L 6 RA 950/04

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 12 RA 412/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 RA 950/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der VEB Textilreinigung Greiz war kein VEB, der organisatorisch der industriellen Fertigung von Sachgütern zugeordnet und dessen Hauptzweck auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion (sog. "fordistisches Produktionsmodell") ausgerichtet war (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - Az.: B 4 RA 8/04 R).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 24. September 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr. 1 bis 26 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) die Beschäftigungszeiten vom 1. Juli 1971 bis zum 28. Februar 1978 und vom 1. Januar 1983 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.

Der 1943 geborene Kläger erlernte von September 1960 bis Februar 1963 den Beruf des Elek-tromonteurs (Facharbeiterzeugnis vom 26. Februar 1963) und war bis zum 31. Dezember 1967 in seinem erlernten Beruf tätig. Anschließend war er bis zum 31. Dezember 1969 als Planungsleiter und bis zum 31. Dezember 1974 als Hauptabteilungsleiter der Abteilung Ökonomie des VEB Impulsa E., Betrieb 6 Fahrzeugwerk A. beschäftigt. Zwischenzeitlich qualifizierte er sich nebenberuflich als Betriebsingenieur und erhielt das Recht, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen (Ingenieururkunde vom 2. Juli 1971). Vom 1. Januar 1975 bis zum 28. Februar 1978 übte er das Amt des Direktors für Ökonomie im VEB Sintolanwerk A. aus. Danach arbeitete er bis zum 30. April 1980 als Ökonom im Forschungszentrum des VEB C.-J. und bis 31. Dezember 1984 als Hauptbuchhalter des VEB Kombinat Textilreinigung J. Anschließend fungierte er nach eigenen Angaben bis 30. April 1990 als Betriebsdirektor im VEB Textilreinigung G. und seit dem 1. Mai 1990 als Geschäftsführer der aus diesem VEB hervorgegangenen Textilreinigung G. GmbH mit ca. 170 Mitarbeitern. Gleichzeitig übte er seinen Darlegungen zufolge vom 1. Juli 1989 bis zum 30. Juni 1990 eine Tätigkeit als kommissarischer (amtierender) Direktor des VEB Textilreinigung Gr. mit 14 Mitarbeitern aus. Von diesen seien fünf Personen mit der Annahme und Expedition von Wäsche und Garderobe beschäftigt gewesen sowie fünf in der Färberei und vier in der Änderungsschneiderei. In diesem Betrieb seien täglich bis zu 300 überwiegend aus Gebrauchtbeständen der Nationalen Volksarmee (NVA) aufgekaufte Uniformen durch Ausbesserung, Färben und Anbringen von selbst hergestellten Uniformaufnähern (Uniformbalken) für Zwecke des Strafvollzugs hergerichtet worden. Für die Tätigkeit als amtierender Direktor der Textilreinigung Gr. habe er wöchentlich einen Arbeitstag benötigt.

Nach eigener Darlegung trat der Kläger am 1. Januar 1980 der FZR bei und zahlte bis zum 2. Oktober 1990 entsprechende Beiträge.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. Juli 2002 die Feststellung der Beschäftigungszeiten vom 1. Juli 1971 bis 30. Juni 1990 als Zugehörigkeitszeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2003).

Das Sozialgericht Altenburg hat die Klage mit Urteil vom 24. September 2004 abgewiesen.

Mit seiner Berufung trägt der Kläger vor, der VEB Textilreinigung Gr. sei ein VEB der industriellen Produktion (neue Textilien) gewesen, denn er habe neue Sachen im Sinne des § 950 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hergestellt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 24. September 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Juni 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2003 zu verurteilen, die Zeiten vom 1. Juli 1971 bis 28. Februar 1978 und vom 1. Januar 1983 bis 30. Juni 1990 als Zugehörigkeitszeit zu dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die während dessen erzielten Entgelte und sonstigen Sachverhalte im Sinne des AAÜG festzustellen und dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils. Die betriebliche Voraussetzung für die fiktive Einbeziehung des Klägers in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz liege nicht vor, weil weder die Textilreinigung G. GmbH noch der VEB Textilreinigung Gr. am 30. Juni 1990 als VEB der industriellen Produktion tätig noch diesem aufgrund der Versorgungsordnung gleichgestellt gewesen seien.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Zeiten vom 1. Juli 1971 bis 28. Februar 1978 und 1. Januar 1983 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einschließlich der in diesem Zeitraum nachgewiesenen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Die Vorschriften des AAÜG sind auf ihn nicht anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben. War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG dieser Verlust als nicht eingetreten.

Der Kläger erfüllte nach dem Wortlaut der Vorschrift beide Voraussetzungen nicht. Er war am 1. August 1991, dem Datum des Inkrafttretens des AAÜG, nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden war, liegt nicht vor. Er hat auch keine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt und hatte keine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Er war nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen worden. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Ein Anwendungsfall einer gesetzlich fingierten Anwartschaft ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer Beschäftigung in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt hatte; vielmehr muss der Betroffene nach den Regeln des Versorgungssystems tatsächlich einbezogen worden und nach erfolgter Einbeziehung später ausgeschieden sein (vgl. Bundessozialgericht (BSG) vom 29. Juli 2004 - Az.: B 4 RA 12/04 R, nach juris). Nach § 3 Abs. 5 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl. Nr. 62 S. 487, nachfolgend: 2. DB z. ZAVO-techInt) erfolgte die Erteilung einer Versorgungszusage ausschließlich durch Aushändigung eines "Dokuments über die zusätzliche Altersversorgung". Ein solches Dokument (Versicherungsurkunde) ist dem Kläger nicht ausgehändigt worden. Mangels vorheriger Einbeziehung konnte er daher nicht aus einem Versorgungssystem in diesem Sinne ausscheiden.

Der Kläger war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft, wie sie sich aus der vom 4. Senat des Bundessozialgerichts vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG herleitet. Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht in einem Versorgungssystem einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht aufgrund originären Bundesrechts (z. B. Art. 17 EV) einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG, Urteile vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 31/01 R, Az.: B 4 RA 41/01, Az.: B 4 RA 3/02 R und 10. April 2002 - Az.: B 4 RA 34/01 R, Az.: B 4 RA 10/02 R, nach juris).

Der Kläger hatte am 1. August 1991 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (nachfolgend ZAVO-techInt, GBl. Nr. 93 S. 844) nicht erfüllt. Dies ist nur dann der Fall, wenn nach § 1 ZAVO-techInt i.V.m. § 1 Abs. 1 der 2. DB z. ZAVO-techInt drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss am 30. Juni 1990 eine bestimmte Berufsbezeichnung (persönliche Voraussetzung) und eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und die Tätigkeit oder Beschäftigung muss am 30. Juni 1990 bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens verrichtet worden sein (betriebliche Voraussetzung – BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 - Az.: B 4 RA 1/03 R; ebenso z.B.: BSG, Urteile vom 9. April 2002 –Az.: B 4 RA 32/01 R und vom 10. April 2002 – Az.: B 4 RA 10/02 R, vom 18. Juni 2003 – Az.: B 4 RA 50/02 R und 29. Juli 2004 – Az.: B 4 RA 4/04 R, sämtlich nach juris).

Vorliegend hatte der Kläger mit Erwerb des Ingenieurstitels am 2. Juli 1971 die persönliche Voraussetzung erfüllt. Ob er am 30. Juni 1990 mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Textilreinigung G. GmbH und seiner Nebentätigkeit als kommissarischer Direktor des VEB Textilreinigung Gr. die sachliche Voraussetzung erfüllt, kann der Senat offen lassen; bei beiden Betrieben liegt jedenfalls die betriebliche Voraussetzung im Sinne der Rechtsprechung des BSG nicht vor.

Zum Stichtag 30. Juni 1990 unterliegt ein in der Rechtsform als GmbH geführtes Unternehmen (hier: Textilpflege G. GmbH) nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach Bundesrecht nicht dem Anwendungsbereich der ZAVO-techInt (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 16. März 2006 – Az.: B 4 RA 30/05 R m.w.N., nach juris). Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat bereits angeschlossen (vgl. Urteile vom 25. September 2006 – Az.: L 6 R 206/05 und vom 19. Dezember 2005 – Az.: L 6 RA 166/02) und hält weiter daran fest.

Bei dem VEB Textilreinigung Gr. handelte es sich nicht um einen VEB, der organisatorisch der industriellen Fertigung von Sachgütern zugeordnet und dessen Hauptzweck auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion (sog. fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern ausgerichtet war (vgl. BSG in ständiger Rechtsprechung, z.B. Urteil vom 27. Juli 2004 – Az.: B 4 RA 8/04 R m.w.N., nach juris). Das ergibt sich aus den von der Beklagten nicht bestrittenen und vom Senat nicht bezweifelten eigenen Darlegungen des Klägers. Danach erfolgte bei dem Betrieb am 30. Juni 1990 aus technischen Gründen keine Reinigung von Kleidungsstücken mehr; vielmehr wurden gebrauchte Militäruniformen auf- bzw. umgearbeitet. Damit stellte der VEB Textilreinigung Gr. keine (neuen) Sachgüter im industriellen Maßstab her, sondern führte - den Notwendigkeiten des Rohstoffmangels der DDR folgend - gebrauchte Sachgüter durch Reparatur bzw. Aufarbeitung unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen Funktion als Uniformkleidungsstücke einem neuen Einsatzzweck im Bereich der staatlichen Tätigkeit der DDR zu. In diesem Sinne hat der Senat bereits entschieden, dass die Reparatur bzw. Aufarbeitung von Sachen (z.B. von Bussen (Urteil vom 19. Dezember 2005 – Az.: L 6 RA 166/02) oder Dieselmotoren in größeren Stückzahlen (Urteil vom 25. September 2006 – Az.: L 6 R 206/05, nicht rechtskräftig)) keine industrielle Produktion im Sinne der Rechtsprechung des BSG ist. Dem entsprechend wäre z.B. ein als Polizeiwagen benutzter PKW des Typs "Wartburg" nach Umarbeitung zu einem Fahrzeug der Feuerwehreinsatzleitung weiterhin ein Gebraucht- und kein Neuwagen. Insofern kommt es - entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht – versorgungsrechtlich nicht darauf an, ob möglicherweise durch Verarbeitung eine neue Sache (§ 950 BGB) entstanden ist.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) liegt gegenüber denjenigen, die mit entsprechender Qualifikation in das Zusatzversorgungssystem einbezogen wurden, nicht vor. Denn der Einigungsvertragsgesetzgeber war nicht gehalten, solche bereits in den Versorgungsordnungen angelegten Ungleichbehandlungen nachträglich zu korrigieren (vgl. BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – Az.: B 4 RA 21/02 R, nach juris). Er durfte an die am 2. Oktober 1990 vorliegenden Versorgungsordnungen im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen (vgl. BVerfG in BVerfGE 100, S. 138, 193 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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