L 5 RS 616/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 37 RS 414/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RS 616/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Geltendmachung zusätzlicher Arbeitsentgelte in Form von Jahresendprämien

Den Zufluss der Jahresendprämien hat die Klägerin nicht nachgewiesen, jedoch durch die schriftliche Befragung von Zeugen und Vorlage positiver Leistungseinschätzungen des ehemaligen Beschäftigungsbetriebes glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der Höhe der Zahlungen ist eine Glaubhaftmachung
nicht gelungen. Insoweit macht das Gericht von seiner im Rahmen der Einzelfallwürdigung nach § 202 SGG in Verbindung mit § 287 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 ZPO gegebenen Möglichkeit der Schätzung Gebrauch.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 1. Juli 2014 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2013 sowie unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 6. März 2006 verurteilt, weitere Arbeitsentgelte im Rahmen der festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben wie folgt festzustellen: Zuflussjahr Höhe 1978 337,04 1979 487,48 1980 554,09 1981 594,73 1982 631,46 1983 634,62 1984 552,43 1985 646,33 1986 630,21 1987 641,11 1988 696,01 1989 671,05 1990 836,06 Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 5/6.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Wege des Überprüfungsverfahrens darüber, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für die Klägerin im Zeitraum 1. Oktober 1977 bis 30. Juni 1990, der als Zeit ihrer Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) anerkannt ist, höhere Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung von Jahresendprämien festzustellen.

Der 1951 geborenen Klägerin wurde mit Urkunde vom 26. Oktober 1977 das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieurökonom" verliehen (Bl. 7 Verwaltungsakte). Ab dem 1. Januar 1977 war sie als Mitarbeiterin im Büro für Neuererwesen und Schutzrechtsarbeit (BfN) im VEB Bau- und Montagekombinat Kohle und Energie, Kombinatsbetrieb Industriebau D (nachfolgend: VEB) tätig (vgl. Änderungsvertrag vom 8. Februar 1977, Bl. 25 Verwaltungsakte). Von April 1985 bis März 1988 übte sie die Funktion der stellvertretenden Leiterin des BfN (vgl. Änderungsvertrag vom 15. März 1985, Bl. 20 Verwaltungsakte) und ab April 1988 die der Leiterin aus (vgl. Mitteilungen vom 7. und 13. April 1988, Bl. 16 Rs. und 17 Verwaltungsakte). Mit Feststellungsbescheid vom 6. März 2006 (Bl. 4 Verwaltungsakte II) stellte die Beklagte den Zeitraum 1. Oktober 1977 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach Anlage 1 zum AAÜG mit entsprechenden Arbeitsentgelten fest. Mit Überprüfungsantrag vom 14. Mai 2010 begehrte die Klägerin die Berücksichtigung weiterer Entgelte in Form von Jahresendprämien (Bl. 7 Verwaltungsakte II). Nachdem die Rhenus Office Systems GmbH sowie die W Bau AG (als Nachfolgeunternehmen des VEB) mit Schreiben vom 20. Januar 2011 bzw. 23. Februar 2012 mitgeteilt hatten, dass Unterlagen über Prämien und Sonderzahlungen nicht mehr vorhanden sind (Bl. 17 und 23 Verwaltungsakte II), lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21. März 2012 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2013 ab. Der Zufluss von Jahresendprämien sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht.

Mit ihrer am 6. März 2013 vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Gericht hat die von der Klägerin benannten Zeugen W , K und T schriftlich zur Zahlung von Jahresendprämien im VEB befragt. Die Zeugen W und K gaben an, jeder Mitarbeiter im VEB habe eine Jahresendprämie erhalten, wobei die konkrete Höhe der an die Klägerin ausgezahlten Prämien nicht angegeben werden könne. Die Zeugin T gab an, Jahresendprämien seien von 1968 bis 1989 nicht jedes Jahr gezahlt worden und hätten Schwankungen unterlegen. Die Zeugin K hat zudem diverse Unterlagen zur Akte gereicht, darunter Erläuterungen des Streifens zur Auszahlung von Jahresendprämien in den Jahren 1985, 1987 und 1988 und Schreiben zur Überreichung von Jahresendprämien in den Jahren 1980, 1987, 1988 und 1989 sowie Hinweise zur Errechnung der Jahresendprämie für das Jahr 1988.

Mit Urteil vom 1. Juli 2014 hat das Sozialgericht Dresden die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe die Höhe der Jahresendprämien weder nachweisen noch glaubhaft machen können.

Gegen das am 3. Juli 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28. Juli 2014 Berufung eingelegt. Die Angaben der Zeugen ließen genügend Anhaltspunkte erkennen, die eine Zahlung von Jahresendprämien wahrscheinlich machten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2013 sowie unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 6. März 2006 zu verurteilen, Jahresendprämien für die Jahre 1978 bis 1990 als zusätzliche Entgelte im Rahmen der Zusatzversorgungszeiten festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Dem Gericht lagen die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte beider Rechtszüge vor, worauf zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zu einem großen Teil begründet. Das Sozialgericht Dresden hat die Klage mit Urteil vom 1. Juli 2014 zu Unrecht abgewiesen, soweit die Klägerin im tenorierten Umfang die Feststellung höherer Arbeitsentgelte unter Berücksichtigung gezahlter Jahresendprämien begehrt. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2013 ist (insoweit) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Beklagte hat den Überprüfungsantrag der Klägerin nach § 44 SGB X zu Unrecht abgelehnt, weil die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 SGB X vorliegen. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der Feststellungsbescheid der Beklagten vom 6. März 2006 ist dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1978 bis 1990 aufgrund zu berücksichtigender Jahresendprämien höhere Arbeitsentgelte festzustellen sind.

Gemäß § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversor-gungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volksei-genen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ähnlichen und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführenden (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 - SozR 3-8570 § 8 Nr. 2) Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit Feststellungsbescheid vom 6. März 2006 die Zeit vom 1. Oktober 1977 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Weitere Entgelte in Form von Jahresendprämien hat die Beklagte zu Unrecht nicht berücksichtigt.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeits-entgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist dabei dem Entgeltbegriff im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG der bundesdeutsche Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 4/06 R –, SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 – juris Rn. 25 m.w.N.)

1. Arbeitsentgelt in diesem Sinne sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch die in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) an Arbeitnehmer rechtmäßig gezahlte Jahresendprämien, weil es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die von dem Werktätigen im jeweiligen Planjahr erbrachte Arbeitsleistung handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und sozialversicherungspflichtig gewesen ist (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 – juris Rn. 21 ff.). Denn der Gesetzestext des § 6 Abs. 1 S. 1 AAÜG besagt, dass den Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 AAÜG als Verdienst (§ 256a SGB VI) unter anderem das "erzielte Arbeitsentgelt" zugrunde zu legen ist. Aus dem Wort "erzielt" folgt nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 S. 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln musste, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden ist. In der DDR konnten die Werktätigen unter bestimmten Voraussetzungen Prämien als Bestandteil ihres Arbeitseinkommens bzw. -entgelts erhalten, die im Regelfall mit dem Betriebsergebnis verknüpft waren und eine leistungsstimulierende Wirkung ausüben sollten. Lohn und Prämien waren "Formen der Verteilung nach Arbeitsleistung" (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2007, a.a.O. Rn. 30 unter Verweis auf: Arbeitsrecht - Lehrbuch, herausgegeben von einem Autorenkollektiv, Staatsverlag der DDR, Berlin 1983, S. 193). Die Prämien wurden aus einem zu bildenden Betriebsprämienfonds finanziert, wobei die Voraussetzungen ihrer Gewährung in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart werden mussten. Über ihre Gewährung und Höhe entschied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung nach Beratung im Arbeitskollektiv. Diese allgemeinen Vorgaben galten für alle Prämienformen (§ 116 des Arbeitsgesetzbuches der DDR [AGB-DDR]) und damit auch für die Jahresendprämie (§ 118 Abs. 1 und 2 AGB-DDR). Sie diente als Anreiz zur Erfüllung und Übererfüllung der Planaufgaben, war bezogen auf das Planjahr und hatte den Charakter einer Erfüllungsprämie. Nach § 117 Abs. 1 AGB-DDR bestand ein "Anspruch" auf Jahresendprämie, wenn - die Zahlung einer Jahresendprämie für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war, - der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatte und - der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs war (BSG, Urteil vom 23. August 2007, a.a.O. Rn. 31).

Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämie gezahlt wurden, hing davon ab, dass der Empfänger die Voraussetzungen der §§ 117, 118 AGB-DDR erfüllt hatte. Hierfür und für den Zufluss trägt er die objektive Beweislast. Mithin wird deutlich, dass die Zahlung von Jahresendprämien von mehreren Voraussetzungen abhing. Die Klägerin hat, um eine Feststellung zusätzlicher Entgelte beanspruchen zu können, nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, dass alle diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt gewesen sind und zusätzlich, dass ihr ein bestimmter, berücksichtigungsfähiger Betrag auch zugeflossen, also tatsächlich gezahlt worden ist.

Nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht hierbei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei ist neben dem Vollbeweis, d.h. der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte aus Jahresendprämien gegeben. Dies kann aus der Vorschrift des § 6 Abs. 6 AAÜG abgeleitet werden, wonach, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt wird (st. Rspr. des 5. Senats des LSG Chemnitz, vgl. u.a. Urteile vom 21. Juli 2015 – L 5 RS 668/14 –, vom 12. Mai 2015 – L 5 RS 424/14 – und vom 28. April 2015 – L 5 RS 450/14 – sowie LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 2014 – L 33 R 151/13 – juris Rn. 38).

Die Klägerin hat den Zufluss von Jahresendprämien in den Jahren 1978 bis 1990 (für die Beschäftigungsjahre 1977 bis 1989) zwar nicht nachgewiesen, jedoch glaubhaft gemacht. Die Höhe der Jahresendprämien hat sie weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Der Senat macht hierbei von der Möglichkeit der Schätzung Gebrauch.

2. Der Zufluss der Jahresendprämien konnte nicht nachgewiesen, jedoch glaubhaft gemacht werden.

a) Die Klägerin verfügt nicht über die Quittungen, auf denen die Auszahlung der jeweiligen Prämie bestätigt wurde. Auch blieb die Anfrage der Beklagten bei der Rhenus Office Systems GmbH und der W Bau AG erfolglos, weil dort keine Nachweise über Prämienzahlungen vorhanden sind. Andere Nachweise in Form von Lohnunterlagen oder ähnlichen Materialien konnte die Klägerin ebenfalls nicht vorlegen.

b) Sie konnte den Zufluss der Prämien jedoch glaubhaft machen. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Urteil vom 22. September 1977 – 10 RV 15/77 – BSGE 45, 9 ff – juris Rn. 32, Urteil vom 17. Dezember 1988 – 12 RK 42/80 – BSG SozR 5070 § 3 Nr. 1 – juris Rn. 26 und Beschluss vom 10. August 1989 - 4 BA 94/89 – juris Rn. 7). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Vielmehr genügt es, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben – Vollbeweis und hinreichende Wahrscheinlichkeit – reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist aufgrund der Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, SozR 3-1500 § 160a Nr. 33, SozR 3-1500 § 170 Nr. 9 – juris Rn. 5). Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Klägerin glaubhaft gemacht, dass die oben genannten Voraussetzungen für den Bezug der Jahresendprämien vorlagen und sie sie jeweils erhalten hat.

(a) Ausweislich der Änderungsverträge vom 8. Februar 1977, 15. März 1985, der Mitteilung vom 23. Mai 1990, wonach das Gehalt der Klägerin im VEB mit Wirkung vom 1. Mai 1990 neu festgelegt wird (vgl. Bl. 26 Verwaltungsakte II) sowie aus den Eintragungen in ihrem Sozialversicherungsausweis war die Klägerin während der gesamten Jahre 1977 bis 1989 im VEB beschäftigt, was nach § 117 Abs. 1 Voraussetzung 3 AGB-DDR für den Anspruch auf Zahlung einer Jahresendprämie vorausgesetzt war.

(b) Glaubhaft gemacht ist auch, dass die Zahlung von Jahresendprämien für das Arbeitskollektiv, dem die Klägerin angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war sowie die Klägerin und ihr Arbeitskollektiv die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt haben, § 117 Abs. 1 Voraussetzungen 1 und 2 AGB-DDR.

Zum einen sprechen hierfür die in der DDR geltenden gesetzlichen Regelungen im AGB-DDR, das in den §§ 28 ff. einen eigenen Abschnitt für den Betriebskollektivvertrag enthielt. Nach § 28 Abs. 1 AGB-DDR war er zwischen dem Betriebsleiter und der Betriebsgewerkschaftsleitung abzuschließen, was mithin zwingend vorgesehen war. Nach Absatz 1 Satz 3 dieser Vorschrift sind darin u.a. die arbeitsrechtlichen Regelungen zu treffen, die "entsprechend den Rechtsvorschriften" in ihm zu vereinbaren sind, wozu nach § 118 Abs. 1 AGB-DDR auch die Voraussetzungen für die Gewährung und die Höhe der Jahresendprämien gehörten. Dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Jahresendprämien in den jeweiligen Betriebskollektivverträgen zwingend zu vereinbaren bzw. festzulegen waren, ergibt sich zudem aus den diese Festlegungen konkretisierenden Verordnungen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe im Jahr 1972 - Prämienfond-VO 1972 – (GBl. DDR II S. 49), die durch die Zweite Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe vom 21. Mai 1973 (GBl. DDR I S. 293) geändert wurde, und § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 der Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe – Prämienfond-VO 1982 – (BGl. DDR I S. 595) ist die Verwendung des Prämienfonds in den Betriebskollektivverträgen zu vereinbaren. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Spiegelstrich 2 Prämienfond-VO 1972 bzw. § 8 Abs. 3 Satz 3 Spiegelstrich 4 Prämienfond-VO 1982 ist dabei u.a. zu vereinbaren, unter welchen Voraussetzungen Jahresendprämien als Form der materiellen Interessiertheit der Werktätigen an guten Wirtschaftsergebnissen des Betriebes im gesamten Planjahr angewendet werden.

Aufgrund der schriftlichen Angaben der Zeugen W , K und T ist zudem glaubhaft gemacht, dass die Klägerin und das Arbeitskollektiv, dem sie angehörte, die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt haben (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 2 AGB-DDR). Zwar gab die Zeugin T an, von 1968 bis 1989 seien nicht jedes Jahr Jahresendprämien gezahlt worden. Die Zeugen W und K gaben jedoch übereinstimmend an, jeder im Betrieb habe eine Jahresendprämie erhalten. Der Zeuge W war Angestellter im VEB und Kollege der Klägerin in der Abteilung Neuererwesen. Er gab an, an jeden Mitarbeiter – gleich, ob Produktionsarbeiter oder Angestellter – seien Jahresendprämien (im ersten Quartal des Folgejahres) ausgezahlt worden. Auch die Klägerin habe, solange sie dem Betrieb angehört habe, Jahresendprämien erhalten. Es sei üblich gewesen, dass Jahresendprämien gezahlt wurden, wobei für die Höhe das Betriebsergebnis ausschlaggebend gewesen sei. Sie habe im Schnitt zwischen 70 und 80% des Monatsgehaltes betragen. Die Zeugin K war ab Mai 1977 im VEB tätig, wobei die Klägerin zunächst eine Kollegin in der Abteilung Technik, dann in der Abteilung BfN und später ihre Chefin gewesen sei. Sie gab an, Jahresendprämien seien kollektivweise an alle Kollegen gezahlt worden. Auch sie selbst habe jedes Jahr Jahresendprämien erhalten. Diese Angaben werden bekräftigt durch die vorgelegten Erläuterungen zur Auszahlung der Jahresendprämien in den Jahren 1985, 1987 und 1988 für die Jahre 1984, 1986 und 1987. Daraus wird ersichtlich, dass in Übereinstimmung mit den Zeugenaussagen in diesen Jahren im VEB Jahresendprämien ausgezahlt wurden, was dafür spricht, dass dies auch in den anderen Jahren der Fall war. Dies wird weiter deutlich aus den - aus den Jahren 1980, 1985, 1987, 1988 und 1989 stammenden - Rundschreiben anlässlich der Überreichung von Jahresendprämien für die jeweiligen Vorjahre.

Die von der Klägerin vorgelegten Leistungseinschätzungen machen es darüber hinaus äußerst wahrscheinlich, dass sie mindestens durchschnittliche Leistungskriterien erfüllt hat. So wurde ihr am 25. Februar 1983 "in Anerkennung des vorbildlichen Einsatzes bei der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und bei der Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit" eine Ehrenurkunde verliehen. Im März 1988 wurde ihr "in Würdigung guter Ergebnisse der kollektiven Arbeit, die zur Steigerung der Produktion und der Erfüllung der Planaufgaben führte und die Ausdruck beispielgebender gesellschaftlicher Aktivität ist", die Bronzene Ehrennadel der Kammer der Technik verliehen (Bl. 12 Vor- und Rückseite Verwaltungsakte I). In einer Leistungseinschätzung des Direktors für Technik vom 4. November 1988 wurden ihr u.a. gute Fachkenntnisse und umfangreiche Erfahrungen auf dem Gebiet Neuererwesen bescheinigt, weshalb sie sich für die Funktion der stellvertretenden Leiterin der BfN qualifiziert habe (Bl. 16 Verwaltungsakte I). Laut einer Niederschrift über ein Kadergespräch am 5. März 1985 bescheinigt ihr der Direktor für Technik große Erfahrungen bei der Organisation und Durchsetzung des Neuererwesens im Betrieb (Bl. 20 Rs. Verwaltungsakte I). In der Anlage einer Niederschrift über ein Leistungsgespräch vom 13. November 1981 wird ausgeführt, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin des BfN u.a. Selbstständigkeit, Leistungsfähigkeit und Ideenreichtum beweise (Bl. 22 Rs. Verwaltungsakte I).

3. Die konkrete Höhe der Jahresendprämien konnte die Klägerin – da bereits der Nachweis ihres Zuflusses nicht gelang – nicht nachweisen. Insoweit macht das Gericht von seiner Möglichkeit der Schätzung Gebrauch.

a) Weder den Erklärungen der Zeugen noch denen der Klägerin selbst konnte die Höhe der Jahresendprämien entnommen werden. Die Zeugen konnten hierzu keine konkreten Angaben machen. Sie bestätigten lediglich, dass die Prämien von den Betriebsergebnissen abhängig waren und schwankten. Der Zeuge W gab an, die Höhe habe zwischen 70 und 80 % eines Monatsgehalts betragen, wohingegen sich die Höhe nach Angaben der Zeugin K an der eines Monatsgehalts orientiert habe. Auch die Zeugin T gab an, dass die Höhe geschwankt habe. Daraus wird ersichtlich, dass die Höhe jährlich differierte, weshalb eine bestimmte Höhe, insbesondere ein durchschnittliches Monatsgehalt, nicht glaubhaft gemacht ist. Auch besitzt die Klägerin keinerlei Aufzeichnungen zur Höhe der Jahresendprämien.

b) Das Gericht macht jedoch von seiner im Rahmen der Einzelfallwürdigung nach § 202 SGG in Verbindung mit §§ 287 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gegebenen Möglichkeit der Schätzung Gebrauch (vgl. hierzu beispielhaft die Senatsurteile vom 4. Februar 2014 – L 5 RS 462/13 – und vom 12. Mai 2015 – L RS 382/14). Gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO entscheidet das Gericht, wenn streitig ist, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Diese Vorschrift ist nach Absatz 2 bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Zum einen handelt es sich bei dem Streit über die Feststellung (weiterer) Arbeitsentgelte zumindest mittelbar um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Zwar ist der prozessuale Anspruch unmittelbar nicht auf Geld, sondern auf die Feststellung erzielter Arbeitsentgelte gerichtet. Eine vermögensrechtliche Streitigkeit liegt jedoch auch dann vor, wenn der prozessuale Anspruch auf einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis beruht, das auf Gewinn oder Erhaltung von Geld oder geldwerten Gegenständen gerichtet ist (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2012, Einleitung IV Nr. 1). Dies ist der Fall, weil die von der Beklagten festzustellenden Entgelte Grundlage für die Höhe des Anspruchs auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und mithin einer Geldforderung sind, vgl. § 8 Abs. 1 AAÜG. Zum anderen wäre die vollständige Aufklärung der für die Berechnung der konkret zugeflossenen Jahresendprämien maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

Als jährlicher Basiswert der Prämienhöhe ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte der jeweils im Planungsjahr erzielte durchschnittliche Bruttomonatslohn zu Grunde zu legen, wie er sich aus dem Feststellungsbescheid der Beklagten vom 6. März 2006 ergibt. Diese Anknüpfung ist vor allem deshalb gerechtfertigt, weil auch die staatlichen Prämienverordnungen, die die in den Betriebskollektivverträgen festzulegenden Voraussetzungen für die Zahlung von Jahresendprämien konkretisierten, für die Höhe der Jahresendprämien an den durchschnittlichen Monatsverdienst anknüpften. So betrug die Jahresendprämie nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und 3 Prämienfond-VO 1972 mindestens ein Drittel und maximal das Zweifache des monatlichen Durchschnittsverdienstes des Werktätigen. Von diesem Wert ist ein Abschlag von 30 % vorzunehmen, weil die Höhe der jeweils an den Werktätigen ausgezahlten Jahresendprämie von einer Vielzahl verschiedener Faktoren abhing, die im konkreten Einzelfall nicht mehr nachvollziehbar sind. So erhielt der Werktätige nach § 117 Abs. 3 AGB-DDR bei einer im Planjahr vorliegenden vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit die Jahresendprämie (nur) entsprechend seiner in diesem Jahr erbrachten Gesamtleistung. Auch konnte die Jahresendprämie nach § 117 Abs. 4 AGB-DDR bei "schwerwiegender Verletzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin oder der staatsbürgerlichen Pflichten" gemindert werden oder entfallen. Gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 AGB-DDR wurde die Jahresendprämie für den einzelnen Werktätigen vom Betriebsleiter nach Beratung im Arbeitskollektiv festgelegt und bedurfte der Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung. Aufgrund dieser gesetzlich vorgesehenen individuellen Festlegung ist nicht davon auszugehen, dass die Jahresendprämie stets 100 % oder mehr eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes entsprach. Von dem danach geschätzten Betrag ist ein weiterer Abschlag in Höhe eines Sechstel sachlich gerechtfertigt, weil die Klägerin bereits den Zufluss der Jahresendprämie lediglich glaubhaft machen konnte. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 6 Abs. 6 AAÜG, wonach der glaubhaft gemachte Teil eines Verdienstes nur in dieser Höhe berücksichtigt wird. Dies muss erst recht gelten, wenn lediglich der Zufluss des Verdienstes glaubhaft gemacht wurde.

Hieraus ergeben sich folgende zu berücksichtigende Jahresendprämien:

Anspruchsjahr Jahresarbeits-verdienst in Mark Monatsdurch-schnittsverdienst in Mark 70% 5/6 Zuflussjahr 1977 1.733,35 577,78 404,45 337,04 1978 1978 10.028,10 835,67 584,97 487,48 1979 1979 11.398,50 949,88 664,91 554,09 1980 1980 12.234,49 1.019,54 713,68 594,73 1981 1981 12.990,00 1.082,50 757,75 631,46 1982 1982 13.055,00 1.087,92 761,54 634,62 1983 1983 11.364,27 947,02 662,92 552,43 1984 1984 13.295,87 1.107,99 775,59 646,33 1985 1985 12.964,33 1.080,36 756,25 630,21 1986 1986 13.188,64 1.099,05 769,34 641,11 1987 1987 14.318,00 1.193,17 835,22 696,01 1988 1988 13.804,43 1.150,37 805,26 671,05 1989 1989 17.199,05 1.433,25 1.003,28 836,06 1990

Die Berufung ist insoweit unbegründet, als die Klägerin die Berücksichtigung der Jahresendprämien in voller Höhe begehrt. Da sie die Höhe der Jahresendprämien weder nach weisen noch glaubhaft machen konnte, kam lediglich eine Schätzung unter Berücksichtigung der benannten Abschläge in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Jacobi Dr. Lau Schurigt
Rechtskraft
Aus
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