L 2 U 86/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 151/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 86/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der entfernungsmäßig kürzeste Weg muss stets als unmittelbarer Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gewertet werden, wenn der Versicherte diesen einschlägt. Dies gilt auch dann, wenn (vom Ausgangs- zum Zielpunkt betrachtet) zunächst ein längerer, aber verkehrsgerechter Weg eingeschlagen wurde, dieser verkehrsgerechte Weg jedoch an einem Zwischenpunkt verlassen wurde, um von hier aus den kürzeren Weg zum Zielpunkt zu nehmen.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 16. März 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 09. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2004 aufgehoben und festgestellt, dass das Unfallereignis vom 08. Mai 2002 ein Arbeitsunfall war.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin hat die Beklagte für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung, dass ihr verstorbener Ehemann S. (Versicherter) einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) erlitten hat.

Der im Jahr 1954 geborene Versicherte war als Maurer bei einem Baubetrieb beschäftigt, der zum Unfallzeitpunkt die Baustelle "Tunnel B ". L ..., ... D. ) unterhielt, an der auch der Versicherte mit einem täglichen Arbeitsbeginn um 07:00 Uhr eingesetzt war. Der Versicherte verunfallte am 8. Mai 2002 gegen 06:35 Uhr im Gewerbegebiet Großröhrsdorf. Ausweislich der polizeilichen Ermittlungen befuhr der Versicherte mit seinem PKW bei trockener Fahrbahn die Bretniger Straße aus Richtung Bretnig in Richtung Großröhrsdorf. In einer Zone mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h folgte er in einer Rechtskurve nicht dem Straßenverlauf, sondern fuhr geradeaus in eine Sackgasse und prallte mit der rechten Fahrzeugseite ungebremst gegen mehrere Bäume. Hierbei zog sich der Versicherte tödliche Verletzungen zu. Bei ihm wurde ein Blutalkoholgehalt von 0,00 ‰ festgestellt. Der von der Polizei zeugenschaftlich vernommene M. gab an, er sei etwa 300 Meter vor Beginn der stufenweise von 70 km/h über 50 km/h auf 30 km/h angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung selbst etwa 100 km/h gefahren und von dem Versicherten dabei überholt worden.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. September 2002 die Anerkennung des Ereignisses vom 8. Mai 2002 als Arbeitsunfall sowie die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Wenn sich der Versicherte tatsächlich auf dem direkten Weg von der Wohnung in der Hauptstraße in Eibau zur Baustelle. L. in Dresden befunden habe, sei nicht nachvollziehbar, warum er in Großröhrsdorf verunglückt sei. Der kürzeste Weg führe von Eibau über die Bundesstraße 96 bis Neusalza-Spremberg, weiter über die Bundesstraße 98 bis Bischofswerda und dann über die Bundesstraße 6 nach Dresden-Löbtau. Alternativ käme eventuell noch die Strecke Eibau – Neusalza-Spremberg – Neustadt – Stolpen – Schönfeld-Weißig – Dresden-Löbtau in Betracht. Der verkehrsgerechte Weg führe von Eibau über die Bundesstraße 96, Anschlussstelle Bautzen (West) über die Autobahn 4 bis zur Anschlussstelle Dresden (Altstadt) nach Dresden-Löbtau. Keiner der genannten Wege führe jedoch über Bretnig und Großröhrsdorf. Die Unfallstelle liege südlich der Route über die Autobahn bzw. nördlich der alternativen Fahrtstrecken. Der Versicherte habe sich also zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem unmittelbaren Weg zur Baustelle befunden, sondern auf einem Umweg oder Abweg. Er habe nämlich weder den kürzesten Weg genommen, noch einen längeren, aber verkehrsgerechten. Dieser Weg sei auch nicht durch betriebsbedingte Umstände geboten oder gerechtfertigt gewesen. Ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei daher nicht gegeben.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sich auf dem im Bescheid vom 9. September 2002 angegebenen kürzesten Weg im Unfallzeitpunkt eine Reihe von Baustellen befunden hätten, weshalb auf dieser Strecke mit erheblichen Wartezeiten habe gerechnet werden müssen. Auch die angegebene Alternativroute sei sehr schmal und kurvenreich und größtenteils mit Geschwindigkeitsbegrenzungen versehen. Der Versicherte habe daher den auch von der Beklagten angegebenen verkehrsgerechten Weg über die Autobahn 4 gewählt. Allerdings habe er vermutlich einen längeren Stau umgehen wollen. Nach dem Protokoll des Senders "MDR 1 Radio" sei am Unfalltag auf der A 4 stadteinwärts zwischen Wilsdruff und Dresden-Neustadt ein 5 km langer Stau mit Blockierung beider Autobahnspuren gemeldet worden. Um diesen Stau zu umgehen, sei der Versicherte höchstwahrscheinlich von einer der Abfahrten vor der Abfahrt Wilsdruff – mutmaßlich der Abfahrt Ohorn/Großröhrsdorf – abgefahren, um über die parallel zur Autobahn verlaufende Landstraße zu seinem Arbeitsplatz in Dresden zu kommen. Dabei habe er nicht wissen können, dass diese Landstraße streckenweise gesperrt gewesen sei, so dass eine Umleitung über das Gewerbegebiet Großröhrsdorf geführt habe, in dem sich der Unfall dann ereignet habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. April 2004 zurück. Bei Wahl des verkehrsgerechten Weges habe der Versicherte die Autobahn bis zur Abfahrt 81 benutzen können, um die Auswirkungen des in der Widerspruchsbegründung angesprochenen Staus von Wilsdruff nach Dresden zu umgehen. Es habe keine Veranlassung bestanden, bereits in Ohorn die Autobahn zu verlassen und die Landstraße über Radeberg zu benutzen. Es könne weiterhin dahingestellt bleiben, ob die Behinderungen durch die angesprochenen Baustellen so erheblich gewesen seien, dass es gerechtfertigt gewesen sei, weder den direkten Weg noch die Alternativstrecke zu wählen. Das Vorliegen eines Wegeunfalls könne weiterhin nicht anerkannt werden.

Mit der hiergegen am 17. Mai 2004 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Ergänzend zur Widerspruchsbegründung hat sie darauf hingewiesen, dass von der Ausfahrt Ohorn durch Beschilderung die Landstraße über die Ortschaft Großröhrsdorf als Ausweichstrecke bei Stau empfohlen werde. Die Sperrung auf der Strecke Großröhrsdorf – Radeberg unter Umleitung durch das Gewerbegebiet existiere noch heute. Außerdem ergebe sich aus Zeitungsberichten, dass an der Autobahnabfahrt Dresden-Neustadt in der vorhergehenden Nacht ein Unfall stattgefunden habe, weshalb mit einer mehrstündigen Blockierung der Autobahnausfahrt zu rechnen gewesen sei. Dem Versicherten habe dieser Unfall, z. B. wegen der Unterrichtung mittels eines von ihm betriebenen CB-Funkgerätes, bekannt gewesen sein müssen. Außerdem ergebe sich aus den Verkehrsmeldungen des MDR-Radios, dass auch in Fahrtrichtung des Klägers die A 4 zwischen Dresden-Neustadt und Dresden-Altstadt einspurig wegen eines Unfalls blockiert war. Da diese beiden Abfahrten nur etwa 5 km voneinander entfernt lägen, habe der Versicherte damit rechnen müssen, dass es auch bei der von ihm zu benutzenden Abfahrt Dresden-Neustadt zu weiteren Verkehrsverzögerungen kommen werde. Das Unfallereignis selber sei damit zu erklären, dass dem Versicherten der Straßenverlauf unbekannt gewesen sei und er sehr schnell in Dresden habe sein wollen, um pünktlich auf Arbeit zu sein.

Mit der Klagebegründung hat die Klägerin eine Auskunft des Autobahnpolizeireviers Dresden vom 15. Oktober 2002 vorgelegt. Danach habe es zwar in der Zeit von 05:00 Uhr bis 07:30 Uhr am Unfalltag keine unfallbedingte Vollbesperrung der Autobahn 4 in der Richtungsfahrbahn Görlitz – Dresden/Dresden – Eisenach gegeben. Am Unfalltag seien 18 recherchefähige Maßnahmen bearbeitet worden, darunter eine polizeiliche Maßnahme der Fahrzeugabsicherung direkt in der Anschlussstelle Dresden-Altstadt (mit zähfließendem Abflussverkehr von der Autobahn 4). Weiter wurde darauf hingewiesen, dass die Autobahn 4 im morgendlichen Zeitraum durch einen berufsbedingten Pendlerverkehr stark frequentiert sei, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass es im gesamten Zuständigkeitsbereich zu geringen Stauerscheinungen gekommen sei. Mögliche Stauerscheinungen im Zusammenhang mit etwaigen Tages- und/oder Wanderbaustellen am Unfalltag seien nicht registriert worden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. März 2006 abgewiesen. Der Unfall des Versicherten sei kein versicherter Wegeunfall gewesen, weshalb die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung habe. Es lasse sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Versicherte am 8. Mai 2002 glauben durfte, auf dem Weg über die Landstraße und das Gewerbegebiet Großröhrsdorf schneller oder besser seine Arbeitsstelle erreichen zu können. Jedenfalls sei dies durch objektive Gegebenheiten nicht erklärbar. Die Verkehrsmeldungen des Radios belegten keinen Stau in Richtung Dresden; blockiert sei am Unfalltag lediglich eine Fahrspur in Richtung Bautzen gewesen. Auch wenn der Versicherte am Unfalltag die übliche Strecke zwischen seiner Wohnung und der Baustelle verlassen haben sollte, um eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu benutzen, wäre nicht erklärbar, wieso er dann im Gewerbegebiet Großröhrsdorf den Weg in Richtung Dresden verlassen und im Anschluss mit hoher Geschwindigkeit ungebremst in einer Sackgasse in eine Baumgruppe geraten sei.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 20. April 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Mai 2006 Berufung zum LSG eingelegt. Entgegen den Feststellungen des SG ergebe sich aus den Verkehrsmeldungen des Radios die Blockierung einer Fahrspur in Fahrtrichtung des Versicherten zwischen Dresden-Neustadt und Dresden-Altstadt. Überdies sei auch auf der B 6 stadteinwärts ein Stau ab der A 4 Abfahrt Dresden-Altstadt gemeldet worden, was den Weg des Versicherten bei Benutzung der Abfahrt Dresden-Neustadt auf Grund eines Rückstaus ebenfalls beeinflusst haben würde. Im Übrigen lasse sich aus den polizeilichen Unterlagen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ersehen, dass der Versicherte im Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt gewesen sei.

Der Senat hat eine Auskunft der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien zum genauen Unfallort eingeholt. Nach einer Auskunft des Landratsamtes Kamenz vom 06. Dezember 2007 war vom 14. April 2002 bis 23. August 2002 die durch Großröhrsdorf führende S 158 gesperrt und der Verkehr wurde durch das Gewerbegebiet Großröhrsdorf umgeleitet (Bl. 108-110 LSGG). Das Autobahnamt Sachsen hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, im Mai 2002 sei zwischen den Anschlussstellen Ohorn und Pulsnitz in Fahrtrichtung Dresden eine Bedarfsumleitung (U 18) ausgeschildert gewesen, die u.a. über die S 158 durch Großröhrsdorf geführt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 16. März 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2004 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 08. Mai 2002 um einen Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten erster Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat es das SG abgelehnt, das Unfallereignis vom 8. Mai 2002 als Arbeitsunfall des Versicherten festzustellen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig.

1. Der Versicherte hat am 8. Mai 2002 einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII erlitten.

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), wobei sich der Versicherungsschutz auf das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit erstreckt (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 23/05SGb 2008, 52, 53).

a) Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen; d.h., es muss ein innerer bzw. sachlicher Zusammenhang gegeben sein, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSG, Urteil vom 10. Oktober 2002, Az.: B 2 U 6/02 R m.w.N.). Der innere Zusammenhang ist im Wege einer wertenden Betrachtungsweise zu ermitteln, bei der untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich; bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht angesehen werden können. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund (BSG, a.a.O.).

Der innere Zusammenhang ist bei Wegeunfällen gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach Beendigung dieser Tätigkeit der Erreichung der Wohnung oder eines dritten Ortes dient. Dabei ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zum Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehört. Insbesondere folgt aus dem vom Gesetz geforderten unmittelbaren Zusammenhang zwischen Weg und versicherter Tätigkeit nicht, dass der Versicherte ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zu der Arbeitsstätte geschützt ist (BSG, Urteil vom 11. September 2001- B 2 U 34/00 R- SozR 3-2700 § 8 Nr. 9). Ein vom Versicherten eingeschlagener Weg, der nicht nur unbedeutend länger als der kürzeste Weg ist, ist als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn die Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht des Versicherten dem Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause oder einem anderen, sogenannten dritten Ort zuzurechnen wäre, um etwa eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu benutzen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Ist demnach ein eingeschlagener Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit insbesondere weniger zeitaufwendig, sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger (bei Wahl eines bestimmten Verkehrsmittels) als der entfernungsmäßig kürzeste Weg, steht auch dieser längere Weg unter Versicherungsschutz. Lässt sich allerdings nicht feststellen, ob der Umweg im inneren Zusammenhang mit dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stand oder nur geringfügig war, besteht dagegen kein Versicherungsschutz (BSG, a.a.O.). Wegen der Besonderheiten des Straßen- und Wegenetzes, der unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten und der Vielfalt der Lebenssachverhalte, die bei der Wahl des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit bedeutsam sind, lassen sich keine allgemeingültigen Regeln hinsichtlich der Länge des Weges, der in Anspruch genommen Geh- oder Fahrzeit oder sonstiger einschlägiger Kriterien festlegen. Ob ein gewählter längerer Weg noch ein unmittelbarer Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Ist der gewählte alternative Weg nach und zum Ort der Tätigkeit hinsichtlich Entfernung und Zeit erheblich länger als eine andere alternative Wegstrecke, stellt dies allerdings ein Indiz dafür dar, dass für die Wahl des Weges Gründe maßgebend waren, die wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Je länger und zeitaufwendiger der gewählte alternative Weg daher im Verhältnis zu einem kürzeren und weniger zeitaufwendigen alternativen Weg ist, um so höhere Anforderungen sind an den Nachweis zu stellen, dass der erforderliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg nach oder vom Ort der Tätigkeit besteht (BSG, a.a.O).

Bezogen auf den vorliegenden Fall geht der Senat von Folgendem aus:

aa) Kürzester Weg zwischen dem Wohnort des Klägers und seiner Arbeitsstätte war der von der Beklagten im Ausgangsbescheid aufgeführte Weg über die Bundesstraße 96, die Bundesstraße 98 und die Bundesstraße 6 (nach google maps 79,4 km bei ca. 1 Stunde 36 Minuten Fahrtdauer). Der unter Beachtung der zeitlichen Vorteile bei Nutzung einer Autobahn und des hiermit verbundenen Komforts verkehrsgerechte Weg verlief – wie auch von der Beklagten anerkannt – über die B 96 bis zur Anschlussstelle Bautzen-West, sodann über die A 4 bis zur Ausfahrt Dresden-Neustadt oder Dresden-Altstadt (96,3 km bei 1 Stunde 22 Minuten Fahrtzeit). Es muss davon ausgegangen werden, dass der Versicherte zunächst diesen verkehrsgerechten Weg eingeschlagen, zu irgendeinem Zeitpunkt aus welchen Gründen auch immer jedoch die Autobahn 4 verlassen hat. Ein anderer Geschehensablauf scheidet aufgrund des Unfallzeitpunktes und des Unfallortes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus. Bei lebensnaher Betrachtung ist auch davon auszugehen, dass der Versicherte die Autobahn nicht sehr weit vor dem Unfallort verlassen hat. Es erscheint nämlich fernliegend, dass er sich geraume Zeit nur wenige Kilometer südlich parallel zur Autobahn auf einer nachgeordneten Straße fortbewegt hat. Am plausibelsten erscheint dem Senat daher ein Verlassen der Autobahn an der Anschlussstelle 86 (Ohorn).

Hierzu haben die Ermittlungen des Senates mit Hilfe des erwähnten Routenplaners ergeben, dass die Entfernung vom Wohnort über die B 96 auf die A 4, diese an der Anschlusstelle Ohorn verlassend, über die S 158 durch Großröhrsdorf und weiter über die S 95 und die B6 bis zum Zielpunkt 94,3 km beträgt (Fahrtzeit 1 Stunde 43 Minuten). Nimmt man die Anschlussstelle Ohorn als Ausgangspunkt, so ergibt sich bei einem Weg über die A 4 eine Strecke von 36,1 Km und eine Fahrtzeit von 26 Minuten bis zum Zielort; über Großröhrsdorf (S 158), die S 95 und die B6 eine Strecke von 32,6 km bei 44 Minuten Fahrtzeit. Zusammengefasst bedeutet dies, dass ein Verlassen der A4 an der Anschlussstelle Ohorn sogar zu einem kürzeren Wege als die Fortsetzung der Fahrt auf der A 4 führt und die Fahrtzeit sich hierdurch nur um etwa 20 Minuten verlängert. Bei dieser Sachlage bedarf es nach Auffassung des Senates keines weitergehenden Motivs des Versicherten, um an dieser Stelle vom verkehrsgerechten Weg abzuweichen: der eingeschlagene Weg ist nämlich schlicht kürzer. Der entfernungsmäßig kürzeste Weg muss aber stets als unmittelbarer Weg gewertet werden, wenn der Versicherte diesen einschlägt. Dies gilt nach Auffassung des Senats auch dann, wenn (vom Ausgangs- zum Zielpunkt betrachtet) zunächst ein längerer, aber verkehrsgerechter Weg eingeschlagen wurde, dieser verkehrsgerechte Weg jedoch an einem Zwischenpunkt verlassen wurde, um von hier aus den kürzeren Weg zum Zielpunkt zu nehmen.

bb) Unabhängig hiervon erschien dem Senat aber auch die Deutung der Klägerin durchaus plausibel, der Versicherte habe aus verkehrsbedingten Gründen die Autobahn verlassen. Dabei kommt es nicht darauf an, wann an welcher Stelle ein konkretes den Verkehrsfluss beeinträchtigendes Ereignis stattgefunden hat, zumal spekulativ ist, ob der Versicherte hiervon erfahren und seinen Weg daran ausgerichtet hat. Hingewiesen sei aber trotzdem darauf, dass die von der Klägerin vorgelegten Verkehrsmeldungen im Rundfunk entgegen den Feststellungen des SG durchaus erkennen lassen, dass es auf der Autobahn 4 in Fahrtrichtung des Klägers am Unfalltag Verkehrsstörungen gab. So heißt es nämlich, zwischen Dresden-Neustadt und Dresden-Altstadt sei eine Fahrspur nach einem Unfall blockiert gewesen. Zwar lässt sich der genaue Zeitpunkt dieser Verkehrsmeldung nicht mehr ermitteln. In der Zusammenschau mit der Auskunft der Autobahnpolizeidirektion zum generell hohen Verkehrsaufkommen auf der Autobahn 4 im Berufsverkehr und der hierdurch (immer) möglichen Stauerscheinungen lassen es die von der Klägerin zusammengetragenen Indizien jedoch durchaus als plausibel erscheinen, dass der Versicherte ein hohes Verkehrsaufkommen oder eine staubedingte Verzögerung auf der Autobahn 4 durch Wahl einer Alternativroute umgehen wollte. Diese würde den Fahrtweg des Versicherten, der freilich aufgrund der kürzeren Entfernung zum Zielpunkt keiner besonderen Rechtfertigung bedarf, zusätzlich erklären.

cc) Eines rechtfertigenden Grundes bedarf hingegen das Verlassen des dann direkten Weges über die S 158 durch Großröhrsdorf und die Wahl einer Route durch das Gewerbegebiet von Großröhrsdorf. Einen solchen Grund haben indes die Ermittlungen des Senates zu Tage gefördert. Nach der Auskunft des Autobahnamtes Sachsen war im Mai 2002 zwischen den Anschlussstellen Ohorn und Pulsnitz in Fahrtrichtung Dresden eine Bedarfsumleitung (U 18) ausgeschildert gewesen, die u.a. über die S 158 durch Großröhrsdorf geführt hat. Wenn der Versicherte also die A4 an der Anschlussstelle Ohorn verlassen hat und er der Beschilderung der Bedarfsumleitung gefolgt ist oder unabhängig hiervon den unmittelbaren Weg zum Zielpunkt eingeschlagen hat, so führte ihn dieser Weg über die S 158 durch Großröhrsdorf. Nach der Auskunft des Landratsamtes Kamenz war jedoch von April bis August 2002 die durch Großröhrsdorf führende S 158 gesperrt und der Verkehr wurde durch das Gewerbegebiet Großröhrsdorf umgeleitet. Hierdurch erklärt sich, wie und aus welcher Richtung der Versicherte zum Unfallort gelangt ist.

dd) Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass keine Indizien dafür vorliegen, dass für die Wahl der Wegstrecke private Gründe des Versicherten maßgebend waren. Hier spricht insbesondere der Unfallzeitpunkt (06:35 Uhr) und der Arbeitsbeginn (07:00 Uhr) dafür, dass der Versicherte keine eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten in seinen Weg zur Arbeit eingebaut hat.

ee) In der Zusammenschau dieser Umstände gehörte die Wahl eines Weges zur Arbeitsstätte über die Ortslage Großröhrsdorf und den Unfallort daher nach Ansicht des Senates noch zum versicherten unmittelbaren Weg des Versicherten, so dass der innere Zusammenhang des Unfallereignisses zur versicherten Tätigkeit gegeben ist.

b) Auch die Unfallkausalität, also der Zusammenhang zwischen dem der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Weg als Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis, ist trotz der Umstände des Unfalls zu bejahen.

Für diesen Zusammenhang gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung, nach der auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend in einem zweiten wertenden Schritt als rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 23/05SGb 2008, 52, 53). Typische Fallgestaltungen, in denen die Unfallkausalität näherer Erörterung bedarf, sind die Fälle einer möglichen inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr, in denen neben die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzutritt. Dabei wird die Unfallkausalität zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis vermutet, weil oft kein Grund zu erkennen ist, warum sich der Unfall gerade jetzt und so zugetragen hat. Deshalb ist die für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderliche Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis stets gegeben, wenn außer dem kausalen Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten. Kann eine in Betracht zu ziehende Konkurrenzursache in ihrer Grundvoraussetzung nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als Ursache aus (BSG, a.a.O.). Erst wenn eine solche konkurrierende Ursache neben der versicherten Ursache als naturwissenschaftliche Bedingung für das Unfallereignis festgestellt wurde, ist in einem zweiten Prüfungsschritt wertend zu entscheiden, ob die versicherte Ursache wesentlich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ist (BSG a.a.O.).

Vorliegend scheidet ein Alkoholkonsum als konkurrierende (Mit-)Ursache (vgl. hierzu Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Anm. 9.2 m.w.N.) angesichts des festgestellten Blutalkoholgehalts von 0,00 ‰ aus. Ebensowenig bestehen Anhaltspunkte für eine anderweitig bedingte Fahruntüchtigkeit.

Auch eine kausalitätsunterbrechende sogenannte "selbstgeschaffene Gefahr" (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Anm. 9.5) liegt nicht vor. Der Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eng auszulegen und nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – m.w.N.). Der Gesetzgeber hat den Begriff des Arbeitsunfalls nämlich unabhängig vom Verschulden des Versicherten festgelegt. Insbesondere schließt nach § 7 Abs. 2 SGB VII selbstgefährdendes oder verbotswidriges Verhalten den Versicherungsschutz grundsätzlich nicht aus. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden kommt, gibt es daher nicht (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R -). Auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R; Urteil vom 04. September 2007 – B 2 U 28/06 R). Dabei hat das BSG stets klargestellt, dass ein solches Verhalten den Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausschließt, wenn der Versicherte ausschließlich betriebliche Zwecke verfolgt; die selbstgeschaffene Gefahr bekommt also erst dann Bedeutung, wenn ihr betriebsfremde Motive zugrunde liegen (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1957 – 2 RU 270/55, BSGE 6, 164, 169; Urteil vom 05. August 1976 – 2 RU 231/74, BSGE 42, 129, 133; Urteil vom 02. November 1988 – 2 RU 7/88, BSGE 64, 159, 161; Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R- zitiert nach Juris). Demzufolge vermag der Grad des Verschuldens des Versicherten an dem Unfallgeschehen den Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit allein nicht zu beseitigen (BSG, Urteil vom 28. April 2982 – 2 RU 10/81 – Rn. 13, zitiert nach Juris).

Vorliegend lassen sich keine verlässlichen Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeit im Unfallzeitpunkt und zu deren Auswirkung auf das Unfallgeschehen mehr treffen. Die Aussage des polizeilich vernommenen Zeugen M ergibt allenfalls (ungefähre) Anhaltspunkte für die Geschwindigkeit des Versicherten vor Beginn der Geschwindigkeitsbegrenzungen. Unabhängig hiervon ist jedoch nicht feststellbar, dass eine etwaige überhöhte Geschwindigkeit von betriebsfremden Zwecken des Versicherten getragen war. Gleiches gilt für ein unterbliebenes Abbremsen vor der Kurve. Auch insoweit muss mangels feststehender gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass betriebliche Zwecke (Zurücklegen des Wegs zur Arbeitsstelle) verfolgt worden sind.

Auch ein etwaiges verbotswidriges Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes (§ 21 a StVO) kann nicht als selbstgeschaffene Gefahr die Unfallkausalität in Frage stellen. Sofern – wie hier – andere Anhaltspunkte (z.B. Suizidabsicht) fehlen, stellt das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes zwar eine (grob) fahrlässige Gedankenlosigkeit dar, nicht jedoch werden damit eigenwirtschaftliche und betriebsfremde Zwecke verfolgt, die die Unfallkausalität in Frage stellen könnten (BayLSG, Urteil vom 05. Mai 1988 – L 7 V 334/84 SVG, Breith. 1988, 947, 950; BSG, Urteil vom 16. März 1982 – 91/9 RV 40/81 – freilich ebenfalls zum Versorgungsrecht und vor dem Hintergrund der erst kurz vor dem Unfall eingeführten Anschnallpflicht).

c) Am Vorliegen der haftungsbegründenden Kausalität, also dem Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Tod des Versicherten bestanden keine Zweifel, so dass es sich bei dem Ereignis vom 08. Mai 2002 um einen Arbeitsunfall handelt.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage des versicherten Weges in der vorliegenden Konstellation zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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