeiten und Erkenntnis-möglichkeiten nicht hätte gedrängt fühlen müssen, schon vor dem 24. November 2000 Rechtsrat zum erklärten Lohnverzicht einzuholen, wie dies ansonsten selbst von juristischen Laien grundsätzlich verlangt wird, wenn ihnen die nötige Rechtskenntnis fehlt (vgl. dazu: Peters-Lange, in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts [3. Aufl., 2003], § 8 Rn. 111; Niesel, in: Niesel, SGB III [2. Aufl., 2002], § 324 Rn. 22; BSG, Urt. v. 10. April 1985, Az. 10 RAr 11/84, SozR 4100 § 141e Nr. 8, S. 24 = JURIS-Dokument Rn. 16). Denn der Kläger konnte als juristischer Laie wegen der im Arbeitsrecht geltenden Vertragsautonomie davon ausgehen, dass eine vertragliche Vereinbarung über rückständigen Lohn zumindest bei einem überschaubaren Zeitraum mit dem Arbeitgeber wirksam abgeschlossen werden konnte. Die Tatsache, dass ein oder zwei Kollegen wegen ihrer schlechten Erfahrungen den Abschluss einer Lohnverzichtsvereinbarung verweiger-ten, ist nicht ausreichend, um beim Kläger Zweifel an der Wirksamkeit der Vereinbarung aufkommen lassen zu müssen.

Abgesehen davon, dass dem Kläger danach kein Sorgfaltsverstoß bei dem ihm obliegenden Bemühen um sein Arbeitsentgelt für den Monat März 1999 zur Last fällt, hätte ein solches Bemühen auch deshalb keinen Erfolg haben können, weil der Lohnverzicht wirksam ist und der Kläger deshalb bei Eintritt des Insolvenzereignisses am 1. Oktober 1999 keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt für März 1999 mehr hatte.

Zunächst ist der vorliegende Lohnverzicht, bei dem es sich letztlich um einen isolierten Erlassvertrag im Sinne des § 397 BGB handelt, der durch die Annahme der Verzichtserklärung durch den Arbeitgeber zustande kommt (Weidenkaff, in: Palandt, BGB [66. Aufl., 2007], § 611 Rn. 69; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht [7. Aufl., 2007], § 611 BGB Rn. 590), nicht nach dem im Jahre 1999 noch anwendbaren Gesetz zur Rege-lung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) unwirksam, obwohl es sich nach den Schilderungen des Klägers und der Form der Verzichtserklärung, d.h. maschinenschriftlich auf dem Briefbogen mit formularmäßiger Kopf- und Fußzeile der B. –H. GmbH, um eine vom Arbeitgeber vorformulierte Erklärung gehandelt hat (vgl. dazu § 1 Abs. 1 i.V.m. § 24a Nr. 2 AGBG). Zwar mag dieser Verzicht unangemessen benachteili-gend im Sinne des § 9 AGBG sein, weil dem Verzicht keine wirkliche Gegenleistung ge-genüber stand, sondern lediglich die ohnehin im Arbeitsvertrag geregelte pünktlichen Lohnzahlung zugesichert wurde und nur allgemein der Zweck des Verzichts, die Sicherung von Arbeitsplätzen bei der B. –H. GmbH, genannt wurde, ohne eine Arbeitsplatzgarantie für den Kläger zu geben, was die unangemessene Benachteiligung bereits indiziert (Müller-Glöge, in: Münchener Kommentar zum BGB [4. Aufl., 2005], § 611 Rn. 857; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht [7. Aufl., 2007], §§ 305-310 BGB Rn. 96). Auch dürfte die AGB-Kontrolle nicht schon durch die Bereichsausnah-me des § 23 Abs. 1 AGBG für das Arbeitsrecht ausgeschlossen sein, weil der Erlassvertrag als abstraktes Verfügungsgeschäft (Schlüter in: Münchener Kommentar zum BGB [4. Aufl., 2005], § 397 Rn. 6) rechtlich selbstständig ist und seine Grundlage in einem an deren Vertrag als dem Arbeitsvertrag, nämlich dem Erlassvertrag gemäß § 397 BGB, hat (so zum selbständigen Schuldversprechen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber: BAG, Urt. v. 15. März 2005, Az. 9 AZR 502/03, JURIS-Dokument Rn. 19/20). Jedoch handelt es sich hier um einen isolierten, vollständigen Verzicht auf die Gegenleistung aus dem Ar-beitsvertrag, mithin um eine vertragliche Regelung der Hauptleistungspflicht als solche, was grundsätzlich nicht im Sinne des AGBG kontrollfähig ist und eine Prüfung am Maß-stab des AGBG ausschließt (Thüsing/Leder, BB 2005, 1563 ff. [1563]; BAG, Urt. v. 3. Juni 2004, Az. 2 AZR 427/03, JURIS-Dokument Rn. 59; BGH, Urt. v. 14. Oktober 1997, Az. XI ZR 167/96, JURIS-Dokument Rn. 12; BGH, Urt. v. 12. Dezember 2000, Az. XI ZR 138/00, JURIS-Dokument Rn. 12).

Der Lohnverzicht ist auch nicht deshalb unwirksam, weil der Kläger möglicherweise vom Arbeitgeber arglistig getäuscht wurde, etwa über dessen Absichten im Rahmen der drohenden Insolvenz, und den Lohnverzicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erwirkt hat. Dies berechtigt allenfalls zur Anfechtung nach § 123 BGB, führt aber nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Erlassvertrages führt. Gleiches gilt, soweit der Arbeitgeber unter Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) die ihm obliegenden Hinweis- und Aufklärungspflichten (etwa über die tatsächlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens) verletzt haben sollte, weil auch dies nur zu Schadensersatz- sowie Rück-abwicklungsansprüchen führt (vgl. u.a. LAG Hamm, Urt. v. 1. April 2003, Az. 19 Sa 1901/02, JURIS-Dokument Rn. 26/27). Solange der Kläger von diesen Ansprüchen keinen Gebrauch macht und so den anfechtbaren oder rückabwicklungsfähigen Lohnverzicht bestehen lässt, ist deshalb auch kein insolvenzgeldfähiger Lohnanspruch vorhanden, weil der Lohnverzicht bis zur Ausübung dieser Rechte wirksam bleibt.

Die Unwirksamkeit ergibt sich daneben auch nicht aus einem Verstoß des Erlassvertrages gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB), weil die Möglichkeit des Lohnverzichts vorliegend nicht durch besondere Rechtsvorschriften ausgeschlossen oder eingeschränkt war, wie etwa bei tariflich (§ 4 Abs. 4 Satz 1 des Tarifvertragsgesetzes) oder durch Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes) gebundenen Arbeitneh-mern, bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 12 des Entgeltfortzahlungsgesetzes) und gemäß § 13 Abs. 1 des Bundesurlaubsgesetzes beim Urlaubsentgelt (Weidenkaff, in: Pa-landt, BGB [66. Aufl., 2007], § 611 Rn. 69; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht [7. Aufl., 2007], § 611 BGB Rn. 590; Koch in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch [11. Aufl., 2005], § 87 Rn. 3). Alle diese Fälle sind hier nicht gegeben, wie bereits das So-zialgericht zutreffend festgestellt hat, dem sich der Senat insoweit anschließt.

Desweiteren liegt auch kein Fall des Betriebsübergangs vor, bei dem die besondere Schutzvorschrift des § 613a BGB eingreift, die einen Lohnverzicht nur dann zulässt, wenn anhand eines strengen Maßstabs ein sachlicher Grund für die Vereinbarung eines Lohnverzichts zwischen dem neuen Inhaber und dem übernommenen Arbeitnehmer besteht (BAG, Urt. v. 18. August 1976, Az. 5 AZR 95/75, JURIS-Dokument Rn. 32; BAG, Urt. v. 27. April 1988, Az. 5 AZR 358/87, JURIS-Dokument Rn. 28). Deshalb kann diese Rechtsprechung, die ihren Grund in der besonderen Schutznorm des § 613a BGB hat, entgegen dem Sozialgericht nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, so dass es insbesondere nicht darauf ankommt, ob es einen besonderen, den Lohnverzicht ausnahmsweise rechtfertigenden Grund für den Lohnverzicht gab.

Soweit außerdem in der arbeitsrechtlichen Kommentarliteratur ein völliger Lohnverzicht bis unter die Pfändungsfreigrenze ebenso als unwirksam angesehen wird, wie dies bei einer Aufrechnung (§ 394 BGB), einer Abtretung (§ 400 BGB) oder einer Verpfändung (§ 1274 Abs. 2 BGB) des Arbeitslohns bis unter die Pfändungsfreigrenze angenommen wird, weil der Arbeitnehmer auch bei einem Erlass bzw. Verzicht davor geschützt werden soll, die für seinen Lebensunterhalt erforderlichen Mittel zu verlieren (vgl. Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht [7. Aufl., 2007], § 611 BGB Rn. 590; Koch in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch [11. Aufl., 2005], § 87 Rn. 2/3; jeweils m.w.N.), folgt dem der erkennende Senat nicht. Denn das Bundesarbeitsgericht hat in den bereits zitierten Entscheidungen ausgeführt, dass ein Lohnverzicht außerhalb der Fälle des Betriebsübergangs, wenn mithin die besondere Schutzvorschrift des § 613a BGB nicht eingreift, ohne weiteres vereinbart werden kann (BAG, Urt. v. 18. August 1976, Az. 5 AZR 95/75, JURIS-Dokument Rn. 32). Dass hierbei analog der §§ 394, 400 und 1274 Abs. 2 BGB die Pfändungsfreigrenzen einzuhalten gewesen wären, hat das Bundesarbeitsgericht nicht entschieden, hätte aber darauf hinweisen müssen, wenn es hierauf angekommen wäre. Ein Lohnverzicht ist dementsprechend nach Ansicht des Senats im Rahmen der auch das Arbeitsrecht grundsätzlich beherr-schenden Privatautonomie frei vereinbar, solange damit nicht gegen besondere Schutzvorschriften oder gesetzliche Verbote (z.B. das AGBG oder § 613a BGB) verstoßen wird (ebenso wohl Weidenkaff; in: Palandt, BGB [66. Aufl., 2007], § 611 Rn. 69). Dies korrespondiert zudem mit dem Gesetz, das zwar in den §§ 394, 400 und 1274 Abs. 2 BGB ent-sprechende Schutzvorschriften bereit hält, nicht aber im Rahmen des Erlassvertrages nach § 397 BGB. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist angesichts dessen nachvollziehbar, dass bei der Aufrechnung die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, ohne Zustimmung ihres Inhabers zum Erlöschen gebracht wird und auch bei Abtretung und Verpfändung einer Forderung der Inhaber typischerweise von dritter Seite einem entsprechenden Zwang, z.B. die Forderung als Sicherungsmittel einzusetzen, ausgesetzt und damit in der Regel schutzwürdiger ist, als bei einem bloßen Erlassvertrag, der lediglich zwischen den Parteien des jeweiligen Schuldverhältnisses ausgehandelt wird und sich auf dieses Verhältnis beschränkt.

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat im vorliegenden Fall auch nicht die Sittenwidrigkeit des Erlassvertrages gemäß § 138 BGB und damit auch aus diesem Grund nicht dessen Nichtigkeit anzunehmen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Lohnverzicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen würde, wobei der Begriff der guten Sitten durch die herrschende Rechts- und Sozialmoral inhaltlich bestimmt wird. Bei einem Arbeitsverhältnis liegt danach Sittenwidrigkeit immer dann vor, wenn nach dem Gesamtcharakter der Vereinbarung, wie er sich aus deren Inhalt und Zweck sowie den Beweggründen der Beteiligten ergibt, ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des den übermäßigen Vorteil beanspruchenden Vertragsteils zulässt, was jedenfalls dann zutrifft, wenn der Arbeitnehmer mit dem Betriebs- und Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers belastet wird (LAG Berlin, Urt. v. 17. Februar 1997, Az. 9 Sa 124/96, NZA-RR 1997, 371 f.).

Insbesondere letzteres ist hier nicht der Fall. Zwar hat der Kläger vollständig auf die Gegenleistung des Arbeitgebers, den Lohn, verzichtet. Jedoch erfolgte dieser Verzicht erst nachträglich, so dass dem Kläger nicht schon vor dem Erbringen seiner (Arbeits-)Leistung das unternehmerische Risiko seines Arbeitgebers aufgebürdet wurde. Er hatte vielmehr nach dem Inhalt des Verzichts die Wahl, entweder seine bereits entstandenen Lohnansprüche weiter geltend zu machen oder hierauf in der Hoffnung zu verzichten – eine Garantie gab es wie ausgeführt in der Verzichtserklärung nicht –, den Fortbestand des Unterneh-mens in der Zukunft und damit seinen eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Da es sich zudem nur um das Arbeitsentgelt für zwei Monate handelte, die der Kläger nach eigener Angabe aufgrund des Gehaltes seiner Ehefrau im öffentlichen Dienst überbrücken konnte, wurde er durch den Erlassvertrag als solchen nicht in verwerflicher Weise benachteiligt.

Soweit der Kläger darüber hinaus vorträgt, er sei über die wahren Absichten des Arbeitgebers von diesem getäuscht worden, weil dieser niemals beabsichtigt habe, das Arbeitsverhältnis zu sichern, mag dies den Erlassvertrag – wie bereits ausgeführt – anfechtbar machen. Der Vertrag als solcher von seinem Gesamtcharakter her ist deshalb jedoch nicht sittenwidrig, weil das Gesetz für diesen Fall ausreichenden Rechtsschutz bietet. Andernfalls wäre jeder Vertrag, der auf einer wegen arglistiger Täuschung anfechtbaren Willenserklärung beruht, zugleich sittenwidrig und nichtig und das Anfechtungsrecht überflüssig. Soweit der Lohnverzicht schließlich nach der Behauptung des Klägers der Insolvenzver-schleppung gedient haben soll, bis das gesamte Betriebsvermögen auf die neue GmbH übertragen war, führt auch dies nicht zur Sittenwidrigkeit des Erlassvertrages. Denn dieser Umstand berührt, wenn er denn zutreffen sollte, nicht das Verhältnis des Klägers zu seinem Arbeitgeber und benachteiligt deshalb jedenfalls den Kläger als Arbeitnehmer nicht unangemessen, da ihm in diesem Falle der Täuschung das genannte Anfechtungsrecht zusteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved