Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 15 AY 268/06 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 462/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. März 2006 aufgehoben und der Antrag abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Den Beschwerdegegnern wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 5. Mai 2006 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beschwerdegegner begehren im Wege einer einstweiligen Anordnung die Gewährung von Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Sie sind der Ansicht, dass ihnen Leistungen in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zustehen.
Die Beschwerdegegner sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und gehören dem Volk der Roma an. Ihre Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte vom November 1999 wurden mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3. Juni 2002 abgelehnt. Die Beschwerdegegner wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist einen Monat nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens. Die gegen den Asylbescheid gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 29. Oktober 2003 abgewiesen. Nach der Mitteilung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Februar 2004 trat die Rechtskraft am 25. Februar 2004 ein. Die Ausländerbehörde erteilte den Beschwerdegegnern sodann befristete Duldungen. Nach einer innerdienstlichen Mitteilung vom 20. Juli 2005 ist eine freiwillige Ausreise in den Kosovo möglich und zumutbar; Abschiebemaßnahmen sind jedoch bislang nicht erfolgt.
Die Beschwerdegegner, die einer Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen sind, erhielten zunächst Leistungen nach § 3 AsylbLG (Bescheide vom 22. August 2000 und vom 18. Juni 2001). Mit Bescheid vom 29. Oktober 2002 wurde ihnen dann mitgeteilt, dass sie zukünftig Leistungen nach § 2 AsylbLG durch Gewährung von Sach- und Geldmitteln bekommen werden, weil seit der Asylantragstellung drei Jahre vergangen seien und sie damit die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme erhöhter Leistungen erfüllten. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. März 2004 gewährte der Beschwerdeführer dann wieder Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von insgesamt 1.002,11 EUR (843,61 EUR als Geldmittel, der Rest als Sachleistung durch Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass mit der ihnen erteilten Duldung kein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AslbLG mehr bestehe. Mit Bescheid vom 14. April 2005 gewährte der Beschwerdeführer wieder Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe von 1.391,- EUR (Taschengeld: 422,24 EUR; Barleistungen für Verpflegung und Hygiene: 615,51 EUR; Bekleidung: 136,89 EUR; Sachleistung [durch Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft]: 216,36 EUR). Schließlich teilte der Beschwerdeführer den Beschwerdegegnern mit Bescheid vom 12. Juli 2005 mit, dass sie ab August 2005 wieder Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 1.022,57 EUR (Taschengeld: 204,50 EUR; Gutschein: 659,56 EUR; Sachleistung [durch Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft]: 158,51 EUR) erhalten, da ihnen die Ausreise zumutbar sei. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom Thüringer Landesverwaltungsamt zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2005): Die Beschwerdegegner hätten die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst, da sie freiwillig in ihre Heimat ausreisen könnten. Dagegen haben die Beschwerdegegner im Oktober 2005 Klage erhoben (Az.: S 15 AY 1758/05) und am 10. Februar 2006 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Zur Begründung tragen sie unter anderem vor, dass die ihnen gewährten Leistungen deutlich unter denjenigen lägen, die ein Empfänger existenzsichernder Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhalte. Im Übrigen sei die bloße Nichtausreise allein kein rechtsmissbräuchliches Verhalten.
Mit Beschluss vom 17. März 2006 hat das Sozialgericht Nordhausen dem Beschwerdeführer aufgegeben, den Beschwerdegegnern vom 10. Februar 2006 an bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt, dass den Beschwerdegegnern "angesichts der erheblich unter Sozialhilfeniveau" liegenden Leistungen nach § 3 AsylbLG ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar sei. Bei einem Obsiegen im Klageverfahren könnten die Folgen des Wartens nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, weil das tatsächliche Leben unter erheblich eingeschränkten Bedingungen auch durch eine Nachzahlung nicht geändert werden könne. Angesichts der überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache – ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 2 AsylbLG liege nicht vor – müsse das Risiko ungerechtfertigter Leistungserbringung und möglicher Uneinbringlichkeit einer Rückforderung zurückstehen. - Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 27. März 2006 zugestellt.
Dagegen richtet sich die am 25. April 2006 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Zur Begründung trägt der Beschwerdeführer vor, es sei den Beschwerdegegnern zuzumuten, sich bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit den Leistungen nach § 3 AsylbLG zu begnügen. Im Übrigen liege in der Nichtausreise auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. März 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Beschwerdegegner beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen und ihnen Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
Der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen sei korrekt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beschwerdegegnerin und die Ausländerakten lagen vor und waren Gegenstand der geheimen Beratung.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hätte den Antrag auf einstweilige Anordnung ablehnen müssen, weil es am – grundsätzlich vor dem Anordnungsanspruch zu prüfenden – Anordnungsgrund fehlt. Denn die Beschwerdegegner haben die Eilbedürftigkeit ihres Begehrens nicht glaubhaft gemacht. Es ist ihnen unter den gegebenen Umständen zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung, Absatz 2 Satz 1), nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen ( § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] NJW 2003, 1236; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in JURIS). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; gegebenenfalls ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung.
Die Beschwerdegegner erhalten Leistungen nach § 3 AsylbLG durch Gewährung von Sach- und Geldmitteln in Höhe von 1.022,57 EUR. Dass diese nicht die Höhe der ihnen nach dieser Vorschrift zustehenden Leistungen erreichen, behaupten die Beschwerdegegner nicht. Sie tragen nur vor, die Leistungen nach § 3 AsylbLG lägen deutlich unter dem existenzsichernden Niveau des SGB XII, ohne dass dies im einzelnen dargelegt werden müsse. Das rechtfertigt den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht, zumal der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erst fast sieben Monate nach dem Bescheid vom 12. Juli 2005 gestellt worden ist, so dass die gewährten Leistungen in der Zwischenzeit offenbar geeignet waren, die notwendige Existenzsicherung zur Verfügung zu stellen.
Die Klärung der Frage, ob den Beschwerdegegnern Leistungen nach § 2 Abs. 1, 3 AsylbLG zustehen und in diesem Zusammenhang die Beurteilung, ob die Beschwerdegegner die Dauer ihres Aufenthalts im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, ist im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht erreichbar. Eine Leistungsgewährung aufgrund einstweiliger Anordnung wäre bei lebensnaher Betrachtung nicht umkehrbar, sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass ein Anspruch auf diese höheren Leistungen gar nicht bestand. Aus diesem Grund würde ein Erfolg im vorläufigen Rechtschutz die Hauptsache faktisch vorwegnehmen.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch auch nicht etwa ausnahmsweise notwendig, weil die von den Beschwerdegegnern verfolgten Interessen an der Gewährung der höheren Leistungen so überragend wären, dass ein Abwarten der Hauptsache schlechthin unzumutbar wäre. Denn die Beschwerdegegner haben nicht substantiiert dargelegt, dass ihnen trotz der Gewährung von Leistungen nach § 3 AsylbLG die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben fehlen. Allein der Vortrag, es würden ihnen rechtswidrig Leistungen nach § 2 AsylbLG versagt, reicht für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht aus. Denn die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG stellen schon nach der gesetzlichen Wertung jedenfalls eine ausreichende Existenzsicherung dar. Der Umstand, dass die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG geringer ausfallen als vergleichbare Leistungen nach dem SGB XII, rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Gesetzgeber gewährleiste mit den Leistungen nach dem AsylbLG nicht das verfassungsrechtlich Gebotene (vgl. zum BSHG: BVerwG, Beschluss v. 29. September 1998, Az.: 5 B 82/97). Dies gilt umso mehr, als die in § 1 Abs. 1 AsylbLG aufgeführten Personen kein verfestigtes Aufenthaltsrecht haben, so dass bei ihnen ein sozialer Integrationsbedarf fehlt. Die den Beschwerdegegnern gewährten Leistungen nach §§ 3 AsylbLG haben sich im Übrigen offenbar auch für Zeiträume in der Vergangenheit (April 2004 bis April 2005) als geeignet erwiesen, die notwendige Existenzsicherung zur Verfügung zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Den Beschwerdegegnern war nach § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren. Einer Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten bedurfte es dabei nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Den Beschwerdegegnern wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 5. Mai 2006 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beschwerdegegner begehren im Wege einer einstweiligen Anordnung die Gewährung von Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Sie sind der Ansicht, dass ihnen Leistungen in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zustehen.
Die Beschwerdegegner sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und gehören dem Volk der Roma an. Ihre Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte vom November 1999 wurden mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3. Juni 2002 abgelehnt. Die Beschwerdegegner wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist einen Monat nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens. Die gegen den Asylbescheid gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 29. Oktober 2003 abgewiesen. Nach der Mitteilung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Februar 2004 trat die Rechtskraft am 25. Februar 2004 ein. Die Ausländerbehörde erteilte den Beschwerdegegnern sodann befristete Duldungen. Nach einer innerdienstlichen Mitteilung vom 20. Juli 2005 ist eine freiwillige Ausreise in den Kosovo möglich und zumutbar; Abschiebemaßnahmen sind jedoch bislang nicht erfolgt.
Die Beschwerdegegner, die einer Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen sind, erhielten zunächst Leistungen nach § 3 AsylbLG (Bescheide vom 22. August 2000 und vom 18. Juni 2001). Mit Bescheid vom 29. Oktober 2002 wurde ihnen dann mitgeteilt, dass sie zukünftig Leistungen nach § 2 AsylbLG durch Gewährung von Sach- und Geldmitteln bekommen werden, weil seit der Asylantragstellung drei Jahre vergangen seien und sie damit die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme erhöhter Leistungen erfüllten. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. März 2004 gewährte der Beschwerdeführer dann wieder Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von insgesamt 1.002,11 EUR (843,61 EUR als Geldmittel, der Rest als Sachleistung durch Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass mit der ihnen erteilten Duldung kein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AslbLG mehr bestehe. Mit Bescheid vom 14. April 2005 gewährte der Beschwerdeführer wieder Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe von 1.391,- EUR (Taschengeld: 422,24 EUR; Barleistungen für Verpflegung und Hygiene: 615,51 EUR; Bekleidung: 136,89 EUR; Sachleistung [durch Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft]: 216,36 EUR). Schließlich teilte der Beschwerdeführer den Beschwerdegegnern mit Bescheid vom 12. Juli 2005 mit, dass sie ab August 2005 wieder Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 1.022,57 EUR (Taschengeld: 204,50 EUR; Gutschein: 659,56 EUR; Sachleistung [durch Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft]: 158,51 EUR) erhalten, da ihnen die Ausreise zumutbar sei. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom Thüringer Landesverwaltungsamt zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2005): Die Beschwerdegegner hätten die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst, da sie freiwillig in ihre Heimat ausreisen könnten. Dagegen haben die Beschwerdegegner im Oktober 2005 Klage erhoben (Az.: S 15 AY 1758/05) und am 10. Februar 2006 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Zur Begründung tragen sie unter anderem vor, dass die ihnen gewährten Leistungen deutlich unter denjenigen lägen, die ein Empfänger existenzsichernder Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhalte. Im Übrigen sei die bloße Nichtausreise allein kein rechtsmissbräuchliches Verhalten.
Mit Beschluss vom 17. März 2006 hat das Sozialgericht Nordhausen dem Beschwerdeführer aufgegeben, den Beschwerdegegnern vom 10. Februar 2006 an bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt, dass den Beschwerdegegnern "angesichts der erheblich unter Sozialhilfeniveau" liegenden Leistungen nach § 3 AsylbLG ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar sei. Bei einem Obsiegen im Klageverfahren könnten die Folgen des Wartens nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, weil das tatsächliche Leben unter erheblich eingeschränkten Bedingungen auch durch eine Nachzahlung nicht geändert werden könne. Angesichts der überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache – ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 2 AsylbLG liege nicht vor – müsse das Risiko ungerechtfertigter Leistungserbringung und möglicher Uneinbringlichkeit einer Rückforderung zurückstehen. - Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 27. März 2006 zugestellt.
Dagegen richtet sich die am 25. April 2006 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Zur Begründung trägt der Beschwerdeführer vor, es sei den Beschwerdegegnern zuzumuten, sich bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit den Leistungen nach § 3 AsylbLG zu begnügen. Im Übrigen liege in der Nichtausreise auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. März 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Beschwerdegegner beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen und ihnen Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
Der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen sei korrekt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beschwerdegegnerin und die Ausländerakten lagen vor und waren Gegenstand der geheimen Beratung.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hätte den Antrag auf einstweilige Anordnung ablehnen müssen, weil es am – grundsätzlich vor dem Anordnungsanspruch zu prüfenden – Anordnungsgrund fehlt. Denn die Beschwerdegegner haben die Eilbedürftigkeit ihres Begehrens nicht glaubhaft gemacht. Es ist ihnen unter den gegebenen Umständen zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung, Absatz 2 Satz 1), nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen ( § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] NJW 2003, 1236; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in JURIS). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; gegebenenfalls ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung.
Die Beschwerdegegner erhalten Leistungen nach § 3 AsylbLG durch Gewährung von Sach- und Geldmitteln in Höhe von 1.022,57 EUR. Dass diese nicht die Höhe der ihnen nach dieser Vorschrift zustehenden Leistungen erreichen, behaupten die Beschwerdegegner nicht. Sie tragen nur vor, die Leistungen nach § 3 AsylbLG lägen deutlich unter dem existenzsichernden Niveau des SGB XII, ohne dass dies im einzelnen dargelegt werden müsse. Das rechtfertigt den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht, zumal der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erst fast sieben Monate nach dem Bescheid vom 12. Juli 2005 gestellt worden ist, so dass die gewährten Leistungen in der Zwischenzeit offenbar geeignet waren, die notwendige Existenzsicherung zur Verfügung zu stellen.
Die Klärung der Frage, ob den Beschwerdegegnern Leistungen nach § 2 Abs. 1, 3 AsylbLG zustehen und in diesem Zusammenhang die Beurteilung, ob die Beschwerdegegner die Dauer ihres Aufenthalts im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, ist im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht erreichbar. Eine Leistungsgewährung aufgrund einstweiliger Anordnung wäre bei lebensnaher Betrachtung nicht umkehrbar, sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass ein Anspruch auf diese höheren Leistungen gar nicht bestand. Aus diesem Grund würde ein Erfolg im vorläufigen Rechtschutz die Hauptsache faktisch vorwegnehmen.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch auch nicht etwa ausnahmsweise notwendig, weil die von den Beschwerdegegnern verfolgten Interessen an der Gewährung der höheren Leistungen so überragend wären, dass ein Abwarten der Hauptsache schlechthin unzumutbar wäre. Denn die Beschwerdegegner haben nicht substantiiert dargelegt, dass ihnen trotz der Gewährung von Leistungen nach § 3 AsylbLG die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben fehlen. Allein der Vortrag, es würden ihnen rechtswidrig Leistungen nach § 2 AsylbLG versagt, reicht für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht aus. Denn die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG stellen schon nach der gesetzlichen Wertung jedenfalls eine ausreichende Existenzsicherung dar. Der Umstand, dass die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG geringer ausfallen als vergleichbare Leistungen nach dem SGB XII, rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Gesetzgeber gewährleiste mit den Leistungen nach dem AsylbLG nicht das verfassungsrechtlich Gebotene (vgl. zum BSHG: BVerwG, Beschluss v. 29. September 1998, Az.: 5 B 82/97). Dies gilt umso mehr, als die in § 1 Abs. 1 AsylbLG aufgeführten Personen kein verfestigtes Aufenthaltsrecht haben, so dass bei ihnen ein sozialer Integrationsbedarf fehlt. Die den Beschwerdegegnern gewährten Leistungen nach §§ 3 AsylbLG haben sich im Übrigen offenbar auch für Zeiträume in der Vergangenheit (April 2004 bis April 2005) als geeignet erwiesen, die notwendige Existenzsicherung zur Verfügung zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Den Beschwerdegegnern war nach § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren. Einer Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten bedurfte es dabei nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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