L 1 U 364/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 18 U 640/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 364/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Beitragsbescheide für andere Zeiträume werden nicht Gegenstand eines anhängigen Klageverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006 - Az.: B 2 U 2/05 R; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 2005 - Az.: L 2 U 38/04).

2. Der Jagdwert ist ein den in § 182 Abs. 2 SGB VII ausdrücklich genannten Berechnungsgrundlagen vergleichbarer Maßstab.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 29. März 2006 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur Land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft.

Die Klägerin ist Pächterin des Jagdreviers O. Ausweislich der Mitteilung des Landratsamtes Bad Kissingen vom 21. Mai 1997 wurde dieses Jagdrevier bis zum 31. März 2008 an die Klägerin weiter verpachtet. Der Pachtpreis war ab dem 1. April 1999 mit jährlich 9.000,00 DM festgelegt. Beiträge zur Berufsgenossenschaft betrugen, soweit aus der Verwaltungsakte ersichtlich, für das Geschäftsjahr 1998 (Umlage 1997) 86,90 DM und für das Geschäftsjahr 1999 (Umlage 1998) 86,70 DM.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2003 forderte die Beklagte für das Jahr 2002 Beiträge in Höhe von 315,92 EUR. Der Betrag setzte sich zusammen aus dem Bruttobetrag in Höhe von 270,92 EUR (Berechnungswert 5.220,00 x Bruttohebesatz 5,19 v. H. = Bruttobeitrag 270,92). Dazuaddiert wurde ein Grundbeitrag in Höhe von 45,00 EUR (270,92 + 45,00 = 315,92 EUR).

Auf den Widerspruch der Klägerin, dass die Flächengrößen falsch seien und mit den Vorjahren nicht übereinstimmten, wies die Beklagte mit Schreiben vom 25. März 2003 darauf hin, dass der Pachtpreis nicht mehr nach der Flächengröße des Jagdrevieres berechnet werde, sondern nach dessen Pachtpreis.

Nachdem die Klägerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausgeführt hatte, dass es nicht sachgerecht erscheine, die Beiträge nach dem Pachtpreis zu bestimmen, weil diese Methode keinerlei Rückschlüsse auf Jagdintensität und Unfallhäufigkeit zulasse, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2004 zurück. Ab der Sollstellung 2002 stelle der jährlich zu zahlende Jagdpachtpreis den Berechnungswert (Jagdwert) dar. Der Pachtpreis werde von den Landratsämtern, als untere Jagdbehörde, bekannt gegeben. Übersteige der Jagdpachtpreis je Hektar das Doppelte des durchschnittlichen Jagdwertes des Landkreises, bleibe der übersteigende Betrag unberücksichtigt. Diese Begrenzung sei bei der Berechnung berücksichtigt worden.

Im Klageverfahren ist mit Bescheid vom 26. März 2004 die Beitragsberechnung für das Jahr 2003 erfolgt und mit Bescheid vom 23. Februar 2005 die Berechnung der Beiträge für das Jahr 2004.

Mit Urteil vom 29. März 2006 hat das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid vom 17. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004 sowie die Bescheide vom 26. März 2004 und 23. Februar 2005 abgewiesen und ausgeführt, dass der Jagdwert als Berechnungsgrundlage für die Höhe der Beiträge der Klägerin rechtlich nicht zu beanstanden sei. Nach § 51 Abs. 1 der Satzung sei der Berechnungswert für die Unternehmen der Jagd der von den Jagdpächtern an die Verpächter jährlich zu zahlende Jagdpreis (Jagdwert). Diese Satzungsvorschrift der Beklagten halte sich im Rahmen der gesetzlichen Normen des § 182 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) und verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht.

Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass der Pachtpreis Folge einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen Verpächter und Pächter sei. Für die letztendlich vereinbarte Höhe sei eine Vielzahl von Faktoren bedeutsam. Beispielhaft seien nur das Verhandlungsgeschick und die persönliche Nähe der Vertragspartner genannt. Auch außerhalb der Jahrespacht stehende geschäftliche Aktivitäten könnten so in die Pachtvereinbarung einfließen. Ebenfalls gehöre zum Beispiel die erhöhte Nachfrage nach dem Revier wegen entsprechender Siedlungsdichte oder Nähe zu attraktiven Siedlungsgebieten zu den den Pachtpreis bestimmenden Umständen. Zudem hänge dieser von der Art des im Revier jagdbaren Wildes ab. Niederwildreviere (Rehwild, Schwarzwild, Hasen, Wildgänse etc.) seien im Regelfall auch bei höherem Wildbestand zu erheblich niedrigeren Preisen zu pachten als Hochwildreviere (Rotwild, Dammwild etc.). Die Unfallhäufigkeit müsse jedoch wenigstens abstrakt und verallgemeinernd Grundlage der Beitragsbemessung für die Beklagte sein. Die Beklagte habe sich daher bei Erlass ihrer Satzung durch die Vertreterversammlung von sachwidrigen Erwägungen leiten lassen. Dies sei mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus hervorgehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar. Auch finde kraft der Satzung eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung weitgehend gleicher Sachverhalte statt. So würden Jagdpachtverträge meist auf lange Dauer, beispielsweise 12 Jahre geschlossen. Damit könne der langfristig Pachtende noch den Vorteil niedriger Pachtzahlung aufgrund Jahre zurückliegender Vereinbarung genießen. Somit komme es häufig zu der Situation, dass Jagdpächter in angrenzenden Revieren von gleicher Größe, gleichem Wildbestand und gleicher Jagdhäufigkeit unterschiedliche Jagdpachtzinsen zahlten. Die Unfallhäufigkeit sei jedoch bei verallgemeinernder, an Durchschnittswerten orientierter Betrachtung gleich hoch.

Die Klägerin beantragt,

das Urteils des Sozialgerichts Gotha vom 29. März 2006 aufzuheben, den Bescheid vom 17. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004 sowie die Bescheide vom 26. März 2004 und 23. Februar 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beitragsberechnung basiere auf den gesetzlichen Grundlagen zur Beitragsveranlagung, wie bereits im Widerspruchs- und Klageverfahren ausgeführt. Im Übrigen werde auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts Gotha verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Im Streit stehen wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Zu diesen zählen auch Beiträge (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 144 Rdnr. 23). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Gestritten wird um die Beitragshöhe und dies für den Zeitraum 2002 bis 2005.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Hinsichtlich der Beitragsbescheide vom 26. März 2004 für das Beitragsjahr 2003 und vom 23. Februar 2005 für das Beitragsjahr 2004 sind die Klagen bereits unzulässig, auch wenn die Beklagte in ihren Bescheiden darauf hingewiesen hat, dass sie Gegenstand des Klageverfahrens werden. Eine unmittelbare Anwendung des § 96 SGG scheidet bereits deshalb aus, weil sie den vorangegangenen Bescheid (für das Jahr 2002) nicht abändern oder ersetzen. Denn daran fehlt es, wenn die weiteren Bescheide zwar dasselbe Rechtsproblem treffen, jedoch andere Zeiträume regeln. Die Einbeziehung der Beitragsbescheide kann auch nicht auf eine analoge oder entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG gestützt werden, weil dadurch der Streitstoff erweitert würde und Erwägungen der Prozessökonomie ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006, Az.: B 2 U 2/05 R; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 2005, Az.: L 2 U 38/04). Es liegt auch kein Fall einer zulässigen Klageänderung nach § 99 SGG vor, weil es an der Durchführung des Vorverfahrens fehlt.

Die Berechnung der Beiträge für das Jahr 2002 ist nicht zu beanstanden. Nach § 182 Abs. 2 SGB VII sind Berechnungsgrundlagen für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften das Umlagesoll, die Fläche, der Wirtschaftswert, der Flächenwert, der Arbeitsbedarf, der Arbeitswert oder ein anderer vergleichbarer Maßstab (Satz 1). Die Satzung der Beklagten hat bei der Festlegung der Berechnungsgrundlagen die Unfallrisiken in den Unternehmen ausreichend zu berücksichtigen; sie kann hierzu einen Gefahrtarif aufstellen (Satz 2). Die Satzung kann zusätzlich zu den Berechnungsgrundlagen nach den Sätzen 1 und 2 einen Mindestbeitrag oder einen Grundbeitrag bestimmen (Satz 3).

Nach § 51 Abs. 1 der Satzung der Beklagten in der Neufassung von 2001 ist der Berechnungswert für die Unternehmen der Jagd der von den Jagdpächtern an die Verpächter jährlich zu zahlende Jagdpachtpreis (Jagdwert).

Diese Satzungsbestimmungen können als autonomes objektives Recht vom Senat nur insoweit überprüft werden, ob sie mit dem Gesetz, auf dem die Ermächtigung zur Rechtssetzung beruht, und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 1987, Az.: 2 RU 63/85 m.w.N., nach juris). Insofern überlässt der Gesetzgeber den Satzungen der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften einen weiten Spielraum einschließlich von Praktibilitätserwägungen, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1991, Az.: 2 RU 32/90, nach juris; Ricke in Kasseler Kommentar, Stand: April 2002, § 192 SGB VII Rdnr. 2).

Der Jagdwert ist ein den in § 182 Abs. 2 SGB VII ausdrücklich genannten Berechnungsgrundlagen vergleichbarer Maßstab. Auch ist ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht ersichtlich; insofern ist die Satzung der Beklagten nicht zu beanstanden. Dass die Bestimmung des Jagdwertes als Beitragsmaßstab zur Berechnung des Beitrages für Jagden nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, hat das Bundessozialgericht bereits entschieden (vgl. Urteil vom 20. Januar 1987, a.a.O.). Es ist unerheblich, dass dieses Urteil noch zu den Regelungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergangen ist. Ebenso wie die Rechtsvorgängervorschriften stellt auch das SGB VII auf das objektive Unfallrisiko ab.

Der Pachtpreis trägt dem bei der Beitragsverteilung zu berücksichtigenden Unfallwagnis Rechnung, führt auch zu einer ausreichenden Beitragsgerechtigkeit und ist zudem für eine Massenverwaltung praktikabel. Im Pachtpreis schlägt sich unter anderem die Lage, die Größe sowie die Art und Zahl des Wildbestandes und das jagdliche Interesse nieder, die sämtlich in Beziehung zum Unfallrisiko stehen.

Die entgegenstehende Auffassung der Klägerin wurde bereits vom Bundessozialgericht nicht geteilt; dem schließt sich der erkennenden Senat an. Durch die Beziehung des Jagdpachtpreises zur Größe des Reviers, Lage des Reviers, Art und Zahl des Wildbestandes und des jagdlichen Interesses wird der Unfallgefahr der erforderliche Stellenwert beigemessen. Die Flächengröße eines Reviers hingegen reflektiert für sich gesehen - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht das tatsächliche Unfallrisiko. Sie kann ein Beitragsmaßstab sein, muss es aber nicht. Ob durch einen anderen Beitragsmaßstab oder durch Modifizierung des von der Beklagten gewählten Maßstabes eine stärkere Berücksichtigung der Unfallgefahr erreichbar wäre, muss der Entscheidung der Selbstverwaltung der Beklagten überlassen bleiben und ist nicht von den Gerichten zu entscheiden.

Der Gleichheitssatz des Artikels 3 des Grundgesetzes (GG) ist nicht verletzt; insbesondere nicht dadurch, dass in langfristigen Jagdverträgen niedrigere Jagdpachten vereinbart sind. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann der Senat nicht überprüfen. Insofern handelt es sich um reine Spekulation. Im Übrigen kommt es auch nicht darauf an, weil niemals für alle Betroffenen die gleichen Ausgangsvoraussetzungen geschaffen werden können. So hat die Klägerin ihren Vertrag auch bereits 1997 abgeschlossen und steht sich damit unter Umständen günstiger als eine Person, die den Pachtvertrag erst im Jahre 2001 geschlossen hat. Zufälligkeiten dieser Art, Zeitpunkt des Vertragsschlusses etc. können keinen Einfluss darauf haben, ob der Bewertungsmaßstab als solcher geeignet ist. Insgesamt wird man davon ausgehen müssen, dass die Jagdpacht auch über die Jahre gemessen immer in einem gesunden Verhältnis zu den Faktoren Jagdgröße, Lage des Reviers und Art des Wildes steht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved