L 7 AS 823/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 22 AS 611/16
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 823/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt in einem Verfahren, in dem sich die Klägerin gegen die Aufforderung zur Beantragung von Leistungen nach dem SGB XII wehrt, wenn die Leistungen nach dem SGB XII bindend bewilligt wurden. Nach bestandskräftiger Bewilligung dieser Leistungen kann das mit der Klage bzw. Berufung verfolgte Ziel, der in § 12a SGB II normierten Verpflichtung zur Beantragung derartiger Leistungen nicht mehr nachkommen zu müssen, wegen des in § 7 Abs. 1, § 8 SGB II normierten Leistungsausschlusses bei Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit nicht mehr erreicht werden. Die Frage, ob eine vorangegangene Aufforderung rechtswidrig war, ist dann nicht mehr von Belang. Sie ist durch bestandskräftige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII überholt (Anschluss an BSG, Beschluss vom 12.06.2013 - B 14 AS 225/12 B).
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 21. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung der Klägerin durch den Beklagten, beim zuständigen Träger der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Bewilligung von Sozialhilfe zu beantragen.

Die 1956 geborene Klägerin stand zunächst im dauerhaften Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Beklagte forderte sie mit Schreiben vom 25.09.2015 auf, Leistungen nach dem SGB XII bis zum 12.10.2015 zu beantragen. Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2016 zurück.

Ihr Begehren hat die Klägerin mit der am 22.02.2016 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie habe bereits eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt. Es sei deswegen ein Verfahren beim SG anhängig (S 13 R 1348/15). Die Aufforderung, Sozialhilfe zu beantragen, sei daher rechtswidrig.

Das Landratsamt Vogtlandkreis hat der Klägerin mit Bescheid vom 02.03.2016 ab 01.03.2016 Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der bisher nach dem SGB II gewährten Höhe von 760,62 EUR monatlich bewilligt. Der Bescheid ist bindend geworden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2016 abgewiesen. Nach § 12a SGB II sei der Leistungsempfänger verpflichtet, zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen. Nach § 5 Abs. 3 SGB II könne der SGB II-Leistungsträger diesen Antrag ggf. auch selbst stellen. Die Inanspruchnahme anderer Sozialleistungen sei allgemeiner Ausdruck des Prinzips des Forderns, um seinen Lebensunterhalt durch eigene Bemühungen zu sichern. Unter Berücksichtigung des Gutachtens der Agentur für Arbeit vom 21.09.2015, in dem eine unter dreistündige Leistungsfähigkeit für mehr als sechs Monate festgestellt worden sei, sei der Beklagte berechtigt, die Aufforderung zur Beantragung vorrangiger Leistungen zu verfügen. Ermessensgesichtspunkte seien berücksichtigt worden. Die Aufforderung sei nicht zu beanstanden. Da mittlerweile nach Durchführung des Verfahrens nach § 44a SGB II Leistungen nach dem SGB XII bewilligt worden seien, habe sich die Frage der Rechtmäßigkeit der Aufforderung zudem erledigt haben dürfen (BSG, Beschluss vom 12.06.2013 – B 14 AS 225/12 B).

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 01.07.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 25.07.2016 Berufung eingelegt. Eine Begründung ist nicht erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 21.06.2016 und den Bescheid des Beklagten vom 25.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG hier mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2016 die Klage abgewiesen.

1. Der Klägerin fehlte zum Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheides vom 21.06.2016 das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, Vor § 51, Rn. 13, 16, 20). Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Es ist nicht gegeben, wenn die Entscheidung des Gerichts nicht erforderlich ist, weil der Kläger seine Rechte in einfacherer Weise verwirklichen kann oder die Rechtsverfolgung aus anderen Gründen unnütz ist (Keller, a. a. O., Rn. 16a). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde (Keller, a. a. O ...).

Das BSG hat mit Beschluss vom 12.06.2013 – B 14 AS 225/12 B, Rn. 5 entschieden:

Tenor:

"Er hat selbst vorgetragen, dass der Rentenversicherungsträger nach Abschluss des Berufungsverfahrens rückwirkend zum 1.7.2011 eine Altersrente bewilligt hat. Nach bestandskräftiger Bewilligung einer Rente kann das mit der Klage und der Berufung verfolgte Ziel, der in § 12a Satz 1 SGB II normierten Verpflichtung zur Rentenantragstellung nicht nachkommen zu müssen, wegen des in § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II bestimmten Leistungsausschlusses bei Bezug einer Rente wegen Alters aber nicht mehr erreicht werden. Die Frage, ob eine vorangegangene Aufforderung rechtswidrig war, ist dann nicht mehr von Belang (zur Tatbestandswirkung einer Zuerkennung der Rente im Anwendungsbereich der Ruhensregelung im Recht der Arbeitslosenhilfe bereits BSGE 89, 13 = SozR 3-4300 § 142 Nr 1 und zur Übertragbarkeit dieser Überlegungen auf das Recht des SGB II BSG, Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 26). Es hätte vom Kläger deshalb vorgetragen werden müssen, dass er (oder der Beklagte) den Rentenantrag noch zurücknehmen kann oder woraus sich sonst vorliegend die Möglichkeit einer für ihn günstigen Entscheidung im Revisionsverfahren ergeben soll."

Vorliegend hat der Träger der Sozialhilfe anerkannt, dass die Klägerin nicht erwerbsfähig ist und gewährt daher ab 01.03.2016 Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von 760,62 EUR. Die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII ist bestandskräftig erfolgt. Damit hat der SGB XII-Leistungsträger bindend entschieden, dass die Klägerin nicht erwerbsfähig ist und er für die Leistungsgewährung zuständig ist.

Nachdem feststeht, dass die Klägerin nicht erwerbsfähig ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II) kann das mit der Klage bzw. mit der Berufung verfolgte Ziel, der in § 12a Satz 1 SGB II normierten Verpflichtung zur Antragstellung auf Sozialhilfeleistungen nicht mehr nachkommen zu müssen, (wegen des in § 7 Abs. 1, § 8 SGB II bestimmten Leistungsausschlusses bei Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit) nicht mehr erreicht werden. Die Frage, ob die vorangegangene Aufforderung zur Beantragung von Sozialhilfeleistungen rechtswidrig war, ist nicht mehr von Belang. Sie ist durch die bestandskräftige Bewilligung von SGB XII-Leistungen überholt. Das mit der Klage verfolgte Ziel der Aufhebung der Aufforderung zur Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB XII kann die rechtliche und tatsächliche Stellung der Klägerin nicht mehr verbessern.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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