L 6 KR 276/02

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 3 KR 1219/99
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 276/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 6/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Nichtzahlung von Krankenversicherungsbeiträgen begründet allein noch nicht eine Zahlungsunfähigkeit. Diese liegt erst dann vor, wenn der Schuldner wegen eines dauernden Mangels an Zahlungsmitteln außerstande ist, seine fälligen Verbindlichkeiten im Allgemeinen zu erfüllen und dies für den Anfechtungsgegener nach außen hin erkennbar ist.

2. Die Grenze der Zahlungsstockung zur Zahlungseinstellung wird überschritten, wenn fällige Schulden im Wesentlichen nicht binnen eines Monats bezahlt werden (vgl. BGH vom 20. November 2001 - Az.: IX ZR 48/01 und vom 25. Oktober 2001 - Az.: IX ZR 17/01).

3. Hält ein Schuldner eine Vereinbarung über eine ratenweise Zahlung ein, liegt noch keine Zahlungseinstellung vor.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. November 1999 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt 34.072,49 EUR an den Kläger zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger sechs Siebtel seiner außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der ersten Instanz und vier Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der zweiten Instanz zu erstatten.

Der Kläger hat der Beklagten ein Siebtel ihrer außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der ersten Instanz und ein Fünftel ihrer außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der zweiten Instanz zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten (noch) über die Zahlung von 80.360,00 DM (= 41.087,42 EUR) als Vergütung für die Durchführung von medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen.

Die S. Klinik-Betriebs GmbH (nachfolgend: Gemeinschuldnerin), Betreiberin der Fachklinik " H." S., führte für bei der Beklagten krankenversicherten Patienten stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahmen durch. Zu diesem Zweck schlossen sie und die Beklagte einen Versorgungsvertrag (nachfolgend: Versorgungsvertrag) nach § 111 Abs. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).

Nach § 6 dieses mit Inbetriebnahme der Klinik in Kraft getretenen (§ 9 Abs. 1) Versorgungsvertrages wird der zuständigen Krankenkasse nach Beendigung der stationären Behandlung in der Regel innerhalb von 14 Kalendertagen nach der Entlassung eine Rechnung übersandt (Absatz 1 Satz 1); dabei ist der vom Patienten geleistete gesetzliche Zuzahlungsbetrag am Rechnungsendbetrag abzusetzen (Absatz 1 Satz 2). Die zuständige Krankenkasse überwies den zu zahlenden Betrag in der Regel innerhalb von 14 Kalendertagen nach Erhalt der Rechnung (Absatz 2).

Aufgrund der zwischen den Beteiligten anwendbaren "Vergütungsvereinbarung mit Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen nach § 111 Abs. 5 SGB V" vom 29. Dezember 1997 (nachfolgend: Vergütungsvereinbarung) entscheidet der zuständige Leistungsträger grundsätzlich vor Beginn der Maßnahme über die Einweisung (§ 5 Abs. 1). Die Kosten für die Maßnahme werden nur dann übernommen, wenn vor der Aufnahme in die Einrichtung eine Kostenübernahmeerklärung durch den zuständigen Leistungsträger erfolgt (§ 5 Abs. 3 Satz 1). Nach § 6 Abs. 1 ist dem zuständigen Leistungsträger spätestens am dritten Werktag nach Aufnahme eine Aufnahmeanzeige zuzusenden. Wird der Versicherte entlassen/verlegt, ist dem zuständigen Leistungsträger spätestens am dritten Werktag nach der Entlassung eine Entlassungsanzeige zu übersenden (§ 6 Abs. 2 Satz 1).

Am 16. Oktober 1998 bat die Gemeinschuldnerin die Beklagte in deren Eigenschaft als zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (vgl. § 28 i des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV)) bei ihr krankenversicherter Beschäftigten unter Hinweis auf die Liquiditätslage um Stundung der für September 1998 fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge, da die Liquiditätslage eine pünktliche Zahlung nicht erlaube. Sie schlug Raten von 50 v.H. zum 15. November 1998, 25 v.H. zum 15. Dezember 1998 und 25 v.H. zum 15. Januar 1999 vor. Dem Vorschlag stimmte die Beklagte mit Schreiben vom 21. Oktober 1998 zu. Voraussetzung sei die pünktliche Entrichtung neu fällig werdender Beiträge (zum 15. des jeweiligen Monats). Diese Raten wurden ebenso wie die Beiträge für Oktober und November 1998 gezahlt.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 1998 (bei der Beklagten eingegangen am 6. Januar 1998) teilte die Gemeinschuldnerin mit, dass sich ihre finanzielle Situation nicht stabilisiert habe. Die derzeitige Belegung liege unter 20 v.H. und die Liquiditätslage sei sehr angespannt. Der Aufbau der Belegung im Reha-/AHB-Bereich und die Umstellung auf neue Aufgaben gestalte sich, bedingt durch den Wegfall von 66 Akut-Betten und die jahreszeitlich schlechte Belegungssituation durch die Feiertage, äußerst schwierig. Sie beantrage die Stundung der Beiträge für Dezember 1998 und schlage eine Zahlung in drei Monatsraten beginnend ab Februar 1999 vor.

Nach dem Antwortschreiben der Beklagten vom 17. Januar 1999 wies das Arbeitgeberkonto Beitragsrückstände einschließlich Säumniszuschlägen bis Ende Dezember 1999 in Höhe von 37.484,89 EUR auf. Dem Ratenzahlungsvorschlag stimme sie zu. Voraussetzung sei, dass neu fällig werdende Beiträge (zum 15. jeden Monats) pünktlich entricht werden. Den Zahlungseingang der ersten Rate erwarte sie bis zum 15. Februar 1999.

Auf Blatt 17 der Verwaltungsakte der Beklagten befinden sich mehrere Aktenvermerke über Telefongespräche der Zeugin G. mit der Vertreterin des Verwaltungsdirektors der Gemeinschuldnerin Z. Letztere berichtete am 17. Februar 1999, sie habe "die laufenden Beiträge zur Bank gegeben". Es werde am 19. Februar 1999 entschieden, ob die Bank die Zahlungen "realisiere". Am 19. Februar 1999 konnte sie "noch keine Zahlung" bestätigen; sie werde sich am 23. Februar 1999 melden. Auch am 22. Februar 1999 erfolgte keine Klärung. Am 26. Februar 1999 sollte ein Zahlungsbeleg über die rückständigen Zahlungen eingehen. Für diesen Termin war eine Wiedervorlage verfügt.

Unter dem 5. März 1999 teilte die Beklagte der Gemeinschuldnerin mit, das Beitragskonto weise Rückstände in Höhe von 56.937,87 DM auf. Sie mache von ihrem Recht der Aufrechnung "gemäß § 387 BGB Gebrauch" und werde diese mit den der Gemeinschuldnerin zustehenden Vergütungen aufrechnen.

Nach einer "Internen Mitteilung" vom 10. März 1999 hatte die Gemeinschuldnerin offene Posten für die Behandlung von neun Versicherten in der Zeit von Oktober 1998 bis Februar 1999 mit einer Gesamtvergütung in Höhe von 42.532,00 DM. Diesen Betrag rechnete sie mit Schreiben vom 17. März 1999 an die Gemeinschuldnerin mit Beitragsrückständen und Säumniszuschlägen auf. Damit seien noch 14.953,87 DM zu überweisen.

Die Gemeinschuldnerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 26. März 1998 (zugegangen am 29. März 1999) mit, sie habe am 19. März 1999 das Insolvenzverfahren eingeleitet.

Diese rechnete am 6. April 1999 weitere Behandlungsvergütungen in Gesamthöhe von 25.872,00 DM mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen auf:

Patient(in) Rechn.-Nr. Betrag 106951 5488,00 DM 106980 4.116,00 DM 107057 5.096,00 DM 107117 4.116,00 DM 107146 7.056,00 DM Aufrechnungsbetrag 25.872,00 DM

Mit Beschluss vom 8. April 1999 ordnete das Amtsgericht Mühlhausen die vorläufige Verwaltung über das Vermögen und den Geschäftsbetrieb der Gesamtschuldnerin an (Az.: 8 IN 108/99) und bestimmte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Am 1. Mai 1999 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Vermögensverwalter bestellt.

Am Tag davor bestand nach dem Vorbringen der Beklagten ein Beitragsrückstand von 55.406,46 DM. Auf der anderen Seite waren folgende der Gemeinschuldnerin zustehende Vergütungen offen:

Patient(in) Rechn.-Nr. Betrag 106891 4.116,00 DM 107175 4.116,00 DM 107270 4.116,00 DM 107264 4.166,00 DM 107258 4.116,00 DM 107376 5.096,00 DM 107442 6.860,00 DM 107465 5.488,00 DM 107459 5.488,00 DM 107703 588,00 DM 107695 784,00 DM 107554 3.724,00 DM 107583 1.764,00 DM Gesamtbetrag 50.372,00 DM

Die Beklagte meldete unter dem 26. Mai und 16. Juni 1999 Masseverbindlichkeiten von 30.662,57 DM (= 15.677,52 EUR) und Insolvenzforderungen über 302.245,49 DM (= 154.535,66 EUR) für Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge zur Insolvenztabelle an.

Mit der Klage hat der Kläger folgende Vergütungsansprüche in Höhe von insgesamt 69.384,00 DM (= 35.475,48 EUR) geltend gemacht: Patient(in) Aufenthalt (1999) Rechn.-Nr. Betrag 08.02 – 01.03. 106891 4.116,00 DM 04.02. – 04.03. 106951 5.488,00 DM 15.02. – 08.03. 106980 4.116,00 DM 15.02. – 13.03. 107057 5.096,00 DM 23.02. – 16.03. 107117 4.116,00 DM 11.02. – 19.03. 107146 7.056,00 DM 02.03. – 23.03. 107175 4.116,00 DM 12.03. – 02.04. 107270 4.116,00 DM 12.03. – 02.04. 107264 4.116,00 DM 12.03. – 02.04. 107258 4.116,00 DM 17.03. – 21.04. 107442 6.860,00 DM 24.03. – 21.04. 107465 5.488,00 DM 24.03. – 21.04. 107459 5.488,00 DM 17.03. –12.04. 107376 5.096,00 DM Gesamtbetrag 69.384,00 DM

Mit Schriftsatz vom 18. August 1999 hat er die Klageforderung um 29.792,00 DM (= 15.232,41 EUR) auf 99.176,00 DM (= 50.707,88 EUR) nebst 4 v.H. Zinsen seit Rechtshängigkeit erhöht:

Patient(in) Aufenthalt (1999) Rechn.-Nr. Betrag 22.04.-13.05. 107583 4.116,00 DM 12.04.-08.05. 107554 5.096,00 DM 02.02.-23.02. 107761 4.116,00 DM 27.04.-28.05. 107695 6.076,00 DM 28.04.-30.05. 107703 6.272,00 DM 05.05.-26.05. 107666 4.116,00 DM Gesamtbetrag 29.792,00 DM Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12. November 1999 einen Betrag von 18.816,00 DM (= 9.620,47 EUR) bezüglich der (Teil-)vergütungen für die Patienten H. (5.684,00 DM), G. (5.292,00 DM), R. (1.372,00 DM), J. (2.352,00 DM) und S. (4.116,00 DM) anerkannt. Der Kläger hat im Verlauf des Klageverfahrens eine Kopie der unter dem 31. Mai 1999 erstellten Rechnung für den Patienten H. (stationärer Aufenthalt 2. bis 23. Februar 1999) in Höhe von 4.116,00 DM eingereicht.

Mit Urteil vom 12. Februar 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütungen sei durch Aufrechnung erloschen. Der Einwand einer im Sinne der Insolvenzordnung (InsO) anfechtbaren Rechtshandlung greife nicht, weil sie nur in der Bewilligung von Rehabilitationsleistungen der Beklagten an ihre Mitglieder bestanden haben könne und die Beklagte zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit bzw. dem Insolvenzeröffnungsantrag der Gemeinschuldnerin gehabt habe.

Seine Berufung begründet der Kläger in der Hauptsache mit seinem Vortrag in der ersten Instanz. Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts sei die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gemäß §§ 96 Nr. 3, 130 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 InsO unwirksam.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 12. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 50.707,88 EUR nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 4 v.H. seit Rechtshängigkeit abzüglich am 10. Februar 2000 geleisteter 9.620,47 EUR zu zahlen sowie den Streitwert festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf Ihren Vortrag in der ersten Instanz sowie auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils.

Der Senat hat durch seinen Berichterstatter am 30. Juni 2003 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt und dabei die Zeugin G. und den Zeugen L. vernommen. Zu den Einzelheiten wird auf die Niederschrift auf Blatt 178 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und zulässig.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist eröffnet, weil das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 30. September 2003 die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit angenommen, den behaupteten Anspruch als öffentlich-rechtlichen qualifiziert und ein Urteil erlassen hat (vgl. u.a. BSG in SozR 3-1720 § 17 a Nr. 12 sowie Senatsbeschlüsse vom 9. Oktober 2001- Az.: L 6 RJ 93/01 ER und 30. Januar 2004 - Az.: L 6 RJ 914/03 ER). Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht (mehr), ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

Die Berufung ist hinsichtlich einer Zahlungsforderung von 66.640,00 DM (= 34.072,49 EUR) begründet. Im Übrigen war sie zurückzuweisen.

Die Beklagte hat aus dem zwischen der Gemeinschuldnerin und der Beklagten geschlossenen Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V, der mit Inbetriebnahme der von der Gemeinschuldnerin betriebenen Klinik in Kraft getreten ist, einen Anspruch auf Vergütung von zur Versorgung der bei der Beklagten Versicherten mit Leistungen zur Vorsorge und Rehabilitation durchgeführten stationären Behandlungen (vgl. Hess in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht , Stand: Dezember 2003, § 111 SGB V, Rdnr 6).

Der Vergütungsumfang ergibt sich aus § 1 Vergütungsvereinbarung in der jeweiligen Fassung und ist in Bezug auf die streitrelevanten Einzelrechnungen weder dem Grund noch der Höhe nach zwischen den Beteiligten streitig. Der Senat hat angesichts der ihm vorliegenden Dokumente keine Veranlassung, die Korrektheit der Abrechnungen zu bezweifeln.

Auf Grund der mit Schreiben vom 17. März und 6. April 1999 von der Beklagten erklärten Aufrechnungen sind die Vergütungsansprüche des Klägers bezüglich der Versicherten S., S. und K. in Gesamthöhe von 7.014,92 EUR (= 13.720,00 DM) nach § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erloschen. (a)

Hinsichtlich der Vergütungen für die Versicherten B., Z., S., R., O., P., J., S., K., K., S., J. (restl. 1.764,00 DM), R. (restl. 3.724,00 DM), G. (restl. 784,00 DM), H. (588,00 DM) und H. mithin bezüglich eines Gesamtbetrages von 34.072,49 EUR (= 66.640,00 DM) ist die Aufrechnung gemäß §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 InsO unwirksam. (b)

a) Der Beklagten und der Gemeinschuldnerin standen im streitbezogenen Zeitraum gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen zu (vgl. § 387 BGB).

Die Beklagte hatte nach ihren vom Kläger unbestrittenen und vom Senat nicht bezweifelten Angaben ausweislich ihrer Beitragsakte bis zum 15. März 1999 einen Anspruch auf Zahlung von kraft Gesetzes fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen (§ 28 d SGB IV). Ihm stand die Hauptforderung des Klägers in Gestalt der Einzelvergütungen für die Reha-Behandlungen gegenüber. Beide Forderungen sind auf eine Geldsumme gerichtet und daher gleichartig.

Die Hauptforderung war mit Eingang der Rechnungen (insbesondere für die Versicherten S. (Rechnungseingang 11. März 1999), K. (Rechnungseingang 12. März 1999) und S. (vor dem 15. März 1999)) bei der Beklagten erfüllbar. Erst dann war diese regelmäßig in der Lage, den Vergütungsanspruch anhand § 1 Vergütungsvereinbarung und den übersandten Aufnahme- und Entlassungsmitteilungen (§ 6 Abs. 1 und Abs. 2 Vergütungsvereinbarung) sowie der gesetzlichen Zuzahlungsregelungen (§§ 39, 40 SGB V a.F.) zu berechnen und mit befreiender Wirkung an die Gemeinschuldnerin zu zahlen. Aus diesen Gründen ist der Vergütungsanspruch nicht sofort nach Ablauf des letzten (stationären) Aufenthaltstages erfüllbar (vgl. § 271 Abs. 1 2. Alt. BGB).

Die Abreden nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Versorgungsvertrag, die die Gemeinschuldnerin verpflichteten, der zuständigen Krankenkasse nach Beendigung der stationären Behandlung in der Regel innerhalb von 14 Kalendertagen nach der Entlassung eine Rechnung zuzusenden und nach Absatz 2, wonach die zuständige Krankenkasse den zu zahlenden Betrag in der Regel innerhalb von 14 Kalendertagen nach Erhalt der Rechnung zu überweisen hatte, ändern hieran nichts. Sie bestimmen lediglich die Fälligkeit der Vergütungen.

Anhaltspunkte, dass die Aufrechnungserklärungen der Beklagten (vgl. § 388 BGB) fehlerhaft sind, ergeben sich weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch sind sie dem Senat ersichtlich.

b) Die Beklagte durfte allerdings die fälligen Beitragsforderungen nur mit Vergütungsansprüchen der Gemeinschuldnerin aufrechnen, die bis zum 15. März 1999 erfüllbar waren.

Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die (an sich nach § 94 InsO zulässige) Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).

Maßgebliche Rechtshandlung ist vorliegend die Herbeiführung der Aufrechnungslage zur Ermöglichung der Befriedigung der Beklagten (vgl. Paulus in Kübler/Prütting, Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand: August 2001, § 130 Rdnrn. 6 und 14; Weis in Hess/Weis/Wienberg, Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage 2001, § 130 Rdnr. 8, Wienberg in Hess/Weis/Wienberg, a.a.O., § 96 Rdnr. 59). Die vom Sozialgericht vertretene Rechtsauffassung, anfechtbare Rechtshandlung sei die "Bewilligung von Rehabilitationsleistungen der Beklagten an ihre Mitglieder" wird nicht gefolgt, weil diese sich nur auf die Gewährung von Sachleistungen im Verhältnis zwischen Beklagten und Versicherten bezieht (vgl. §§ 2 Abs. 2 Satz 1, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V) und keine Wirkung zwischen den Beteiligten entfaltet.

Die Aufrechnungslage ist i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO herbeigeführt, weil die Maßnahmen der Beklagten bewirkten, dass sich die Forderungen vor Insolvenzeröffnung aufrechenbar (vgl. §§ 388, 389 BGB) gegenüberstanden (vgl. Wienberg in Hess/Weis/Wienberg, a.a.O., § 96 Rdnr. 59). Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne der Herbeiführung einer Aufrechnungslage ist angesichts der Besonderheiten von stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Krankenversicherung und den vorgefundenen vertraglichen Regelungen weit zu fassen. Hier bedarf es zur Begründung der erfüllbaren Hauptforderung - abgesehen vom Abschluss des Versorgungs- und Vergütungsvertrags nach § 111 Abs. 1, 2 und 5 SGB V - einer Einweisung des Versicherten in die Einrichtung der Gemeinschuldnerin (§ 5 Abs. 1 Vergütungsvertrag), einer entsprechenden Kostenübernahmeerklärung (§ 5 Abs. 3 Vergütungsvertrag), der Übersendung einer Aufnahmeanzeige (§ 6 Abs. 1 Vergütungsvertrag), einer Entlassungsanzeige (§ 6 Abs. 2 Vergütungsvertrag) innerhalb von drei Werktagen und einer Rechnung in der Regel innerhalb von 14 Kalendertagen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Versorgungsvertrag). Die Erfüllbarkeit der Hauptforderung (des auf den Patienten bezogenen Vergütungsanspruchs) bestand somit erst mit Zugang der von der Gemeinschuldnerin erstellten Rechnung bei der Beklagten.

Der Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen sämtliche nach Zugang (29. März 1999) des Schreibens der Gemeinschuldnerin vom 26 März 1999 durch Übersendung der Rechnung an die Beklagten i.S.v. § 387 BGB erfüllbaren Vergütungsansprüche. Die Aufrechnung war unzulässig und damit unwirksam, soweit sie die Vergütungsansprüche für die Versicherten R. (Rechnungseingang 7. April 1999), O. (Rechnungseingang 12. April 1999), P. (Rechnungseingang 12. April 1999), J. (Rechnungseingang 12. April 1999), S. (Rechnungseingang 15. April 1999), S. (Rechnungseingang 23. April 1999), K. (Rechnungseingang 23. April 1999), K. (Rechnungseingang 23. April 1999), R. (restl. 3.724,00 DM, Rechnungseingang 11. Mai 1999), J. (restl. 1.764,00 DM, Rechnungseingang 17. Mai 1999), H. (Rechnungseingang nach dem 31. Mai 1999) G. (restl. 784,00 DM, Rechnungseingang 1. Juni 1999) und H. (588,00 DM, Rechnungseingang 1. Juni 1999) betraf.

Soweit die Erfüllbarkeit des jeweiligen Vergütungsanspruchs ab dem 15. März 1999 eingetreten war - dies betrifft die Vergütungsansprüche zu den Patienten Z., S. und B. (Rechnungseingang jeweils 24. März 1999) – ist die Anfechtbarkeit ebenfalls gegeben.

Ab diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).

Grundsätzlich ist eine Nichtzahlung von Krankenversicherungsbeiträgen für sich genommen nicht ausreichend, um die Annahme einer Zahlungseinstellung und damit einer Zahlungsunfähigkeit zu begründen (vgl. Hess in Hess/Weis/Wienberg, a.a.O., § 17 Rdnr. 22). Zahlungsunfähigkeit wird vielmehr dann angenommen, wenn ein Schuldner wegen eines dauernden Mangels an Zahlungsmitteln außerstande ist, seine fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Allgemeinen zu erfüllen und dies dem Anfechtungsgegner nach außen hin erkennbar geworden ist (vgl. Weis in Hess/Weis/Wienberg, a.a.O., § 130 Rdnr. 16 m.w.N.). Sie ist abzugrenzen von der Zahlungsstockung. Bei dieser handelt es sich um eine vorübergehende augenblickliche Geldknappheit, bei der erwartet werden kann, dass der Schuldner in einer angemessenen Frist die erforderlichen Geldmittel erhält (vgl. Weis in Hess/Weis/Wienberg, Kommentar zur Insolvenzordnung, a.a.O., § 130 Rdnr. 18).

Die Grenze von der Zahlungsstockung zur Zahlungseinstellung wird überschritten, wenn die fälligen Schulden im Wesentlichen nicht binnen eines Monats bezahlt werden können (vgl. Bundesgerichtshof (BGH) vom 20. November 2001 – Az.: IX ZR 48/01 in NJW 2002, S. 515 und vom 25. Oktober 2001 – Az.: IX ZR 17/01 in NJW 2002, S. 512).

Im vorliegenden Fall war diese Zahlungseinstellung am 15. März 1999 eingetreten. Dass sich die Gemeinschuldnerin in einer finanziellen Problemlage befand, war für die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten erstmalig aus dem Schreibens vom 14. Oktober 1998 erkennbar, in dem die Gemeinschuldnerin um eine Stundung der Beiträge für September 1998 bat. Die Stundungsvereinbarung hielt sie mit Zahlung der letzten Rate am 15. Januar 1999 ein. Bis dahin lag jedenfalls nur eine Zahlungsstockung vor.

Der Antrag auf Stundung der Beiträge für Dezember 1998 vom 30. Dezember 1998 führte zu einer weiteren Stundungsvereinbarung, die im Februar 1999 mit Zahlung der ersten Rate in Höhe von einem Drittel des rückständigen Beitrags für Dezember 1998 bedient wurde. Auch zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte keinen Anlass, eine Zahlungseinstellung anzunehmen. Der geringe Zahlungsverzug (16. statt am vereinbarten 15. Februar 1999) kann eine Zahlungseinstellung noch nicht begründen.

Der Kläger hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass anderweitige Indizien für die Zahlungseinstellung der Gemeinschuldnerin, z.B. Erklärungen über die Zahlungseinstellung gegenüber (anderen) Gläubigern, die Nichtzahlung von Löhnen, Gehältern, Telefonkosten und Steuern (vgl. Hess, a.a.O.) vorlagen bzw. dass die Beklagte hiervon Kenntnis erhielt. Der Senat hat angesichts des Fehlens solcher Anhaltspunkte keine Veranlassung, hierzu weitere Ermittlungen anzustellen.

Die Beklagte erhielt auch durch die am 17. und 19. Februar 1999 geführten Telefonate keine Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Demnach hatte die Hausbank der Gemeinschuldnerin eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Liquidität zu treffen. Dass die Beklagte über weitergehende Informationen zur Finanzlage der Gemeinschuldnerin verfügte ist nicht erkennbar. Die Tatsache, dass am im Februar 1999 entgegen der Vereinbarung mit der Gemeinschuldnerin keine "normale" Beitragszahlung für den Monat Januar 1999 eingegangen war, ist insoweit nicht ausreichend. Denn die (endgültige) Mitteilung über die Entscheidung der Hausbank hinsichtlich der Betriebsmittelkreditvergabe stand noch aus. Daher ist die weitere Vorgehensweise der Beklagten, durch Erklärung vom 5. März 1999 die rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge mit Vergütungsansprüchen aufzurechen, grundsätzlich nicht zu beanstanden, zumal die Gemeinschuldnerin ein elementares Interesse an der weiteren Zusammenarbeit mit ihr bekundet hatte.

Am 15. März 1999 war jedoch die Monatsfrist seit Fälligkeit der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für Januar 1999 überschritten. Zusätzlich waren dann auch die Beiträge für Februar 1999 sowie die Ratenzahlungen auf die zweite Stundungsvereinbarung fällig. Damit musste die Beklagte (subjektiv) davon ausgehen, dass nicht nur eine Zahlungsstockung, sondern eine endgültige Zahlungseinstellung im Sinne der §§ 17 Abs. 2 Satz 2, 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO eingetreten war.

Eine Anspruchsgrundlage für den Zinsanspruch hat der Kläger nicht dargelegt und ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich ein Zinsanspruch nicht aus dem Versorgungsvertrag bzw. Vergütungsvertrag.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 Satz 2 SGG i.V.m. § 116 Abs. 2 Nr. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) in der vor dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung (vgl. BSG vom 24. September 2003 – Az.: B 8 KN 3/02 KR R).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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