L 6 RJ 1024/03

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 6 RJ 64/02
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 1024/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. War der Arbeitgeber bei der Fälligkeit von Beiträgen gutgläubig, ist er aber vor Ablauf der kurzen (vierjährigen) Verjährungsfrist bösgläubig geworden, gilt die 30-jährige Verjährungsfrist (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2000 - Az.: B 12 KR 14/99).

2. Stellt ein Arbeitgeber aufgrund der Ergebnisse einer Steueraußenprüfung seine Verfahrensweise um und führt nunmehr ebenfalls entsprechende Versicherungsbeiträge auf den Mehrarbeitslohn ab, ist davon auszugehen, dass er die Beitragspflicht für möglich hält und die Nichtabführung der Beiträge für die Vergangenheit billigend in Kauf nimmt.

3. Der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius, der aus § 123 SGG folgt und gemäß § 153 Abs. 1 SGG auch für das Berufungsverfahren gilt, findet auf die Kostenentscheidung der Vorinstanz keine Anwendung (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 19. Juli 2005 - Az.: L 6 KR 770/03).

4. Das Tatbestandsmerkmal "Zinsen" in § 22 Abs. 1 GKG a.F. ist auf Säumniszuschläge analog anzuwenden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. November 2005 - Az.: L 5 B 192/05 KR; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Februar 2000 - Az.: 9 K 47/98).
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. August 2003 hinsichtlich der Kostenentscheidung abgeändert.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 1.778,53 Euro und für das Berufungsverfahren auf 1.765,58 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Beitragsforderung sowie Säumniszuschläge.

Die Klägerin ist seit 1991 selbständig und führt – seit 1996 in der derzeitigen Form - Serviceleistungen als Subunternehmer im Bad- und Sanitärbereich durch; sie beschäftigt mehrere Arbeitnehmer. Die Klägerin führt selbst die Buchhaltung in ihrem Betrieb durch; sie berechnet selbst die abzuführende Lohnsteuer und Sozialabgaben ihrer Mitarbeiter. Einmal im Jahr werden die Unterlagen an die R. Datenverarbeitung GmbH Steuerberatungsgesellschaft, B., gegeben. Diese fertigt den Jahresabschluss sowie die daraus resultierenden Steuererklärungen (Einkommensteuer, Gewerbesteuer etc.). Zuständige Mitarbeiterin war im streitgegenständlichen Zeitraum die Zeugin A. T.

Das Finanzamt Bad Salzungen führte am 12. und 30. November 1998 für den Zeitraum Januar 1994 bis September 1998 eine Lohnsteueraußenprüfung durch (St.Nr.: 168/150/12236). Nach den Prüfungsfeststellungen vom 11. Dezember 1998 wurden in der Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. September 1998 an Arbeitnehmer Vergütungen für Mehrarbeitslohn und Mehrarbeitslohnzuschläge gezahlt, die keine steuerfreien Einnahmen i.S.d. § 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) waren. Die Überstundenbezahlung setze sich aus dem steuerpflichtigen Grundlohn für die Überstunden und dem vereinbarten Zuschlag zusammen. Das Finanzamt forderte für 1996 bis 1998 von der Klägerin die Zahlung von insgesamt 8.919,03 DM geschuldeter Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer nach. Nach eigenen Angaben in der Senatssitzung am 29. Januar 2007 stellte die Klägerin ihre Verfahrensweise nach der Schlussbesprechung mit dem Finanzamt um und führte ab 1999 für Mehrarbeitslöhne und Mehrarbeitslohnzuschläge die Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung ab.

Bei einer Betriebsprüfung der Beklagten am 21. Februar 2001 stellte die Zeugin S. M. fest, dass im streitgegenständlichen Bereich für die pauschalen Zahlungen keine Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt worden waren. In einem internen Aktenvermerk vom gleichen Tage vermerkte sie u.a. Folgendes: " Frau S. war früher in einem Großbetrieb als Finanzbuchhalter tätig. Jetzt macht sie in der eigenen Firma die gesamte Buchhaltung und Lohnbuchhaltung. Nach eigener Aussage war ihr schon bewußt, dass die Steuerpflicht auch die Beitragspflicht nach sich zieht. Eine Auswertung des Berichtes wurde trotzdem versäumt. Frau S. betont, dass bei Nachberechnung der Beiträge die Firma nicht mehr zahlungsfähig ist. Von mir wurde erläutert, dass die Gesetzlichkeiten vorgegeben sind und von mir nicht willkürlich außer Acht gelassen werden können "

Mit Bescheid vom 29. März 2001 und den beigefügten Anlagen forderte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung von 12.652,82 DM (641,76 DM für die Beigeladene zu 1. und 12.011,06 DM für die Beigeladene zu 3.) sowie 3.024,00 DM Säumniszuschläge. Überstundenvergütungen seien stets steuer- und beitragspflichtiger Arbeitslohn. Entgegen dem im Bescheid angegebenen Prüfungszeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000 berücksichtigte sie in den Anlagen bei der Nachberechnung der Entlohnung der Beigeladenen zu 4. bis 6. tatsächlich einen Zeitraum vom 1. Mai 1996 bis 1998.

Mit ihrem Widerspruch trug die Klägerin u.a. vor, sie sei bei der Lohnsteueraußenprüfung nicht darauf hingewiesen worden, dass die Übernahme der Lohnsteuer zur Beitragspflicht führe, diese eine Betriebsprüfung durch die Beklagte zur Folge habe und sie die Möglichkeit einer Selbstanzeige habe. Die Prüfungsfeststellungen hätten so enorme finanzielle Auswirkungen auf sie, dass sie alle Mitarbeiter entlassen und den Betrieb schließen müsse. Dies habe sie der Zeugin M. mitgeteilt, die dafür aber kein Verständnis gehabt habe.

Mit Bescheid vom 27. Juni 2001 änderte die Beklagte den Bescheid vom 29. März 2001 hinsichtlich des Prüfungszeitraums (nunmehr 1. Mai 1996 bis 31. Dezember 2000) ab. Weitere Änderungen erfolgten nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2001 wies sie den Widerspruch zurück. Ausgehend von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. März 2000 (Az.: B 12 KR 14/99 R) sei angesichts der Sachlage jedenfalls von einem bedingten Vorsatz der Klägerin auszugehen. Damit gelte die 30-jährige Verjährungsvorschrift auf Beitragsnachforderungen.

Ihre im Januar 2002 erhobene Klage hat die Klägerin u.a. damit begründet, die Ansprüche der Beklagten seien verjährt. Sie habe trotz ihrer früheren Tätigkeit als Finanzbuchhalterin im Bereich Gewinnermittlung eines Kaltwalzwerks ihre Beitragsschuld und die Verpflichtung zur Abführung von rückständigen Beiträgen sowie die Zusammenhänge zwischen Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht nicht gekannt. Sie habe auch eine entsprechende Kenntnis gegenüber der Prüferin M. tatsächlich nicht zugestanden. Die Pauschalbeträge an die Arbeitnehmer habe sie aufgrund eines Vorschlags einer großen Auftraggeberfirma gezahlt. Die Lohnunterlagen habe sie einmal im Jahr ihrem Steuerberatungsbüro übergeben, das die Abrechnung überprüft und den Jahresabschluss erstellt habe. Sie sei davon ausgegangen, dass dieses ordnungsgemäß abgerechnet habe. Sie habe sich auch nach der Steueraußenprüfung keine Gedanken gemacht. Die Prüfer hätten sie nicht auf die Sozialversicherungspflicht hingewiesen. Auf ihre Anfrage, wegen der Steueraußenprüfung in den Betrieb zu kommen, habe das Steuerbüro nicht reagiert.

In der Sitzung des Sozialgerichts vom 4. August 2003 hat die Klägerin ausgeführt, ihre Klage richte sich nur auf die Forderung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuzüglich der Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Mai bis 30. November 1996. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, die konkreten Entgelte für die Monate Mai bis November müssten noch errechnet werden.

Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen; außergerichtliche Kosten seien nach § 193 SGG nicht zu erstatten. Eine Verjährung sei nicht eingetreten, denn es sei nicht glaubhaft, dass sich die Klägerin nach den Ergebnissen der Lohnsteueraußenprüfung keine Gedanken über die Sozialversicherungspflicht gemacht habe. Es sei davon auszugehen, dass sie die Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge in Kauf genommen habe.

Mit der am 19. Dezember 2003 eingelegten Berufung bekräftigt die Klägerin, sie habe gegenüber der Zeugin M. nie erklärt, es sei ihr bewusst gewesen, dass die Steuerpflicht auch die Beitragspflicht nach sich ziehe. Sie habe sich keine Gedanken über die Abführung der Sozialabgaben gemacht. Trotz Änderung ihrer bisherigen Verfahrensweise bzgl. der Steuern und Sozialabgaben ab 1999 sei sie damals weiterhin davon ausgegangen, dass sie zuvor nicht fehlerhaft gehandelt habe. Einschlägige Vorkenntnisse habe sie nicht besessen und auch nicht bei ihrer früheren Tätigkeit beim VEB Kaltwalzwerk erworben. Dort habe sie eine rein wirtschaftliche Tätigkeit in der Finanzbuchhaltung ausgeübt. Im Übrigen bestreite sie - ohne weitere Substantiierung - die Höhe der Forderung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. August 2003 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 29. März 2001 und vom 27. Juni 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Dezember 2001, berichtigt in der Anlage zum Schriftsatz vom 10. Juli 2006, insoweit abzuändern, als diese Gesamtversicherungsbeiträge zuzüglich Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Mai bis 30. November 1996 in Höhe von insgesamt 2.195,07 Euro fordert.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Nach ihrer Ansicht belegt die Tatsache, dass die Klägerin Ende 1998 ihre Verfahrensweise umstellte ihre Kenntnis von der Beitragspflicht.

Die Beigeladene zu 2. schließt sich der Ansicht der Beklagten an, hat aber keinen Antrag gestellt. Die Beigeladenen zu 1. und 3. bis 6. haben sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Auf Aufforderung des Senats hat die Beklagte nach Überprüfung der Lohnunterlagen der Klägerin unter dem 10. Juli 2006 die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge für den streitgegenständlichen Zeitraum mit 1.765,58 Euro und die ausstehenden Säumniszuschläge mit 429,49 Euro (insgesamt 2.195,07 Euro) beziffert.

In der Sitzung vom 29. Januar 2007 hat der Senat die Zeugen S. M. und A. T. vernommen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Nachforderung der Sozialabgaben durch die Beklagten ist nicht verjährt.

Bei versicherungspflichtig Beschäftigten wurden im relevanten Zeitraum in der Kranken- und Pflege- sowie der Rentenversicherung der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt (vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 S. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), § 57 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI), § 162 Nr. 1 SGB VI, § 175 Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), ersetzt ab 1. Januar 1998 durch § 342 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) alle laufenden und einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder in Zusammenhang mit ihr erzielt werden (Satz 1). Eingeschränkt wird dies über § 17 Abs. 1 SGB IV durch die Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (Arbeitsentgeltverordnung – ArEV). Nach § 1 ArEV sind einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus § 3 ArEV (der hier nicht einschlägig ist) nichts Abweichendes ergibt. Die Überstundenzuschläge gehören nicht zu den steuerfreien Einnahmen im Sinne des § 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), insbesondere nicht zu den steuerfreien Zuschlägen nach § 3b EStG i.d.F. bis 28. April 1997. Dementsprechend hat sie das Finanzamt Bad Salzungen in den Prüfungsfeststellungen vom 11. Dezember 1998 als steuerpflichtig festgestellt, was von der Klägerin auch akzeptiert wurde.

Soweit die Klägerin die Höhe der Forderung unkonkretisiert bestreitet, sieht der Senat angesichts des Fehlens jeglicher näherer Angaben keinen Anhalt für weitere Ermittlungen quasi "ins Blaue hinein". Inhaltliche Fehler sind nicht ersichtlich.

Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen, hier also mit der jeweiligen Beschäftigung. Im vorliegenden Fall sind die streitgegenständlichen Beiträge nicht verjährt. Bei der Verjährung von Beitragsforderungen wird in § 25 Abs. 1 SGB IV zwischen einer kurzen vierjährigen (Satz 1) und einer langen 30-jährigen Verjährungsfrist (Satz 2) unterschieden. Nach Satz 1 verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren nach Satz 2 in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Nach § 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV i.d.F. bis 31. Dezember 1996 werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt. Hier wäre die vierjährige Verjährungsfrist für die Beiträge von Januar bis November 1996 zum Zeitpunkt der Geltendmachung und zwar am 31. Dezember 2000 abgelaufen gewesen.

Die kurze Verjährungsfrist kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber bis zu ihrem Ablauf gutgläubig geblieben ist. War er zwar bei Fälligkeit der Beträge gutgläubig, ist er aber vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist bösgläubig geworden, gilt die 30-jährige Verjährungsfrist (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2000 – Az.: B 12 KR 14/99 R, nach juris; Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: März 2005, § 25 SGB IV Rdnr. 6). Eine anfängliche Gutgläubigkeit begründet also keinen Vertrauensschutz, wenn nach der Fälligkeit, aber noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist Vorsatz hinzutritt.

Für Vorsatz im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge zu unterlassen. Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, also die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (vgl. BSG, Urteile vom 26. Januar 2005 – Az.: B 12 KR 3/04 R, 30. März 2000, a.a.O., und 21. Juni 1990 – Az.: 12 RK 13/89, alle nach juris). Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Vorsatz bereits zum Zeitpunkt der Verbuchung vorlag und ob die Klägerin bei ihrer früheren Tätigkeit als Finanzbuchhalterin einschlägige Kenntnisse erworben hatte (wofür keine Anhaltspunkte ersichtlich sind). Dies gilt auch für die Fragen, ob sie sich – bei den vorgetragenen fehlenden eigenen Kenntnissen - bei Einführung der ursprünglichen Abrechnung und Verfahrensweise ohne Weiteres auf die (unrichtigen) Angaben "einer großen Auftragsfirma" aus den alten Bundesländern verlassen durfte oder ob es notwendig gewesen wäre, fachkundigen Rat, z.B. bei ihrem Steuerberatungsbüro einzuholen.

Der Senat geht davon aus, dass sie zumindest ab 1999 mit einer Beitragspflicht für den Mehrarbeitslohn rechnete, denn ab diesem Zeitpunkt stellte sie ihre Verfahrensweise um und führte entsprechende Versicherungsbeiträge auf den Mehrarbeitslohn ab. Sie nahm damit die Nichtabführung der Beiträge in der Vergangenheit billigend in Kauf. Ob sogar– wofür durchaus Anhaltspunkte vorliegen - direkter Vorsatz vorlag, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Es liegt nahe, dass die Umstellung auf die Ergebnisse der Steueraußenprüfung zurückzuführen war, bei der die Nichtabführung der Lohnsteuer für Mehrarbeitslohn und Mehrarbeitslohnzuschläge als fehlerhaft gerügt worden war, was von der Klägerin in der Folge auch akzeptiert wurde. Insofern ist unerheblich, ob die Lohnsteueraußenprüfung ergeben hat, dass Teile des Lohns steuerfrei waren. Dass die Klägerin selbst die Unrichtigkeit nicht nur auf die Steuer, sondern auch auf die Beitragsabführung bezog und ihre frühere Verfahrensweise auch bezüglich der Beitragsabführung als unrichtig ansah, ergibt sich unzweifelhaft daraus, dass sie ab 1999 auf den Mehrarbeitslohn nicht nur die Abführung der Lohnsteuer, sondern auch der Beiträge zur Sozialversicherung umstellte und damit höhere Kosten in Kauf nahm. Diese Umstellung hat sie in der Sitzung am 29. Januar 2007 eingeräumt.

Damit ist auch ihr früherer Vortrag vor dem Sozialgericht widerlegt, sie habe sich nach der Lohnsteueraußenprüfung keine Gedanken darüber gemacht, dass die Entgelte sozialversicherungspflichtig waren. Der Umstellung muss notwendigerweise eine entsprechende eigene Entscheidung vorangegangen sein, denn die Klägerin war in ihrem Betrieb allein zuständig für die entsprechende Verbuchung und Abführung der Versicherungsbeiträge.

Ihr behauptetes Vertrauen auf die Überprüfung ihrer Unterlagen durch das Steuerberatungsbüro, wie vor dem Sozialgericht vorgetragen, konnte nicht entstehen, denn der Auftrag des Steuerberatungsbüros umfasste nach den Angaben der Klägerin und der Zeugin T. vor dem Senat nur die Fertigung der Jahresabschlüsse und der daraus resultierenden Steuererklärungen, d.h. vor allem der Einkommen- und Gewerbesteuer. Damit war das Steuerberatungsbüro für die Überprüfung der Richtigkeit der Berechnung und Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben nicht zuständig. Insofern kann der Senat die Behauptung der Klägerin, sie sei weiterhin davon ausgegangen, dass "auch" die frühere Verfahrensweise richtig gewesen sei, nicht nachvollziehen. Ob dies angesichts der Änderungen ab 1999 bei einer kostenneutralen neuen Verfahrensweise denkbar wäre, kann offenbleiben. Sie scheidet jedenfalls bei den hier vorliegenden höheren Kosten aus. Damit drängt sich für den Senat auf, dass die vorgetragene Unkenntnis zielgerichtet behauptet wird, um die nachträgliche Zahlung der nicht abgeführten Beiträge zu vermeiden.

Bestätigt wird die Einschätzung des Senats durch die Angaben der Zeugin M. Nach ihren Angaben hatte ihr die Klägerin im Verlauf der Prüfung ungefähr folgende Frage gestellt: "Soll ich vielleicht zur Krankenkasse gehen?". Ihr Schluss, daraus habe sie die Kenntnis der Sozialversicherungspflicht geschlossen, ist naheliegend. Die Bemerkung macht – vor allem in Zusammenhang mit der Umstellung ihrer Verbuchungen nach der Schlussbesprechung mit dem Finanzamt - nur dann Sinn, wenn die Klägerin selbst erhebliche Zweifel an der Richtigkeit ihre früheren Verfahrensweise hatte und zwar ab 1999. Anhaltspunkte für fehlerhafte Angaben der Zeugin sind nicht ersichtlich. Sie hat überdies am Ausgang des Verfahrens keinen direkten Vorteil. Insofern hat sich die inhaltliche Richtigkeit des Aktenvermerks der Zeugin M. vom 21. Februar 2001 bestätigt, in dem sie über die Kenntnis der Klägerin von der Sozialversicherungspflicht berichtete.

Keine Bedenken bestehen gegen die ebenfalls angegriffenen Säumniszuschläge. Nach § 24 Abs. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v. H. des rückständigen, auf 50,00 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Für die Frage, ob verschuldet oder unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, ist in Ermangelung anderer Maßstäbe auf die zur Prüfung des Vorsatzes entwickelten Kriterien zurückzugreifen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2005, a.a.O.). Bedingter Vorsatz der Klägerin ist somit auch hinsichtlich der Zahlungspflicht anzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Säumniszuschläge fehlerhaft berechnet hat, hat die Klägerin weder dargelegt noch sind sie für den Senat ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dementsprechend war auch das Urteil der Vorinstanz hinsichtlich der Kostenentscheidung abzuändern. § 193 SGG war nicht einschlägig, weil die Klägerin des Verfahrens nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Die Abänderung durch das Berufungsgericht ist auch zulässig, obwohl nur die Klägerin Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hat, denn der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius, der aus § 123 SGG folgt und der gemäß § 153 Abs. 1 SGG auch für das Berufungsverfahren gilt, findet auf die Kostenentscheidung keine Anwendung (vgl. Senatsurteil vom 19. Juli 2005 – Az.: L 6 KR 770/03; Mayer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 123 Rdnr. 5; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage 2003, Vorbem. vor § 154, Rdnr. 5). Kosten der Beigeladenen hat die Klägerin nicht zu tragen, weil diese keine Anträge gestellt haben.

Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich entsprechend § 72 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (n.F.) noch nach dem Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl I, 3047 ff; im Folgenden: a.F.), weil das Verfahren vor dem 1. Juli 2004 anhängig geworden ist. Nach § 13 GKG a.F. ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit der Streitwert vorbehaltlich der folgenden Vorschriften nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (Absatz 1). Betrifft (wie hier) der Antrag des Klägers (in beiden Instanzen) eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so ist deren Höhe maßgebend (Absatz 2). Einschränkend regelt § 22 Abs. 1 GKG a.F., dass bei Handlungen, die außer dem Hauptanspruch auch Früchte, Nutzungen, Zinsen oder Kosten als Nebenforderungen betreffen, der Wert der Nebenforderung nicht berücksichtigt wird. Zwar stellen die Säumniszuschläge keine Zinsen dar. Sie sind vielmehr ein Druckmittel eigener Art, das den Beitragsschuldner zu rechtzeitigen Zahlungen anhalten soll. Das Tatbestandsmerkmal "Zinsen" in § 22 Abs. 1 GKG a.F. ist aber auf Säumniszuschläge analog anzuwenden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. November 2005 – Az.: L 5 B 192/05 KR, nach juris; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Februar 2000 – Az.: 9 K 47/98, nach juris; Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2006, C III 2.2).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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