L 3 AS 303/15

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 4923/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 303/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ob eine vollständige Aufhebung oder eine lediglich teilweise Aufhebung im Sinne von § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II (in der vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung; seit 1. April 2011: § 40 Abs.4 Satz 2 SGB II) vorliegt, ist anhand der Höhe der monatlich bewilligten Leistungen zu beurteilen.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 18. November 2014 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der vom Kläger für den Leistungszeitraum Februar bis April 2008 zu erstattenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II).

Der Kläger bezog seit dem Jahr 2005 ergänzend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zum 1. Januar 2008 machte er sich als Messe- und Ausstellungsbauer selbständig. Nachdem sich aus den Angaben des Klägers für Januar 2008 ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 306,15 EUR und für die Folgemonate ein den Bedarf übersteigendes anrechenbares Einkommen ergab, änderte der Beklagte mit Bescheid vom 1. April 2008 die Leistungsbewilligung unter Aufhebung des den Zeitraum Dezember 2007 bis Mai 2008 regelnden Bewilligungsbescheides vom 23. November 2007 dahingehend, dass für den Monat Januar 2008 ein Anspruch in Höhe von 306,03 EUR, davon 265,18 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung (zuvor 612,18 EUR, davon 235,36 EUR Kosten für die Unterkunft und 38,00 EUR Kosten der Heizung abzüglich 8,18 EUR Warmwasserpauschale) bewilligt wurden. Ab dem 1. Februar 2008 bestehe kein Anspruch mehr. Der vom Kläger für den Zeitraum Januar 2008 bis April 2008 zu erstattende Betrag wurde auf 2.142,69 EUR festgesetzt. Darin waren als Unterkunftskosten für Januar 2008 "0,00 EUR" und für Februar bis März jeweils 265,18 EUR enthalten.

Den vom Kläger dagegen geführten Widerspruch vom 25. April 2008 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 zurück.

Auf die Klage vom 17. Juli 2013 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 18. November 2014 den Bescheid vom 1. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2013 antragsgemäß dahingehend abgeändert, dass lediglich ein Betrag in Höhe von 1.747,29 EUR zu erstatten ist. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen seien insoweit rechtswidrig, als für die Monate Februar 2008 bis April 2008 ein monatlich 480,38 EUR übersteigender Betrag, mithin ein 1.747,29 EUR übersteigender Gesamtbetrag zurückgefordert wurde. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II i. d. F. vom 20. Juli 2006 seien abweichend von § 50 des Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) 56 vom Hundert der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II sowie § 28 SGB II berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten. § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II a. F. habe gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II a. F. nicht in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wurde, gegolten. Die Ausnahme von § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II sei so zu verstehen, dass sie nur dann greife, wenn die Bewilligung für einzelne Leistungsmonate nur teilweise aufgehoben werde. Dies ergebe sich bereits aus der dem SGB II immanenten Gesetzessystematik, denn hier gelte das Monatsprinzip. § 41 Abs. 1 SGB II lege die Zahlungsabschnitte für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf einen Monat fest. Dies gelte für alle Leistungen nach den §§ 19 bis 29 SGB II, soweit sie regelmäßig monatlich zu zahlen seien. Betont werde dies noch einmal in der Formulierung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, der die Regelleistung ausdrücklich als Monatsleistung ausweise. Diese Auslegung entspreche auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Durch den teilweisen Ausschluss der Erstattungspflicht für bezogene Leistungen nach dem SGB II habe gewährleistet werden sollen, dass die Empfänger dieser Leistung nicht schlechter gestellt würden als sie stünden, wenn sie für die betreffenden Monate Wohngeld erhalten hätten. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

Dagegen richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 27. März 2015 (Az. L 3 AS 1449/14 NZB) zugelassene Berufung des Beklagten. Er vertritt die Auffassung, dass von einer vollständigen Aufhebung im Rahmen des § 40 Abs. 2 SGB II a. F. erst dann ausgegangen werden könne, wenn die Leistungsbewilligung im gesamten Leistungszeitraum aufgehoben worden sei. Da die dem Kläger mit Bescheid vom 23. November 2007 bewilligten Leistungen für den Monat Dezember 2007 nicht aufgehoben worden seien, liege nur eine teilweise Aufhebung der Bewilligung vor.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts vom 18. November 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichtes für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zugelassene Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 1. April 2008 und der Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Verwaltungsentscheidungen aufgehoben, soweit die Erstattung von mehr als 1.747,29 EUR festgesetzt wurde. Der Senat sieht, vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen zum Verlauf des Berufungsverfahrens, von einer weiteren Begründung ab und verweist auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils erster Instanz (vgl. § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Ob eine vollständige Aufhebung oder eine lediglich teilweise Aufhebung im Sinne von § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II (in der vom 1. April 2006 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung, vgl. Artikel 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 24. März 2006 [BGBl. I S. 558]; seit 1. April 2011: § 40 Abs. 4 Satz 2 SGB II) vorliegt, ist anhand der Höhe der monatlich bewilligten Leistungen zu beurteilen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juli 2013 – L 3 AS 2083/11 – juris Rdnr. 37; vgl. auch Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [4. Aufl., 2015], § 40 Rdnr. 158; Conradis, in: Münder [Hrsg.], SGB II [5. Aufl., 2013], § 40 Rdnr. 33; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II [Stand: Erg.-Lfg. VI/2015, Juni 2015], § 40 Rdnr. 733). Damit ist ausgeschlossen, in der vollständigen Aufhebung der Leistungen für einen Teilzeitraum des gesamten Bewilligungsabschnittes eine teilweise Aufhebung der Bewilligung (insgesamt) zu sehen (a. A. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Juni 2012 – L 12 AS 1764/11 – juris Rdnr. 30).

Dies ergibt sich aus Folgendem: Leistungen für Unterkunft und Heizung sind grundsätzlich monatsweise zu bewilligen. § 41 Abs. 1 SGB II legt die Zahlungsabschnitte für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf einen Monat fest (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 – B 14/7b AS 14/07 R – juris Rdnr. 23, m. w. N.). Dies gilt für alle Leistungen nach den §§ 19 bis 29 SGB II, soweit sie regelmäßig monatlich zu zahlen sind. Betont ist dies noch einmal in der Formulierung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, der den Regelbedarf (bis zum 31. Dezember 2010: die Regelleistung) ausdrücklich als Monatsleistung ausweist. § 30 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung; seit 1. Januar 2011: § 11b Abs. 3 SGB II) sah vom monatlichen Erwerbseinkommen abzusetzende Freibeträge vor. Mit der Ausgestaltung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts korreliert die monatsweise Berücksichtigung von Einkommen, wie sie in § 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung [Alg II-V]) vom 20. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2622) vorgesehen war und seit 1. April 2011 in § 11 Abs. 3 SGB II vorgesehen ist. Auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II unterfallen dem Anwendungsbereich des § 41 SGB II. Jedenfalls die regelmäßig in monatlich gleichbleibenden Beträgen entstehenden Kosten der Unterkunft wie die Miete begründen einen monatsweise zu berechnenden Bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 – B 14 AS 13/08 RSozR 4-4200 § 22 Nr. 22 = juris Rdnrn. 14, 15). Enthalten damit die Bewilligungsbescheide für jeden Monat des Bewilligungszeitraums einen selbständigen Verfügungssatz, wird bei einer vollständigen Leistungsaufhebung für einen oder mehrere Monate die bewilligte Leistung nicht reduziert, sondern vollständig aufgehoben. Auch nach seinem Sinn und Zweck ist § 40 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II a. F. (nunmehr § 40 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II) in diesem Fall nicht einschlägig, weil die betroffene Person in dem von der vollständigen Leistungsaufhebung betroffenen Monat nicht vom Wohngeld ausgeschlossen gewesen wäre.

Dieser rechtliche Ansatz wird vom Bundessozialgericht, wenngleich in einer eher beiläufigen Bemerkung, geteilt. Im Urteil vom 2. Dezember 2014 hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass von einer lediglich teilweisen Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld im Sinne von § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II a. F. nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Regelungssystematik dann auszugehen sei, wenn auch nach der Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld weiter ein (Rest-) Anspruch auf eine dieser Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft zuerkannt geblieben sei (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 56/13 R – juris Rdnr. 13). Demgemäß werde eine Bewilligung von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld dann im Sinne der Vorschrift lediglich teilweise aufgehoben, wenn in die Berechnung auch ihres fortbestehenden Teils für den maßgeblichen Zeitabschnitt weiter Bedarfe für Unterkunft eingegangen seien. Das sei jedenfalls immer dann der Fall, wenn im Berechnungsbogen auch zum Änderungsbescheid Bedarfe für Unterkunft eingestellt sind (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, a. a. O., Rdnr. 15).

Dem ist zwangslos zu entnehmen, dass das Bundessozialgericht bei der Beantwortung der Frage, ob (lediglich) eine Teilaufhebung vorliegt, nicht den gesamten Bewilligungsabschnitt in den Blick nimmt. Zunächst unterscheidet das Bundessozialgericht, indem es von dem "fortbestehenden Teil" einer Bewilligung spricht, zwischen Teilzeiträumen, in denen weiterhin ein Anspruch besteht, und Teilzeiträumen, für die der Anspruch entfallen ist. Innerhalb des fortbestehenden Teils der Bewilligung prüft das Bundessozialgericht sodann, ob im "maßgeblichen Zeitabschnitt" weiter ein Bedarf für Unterkunft berücksichtigt wurde. Zwar wird in der Entscheidung nicht weiter dargelegt, durch welche Eigenschaften ein "maßgeblicher Zeitabschnitt" bestimmt ist. Wenn aber innerhalb eines Bewilligungszeitraums ein "maßgeblicher" Zeitabschnitt besteht, gibt es denknotwendig auch einen nicht maßgeblichen Abschnitt. Sind damit unterschiedliche Zeitabschnitte innerhalb eines Bewilligungszeitraums gesondert zu betrachten, kann dies, weil das Gesetz eine andere Rasterung nicht vorsieht, nur monatsweise geschehen. Demgemäß wird eine Bewilligung von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld dann lediglich teilweise im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB II a. F. aufgehoben, wenn in dem jeweils zu betrachtenden Monat weiter ein Bedarf für Unterkunft in die Berechnung eingegangen ist. Das ist vorliegend bei den Monaten Dezember 2007 und Januar 2008 der Fall, nicht aber bei den Monaten Februar bis April 2008, für die nach der Änderung mit Bescheid vom 1. April 2008 kein Anspruch mehr bestand.

II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

III. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Dr. Scheer Schuler Höhl
Rechtskraft
Aus
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