L 6 R 1798/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 7 R 1107/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1798/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 30. Juli 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Er-werbsminderung hat.

Die 1956 geborene Klägerin hat im Zeitraum vom September 1973 bis 1975 eine Lehre zum Facharbeiter für Fernschreibverkehr absolviert, die Prüfung jedoch nach ihren Angaben nicht bestanden. Sie war von 1975 bis September 1978 als Fernschreiberin und von Oktober 1978 bis 1990 als Sachbearbeiterin und Sekretärin in einer Berufsschule beschäftigt. 1990 wurde die Klägerin in die Stadtverwaltung E. übernommen und arbeitete dort als Sekretärin und Sach-bearbeiterin. Sie besuchte von Mai 1991 bis Juni 1992 einen Qualifikationslehrgang zur Sekre-tärin. Nach der im Verwaltungsverfahren eingeholten Arbeitgeberauskunft vom 27. November 2008 wurde sie zuletzt nach der Entgeltgruppe 5 des TVöD (ehemals Vergütungsgruppe VII des BAT-Ost) entlohnt. Seit dem 8. August 2008 ist sie dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt.

Die Klägerin beantragte am 6. November 2008 bei der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, da sie an Bluthochdruck, Diabetes und orthopädischen Beschwerden leide. Die Beklagte zog den Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums B. St. vom 17. Oktober 2007 (Diagnosen: Cervicobrachialgien überwiegend myotendinotischer Genese, deutliches funktionseinschränkendes LWS-Syndrom bei Überlastung, deutliche Adipositas mit Über-lastungserscheinung seitens des Bewegungsapparates, Arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus; vollschichtig leistungsfähig als Teamassistentin) sowie das MDK-Gutachten vom 19. November 2008 bei und holte ein internistisches Gutachten des Dr. L. vom 7. Januar 2009 (Diagnosen: arterieller Hypertonus bei alimentär bedingter Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2b, Hyperurikämie, degenerativer Wirbelsäulen- und Schultergelenkschaden; eine Tätigkeit als Sekretärin vollschichtig möglich) sowie ein orthopädisches Gutachten des Dipl.-Med. W. vom 26. Januar 2009 (Diagnosen: rezidivierendes Cervicalsyndrom, rezidivierendes Lumbalsyndrom, beginnende Coxarthrose beidseits, aktuell Schulter-Arm-Syndrom; leichte körperliche Arbeiten im Wechselrhythmus 6 Stunden und mehr möglich) ein. Mit Bescheid vom 24. April 2009 lehnte sie den Rentenantrag der Klägerin ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Eine von der Beklagten angebotene psychoso-matische Rehabilitationsmaßnahme lehnte sie ab. Die Beklagte bewilligte ihr daraufhin eine orthopädische Rehabilitationsmaßnahme und zog im Anschluss den Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums B. Sch. vom 22. Dezember 2009 (Diagnosen: rezidivierendes pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei LWS-Fehlstatik, rezidivierendes Cervicocephalsyndrom beidseits bei HWS-Fehlstatik und muskulärer Dysbalance, Chondropathia patellae beidseits bei beginnender Gonarthrose beidseits, Diabetes mellitus Typ II, Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen; eine Tätigkeit als Sachbearbeiterin/Sekretärin 6 Stunden und mehr möglich) bei und wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2010 zurück.

Mit ihrer am 12. Mai 2010 vor dem Sozialgericht Meiningen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie könne die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten gesundheitlich nicht ausüben. Da sie Berufsschutz genieße, komme eine andere Verwei-sungstätigkeit nicht in Betracht. Es liege Erwerbsunfähigkeit im Hinblick auf die Bewegungs-einschränkung im Bereich der Hände vor. Sie hat dem SG ihr Zeugnis über den Abschluss als Sekretärin, den Arbeitsvertrag vom 23. August 1991 sowie eine Dienstzeitberechnung vorgelegt. Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat die Auffassung vertreten, die Klägerin genieße zwar Berufsschutz als Facharbeiter, könne damit jedoch zumutbar auf die Verweisungstätigkeit einer Mitarbeiterin am Empfang oder an Informationsstellen nach der Entgeltgruppe 3 TVöD in öffentlichen Verwaltungen oder vergleichbaren Institutionen verwiesen werden. Als weitere Verweisungstätigkeit komme die einer Poststellenmitarbeiterin in Betracht.

Im Klageverfahren hat das SG diverse medizinische Befundberichte mit entsprechenden Anlagen und ein orthopädisches Gutachten des Dr. L. vom 15. April 2011 eingeholt. Der Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt: - chronische Entzündung des Muskelsehnenansatzes am äußeren Epicondylus des linken Ellenbogens mit massiver schmerzhafter Bewegungseinschränkung des linken Ellenbogens, schmerzbedingter partieller Kontraktur des linken Schulter- und des linken Handgelenks sowie ausgeprägter Kraftminderung der linken Hand,

- Sulcus ulnaris-Syndrom links mit neurologischen Ausfällen, - unteres Cervicalsyndrom mit Fehlhaltung am cervicothorakalen Übergang bei hoher Rund-rückenbildung mit myofascialem Schmerz und mittlerer Bewegungseinschränkung der HWS, - Lumbalsyndrom mit ischialgieformer Symptomatik links, myofascialem lumbalen Schmerz und geringer Bewegungseinschränkung der LWS sowie - beginnende Verschleißerkrankung an beiden Kniescheiben mit erhaltener Bewegungsfunk-tion. Zum Leistungsvermögen hat er eingeschätzt, dass der Klägerin leichte körperliche Arbeiten 3 bis unter 6 Stunden möglich seien. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 2012 hat der der Sachverständige auf die erhebliche Funktionseinschränkung des linken Armes und der damit verbundenen Probleme für beidhändiges Arbeiten hingewiesen.

Der letzte Arbeitgeber der Klägerin hat auf Anfrage des SG mit Schreiben vom 6. Februar 2012 mitgeteilt, dass diese zuletzt eine Tätigkeit ausgeübt habe, die mit der Entgeltgruppe 5 des TVöD bzw. früher Vergütungsgruppe VII Fallgruppe la des BAT-Ost bewertet gewesen sei.

Mit Urteil vom 30. Juli 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es folge nicht der Leistungseinschätzung des Dr. L. in dessen Gutachten vom 15. April 2011, da dieser keine nähere Begründung für die von ihm angenommene Verminderung des Leistungsvermögens auf unter 6 Stunden täglich angegeben und sich auch nicht mit den vor-liegenden medizinischen Unterlagen auseinandergesetzt habe. Selbst der behandelnde Arzt der Klägerin halte diese noch für in der Lage, leichte körperliche Arbeiten 6 Stunden täglich zu verrichten. Da die Gebrauchsfähigkeit des linken Armes der Klägerin nicht mehr voll gegeben sei, liege jedoch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor. Allerdings sei die Klägerin damit gesundheitlich noch in der Lage, eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiterin auszuüben. Eine Belastung des linken Armes sei bei dieser Tätigkeit nicht erforderlich. Die Tätigkeit sei der Klägerin, deren letzte Tätigkeit als Facharbeitertätigkeit einzustufen sei, auch sozial zumutbar, da sie jahrelang als Sekretärin gearbeitet habe.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 15. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. November 2012 mit der Begründung Berufung eingelegt, ihr Grad der Behinderung sei mit Bescheid vom 17. Dezember 2014 auf 60 erhöht worden. Zudem sei eine Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Beschwerden eingetreten. Sie zeige bereits nach kleineren Tätigkeiten erhebliche Ermüdungserscheinungen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass das SG dem Gutachten des Dr. L. nicht gefolgt sei. Sie sei weder gesundheitlich in der Lage, eine Tätigkeit als Bürohilfskraft zu verrichten, noch sei ihr dies "gehaltstechnisch" sozial zumutbar. Sie hat einen Befundbericht ihres behandelnden Arztes, Dr. H., vom 30. April 2013 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 30. Juli 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2010 zu verurteilen, ihr ab dem 1. Dezember 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf das Ergebnis der Begutachtung der Klägerin durch Dr. U. und äußert die Ansicht, dass in der Zusammenschau der beigezogenen medizinischen Unterlagen keine wesentliche Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Klägerin eingetreten sei. Die wesentliche Beschwerdesymptomatik finde sich auf orthopädischem Fachgebiet. Sie überreicht ein im Rahmen des Rehabiltationsantragsverfahrens der Klägerin erstelltes orthopädisches Gutachten des Facharztes für Orthopädie Sch. vom 6. November 2013 (Diag-nosen: Somatoforme Schmerzstörung, chronisch vertebragenes Schmerzsyndrom bei Spon-dylarthrose sowie ein subacromiales Schmerzsyndrom beidseits; Leistungsbild: Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Sekretärin/Sachbearbeiterin 6 Stunden und mehr, leichte körperliche Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen, nur im Wechselrhythmus, ohne einseitige Be-lastungen, ohne Überkopfarbeiten, nicht im Knien oder Hocken, ohne häufiges Ersteigen von Treppen, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne besondere geistig/psychische Belastungen ebenfalls 6 Stunden und mehr).

Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie ein neurolo-gisch/psychiatrisches Gutachten des Dr. U. vom 27. Mai 2014 eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten ein Ulnarisrinnensyndrom beidseits sowie eine Dysthymia diagnostiziert. Zum Leistungsvermögen hat er eingeschätzt, dass die Klägerin aufgrund der Funktionsstörungen, die sich aus den nervenärztlichen Diagnosen ergäben, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung noch vollschichtig ausüben könne. Die Wegefähigkeit sei gegeben, betriebsunübliche Pausen seien nicht einzuhalten. Sie könne noch eine Tätigkeit als Registratorin ausüben.

Des Weiteren hat der Senat den Beteiligten die anonymisierte Kopie eines Gutachtens der berufskundlichen Sachverständigen J. zur Tätigkeit eines Registrators/einer Registratorin nach der Vergütungsgruppe VIII des BAT-Ost aus einem Verfahren vor dem Thüringer Landessozialgericht (Az.: L 6 RJ 544/03) vom 15. Dezember 2004 zur Kenntnisnahme übersandt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist unbegründet, denn ihre Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat weder einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Er-werbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie – wie die Klägerin – vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versiche-rungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen. Die Klägerin ist nicht berufsunfähig i.S.v. § 240 SGB VI, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht in erforderlichem Umfang herabgesunken ist. Damit ist sie auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert i.S.v. § 43 SGB VI, denn dies setzt noch weitergehende Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Nach § 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Berufsunfähigkeit liegt nicht schon dann vor, wenn der Versicherte "seinen Beruf" nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn eine Verweisung auf eine zumutbare andere Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes festgestellt, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das so genannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Die verschiedenen Stufen sind nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes – dieser wird hauptsächlich nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht anhand von Prestige oder Entlohnung bestimmt – hierarchisch geordnet (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1996 – Az.: 4 RA 60/94 in BSGE 78, 207, 218; BSG, Urteil vom 24. März 1998 – Az.: B 4 RA 44/96 R, nach juris).

Die Einordnung eines bestimmten Berufs in das Mehrstufenschema erfolgt aber nicht aus-schließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt nach dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – Az.: 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Fachlichqualitativ gleichwertig sind demnach alle Vergleichsberufe, die nach dem "Schema" in die gleiche oder in die nächst niedrigere Stufe einzuordnen sind. Wesentliches Merkmal und Beurteilungsmaßstab für die Qualität eines Berufes ist nach der Rechtsprechung des BSG die tarifliche Einstufung durch die Tarifvertragsparteien. Sie ist einerseits wesentlich für die abstrakte – "tarifvertragliche" – Qualifizierung (im Sinne eines selbstständigen Berufsbildes) innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrages, zum anderen für die tarifliche Zuordnung der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Versicherten zu einer Berufssparte und hierüber zu einer bestimmten Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 1991 – Az.: 13/5 RJ 69/90 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14; BSG vom 21. Juni 2001 – Az.: B 13 RJ 45/00 R, nach juris).

Bei den Angestelltenberufen erfolgt eine Untergliederung in sechs Berufsgruppen: Angestell-tenberufe von hoher Qualität, die regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer ver-gleichbaren Qualifikation beruht und in denen regelmäßig ein Arbeitsentgelt oberhalb, an oder in der Nähe unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze erzielt wird (sechste Stufe); Ange-stelltenberufe, die zwar ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule oder wissen-schaftlichen Hochschule voraussetzen, jedoch nur Kenntnisse und Fähigkeiten unterhalb der Führungsebene – d.h. unterhalb der obersten Stufe – erfordern (fünfte Stufe); Angestelltenberufe, die eine Meisterprüfung oder einen erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen – im Kern mit der Berufstätigkeit der höchsten Stufe der Arbeiterberufe übereinstimmen – (vierte Stufe); der Angestelltenberufe mit einer längeren Ausbildung als zwei Jahre (dritte Stufe); der angelernten Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (zweite Stufe) und der unausgebildeten (ungelernten) Angestellten.

Maßgebende, weil letzte versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin war die einer Schreibkraft/Sachbearbeiterin bei der Stadtverwaltung Erfurt, bei der diese Schreib- und Bü-roarbeiten zu organisieren und auszuführen, Termine zu koordinieren sowie Büro- und Ver-brauchsmaterial zu bestellen, zu registrieren und zu verwalten hatte. Diese Tätigkeit war laut Arbeitgeberauskunft vom 27. November 2008 in die Entgeltgruppe 5 des TVöD (ehemals Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1a des BAT-Ost) eingestuft. Zwar zählen Tätigkeiten der Entgeltgruppe 5 des TVöD, ebenso wie vormals der Vergütungsgruppe VII des BAT, zur dritten Stufe der Angestelltenberufe. Dennoch könnten Bedenken hinsichtlich einer solchen Ein-gruppierung deshalb bestehen, weil die Klägerin die erforderliche förmliche Qualifikation einer Sekretärin im Rahmen eines lediglich einjährigen Qualifizierungslehrganges erworben hat. Andererseits arbeitete sie langjährig als Sachbearbeiterin und Sekretärin in einer Berufsschule. Ob sie damit tatsächlich zur dritten Stufe der Angestelltenberufe zu zählen ist und folglich Berufsschutz besitzt, kann der Senat jedoch letztlich dahinstehen lassen, denn selbst wenn man hiervon ausginge, kann sie jedenfalls zumutbar auf die Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters bzw. Registrators nach der ehemaligen Vergütungsgruppe VIII des BAT-Bund/Länder verwiesen werden. Dies ergibt sich aus dem Vergleich der bei der Klägerin bestehenden Leistungseinschränkungen mit den in dem vom Senat eingeholten Gutachten der Sachverständigen J. vom 15. Dezember 2004 beschriebenen Tätigkeitsanforderungen.

Nach den Ausführungen der Sachverständigen J., die sich der Senat zu eigen macht, handelt es sich bei der Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters bzw. Registrators um eine kaufmännisch-verwaltende Tätigkeit auf der Ebene der Angestellten mit einer Ausbildung von bis zu zwei Jahren. Diese Tätigkeit ist auch derzeit noch weitgehend unverändert aktuell, wie den Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit zu entnehmen ist (www.berufenet.arbeits agentur.de). Der Zugang zu dieser Tätigkeit ist nicht geregelt. Bevorzugt wird das Einarbei-ten/Anlernen von Bewerbern aus kaufmännischen und verwaltenden Berufen. Poststellenmit-arbeiter bzw. Registratoren führen eine vielfach gegliederte Registratur; sie sind verantwortlich für das Registrieren und Archivieren von Akten und anfallendem Schriftverkehr, Vergeben von Aktenzeichen nach den geltenden Aktenplänen und von fortlaufenden Aktennummern sowie das Anlegen von Neuakten und Aussondern von Altakten unter Beachtung von Aufbewahrungsfristen. Ein Beispiel für eine Arbeitsplatzbeschreibung wird wie folgt geschildert: 1. Kenntnis der Unternehmens- und Betriebsstruktur, Kenntnis der Betriebsabläufe; 2. Erkennen der verschiedenen Sachverhalte und Kenntnis der verschiedenen Belege für die richtige Zuordnung; 3. Einsortieren bzw. Entnahme von Schriftstücken zur Weiterbearbeitung, Kontrolle der Entnahme von Schriftstücken zum Schutz vor Verlusten, Aussortieren nicht mehr benötigter Schriftstücke; 4. Beherrschen der Ordnungssysteme (alphabetisch, numerisch, chronologisch); 5. Beherrschen der Ablagesysteme (Ordner, Stehsammler, vertikale Hängeregistratur etc.); 6. Arbeiten mit alternativen Registraturformen (z.B. Mikroverfilmung); 7. Arbeit mit Karteien (z.B. Karteikarten); 8. z.T. Arbeit mit Dateien; 9. Arbeit mit weiterer Bürotechnik.

Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit in geschlossenen beheizten Räumen, die überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen, zum Teil in Zwangshaltungen ausgeübt wird sowie teilweise Umgang mit Bürokommunikationsmitteln erfordert und zum Teil mit Publikumsverkehr verbunden ist. Sie verlangt außerdem genaue, systematische und zuverlässige Arbeitsweise, Ordnungssinn, Konzentrationsfähigkeit, Anpassungs- und Kooperationsfähigkeit. Erhöhte Anforderungen in zeitlicher Hinsicht sind ebenso wenig zu erwarten wie besondere nervliche Belastungen.

Die Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters bzw. Registrators stellt danach keine Anforderungen an das körperliche Leistungsvermögen, denen die Klägerin nicht gewachsen wäre. Dem An-forderungsprofil entspricht vielmehr das festgestellte Leistungsvermögen der Klägerin in dem im Rahmen des Berufungsverfahrens eingeholten Gutachten des Dr. U. sowie dem im Rahmen des Rehabilitationsantragsverfahrens eingeholten Gutachten des Facharztes für Orthopädie Sch. Sowohl der Sachverständige als auch der von der Beklagten beauftragte Gutachter sind in ihren Gutachten übereinstimmend zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch leichte Arbeiten vollschichtig unter bestimmten Einschränkungen verrichten kann. Als qualitative Einschränkungen nennen die beiden Ärzte, dass die Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen, nur im Wechselrhythmus, ohne einseitigen Belastungen, ohne Überkopfarbeiten, nicht im Knien oder Hocken, ohne häufiges Ersteigen von Treppen, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne besondere geistig/psychischen Belastungen ausgeübt werden dürfen. Die Tätigkeit einer Registratorin berücksichtigt nach den oben angegebenen Tätigkeitsmerkmalen die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin. Dr. U. hat überdies ausdrücklich bejaht, dass der Klägerin eine solche Tätigkeit aus medizinischer Sicht noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zumutbar ist. Auch der Facharzt für Orthopädie Sch. geht in seinem Gutachten davon aus, dass die Klägerin sogar ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Sekretä-rin/Sachbearbeiterin noch 6 Stunden und mehr je Arbeitstag verrichten kann.

Soweit der im erstinstanzlichen Verfahren beauftragte Sachverständige Dr. L. eingeschätzt hat, dass der Klägerin wegen der erheblichen Funktionseinschränkung des linken Armes und der damit verbundenen Probleme für beidhändiges Arbeiten lediglich leichte körperliche Arbeiten 3 bis unter 6 Stunden möglich sind, folgt dem der Senat ebenso wie das SG nicht. Nach dessen Ausführungen im Gutachten vom 15. April 2011 hat er im Zusammenhang mit den von ihm gestellten Diagnosen "Cervikal- und Lumbalsyndrom sowie Kniegelenksbeschwerden" lediglich relativ geringe qualitative Leistungseinschränkungen, wie z.B. bei höheren statischen und funktionellen Wirbelsäulenbelastungen, bei länger währenden Zwangshaltungen sowie bei Beugebelastungen beschrieben, die jedoch keine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu begründen vermögen. Somit wäre, worauf das SG bereits zutreffend hingewiesen hat, die quantitative Leistungseinschränkung allenfalls mit den von Dr. L. außerdem beschriebenen Einschränkungen im Bereich der linken Schulter, des linken Armes und insbesondere der linken Hand zu erklären. Doch auch hier bleibt der Sachverständige eine plausible Begründung für eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens schuldig. Diese offenbar allein aus den qualitativen Einschränkungen, die aus der verminderten Gebrauchsfähigkeit der linken Hand der Klägerin resultieren, zu folgern, überzeugt den Senat nicht. Die bei ihr unzweifelhaft bestehenden qualitativen Einschränkungen werden jedoch bei der vom Senat benannten Verweisungstätigkeit einer Registratorin berücksichtigt, wie im Übrigen Dr. U. ausdrücklich bestätigt hat.

Die Arbeit eines Poststellenmitarbeiters bzw. Registrators ist der Klägerin schließlich auch sozial zumutbar (auf Anlernebene Entlohnung nach Vergütungsgruppe VIII BAT Bund/Länder – vgl. Senatsurteil vom 5. September 2001 – Az.: L 6 RA 294/97, in: Breithaupt 2002, S. 18 ff.) und kann von ihr nach einer Anlernzeit von weniger als drei Monaten ausgeübt werden. Ihre langjährige berufliche Tätigkeit als Sachbearbeiterin und Sekretärin sowie die erfolgreiche Absolvierung des Qualifikationslehrgangs zur Sekretärin bieten genügend Anknüpfungstatsachen dafür, dass sie sich innerhalb des genannten Zeitraumes in die Tätigkeit einer Registratorin einarbeiten kann.

Ob der Klägerin mit ihrem Leistungsvermögen eine entsprechende Tätigkeit hätte vermittelt werden können, ist unwesentlich. Für vollschichtig einsatzfähige Versicherte besteht im All-gemeinen ein offener Arbeitsmarkt (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Ein Versicherter muss sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen. Dort gibt es noch eine hinreichende Anzahl zumutbarer Arbeitsplätze, unabhängig davon, ob diese offen oder besetzt sind. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt nicht die Beklagte, sondern die Arbeitslosenversicherung.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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