Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AS 3462/16 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1065/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Aufrechnung durch Verwaltungsakt gemäß § 43 SGB II betrifft eine laufende (Geld-)Leistung für mehr als ein Jahr i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, wenn der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung so hoch ist, dass die erklärte Aufrechnung länger als ein Jahr dauern würde.
I. Die Verfahren L 7 AS 1065/16 B ER und L 7 AS 1066/16 B ER werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; führend ist das Verfahren L 7 AS 1065/16 B ER.
II. Die Beschwerden der Antragstellerin gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Oktober 2016 – S 2 AS 3462/16 ER und S 2 AS 3463/16 ER – werden zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind auch in den Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen einen Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners.
Die am 1970 geborene, erwerbsfähige Antragstellerin steht seit 2005 im laufenden Leistungsbezug beim Antragsgegner. Sie bewohnt im ehemals ihren Eltern und nach deren Tod nun ihrem Bruder W ... gehörenden Haus eine 45,6 m² große Wohnung.
Gegen die Bewilligungsbescheide über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01.01.2008 bis 31.12.2009 in Gestalt der entsprechenden Widerspruchsbescheide hatte die Antragstellerin beim Sozialgericht Chemnitz jeweils Klagen erhoben, die das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2011 im Verfahren S 32 AS 5016/09 abgewiesen hatte. Im Berufungsverfahren L 7 AS 845/11 beim Sächsischen Landessozialgericht erschien die Antragstellerin – wie auch sonst zu den Gerichtsterminen beim Sozialgericht – nicht. Sie hatte ihrem Bruder eine schriftliche Vollmacht erteilt. Dieser schloss in ihrem Namen in der mündlichen Verhandlung am 10.07.2014 folgenden Vergleich:
"Die Beteiligten sind sich einig, dass die Antragstellerin lediglich eine Erstattungsforderung gegenüber dem Antragsgegner von 690,96 EUR zu begleichen hat. Die Antragstellerin verpflichtet sich, diesen Betrag ab dem 01.09.2014 in monatlichen Raten à 20,00 EUR an den Antragsgegner zu begleichen. Kommt die Antragstellerin mit mehr als 2 Raten in Verzug, wird die gesamte Restforderung sofort fällig."
Die Antragstellerin wandte sich in der Folge gegen diesen Vergleich (L 7 AS 959/14 WA). Mit Urteil vom 18.09.2014 stellte das Sächsische Landessozialgericht fest, dass das Verfahren L 7 AS 845/11 durch Prozessvergleich beendet wurde. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin beim Bundessozialgericht wurde mit Beschluss vom 16.12.2014 – B 14 AS 283/14 als unzulässig verworfen, ebenso die dagegen eingelegte Anhörungsrüge.
Nach vorheriger Anhörung erklärte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.01.2016, dass er ab dem 01.03.2016 den der Antragstellerin zustehenden Regelbedarf mit einem Betrag in Höhe von 20,00 EUR monatlich aufrechne. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Antragstellerin vom 20.01.2016 (W 2016/0219).
Mit Schreiben vom 07.03.2016 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Aufrechnung des ausstehenden Betrages mit dem monatlich zu gewährenden Regelbedarf in Höhe von nunmehr 40,40 EUR gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II an. Mit Änderungsbescheid vom 15.04.2016 erklärte er, dass er ab dem 01.05.2016 mit einem Betrag in Höhe von 40,40 EUR monatlich mit dem der Antragstellerin zustehenden Regelbedarf aufrechne. Gemäß der anliegenden Rechtsbehelfsbelehrung werde dieser Bescheid gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 19.04.2016 ebenfalls Widerspruch ein (W 2016/1671).
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2016 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin W 2016/0219 als unbegründet zurück und ordnete gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides vom 15.01.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15.04.2016 an.
Dagegen hat die Antragstellerin am 22.04.2016 beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben (S 2 AS 1517/16).
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2016 verwarf der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin W 2016/1671 als unzulässig, da der Bescheid vom 15.04.2016 bereits Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W 2015/0219 geworden sei. Dies sei auch eindeutig aus der Rechtsbehelfsbelehrung hervorgegangen.
Mit Schreiben vom 10.06.2016, eingegangen beim Sozialgericht am 14.06.2016, hat die Antragstellerin auch gegen den Änderungsbescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 Klage erhoben (S 2 AS 2263/16).
Am 29.06.2016 hat die Antragstellerin bezogen auf das Hauptsacheverfahren S 2 AS 1517/16 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt (S 2 AS 2499/16 ER).
Mit Schreiben vom 06.08.2016, eingegangen beim Sozialgericht am 12.09.2016, hat die Antragstellerin in insgesamt 15 Verfahren beim Sozialgericht erneut beantragt, die Verfahren als einstweilige Rechtsschutzverfahren zu führen, darunter auch die Verfahren S 2 AS 1517/16 und S 2 AS 2263/16. Mit Beschlüssen vom 05.10.2016 hat das Sozialgericht diese Anträge in den Verfahren S 2 AS 3463/16 ER und S 2 AS 3462/16 ER abgelehnt, weil sie jeweils wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig seien (§ 94 SGG). Die Beschlüsse seien nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG unanfechtbar.
Mit weiterem Beschluss vom 05.10.20156 hat das Sozialgericht den Antrag im Verfahren S 2 AS 2499/16 ER abgelehnt, weil die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht vorlägen. Dieser Beschluss ist Gegenstand des noch anhängigen Beschwerdeverfahrens L 7 AS 1054/16 B ER.
Gegen die ihr am 07.10.2016 zugestellten Beschlüsse richten sich die Beschwerden der Antragstellerin vom 12.10.2016, mit denen sie geltend macht, 690,00 EUR sei zu hoch; richtig sei ein Betrag von 180,00 EUR, weil noch 270,00 EUR Werbungskosten abzuziehen seien. 40,40 EUR ab Mai 2016 sei zu hoch.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Beschlüsse des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.10.2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklagen gegen den Bescheid vom 15.01.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2016 und gegen den Änderungsbescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 anzuordnen.
Dem Senat haben die Gerichtsakten S 2 AS 2499/16 ER mit L 7 AS 1054/16 B ER, S 2 AS 3462/16 ER mit L 7 AS 1065/16 B ER und S 2 AS 3463/16 ER mit L 7 AS 1066/16 B ER vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die Beschwerden der Antragstellerin bleiben ohne Erfolg. Sie sind zwar entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nichts anderes bestimmt ist. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG bestimmt, dass die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt; dies gilt nach Satz 2 jedoch nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Vorliegend betreffen sowohl der Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 15.01.2016 als auch der Änderungsbescheid vom 15.04.2016 einen von der Antragstellerin dem Antragsgegner aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 10.07.2014 geschuldeten Rückforderungsbetrag von 690,96 EUR, womit der Beschwerdewert i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG für eine zulassungsfreie Berufung nicht erreicht wäre.
Allerdings ist Gegenstand der Anfechtungsklage gegen einen auf § 43 SGB II (in der vom 01.04.2011 bis 31.07.2016 geltenden Neufassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I S. 850) gestützten Aufrechnungsbescheid gerade nicht die gerichtliche Prüfung, ob der Erstattungsanspruch i.S.d. § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II dem Grunde oder der Höhe nach zu Recht besteht. Denn auch eine Aufrechnungserklärung durch Verwaltungsakt nach dieser Vorschrift setzt eine Aufrechnungslage voraus, also die Fälligkeit der öffentlich-rechtlichen Forderung, die in der Regel erst bei Bestandkraft eintritt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 20/15 R, juris, Rn. 24; Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 43 Rn. 8; Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 43 Rn. 17; Coseriu/Holzhey in Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 50. UPD 01/2017, § 43 Aufrechnung, II. 1. c) aa); Burkiczak in Schlegel/¬Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 43, Rn. 19). Kann das Jobcenter aber nur mit bindend gewordenen Erstattungsansprüchen aufrechnen, so ist die Höhe der Erstattungsforderung für die Bestimmung des streitigen Gegenstandes unerheblich. Auch berührt eine etwaige gerichtliche Aufhebung der durch Verwaltungsakt erklärten Aufrechnung nicht die grundsätzlich bestehende Verpflichtung des Leistungsberechtigten, den aufgrund eines Erstattungsbescheides oder – wie hier – aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs geschuldeten Betrag zu erstatten. Regelungsgegenstand eines Aufrechnungsbescheides ist somit nur die Art und Weise der behördlichen Durchsetzung einer feststehenden Zahlungsverpflichtung des Leistungsempfängers. Denn § 43 SGB II ermöglicht den Leistungsträgern nach dem SGB II eine erleichterte Durchsetzung von Erstattungs- und Ersatzansprüchen (vgl. BSG, Urteil vom 09.03.2016, a.a.O., Rn. 16).
Die durch Verwaltungsakt erklärte Aufrechnung ist ein Dauerverwaltungsakt (BSG, Urteil vom 09.03.2016, a.a.O., Rn. 42), die gemäß § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II spätestens drei Jahre nach dem Monat endet, der auf die Bestandskraft der in § 43 Abs. 1 SGB II genannten Entscheidungen folgt. Demzufolge betrifft die Aufrechnung durch Verwaltungsakt eine laufende (Geld-)Leistung für mehr als ein Jahr i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, wenn der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung so hoch ist, dass die erklärte Aufrechnung länger als ein Jahr dauern würde. Es erscheint zudem sachgerecht, dass den Hilfebedürftigen bei behördlichen Aufrechnungserklärungen, die dazu führen, dass ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nur in verminderter Höhe ausgezahlt werden, ein weiteres Rechtsmittel zusteht. Denn die Leistungsberechtigten werden dadurch länger als ein Jahr in ihrer Entscheidungsfreiheit beschränkt, wie sie die ihnen zur Existenzsicherung gewährten Leistungen verwenden (vgl. BSG, Urteil vom 09.03 2016, a.a.O., Rn. 46). Da die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 144 Abs. 2, 172 Abs. 3 SGG nur in einfachen und wirtschaftlich weniger bedeutsamen Fällen eingreifen sollen, rechtfertigen länger als ein Jahr andauernde Aufrechnungen keinen Rechtmittelausschluss.
Vorliegend dauert bei dem zu erstattenden Gesamtbetrag von 690,96 EUR die Aufrechnung sowohl mit 20,00 EUR monatlich als auch mit 40,40 EUR monatlich länger als ein Jahr, nämlich mindestens als 27 Monate.
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts in den Verfahren S 2 AS 3462/16 ER und S 2 AS 3463/16 ER sind in der Sache nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Sozialgericht die erneuten Anträge der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf die Aufrechnungsbescheide vom 15.01.2016 und 15.04.2016 wegen Unzulässigkeit abgelehnt, da von ihr bereits zuvor am 29.06.2016 ein Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes mit demselben Gegenstand anhängig gemacht worden war. Denn nach §§ 94, 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann während der Rechtshängigkeit die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Im Übrigen wird gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe in den Beschlüssen des Sozialgerichts verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. Anders Lang Wagner
II. Die Beschwerden der Antragstellerin gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Oktober 2016 – S 2 AS 3462/16 ER und S 2 AS 3463/16 ER – werden zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind auch in den Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen einen Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners.
Die am 1970 geborene, erwerbsfähige Antragstellerin steht seit 2005 im laufenden Leistungsbezug beim Antragsgegner. Sie bewohnt im ehemals ihren Eltern und nach deren Tod nun ihrem Bruder W ... gehörenden Haus eine 45,6 m² große Wohnung.
Gegen die Bewilligungsbescheide über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01.01.2008 bis 31.12.2009 in Gestalt der entsprechenden Widerspruchsbescheide hatte die Antragstellerin beim Sozialgericht Chemnitz jeweils Klagen erhoben, die das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2011 im Verfahren S 32 AS 5016/09 abgewiesen hatte. Im Berufungsverfahren L 7 AS 845/11 beim Sächsischen Landessozialgericht erschien die Antragstellerin – wie auch sonst zu den Gerichtsterminen beim Sozialgericht – nicht. Sie hatte ihrem Bruder eine schriftliche Vollmacht erteilt. Dieser schloss in ihrem Namen in der mündlichen Verhandlung am 10.07.2014 folgenden Vergleich:
"Die Beteiligten sind sich einig, dass die Antragstellerin lediglich eine Erstattungsforderung gegenüber dem Antragsgegner von 690,96 EUR zu begleichen hat. Die Antragstellerin verpflichtet sich, diesen Betrag ab dem 01.09.2014 in monatlichen Raten à 20,00 EUR an den Antragsgegner zu begleichen. Kommt die Antragstellerin mit mehr als 2 Raten in Verzug, wird die gesamte Restforderung sofort fällig."
Die Antragstellerin wandte sich in der Folge gegen diesen Vergleich (L 7 AS 959/14 WA). Mit Urteil vom 18.09.2014 stellte das Sächsische Landessozialgericht fest, dass das Verfahren L 7 AS 845/11 durch Prozessvergleich beendet wurde. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin beim Bundessozialgericht wurde mit Beschluss vom 16.12.2014 – B 14 AS 283/14 als unzulässig verworfen, ebenso die dagegen eingelegte Anhörungsrüge.
Nach vorheriger Anhörung erklärte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.01.2016, dass er ab dem 01.03.2016 den der Antragstellerin zustehenden Regelbedarf mit einem Betrag in Höhe von 20,00 EUR monatlich aufrechne. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Antragstellerin vom 20.01.2016 (W 2016/0219).
Mit Schreiben vom 07.03.2016 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Aufrechnung des ausstehenden Betrages mit dem monatlich zu gewährenden Regelbedarf in Höhe von nunmehr 40,40 EUR gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II an. Mit Änderungsbescheid vom 15.04.2016 erklärte er, dass er ab dem 01.05.2016 mit einem Betrag in Höhe von 40,40 EUR monatlich mit dem der Antragstellerin zustehenden Regelbedarf aufrechne. Gemäß der anliegenden Rechtsbehelfsbelehrung werde dieser Bescheid gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 19.04.2016 ebenfalls Widerspruch ein (W 2016/1671).
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2016 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin W 2016/0219 als unbegründet zurück und ordnete gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides vom 15.01.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15.04.2016 an.
Dagegen hat die Antragstellerin am 22.04.2016 beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben (S 2 AS 1517/16).
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2016 verwarf der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin W 2016/1671 als unzulässig, da der Bescheid vom 15.04.2016 bereits Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W 2015/0219 geworden sei. Dies sei auch eindeutig aus der Rechtsbehelfsbelehrung hervorgegangen.
Mit Schreiben vom 10.06.2016, eingegangen beim Sozialgericht am 14.06.2016, hat die Antragstellerin auch gegen den Änderungsbescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 Klage erhoben (S 2 AS 2263/16).
Am 29.06.2016 hat die Antragstellerin bezogen auf das Hauptsacheverfahren S 2 AS 1517/16 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt (S 2 AS 2499/16 ER).
Mit Schreiben vom 06.08.2016, eingegangen beim Sozialgericht am 12.09.2016, hat die Antragstellerin in insgesamt 15 Verfahren beim Sozialgericht erneut beantragt, die Verfahren als einstweilige Rechtsschutzverfahren zu führen, darunter auch die Verfahren S 2 AS 1517/16 und S 2 AS 2263/16. Mit Beschlüssen vom 05.10.2016 hat das Sozialgericht diese Anträge in den Verfahren S 2 AS 3463/16 ER und S 2 AS 3462/16 ER abgelehnt, weil sie jeweils wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig seien (§ 94 SGG). Die Beschlüsse seien nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG unanfechtbar.
Mit weiterem Beschluss vom 05.10.20156 hat das Sozialgericht den Antrag im Verfahren S 2 AS 2499/16 ER abgelehnt, weil die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht vorlägen. Dieser Beschluss ist Gegenstand des noch anhängigen Beschwerdeverfahrens L 7 AS 1054/16 B ER.
Gegen die ihr am 07.10.2016 zugestellten Beschlüsse richten sich die Beschwerden der Antragstellerin vom 12.10.2016, mit denen sie geltend macht, 690,00 EUR sei zu hoch; richtig sei ein Betrag von 180,00 EUR, weil noch 270,00 EUR Werbungskosten abzuziehen seien. 40,40 EUR ab Mai 2016 sei zu hoch.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Beschlüsse des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.10.2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklagen gegen den Bescheid vom 15.01.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2016 und gegen den Änderungsbescheid vom 15.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 anzuordnen.
Dem Senat haben die Gerichtsakten S 2 AS 2499/16 ER mit L 7 AS 1054/16 B ER, S 2 AS 3462/16 ER mit L 7 AS 1065/16 B ER und S 2 AS 3463/16 ER mit L 7 AS 1066/16 B ER vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die Beschwerden der Antragstellerin bleiben ohne Erfolg. Sie sind zwar entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nichts anderes bestimmt ist. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG bestimmt, dass die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt; dies gilt nach Satz 2 jedoch nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Vorliegend betreffen sowohl der Aufrechnungsbescheid des Antragsgegners vom 15.01.2016 als auch der Änderungsbescheid vom 15.04.2016 einen von der Antragstellerin dem Antragsgegner aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 10.07.2014 geschuldeten Rückforderungsbetrag von 690,96 EUR, womit der Beschwerdewert i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG für eine zulassungsfreie Berufung nicht erreicht wäre.
Allerdings ist Gegenstand der Anfechtungsklage gegen einen auf § 43 SGB II (in der vom 01.04.2011 bis 31.07.2016 geltenden Neufassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I S. 850) gestützten Aufrechnungsbescheid gerade nicht die gerichtliche Prüfung, ob der Erstattungsanspruch i.S.d. § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II dem Grunde oder der Höhe nach zu Recht besteht. Denn auch eine Aufrechnungserklärung durch Verwaltungsakt nach dieser Vorschrift setzt eine Aufrechnungslage voraus, also die Fälligkeit der öffentlich-rechtlichen Forderung, die in der Regel erst bei Bestandkraft eintritt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 20/15 R, juris, Rn. 24; Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 43 Rn. 8; Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 43 Rn. 17; Coseriu/Holzhey in Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 50. UPD 01/2017, § 43 Aufrechnung, II. 1. c) aa); Burkiczak in Schlegel/¬Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 43, Rn. 19). Kann das Jobcenter aber nur mit bindend gewordenen Erstattungsansprüchen aufrechnen, so ist die Höhe der Erstattungsforderung für die Bestimmung des streitigen Gegenstandes unerheblich. Auch berührt eine etwaige gerichtliche Aufhebung der durch Verwaltungsakt erklärten Aufrechnung nicht die grundsätzlich bestehende Verpflichtung des Leistungsberechtigten, den aufgrund eines Erstattungsbescheides oder – wie hier – aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs geschuldeten Betrag zu erstatten. Regelungsgegenstand eines Aufrechnungsbescheides ist somit nur die Art und Weise der behördlichen Durchsetzung einer feststehenden Zahlungsverpflichtung des Leistungsempfängers. Denn § 43 SGB II ermöglicht den Leistungsträgern nach dem SGB II eine erleichterte Durchsetzung von Erstattungs- und Ersatzansprüchen (vgl. BSG, Urteil vom 09.03.2016, a.a.O., Rn. 16).
Die durch Verwaltungsakt erklärte Aufrechnung ist ein Dauerverwaltungsakt (BSG, Urteil vom 09.03.2016, a.a.O., Rn. 42), die gemäß § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II spätestens drei Jahre nach dem Monat endet, der auf die Bestandskraft der in § 43 Abs. 1 SGB II genannten Entscheidungen folgt. Demzufolge betrifft die Aufrechnung durch Verwaltungsakt eine laufende (Geld-)Leistung für mehr als ein Jahr i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, wenn der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung so hoch ist, dass die erklärte Aufrechnung länger als ein Jahr dauern würde. Es erscheint zudem sachgerecht, dass den Hilfebedürftigen bei behördlichen Aufrechnungserklärungen, die dazu führen, dass ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nur in verminderter Höhe ausgezahlt werden, ein weiteres Rechtsmittel zusteht. Denn die Leistungsberechtigten werden dadurch länger als ein Jahr in ihrer Entscheidungsfreiheit beschränkt, wie sie die ihnen zur Existenzsicherung gewährten Leistungen verwenden (vgl. BSG, Urteil vom 09.03 2016, a.a.O., Rn. 46). Da die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 144 Abs. 2, 172 Abs. 3 SGG nur in einfachen und wirtschaftlich weniger bedeutsamen Fällen eingreifen sollen, rechtfertigen länger als ein Jahr andauernde Aufrechnungen keinen Rechtmittelausschluss.
Vorliegend dauert bei dem zu erstattenden Gesamtbetrag von 690,96 EUR die Aufrechnung sowohl mit 20,00 EUR monatlich als auch mit 40,40 EUR monatlich länger als ein Jahr, nämlich mindestens als 27 Monate.
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Die Beschlüsse des Sozialgerichts in den Verfahren S 2 AS 3462/16 ER und S 2 AS 3463/16 ER sind in der Sache nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Sozialgericht die erneuten Anträge der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf die Aufrechnungsbescheide vom 15.01.2016 und 15.04.2016 wegen Unzulässigkeit abgelehnt, da von ihr bereits zuvor am 29.06.2016 ein Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes mit demselben Gegenstand anhängig gemacht worden war. Denn nach §§ 94, 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann während der Rechtshängigkeit die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Im Übrigen wird gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe in den Beschlüssen des Sozialgerichts verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. Anders Lang Wagner
Rechtskraft
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