L 7 AS 458/06 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 17 AS 177/06 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 458/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 2. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege einer einstweiligen Anordnung höhere Leistungen für Unterkunft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Streitig ist allein noch, ob die von den Antragstellern geltend gemachten Kosten der Unterkunft angemessen sind oder die Antragsgegnerin berechtigt war, die Leistungen auf einen Höchstbetrag nach § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) – hier auf einen Betrag in Höhe von 256,67 Euro für die Bedarfsgemeinschaft – zu begrenzen.

Bei den Antragstellern handelt es sich um eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II. Sie bewohnen ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 102 Quadratmetern, das 1997 bezugsfertig wurde. Die Antragsteller leben zusammen mit ihrem 1983 geborenen Sohn.

Im Januar 2005 beantragten die Antragsteller erstmals Leistungen nach dem SGB II, die von der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der von den Antragstellern nachgewiesenen Kosten in monatlich unterschiedlicher Höhe bewilligt wurden.

Mit Bescheid vom 29. September 2005 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, dass die zu zahlenden Kosten der Unterkunft höher seien, als die für sie anzusetzenden Obergrenzen nach § 8 WoGG, welcher mangels Mietspiegel als zulässiges Kriterium für die Prüfung der Angemessenheit herangezogen werden könne. Somit seien die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch. Die Antragsteller wurden aufgefordert, bis zum 28. Oktober 2005 darzulegen, welche Maßnahmen sie zur Senkung ihrer Wohnkosten unternommen hätten.

Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 bewilligte die Antragsgegnerin für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2006 unter Berücksichtigung anrechenbaren Einkommens in Höhe von 712,15 Euro monatliche Leistungen in Höhe von 191,65 Euro. Die Kosten der Unterkunft hat sie auf 256,67 Euro begrenzt. Dies entspricht 2/3 des Höchstbetrages nach § 8 WoGG für einen Dreipersonenhaushalt bei Mietwohnungen.

Hiergegen haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt und am 30. Januar 2006 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sinngemäß haben sie unter anderem als Kosten der Unterkunft neben der Übernahme der Kosten für Wasser (zweimonatlich 85,00 Euro), der Müllgebühren (vierteljährlich 29,95 Euro), der Gebäudeversicherung (jährlich 141,49 Euro), der Grundsteuer (14,53 EUR monatlich) und der Schornsteinfegergebühren (2,58 Euro monatlich) die Übernahme der Schuldzinsen für einen Kredit bei der Bayerischen Landesbodenbank in Höhe von monatlich 202,15 Euro und Schuldzinsen für einen Kredit bei der Euro-Hypo AG in Höhe von 126,00 Euro monatlich (durchschnittlich für die Zeit vom Februar bis Juli 2006) geltend gemacht.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2006 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, an die Antragsteller für Februar 2006 weitere 115,13 Euro, für März 2006 weitere 114,93 Euro, für April 2006 weitere 114,71 Euro, für Mai 2006 weitere 114,49 Euro, für Juni 2006 305,92 und für Juli 2006 305,97 Euro zu zahlen. Das Sozialgericht hat ausgeführt, dass die Wohnungskosten nicht unangemessen seien. Als angemessene Kosten der Unterkunft seien jeweils (für jede Person der Bedarfsgemeinschaft) 191,37 Euro zu berücksichtigen. Als Kosten der Unterkunft sei dabei je (für jede Person der Bedarfsgemeinschaft) ein Betrag von monatlich 27,13 Euro anzusetzen. Hinzu kämen monatliche Schuldzinsen in Höhe von 202,15 Euro (für den Kredit bei der Bayerischen Landesbodenbank) sowie in Höhe von durchschnittlich 126,00 Euro (für den Kredit bei der Euro-Hypo AG).

Gegen den der Antragsgegnerin am 11. Mai 2006 zugestellten Beschluss hat sie am 7. Juni 2006 Beschwerde eingelegt. Diese hat sie mit auf den 29. Juni 2006 datierten und am 5. Juli 2006 beim Thüringer Landessozialgericht eingegangenem Schriftsatz dahingehend begründet, dass als angemessene Kosten der Unterkunft der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag von 264,67 Euro (gemeint sind 256,67 Euro) zu berücksichtigen sei. Da zu den Kosten der Unterkunft alle Aufwendungen, unter anderem die Schuldzinsen, gehörten, hätten diese mit der im Bescheid vom 19. Januar 2006 erfolgten Minderung nicht mehr vollumfänglich berücksichtigt werden können. Bei der Angemessenheit der Unterkunftskosten stelle das Sozialgericht unter Berücksichtigung der eingereichten Belege nur auf die Wohnkosten ab und betrachte die Schuldzinsen separat, mit der Feststellung, dass diese unabhängig der anfallenden Höhe in voller Höhe zu übernehmen seien, wenn das Eigenheim unter den Schutz des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II falle. Dieser Auffassung könne nicht gefolgt werden, da damit hinsichtlich einer zu definierenden finanziellen Höhe der Angemessenheit nach oben keine Grenzen gesetzt seien und damit die Verwaltungsvorschrift des Landkreises Schmalkalden-Meiningen, die bei der Festlegung der Angemessenheit die Schuldzinsen in die Kosten der Unterkunft mit einbeziehe, diesbezüglich unbeachtlich wäre. Gleichfalls könne der Auffassung des Gerichts nicht gefolgt werden, dass Kreditbelastungen, wenn sie nur von den Beschwerdegegnern getragen werden müssten, im Falle des Eintretens der Hilfebedürftigkeit nicht auf alle Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft anzurechnen seien. Dies widerspreche dem Solidaraspekt. Der Sohn der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft beziehe ebenfalls Arbeitslosengeld II.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 2. Mai 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragsteller haben sich nicht schriftlich geäußert. Fernmündlich haben sie mitgeteilt, dass die Schuldzinsen für beide Kredite etwa insgesamt 320,00 Euro betragen würden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die die Antragsteller betreffende Verwaltungsakte der Antragsgegnerin lag vor und ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 2. Mai 2006 ist nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben im Wege der einstweiligen Anordnung Anspruch auf die vom Sozialgericht tenorierten Beträge für den Bewilligungsabschnitt vom Februar bis zum Juli 2006 (für die Monate Juni und Juli 2006 unter Berücksichtigung der ohnehin durch den Bescheid vom 19. Januar 2006 anerkannten Unterkunftskosten).

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abgesehen, weil der Senat die Beschwerde der Antragsgegnerin aus den im Beschluss vom Sozialgericht Meiningen vom 2. Mai 2006 genannten Gründen für unbegründet hält.

Die vom Sozialgericht vorgenommene Berechnung der Ansprüche ist – unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Sozialgerichts Meiningen, der sich der Senat anschließt – nicht zu beanstanden und wird von der Antragsgegnerin insoweit auch nicht bestritten.

Im Hinblick auf die Beschwerdebegründung vom 29. Juni 2006 wird ergänzend darauf hingewiesen, dass der Senat die Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin zur Feststellung der Angemessenheit der Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II maßgeblich nur auf die Werte des § 8 WoGG und die dort genannten Höchstgrenzen abzustellen, für rechtswidrig hält. Eine solche eingeschränkte Auslegung des Tatbestandsmerkmales der Angemessenheit des § 22 Abs. 1 SGB II widerspricht nicht nur dem Gesetz selbst, sondern der eigenen Unterkunftsrichtlinie der Antragsgegnerin. Zwar ist die Antragsgegnerin nicht gehindert, als Anhaltspunkte die Werte des § 8 WoGG bei der Auslegung der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen. Mit dem geltenden Recht ist es jedoch nicht zu vereinbaren, Umstände des Einzelfalles völlig außer Acht zu lassen. Es trifft nicht zu, dass eine Nichtberücksichtigung des § 8 WoGG – so versteht der Senat den Schriftsatz vom 29. Juni 2006 – dazu führen würde, dass bei der Beurteilung der Angemessenheit dann nach Oben keine Grenzen gesetzt seien.

Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit steht der Antragsgegnerin auch nicht ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind durch die Gerichte grundsätzlich voll überprüfbar. Ausnahmen sind nur in den Fällen zulässig, bei denen mit Blick auf die besondere Entscheidungssituation oder die besondere Sachmaterie eine gerichtliche Überprüfung nicht oder nicht in vollem Umfang möglich ist, eine Überprüfung also auf sachlich und damit auf rechtlich unüberwindliche Grenzen stößt (Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2004, § 7 Rn. 62). Dies ist hier nicht der Fall. Das Gericht kann die Angemessenheit der Kosten vollumfänglich prüfen.

Die Frage der Angemessenheit beurteilt sich dabei insbesondere auch unter Berücksichtigung des Einzelfalles. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass es keine feste Grenze im Sinne eines bestimmten Geldbetrages für die Frage der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II gibt. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendung zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Der Gesetzgeber nimmt mithin selbst eindeutig auf die Besonderheiten des Einzelfalles für die Frage der Angemessenheit Bezug.

Diese gesetzliche Grundlage findet sich auch in der Unterkunftsrichtlinie der Antragsgegnerin wieder. In Pkt. 4 der Unterkunftsrichtlinie heißt es unter der Überschrift "Angemessenheit für Unterkunftskosten": Die Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft muss mit Blick auf die allgemeinen Grundsätze des Leistungsrechts unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles erfolgen. Dabei kommt es auf die Person des Bedürftigen, die Art seines Bedarfs und die örtlichen Verhältnisse an. Bei einem Bedarf von mehreren Personen ist auch deren Zahl und Alter zu berücksichtigen. Ferner beurteilt sich die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nach der Zahl der vorhandenen Räume, dem örtlichen Mietniveau und den Möglichkeiten des örtlichen Wohnungsmarktes. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen im Hinblick auf die Aufgabe der Hilfeleistungen, nur den notwendigen Bedarf abzudecken, nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise abzustellen ist, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten." Zwar zielt diese Regelung vornehmlich auf die Angemessenheit von Wohnkosten bei Mietobjekten ab, gleichwohl muss sie – mindestens sinngemäß – auch auf Eigentumswohnungen bzw. Eigenheime Berücksichtigung finden mit dem Ergebnis, dass die Antragsgegnerin – soweit ihre Unterkunfts(Verwaltungs)richtlinie, wie in Pkt. 1 2) beschrieben, sicherstellen soll, dass bei der Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des SGB XII und des SGB II eine einheitliche Rechtsanwendung durch die Verwaltung erfolgt, insbesondere Ermessen gleichmäßig ausgeübt und Beurteilungsspielräume entsprechend dem Zweck der Rechtsvorschrift ausgefüllt werden (sollen) - Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten hat, beispielsweise bei dem Vergleich von Kosten für Mietwohnungen einerseits und Eigenheimen andererseits.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erscheinen dem Senat – wie auch dem Sozialgericht – die Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von monatlich je 27,13 Euro je Person der Bedarfsgemeinschaft (ohne Berücksichtigung der Schuldzinsen) ohne weiteres als angemessen. Der Senat hält es in diesem Zusammenhang auch für zutreffend, dass solche Kosten, die bei Mietwohnungen überwiegend als Umlagen zu zahlen wären, anteilig pro Kopf übernommen werden und dabei auch der Sohn der Antragsteller, der mit diesen in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, anteilig berücksichtigt wird.

Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht bei der Feststellung der Angemessenheit der Schuldzinsen eine von den übrigen Wohnkosten separate Beurteilung der Angemessenheit vorgenommen hat. Dabei handelt es sich nicht um vergleichbare Kosten, die bei Mietobjekten als Umlagen zu zahlen wären. Zum einen verkennt die Antragsgegnerin hier, dass eine separate Beurteilung der Angemessenheit der Schuldzinsen einerseits und der übrigen Wohnkosten andererseits in ihrem eigenen Interesse liegt, da sie dadurch zusätzlich die Möglichkeit der Beurteilung der Angemessenheit der jeweiligen Kosten erhält. Zum anderen ist eine separate Beurteilung deshalb angezeigt, weil nur die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gegenüber den Kreditinstituten zur Zahlung der Schuldzinsen verpflichtet sind, nicht der in der Haushaltsgemeinschaft lebende Sohn. Soweit die Antragsgegnerin zutreffend auf den vom Gesetzgeber vorgesehenen Solidaritätsaspekt bei den übrigen Unterkunftskosten hingewiesen hat, gilt dieser bei der Begleichung des Schuldzinses und den damit verbundenen Konsequenzen einer Nichtzahlung nach Ansicht des Senates nicht.

Die von der Antragsgegnerin befürchtete Gefahr einer grenzenlosen Ausuferung hinsichtlich der Angemessenheit der Unterkunftskosten besteht nicht. Zum einen kann die Höhe des Vomhundertsatzes des Schuldzinses im Vergleich zum üblichen Marktpreis ohne weiteres beurteilt werden, wie dies das Sozialgericht zutreffend getan hat. Zum anderen ist es durchaus möglich, dass die Höhe eines konkreten Zahlbetrages eines zu zahlenden Schuldzinses auch unter Berücksichtigung des Einzelfalles eine angemessene Höhe der Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II übersteigt. So könnte etwa – als Anhaltspunkt – die Höhe des Schuldzinses mit der Höhe der Kaltmiete einer vergleichbaren Mietwohnung verglichen werden. Diesbezüglich erübrigen sich jedoch nähere Ausführungen, weil auch der tatsächliche Zahlbetrag der Schuldzinsen – hier etwa 320,00 Euro monatlich insgesamt – nicht unangemessen hoch erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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