L 4 AS 1574/14 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 44 AS 4956/14 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 4 AS 1574/14 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Beschränkung des Streitgegenstandes im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf einen die Berufungssumme unterschreitenden Wert steht der Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die ablehnende Prozesskostenhilfeentscheidung nicht entgegen. § 172 Abs. 3 Nr. 2c SGG stellt lediglich sicher, dass die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe dann ausgeschlossen ist, wenn das Sozialgericht in der Sache durch unanfechtbaren Beschluss, somit endgültig entscheidet (vgl. Böttiger in Breitkreuz/ Fichte, SGG - Kommentar, 2. Auflage, § 172 Rn. 46d m. w. N.). Dies ist nicht der Fall, wenn ausgehend von dem Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens der Beschwerdewert erreicht wird, mithin die Beschwerde statthaft ist.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 10. Dezember 2014 aufgehoben und Prozesskostenhilfe ohne Raten für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt V., , bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein erstinstanzliches Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dessen Rahmen sie die Feststellung der auf-schiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 30. Oktober 2014 gegen den Erstattungsbescheid vom 29. Oktober 2014 sowie die Nachzahlung der einbehaltenden Beträge beantragte.

Die 1960 geborene alleinstehende Antragstellerin bezog im Jahr 2014 Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner. Sie erzielt monatlich schwankendes Einkommen aus einer Beschäftigung bei der GmbH.

Mit Bescheid vom 1. April 2014 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Zeitraum 1. Mai 2014 bis 31. Oktober 2014 vorläufig monatlich 489,85 Euro. Zur Begründung der Vorläufigkeit verwies er auf das unterschiedlich hohe Einkommen aus Erwerbstätigkeit.

Mit Änderungsbescheid vom 12. Mai 2014 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin aufgrund der Korrektur des Einkommens für den Zeitraum 1. Juni 2014 bis 31. Oktober 2014 vorläufig monatlich 347,56 Euro.

Mit weiteren Änderungsbescheiden vom 26. Juni 2014, 16. Juli 2014 und 26. Juli 2014 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Monate August 2014 bis Oktober 2014 vorläufig monatlich 180,65 Euro. Zur Begründung führte er die Aufnahme des Herrn B. als Partner der Antragstellerin in die Bedarfsgemeinschaft, die Berücksichtigung des von ihm auf die Antragstellerin überzuleitenden Renteneinkommens sowie die Anpassung des Einkommens der Antragstellerin für die Zukunft unter Berücksichtigung der Verdienstbescheinigungen der Vergangenheit an.

Am 23. Oktober 2014 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag für Mai 2014 ab und gewährte der Antragstellerin für den Zeitraum 1. November 2014 bis 30. April 2015 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von vorläufig 474,71 Euro.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 setzte der Antragsgegner die Leistungen für den Zeitraum 1. Juni 2014 bis 31. Oktober 2014 endgültig fest. Dabei gewährte er der Antragstellerin für Juni 2014 123,17 Euro, für Juli 2014 180,65 Euro, für August 2014 147,43 Euro, für September 2014 218,65 Euro und für Oktober 503,48 Euro.

Mit Bescheid gleichen Datums forderte er für den Zeitraum 1. Mai 2014 bis 31. August 2014 die Erstattung überzahlter Beträge - für Mai 2014 489,85 Euro, für Juni 2014 224,39 Euro, für Juli 2014 166,91 Euro und für August 33,22 Euro. Zugleich erklärte er, dass die Nachzahlung für September 2014 in Höhe von 38,00 Euro und für Oktober 2014 in Höhe von 322,83 Euro mit der Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 914,37 Euro verrechnet werde, so dass die Antragstellerin lediglich die Restüberzahlung in Höhe von 553,54 Euro zu erstatten habe. Die Erstattungsforderung werde unter Berücksichtigung vom § 43 SGB II in monatlichen Raten in Höhe von 39,10 Euro mit den zustehenden Leistungen aufgerechnet.

Gegen die Bescheide vom 29. Oktober 2014 legte die Antragstellerin am 30. Oktober 2014 Widerspruch bei dem Antragsgegner ein. Zur Begründung gab sie an, da in den vorläufigen Bewilligungen kein Einkommen des Herrn B. angerechnet worden sei, komme dies auch im Rahmen der endgültigen Festsetzung nicht in Betracht. Mit Herrn B. habe außerdem keine Einstehensgemeinschaft bestanden; im Übrigen habe man sich inzwischen getrennt. Soweit der Antragsgegner den Erstattungsbescheid zu 100 v. H. mit dem laufenden Leistungsanspruch für Oktober 2014 aufrechne, sei dies rechtswidrig. Der Widerspruch entfalte aufschiebende Wirkung. Schließlich sei der Aufrechnungsbetrag in Höhe von 39,10 Euro nicht nachvollziehbar.

Ebenfalls am 30. Oktober 2014 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Gotha um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht und die Gewährung von Prozesskos-tenhilfe unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen beantragt. Hierbei hat sie die Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 30. Oktober 2014 gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2014 sowie die Bewilligung und Auszahlung der Leistungen nach dem SGB II begehrt. Neben ihren Ausführungen im Widerspruchsverfahren hat sie zur Begründung angegeben, ihr gehe es darum, dass die mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 bewilligten Leistungen für Oktober 2014 in Höhe von 503,48 Euro nicht ausgezahlt wurden. Die Nichtzahlung bedinge eine fortlaufende Bedarfsunterdeckung. Das Rechtsinstitut der Saldierung gebe es nicht. Zudem sei erst im Nachhinein von einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen worden; damit sei der Leistungsanspruch zu niedrig festgesetzt worden.

Der Antragsgegner hat im Rahmen seiner Erwiderung angegeben, die gerichtliche Inan-spruchnahme für eine Aussetzung der Aufrechnung sei rechtsmissbräuchlich. Die Antragstellerin habe mit gleichem Tag des Eilantrags auch den Widerspruch eingereicht. Es hätte ihr oblegen, dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben, im Bedarfsfall die Aufrechnung gegebenenfalls einzustellen. Zumindest hätte die Antragstellerin in diesem Fall darauf hingewiesen werden können, dass gar keine Aufrechnung aus dem widerspruchsbehafteten Bescheid erfolge. Dies gelte auch für Oktober 2014. Zwar sei der Differenzbetrag in Höhe von 322,83 Euro nicht ausgezahlt worden; hierbei handele es sich aber nicht um eine Aufrechnung, sondern um eine Saldierung nach § 328 SGB III; mithin eine völlig andere Rechtsgrundlage. Die Berücksichtigung des Herrn B. in der Bedarfsgemeinschaft gehe auf die Angaben der Betreuerin der Antragstellerin zurück. Im Übrigen sei dieser zum 1. Oktober 2014 aus der Wohnung der Antragstellerin ausgezogen, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt keine Bedarfsgemeinschaft mehr vorliege, was auch von dem Antragsgegner zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen worden sei.

Das Sozialgericht Gotha hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie den PKH-Antrag mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 abgelehnt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei unbegründet. Für Oktober 2014 habe der Antragsgegner eine Saldierung vorgenommen, die in § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 SGB III vorgesehen sei. Eine Aufrechnung sei lediglich für die Zukunft verfügt; jedoch nicht umgesetzt worden. Mangels Erfolgsaussicht sei auch der Antrag auf PKH abzulehnen.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 18. Dezember 2014 bei dem Thüringer Landessozialgericht Beschwerde erhoben. Ergänzend zu ihren bisherigen Ausführungen hat sie angegeben, für Oktober 2014 seien ursprünglich 180,65 Euro ausgezahlt worden. Mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 sei der Anspruch für Oktober 2014 auf 503,48 Euro endgültig festgesetzt worden, der Differenzbetrag in Höhe von 322,83 Euro jedoch nicht zur Auszahlung gebracht worden. Im Rahmen des erstinstanzlichen Eilverfahrens sei die Aufrechnung in Höhe von 39,10 Euro ab November 2014 eingestellt worden, die Aufrechnung in Höhe von 322,83 Euro für Oktober 2014 jedoch nicht rückgängig gemacht worden. Infolge des zumindest teilweisen Erfolgs sei nicht ersichtlich, weshalb die Prozesskostenhilfe abgelehnt worden sei.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 10. Dezember 2014 aufzuheben und der Antragstellerin für das Antragsverfahren ab dem 30. Oktober 2014 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts V., , zu gewähren.

Der Antragsgegner hat sich zur Beschwerde gegen den ablehnenden PKH-Beschluss nicht geäußert.

Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Behördenakte des Antragsgegners, der Gegenstand der Entscheidung war, verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

§ 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG regelt abschließend die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen eine Ablehnung von Prozesskostenhilfe. Danach ist die Beschwerde ausgeschlossen gegen die Ab-lehnung von Prozesskostenhilfe, wenn a) das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, b) in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder c) das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist. Letzteres gilt z. B. für PKH-Anträge betreffend Erinne-rungsverfahren gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse nach § 197 SGG, Anhörungsrügen nach § 178a SGG oder Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufungssumme nicht erreicht wird (vgl. BT-Drucks 17/12297 S. 40).

Gemessen daran ist die Beschwerde zulässig. Insbesondere folgt der Ausschluss der Be-schwerde nicht aus § 172 Abs. 3 Nr. 2c) SGG. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechts-schutzes wurde in der Hauptsache die Berufungssumme erreicht. Gegenstand des erstinstanz-lichen Eilverfahrens war die Saldierung im September 2014 in Höhe von 38 Euro und im Oktober 2014 in Höhe von 322,83 Euro sowie der Aufrechnung in Höhe von monatlich 39,10 Euro bei einer verbleibenden Erstattungsforderung in Höhe von 553,54 Euro, so dass der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von 750 Euro überschritten hat. Dabei kann der Senat offen lassen, ob für die Bestimmung des Erreichens der Berufungssumme auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages oder auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen abzustellen ist. Denn vorliegend hat die Antragstellerin auch nach Vorlage der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und anschließender Mitteilung des Antragsgegners, die Aufrechnung ab November 2014 nicht umzusetzen, ihren Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht beschränkt. Dementsprechend hat auch das Sozialgericht im Beschluss vom 10. Dezember 2014, sowohl hinsichtlich des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes als auch des PKH-Verfahrens, über den Anspruch in Höhe des Gesamtbetrages von 914,37 Euro entschieden.

Soweit der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag die Beschwerde gegen den Beschluss im erstinstanzlichen Eilverfahren (L 4 AS 1573/14 B ER) als unzulässig verworfen hat, folgt hieraus nichts anderes. Die Unzulässigkeit der Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergab sich aus der von der Antragstellerin vorgenommenen Beschränkung des Beschwerdegegenstandes auf einen Betrag von 322,83 Euro. Durch § 172 Abs. 3 Nr. 2c) SGG soll hingegen lediglich sichergestellt werden, dass Beschwerden gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe auch dann ausgeschlossen sind, wenn das Sozialgericht in der Sache - gemeint ist dasjenige Verfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird - durch unanfechtbaren Beschluss, somit endgültig, entscheidet (vgl. Böttiger in Breitkreuz / Fichte SGG – Kommentar, 2. Auflage, § 172 Rn. 46d m. w. N.). Dies folgt aus der Gesetzesbegründung, in welcher beispielhaft Erinnerungsverfahren gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse nach § 197 SGG oder Anhörungsrügen nach § 178a SGG aufgezählt werden (vgl. BT-Drucks 17/12297, S. 40). So ist der vorliegende Fall jedoch aufgrund der Entscheidung über einen Betrag von 914,37 Euro nicht gelagert, die Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG lagen nicht vor. Die in Ausübung der Dispositionsmaxime erfolgte Beschränkung des Beschwerdegegenstandes im Hauptsacheverfahren hat nach dem Zusammenspiel der Nrn. 1 bis 3 des § 172 Abs. 3 SGG nicht zur Folge, dass diese Beschränkung sich zugleich auf das Beschwerdeverfahren über die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe auswirkt.

Die Beschwerde über die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist zudem begründet.

Es fehlt im erstinstanzlichen Verfahren insbesondere nicht an der nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO geforderten, hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung.

An die hinreichende Erfolgsaussicht dürfen im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende verfassungsrechtliche Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht liegt vor, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände zumindest die Möglichkeit besteht, dass der Kläger mit seinem Begehren voll bzw. teilweise durchdringt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist unter anderem dann gegeben, wenn der Ausgang des Rechtsstreits von der Beantwortung einer bisher nicht geklärten Rechtsfrage abhängig ist.

Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Ent-scheidungsreife des Antrages auf PKH. Auch im Beschwerdeverfahren können nur Änderungen zugunsten des Antragstellers vor Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens in der Hauptsache Berücksichtigung finden. Entscheidungsreife ist regelmäßig gegeben, wenn der Antrag entsprechend den Vorgaben in § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. 117 ZPO - also auch der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - bei Gericht eingeht und den anderen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde (vgl. den Senatsbeschluss vom 13. August 2012 - L 4 AS 1193/10 B).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ging vollständig mit der Antragsschrift am 30. Oktober 2014 beim Sozialgericht ein und wurde mit gerichtlicher Verfügung vom selben Tag dem Antragsgegner zur Stellungnahme zugeleitet. Die Stellungnahme des Antragsgegners ging am 4. November 2014 beim Sozialgericht ein. Zu diesem Zeitpunkt bot die Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung des Vorbringens der Antragstellerin hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Dabei kann offen bleiben, ob die von dem Antragsgegner im Oktober 2014 vorgenommene Saldierung einer rechtlichen Prüfung standhält. Denn jedenfalls fehlte es im o. g. Zeitpunkt an einer Aufrechnungslage für die mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 zugleich erklärte Auf-rechnung. Die Aufrechnungslage liegt gemäß § 387 BGB vor, wenn der Schuldner die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die Forderung des aufrechnenden Leistungsträgers (Gegenforderung) muss mithin entstanden und fällig sein, während die gleichartige Forderung, mit der aufgerechnet werden soll (Hauptforderung), zwar nicht fällig, aber bereits entstanden und erfüllbar sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R, Rn. 24, juris). Da der Widerspruch gegen einen - hier der Aufrechnung zugrunde liegenden - Erstattungsbescheid gemäß § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung hat und kein Fall des § 39 SGB II vorliegt, kann mit der Forderung aus einem Erstattungsbescheid nur aufgerechnet werden, wenn dieser bestandskräftig geworden ist oder der Leistungsträger die sofortige Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet hat (vgl. Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 43 Rn. 17). Vorliegend hat der Antragsgegner im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 29. Oktober 2014 zeitgleich über die Erstattungsforderung sowie die Aufrechnung entschieden. Hiernach fehlte es dem Erstattungsbescheid aufgrund der noch laufenden Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) – und entgegen der Auffassung des Antragsgegners unabhängig von der tatsächlichen Einlegung des Widerspruchs – am 30. Oktober 2014 an der Bestandskraft. Da auch die sofortige Vollziehbarkeit nicht angeordnet war, war die Fälligkeit der Gegenforderung nicht gegeben.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Antragsgegner erklärt hat, tatsächlich keine Aufrechnung durchzuführen. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist ausreichend, dass der Antragsgegner die Aufrechnung gegenüber der Antragstellerin erklärt hat. Dennoch ausgezahlte Beträge wären, folgt man der Rechtsauffassung des Antragsgegners, ohne Rechtsgrund erbracht und damit von der Antragstellerin wiederum zu erstatten.

Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin nicht prozessarm im Sinne des Gesetzes ist, hatte der Senat nicht.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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