Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 270/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 204/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 04.06.2003 und der Widerspruchsbescheid vom 19.11.2003 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen eines am 01.01.2001 erlittenen Arbeitsunfalls die Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger am 01.01.2001 bei einer nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 a oder c SGB VII versicherten Hilfeleistung zu Schaden kam oder bei einer aus privater Feindschaft herrührenden handgreiflichen Auseinandersetzung.
Ausweislich des gegen den Täter T ergangenen Urteils des Landgerichts F waren Q1, X und der Kläger am Neujahrsmorgen zusammen in der Wohnung des Q1 und konsumierten Alkohol. Bei dem Kläger wurden nachher eine Blutalkoholkonzentration von 1,77 Promille sowie Spuren von Cannabis festgestellt. Nach einem Anruf der neunjährigen Tochter des Q1 begaben sich die drei Männer zur Wohnung der geschiedenen Ehefrau des Q1. Der Kläger war mit einem Baseballschläger bewaffnet. Der Lebensgefährte der Ex-Ehefrau Q2 war stark betrunken und bedrohte dort die Frau und die beiden Kinder des Q1 mit einem Messer. Q1 hatte schon vorher Auseinandersetzungen mit T gehabt und war wegen einer am 06.10.1996 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Auf Seite 12 des Urteils heißt es: "Sie brachen mit dem Vorsatz auf, den T zur Räson zu bringen und nötigenfalls hierbei auch Gewalt anzuwenden. Zu diesem Zweck führten sie einen Baseballschläger mit sich. Schon zu früheren Gelegenheiten hatte Q2 ihren Ex-Ehemann zu Hilfe gerufen, wenn sie in Streitigkeiten mit dem Angeklagten geraten war. Q1 war daraufhin mehrfach, zum Teil auch in Begleitung der beiden anderen, zu Q2 gefahren, der Angeklagte hatte die Wohnung jedoch immer bereits aus Angst verlassen". Nach ihrer Ankunft im Treppenhaus forderten die drei Männer den T auf, die Wohnungstür zu öffnen. Der jetzt mit 2 Messern bewaffnete T hatte zwischenzeitlich eine Auseinandersetzung mit dem 17 Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin, dem er dabei durch den Hodensack in den Oberschenkel stach. Q2 informierte die Männer durch Zuruf über diesen Vorfall. Q1 teilte dem T durch die verschlossene Wohnungstür mit, sie würden sich eine Etage höher begeben, damit er die Wohnung ungehindert verlassen könne. Der Ex-Frau des Q1 gelang es dann aber, den drei Helfern die Wohnungstür zu öffnen. Als der unbewaffnete X als erster die Wohnung betrat, versetzte T ihm ohne Vorwarnung zunächst einen Stich in die Brust und dann noch weitere Stiche. Der Kläger schlug T mit dem Baseballschläger an den Kopf. Der wehrte sich jedoch weiter mit den zwei Messern. Der Kläger erlitt Schnittverletzungen an der rechten Hand bei dem Versuch, den T zu entwaffnen. Durch gezielte Faustschläge konnten die beiden den T schließlich zu Boden bringen. Der Kläger schlug dem liegenden T noch mehrfach ins Gesicht und trat ihm auch noch mit dem Schuh ins Gesicht. Sie entfernten sich dann, weil sie befürchteten, den T getötet zu haben. X verstarb nach 11 Tagen im Koma. Der Schädiger T wurde wegen Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
In den Urteilsgründen des Landgerichts F heißt es über den Kläger auf Seite 25: "Er hat in vorbehaltloser Offenheit geschildert, dass er mit seinen Freunden aufgebrochen sei, um den Angeklagten zusammen zu schlagen und dass dessen Aggression ihnen den entsprechenden Grund lieferte. Er hat auch bei der Schilderung, wie er zusammen mit Q1 den Angeklagten zusammen geschlagen hat, kein Blatt vor den Mund genommen und sich selbst nicht geschont. Er hat sich vielmehr, wenn auch wegen der bestehenden Nothilfesituation nicht rechtlich, so doch ethisch/moralisch nicht unerheblich belastet. Er hat auch, was alle weiteren Zeugen aus Selbstschutzgründen negiert haben, zugegeben, dass er bereits früher zu ähnlichen Einsätzen mit seinen Freunden "ausgerückt" sei, sie den Angeklagten jedoch regelmäßig nicht angetroffen hätten. In seiner Aussage schwang erkennbar eine gewisse Zufriedenheit mit, dass sich am Neujahrstag 2001 die Gelegenheit geboten hatte, "endlich einmal zuzuschlagen". Für ihn spricht zudem, dass er nach Vorhalt der Blutuntersuchungen freimütig eingeräumt hat, seit seinem 17. Lebensjahr Marihuana zu konsumieren. Auch hierdurch wurde deutlich, dass es ihm allein darum ging, die Wahrheit zu sagen."
Das Landgericht F hat in den Urteilsgründen festgestellt, dass das Vorgehen der drei Männer durch Nothilfe gemäß § 34 StGB gerechtfertigt war. So hatte zuvor auch die Staatsanwaltschaft Essen die Rechtslage beurteilt und die Ermittlungen am 09.04.2001 eingestellt.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 04.06.2003 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil der Kläger nicht zu den geschützten Personen gehört habe. Im vorliegenden Fall sei die Handlungstendenz nicht durch eine Schutz- und Rettungshandlung für dritte Personen wesentlich mitbestimmt gewesen. Dagegen spreche, dass der Kläger schon früher mit seinen Freunden zu "ähnlichen Einsätzen ausgerückt" sei, dass er zufrieden gewesen sei, "endlich einmal zuzuschlagen", dass er unter Alkoholeinfluss gestanden habe, dass er den Schädiger ins Gesicht getreten habe und anschließend geflüchtet sei. Der gegen den Bescheid vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2003 zurückgewiesen.
Mit der am 27.11.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Entschädigungsbegehren weiter. Er trägt vor, dass er durch seinen Einsatz die Ex-Frau und die kleinen Kinder des Q1 sowie den bereits verletzten A habe beschützen wollen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen seines Arbeitsunfalls vom 01.01.2001 die Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte sieht es nach den Gesamtumständen als erwiesen an, dass der Kläger im Schadenszeitpunkt nicht die Intention einer Hilfeleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 a oder c SGB VII hatte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. Sie musste auch in der Sache selbst zum Erfolg führen. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung des Beklagten ist rechtswidrig und der Kläger dadurch im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, da er am 01.01.2001 einen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 a und c SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Personen, die einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten oder sich zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen. Der Kläger gehörte zu dem nach diesen Vorschriften versicherten Personenkreis, denn er hat durch seinen persönlichen Einsatz am 01.01.2001 die Ex-Ehefrau des Q1 und deren drei Kinder aus einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit gerettet und sie vor einem widerrechtlichen Angriff des T geschützt. Dies war ein zumindest wesentlich mitbestimmender Beweggrund für die Aktion der drei Männer gegen den T.
Das Handeln des Klägers mag daneben auch von anderen Motiven (Rauflust, Feindschaft) bestimmt gewesen sein. Für die Bewertung, ob eine versicherte Schutz- und Rettungshandlung vorliegt, reicht es aus, dass eine Schutz- und Rettungshandlung jedenfalls ein wesentlich mitbestimmender Beweggrund war. Das ist hier der Fall. Die drei Männer wussten von der Bedrohung und davon, dass der ältere Sohn A bereits verletzt worden war. Für die drei Männer stand bei ihrem Handeln der Schutz und die Rettung der vier mit dem Schädiger in der Wohnung befindlichen Personen im Vordergrund. Das beweist die Tatsache, dass sie sich im Treppenhaus nach oben bewegt und ihm die Möglichkeit geboten haben, sich unbehelligt aus der Wohnung zu entfernen. So verhält sich niemand, dem es darum geht, seine Rauflust zu befriedigen und einen Gegner zusammen zu schlagen.
Die vom Beklagten gegen die Beweggründe der drei Männer vorgebrachten Argumente sind nicht schlüssig. Soweit er auf "vergleichbare Vorkommnisse in der Vergangenheit" und auf frühere "Einsätze" hinweist, verkennt der Beklagte, dass diese "Einsätze" gerade für eine auch am 1.01.2001 beabsichtigte Schutz- und Rettungshandlung sprechen. Denn die drei Männer hatten den T in der Vergangenheit noch nie aus Feindschaft oder Rauflust überfallen. Vielmehr sind sie ausschließlich dann aktiv geworden, wenn die Ex-Frau des Q1 Schutz vor ihrem neuen Liebhaber benötigte und um Hilfe bat. Die Vorgeschichte belegt also gerade, dass stets Hilfsbereitschaft das Motiv des Klägers und seiner beiden Begleiter war.
Die Kammer hält es auch nicht für bedeutsam, dass der Kläger zugegeben hat, dass er zufrieden gewesen sei, "endlich einmal zuzuschlagen". Dies erscheint als eine ganz normale psychische Reaktion auf die zahlreichen erfolglosen Beistandsversuche in der Vergangenheit. Die Zufriedenheit kann eine ausschließlich auf privaten Motiven beruhende Handlungsweise ebenso wenig beweisen wie der anschließende Nothilfeexzess mit Schlägen und einem Tritt in das Gesicht des bereits überwältigten T. Ein solches Verhalten ist zwar nicht zu billigen, aber doch verständlich vor dem Hintergrund der schweren Verletzungen, die der Schädiger den Helfern bei dem Kampf zugefügt hatte.
Die Betrachtungsweise des Beklagten beruht auf einem falschen Ansatz. Es widerspricht sicherlich den herrschenden moralisch-ethischen Vorstellungen, wenn Männer in einer Notsituation nicht die Polizei alarmieren, sondern stattdessen mit einem Baseballschläger bewaffnet Selbstjustiz üben. Eine moralisch-ethische Bewertung der versicherten Tätigkeit ist der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch fremd. So ist es für den Versicherungsschutz des Beschäftigten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ohne Bedeutung, ob das Beschäftigungsunternehmen beispielweise die Umwelt verpestet, nur verdorbene Ware zum Verkauf anbietet oder systematisch Steuern hinterzieht. Ebenso wenig kommt es bei den Tatbeständen des § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII darauf an, ob die Vorgehensweise des Handelnden zweckmäßig und sozial wünschenswert ist. Versagungsgründe wie in § 2 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) gibt es im SGB VII nicht. § 101 SGB VII sieht nur bei Verbrechen und vorsätzlichen Vergehen eine in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellte Versagung vor.
Wenn der Gesetzgeber unter Hilfeleistung nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII nur die telefonische Benachrichtigung der Polizei verstehen würde, hätte er sich diese Regelung sparen können, weil beim Telefonieren keine nennenswerte Unfallgefahr besteht. Gerade bei dem persönlichen Einsatz zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen geht das Gesetz davon aus, dass der Helfer die Angelegenheit selber in die Hand nimmt und sich eben nicht auf die Polizei verlässt. Dabei fordert der Gesetzgeber auch nicht, dass man sich dem Angreifer mit bloßen Händen entgegen stellt. Es ist nur vernünftig, wenn man sich ausreichend bewaffnet, bevor man einem mit Messer bewaffneten Mann gegenübertritt. Das Mitführen eines Baseballschlägers kann daher nicht als Argument gegen eine vom Kläger beabsichtigte Schutz- und Rettungshandlung verwendet werden.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass das Handeln der drei "Retter" nicht nur von der Rettungsabsicht bestimmt war, sondern zugleich auch von Feindschaft gegenüber dem T, aufgestauter Aggressivität, Rauflust und vielleicht auch Enthemmung durch Alkohol. Diese Motive aus dem privaten Bereich bewertet die Kammer aber nicht als so gewichtig, dass sie die Bereitschaft zur Rettung der vier Personen in der Wohnung der Ex-Ehefrau als völlig bedeutungslos in den Hintergrund drängen. Die Wesentlichkeit des "betrieblichen Interesses" richtet sich bei sogenannten "gemischten Tätigkeiten" danach, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Im vorliegenden Fall sprechen keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Rettungsfahrt zur Wohnung der Ex-Ehefrau unterblieben wäre, wenn die drei nicht angetrunken gewesen wären oder der Q1 keine persönliche Feindschaft gegen seinen Nachfolger verspürt hätte. Auch hier sind die früheren "Einsätze" ein Beleg dafür, dass die drei Männer jederzeit bereit waren, auf einen Hilferuf der Ex-Ehefrau hin als Retter aktiv zu werden.
Die Kostenentscheidung der Klage beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger am 01.01.2001 bei einer nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 a oder c SGB VII versicherten Hilfeleistung zu Schaden kam oder bei einer aus privater Feindschaft herrührenden handgreiflichen Auseinandersetzung.
Ausweislich des gegen den Täter T ergangenen Urteils des Landgerichts F waren Q1, X und der Kläger am Neujahrsmorgen zusammen in der Wohnung des Q1 und konsumierten Alkohol. Bei dem Kläger wurden nachher eine Blutalkoholkonzentration von 1,77 Promille sowie Spuren von Cannabis festgestellt. Nach einem Anruf der neunjährigen Tochter des Q1 begaben sich die drei Männer zur Wohnung der geschiedenen Ehefrau des Q1. Der Kläger war mit einem Baseballschläger bewaffnet. Der Lebensgefährte der Ex-Ehefrau Q2 war stark betrunken und bedrohte dort die Frau und die beiden Kinder des Q1 mit einem Messer. Q1 hatte schon vorher Auseinandersetzungen mit T gehabt und war wegen einer am 06.10.1996 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Auf Seite 12 des Urteils heißt es: "Sie brachen mit dem Vorsatz auf, den T zur Räson zu bringen und nötigenfalls hierbei auch Gewalt anzuwenden. Zu diesem Zweck führten sie einen Baseballschläger mit sich. Schon zu früheren Gelegenheiten hatte Q2 ihren Ex-Ehemann zu Hilfe gerufen, wenn sie in Streitigkeiten mit dem Angeklagten geraten war. Q1 war daraufhin mehrfach, zum Teil auch in Begleitung der beiden anderen, zu Q2 gefahren, der Angeklagte hatte die Wohnung jedoch immer bereits aus Angst verlassen". Nach ihrer Ankunft im Treppenhaus forderten die drei Männer den T auf, die Wohnungstür zu öffnen. Der jetzt mit 2 Messern bewaffnete T hatte zwischenzeitlich eine Auseinandersetzung mit dem 17 Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin, dem er dabei durch den Hodensack in den Oberschenkel stach. Q2 informierte die Männer durch Zuruf über diesen Vorfall. Q1 teilte dem T durch die verschlossene Wohnungstür mit, sie würden sich eine Etage höher begeben, damit er die Wohnung ungehindert verlassen könne. Der Ex-Frau des Q1 gelang es dann aber, den drei Helfern die Wohnungstür zu öffnen. Als der unbewaffnete X als erster die Wohnung betrat, versetzte T ihm ohne Vorwarnung zunächst einen Stich in die Brust und dann noch weitere Stiche. Der Kläger schlug T mit dem Baseballschläger an den Kopf. Der wehrte sich jedoch weiter mit den zwei Messern. Der Kläger erlitt Schnittverletzungen an der rechten Hand bei dem Versuch, den T zu entwaffnen. Durch gezielte Faustschläge konnten die beiden den T schließlich zu Boden bringen. Der Kläger schlug dem liegenden T noch mehrfach ins Gesicht und trat ihm auch noch mit dem Schuh ins Gesicht. Sie entfernten sich dann, weil sie befürchteten, den T getötet zu haben. X verstarb nach 11 Tagen im Koma. Der Schädiger T wurde wegen Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
In den Urteilsgründen des Landgerichts F heißt es über den Kläger auf Seite 25: "Er hat in vorbehaltloser Offenheit geschildert, dass er mit seinen Freunden aufgebrochen sei, um den Angeklagten zusammen zu schlagen und dass dessen Aggression ihnen den entsprechenden Grund lieferte. Er hat auch bei der Schilderung, wie er zusammen mit Q1 den Angeklagten zusammen geschlagen hat, kein Blatt vor den Mund genommen und sich selbst nicht geschont. Er hat sich vielmehr, wenn auch wegen der bestehenden Nothilfesituation nicht rechtlich, so doch ethisch/moralisch nicht unerheblich belastet. Er hat auch, was alle weiteren Zeugen aus Selbstschutzgründen negiert haben, zugegeben, dass er bereits früher zu ähnlichen Einsätzen mit seinen Freunden "ausgerückt" sei, sie den Angeklagten jedoch regelmäßig nicht angetroffen hätten. In seiner Aussage schwang erkennbar eine gewisse Zufriedenheit mit, dass sich am Neujahrstag 2001 die Gelegenheit geboten hatte, "endlich einmal zuzuschlagen". Für ihn spricht zudem, dass er nach Vorhalt der Blutuntersuchungen freimütig eingeräumt hat, seit seinem 17. Lebensjahr Marihuana zu konsumieren. Auch hierdurch wurde deutlich, dass es ihm allein darum ging, die Wahrheit zu sagen."
Das Landgericht F hat in den Urteilsgründen festgestellt, dass das Vorgehen der drei Männer durch Nothilfe gemäß § 34 StGB gerechtfertigt war. So hatte zuvor auch die Staatsanwaltschaft Essen die Rechtslage beurteilt und die Ermittlungen am 09.04.2001 eingestellt.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 04.06.2003 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil der Kläger nicht zu den geschützten Personen gehört habe. Im vorliegenden Fall sei die Handlungstendenz nicht durch eine Schutz- und Rettungshandlung für dritte Personen wesentlich mitbestimmt gewesen. Dagegen spreche, dass der Kläger schon früher mit seinen Freunden zu "ähnlichen Einsätzen ausgerückt" sei, dass er zufrieden gewesen sei, "endlich einmal zuzuschlagen", dass er unter Alkoholeinfluss gestanden habe, dass er den Schädiger ins Gesicht getreten habe und anschließend geflüchtet sei. Der gegen den Bescheid vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2003 zurückgewiesen.
Mit der am 27.11.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Entschädigungsbegehren weiter. Er trägt vor, dass er durch seinen Einsatz die Ex-Frau und die kleinen Kinder des Q1 sowie den bereits verletzten A habe beschützen wollen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen seines Arbeitsunfalls vom 01.01.2001 die Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte sieht es nach den Gesamtumständen als erwiesen an, dass der Kläger im Schadenszeitpunkt nicht die Intention einer Hilfeleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 a oder c SGB VII hatte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. Sie musste auch in der Sache selbst zum Erfolg führen. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung des Beklagten ist rechtswidrig und der Kläger dadurch im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, da er am 01.01.2001 einen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 a und c SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Personen, die einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten oder sich zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen. Der Kläger gehörte zu dem nach diesen Vorschriften versicherten Personenkreis, denn er hat durch seinen persönlichen Einsatz am 01.01.2001 die Ex-Ehefrau des Q1 und deren drei Kinder aus einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit gerettet und sie vor einem widerrechtlichen Angriff des T geschützt. Dies war ein zumindest wesentlich mitbestimmender Beweggrund für die Aktion der drei Männer gegen den T.
Das Handeln des Klägers mag daneben auch von anderen Motiven (Rauflust, Feindschaft) bestimmt gewesen sein. Für die Bewertung, ob eine versicherte Schutz- und Rettungshandlung vorliegt, reicht es aus, dass eine Schutz- und Rettungshandlung jedenfalls ein wesentlich mitbestimmender Beweggrund war. Das ist hier der Fall. Die drei Männer wussten von der Bedrohung und davon, dass der ältere Sohn A bereits verletzt worden war. Für die drei Männer stand bei ihrem Handeln der Schutz und die Rettung der vier mit dem Schädiger in der Wohnung befindlichen Personen im Vordergrund. Das beweist die Tatsache, dass sie sich im Treppenhaus nach oben bewegt und ihm die Möglichkeit geboten haben, sich unbehelligt aus der Wohnung zu entfernen. So verhält sich niemand, dem es darum geht, seine Rauflust zu befriedigen und einen Gegner zusammen zu schlagen.
Die vom Beklagten gegen die Beweggründe der drei Männer vorgebrachten Argumente sind nicht schlüssig. Soweit er auf "vergleichbare Vorkommnisse in der Vergangenheit" und auf frühere "Einsätze" hinweist, verkennt der Beklagte, dass diese "Einsätze" gerade für eine auch am 1.01.2001 beabsichtigte Schutz- und Rettungshandlung sprechen. Denn die drei Männer hatten den T in der Vergangenheit noch nie aus Feindschaft oder Rauflust überfallen. Vielmehr sind sie ausschließlich dann aktiv geworden, wenn die Ex-Frau des Q1 Schutz vor ihrem neuen Liebhaber benötigte und um Hilfe bat. Die Vorgeschichte belegt also gerade, dass stets Hilfsbereitschaft das Motiv des Klägers und seiner beiden Begleiter war.
Die Kammer hält es auch nicht für bedeutsam, dass der Kläger zugegeben hat, dass er zufrieden gewesen sei, "endlich einmal zuzuschlagen". Dies erscheint als eine ganz normale psychische Reaktion auf die zahlreichen erfolglosen Beistandsversuche in der Vergangenheit. Die Zufriedenheit kann eine ausschließlich auf privaten Motiven beruhende Handlungsweise ebenso wenig beweisen wie der anschließende Nothilfeexzess mit Schlägen und einem Tritt in das Gesicht des bereits überwältigten T. Ein solches Verhalten ist zwar nicht zu billigen, aber doch verständlich vor dem Hintergrund der schweren Verletzungen, die der Schädiger den Helfern bei dem Kampf zugefügt hatte.
Die Betrachtungsweise des Beklagten beruht auf einem falschen Ansatz. Es widerspricht sicherlich den herrschenden moralisch-ethischen Vorstellungen, wenn Männer in einer Notsituation nicht die Polizei alarmieren, sondern stattdessen mit einem Baseballschläger bewaffnet Selbstjustiz üben. Eine moralisch-ethische Bewertung der versicherten Tätigkeit ist der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch fremd. So ist es für den Versicherungsschutz des Beschäftigten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ohne Bedeutung, ob das Beschäftigungsunternehmen beispielweise die Umwelt verpestet, nur verdorbene Ware zum Verkauf anbietet oder systematisch Steuern hinterzieht. Ebenso wenig kommt es bei den Tatbeständen des § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII darauf an, ob die Vorgehensweise des Handelnden zweckmäßig und sozial wünschenswert ist. Versagungsgründe wie in § 2 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) gibt es im SGB VII nicht. § 101 SGB VII sieht nur bei Verbrechen und vorsätzlichen Vergehen eine in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellte Versagung vor.
Wenn der Gesetzgeber unter Hilfeleistung nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII nur die telefonische Benachrichtigung der Polizei verstehen würde, hätte er sich diese Regelung sparen können, weil beim Telefonieren keine nennenswerte Unfallgefahr besteht. Gerade bei dem persönlichen Einsatz zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen geht das Gesetz davon aus, dass der Helfer die Angelegenheit selber in die Hand nimmt und sich eben nicht auf die Polizei verlässt. Dabei fordert der Gesetzgeber auch nicht, dass man sich dem Angreifer mit bloßen Händen entgegen stellt. Es ist nur vernünftig, wenn man sich ausreichend bewaffnet, bevor man einem mit Messer bewaffneten Mann gegenübertritt. Das Mitführen eines Baseballschlägers kann daher nicht als Argument gegen eine vom Kläger beabsichtigte Schutz- und Rettungshandlung verwendet werden.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass das Handeln der drei "Retter" nicht nur von der Rettungsabsicht bestimmt war, sondern zugleich auch von Feindschaft gegenüber dem T, aufgestauter Aggressivität, Rauflust und vielleicht auch Enthemmung durch Alkohol. Diese Motive aus dem privaten Bereich bewertet die Kammer aber nicht als so gewichtig, dass sie die Bereitschaft zur Rettung der vier Personen in der Wohnung der Ex-Ehefrau als völlig bedeutungslos in den Hintergrund drängen. Die Wesentlichkeit des "betrieblichen Interesses" richtet sich bei sogenannten "gemischten Tätigkeiten" danach, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Im vorliegenden Fall sprechen keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Rettungsfahrt zur Wohnung der Ex-Ehefrau unterblieben wäre, wenn die drei nicht angetrunken gewesen wären oder der Q1 keine persönliche Feindschaft gegen seinen Nachfolger verspürt hätte. Auch hier sind die früheren "Einsätze" ein Beleg dafür, dass die drei Männer jederzeit bereit waren, auf einen Hilferuf der Ex-Ehefrau hin als Retter aktiv zu werden.
Die Kostenentscheidung der Klage beruht auf § 193 SGG.
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