L 6 KR 123/13

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 1965/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 123/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 3. Dezember 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch streitig, ob die Beklagte der Klägerin die Kosten für eine operative Brustverkleinerung beidseits zu erstatten hat.

Die 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist 1,68 m groß, wog im September 2010 97,5 kg und hatte einen BMI von 35. Am 14. September 2010 beantragte sie bei der Beklagten eine Mammareduktionsplastik beidseits als Sachleistung und legte hierzu einen Arztbrief des Kreiskrankenhauses G./O. vom 9. September 2010 vor, wonach sie an Makromastie und Ptosis (Hängebrust) nach Gewichtsreduktion mit Beschwerden leide. Zur weiteren Antragsbegründung trug sie vor, in den vorausgegangenen 8 Monaten aufgrund von Ernährungsumstellung 20 kg abgenommen zu haben.

Die Beklagte beauftragte den T. e.V. (MDK) mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser verneinte im Gutachten vom 26. Oktober 2010 (Dr. H.) die medizinische Notwendigkeit der beantragten Maßnahme. Die Klägerin leide an einer Mammahyperplasie mit erheblicher Ptosis, an einer Adipositas II. Grades (BMI von 35), an Epilepsie sowie einem Zustand nach Thrombose. Nach einer Gewichtsreduktion, die noch andauere, sei es zur Ausbildung von sehr schlaffen, hängenden Brüsten gekommen. Das Ess- und Ernährungsverhalten sei umgestellt worden und die Klägerin bewege sich viel. Täglich absolviere sie 8 bis 10 km mit Nordic Walking-Stöcken, seither sei es zu zunehmenden Beschwerden im Schulter- und Nackenbereich gekommen. Die Ptosis sei nicht krankheitswertig, es bestünden keine Hautveränderungen oder rezidivierende Entzündungen. Das Brustgewicht sei bezogen auf den Gesamtkörperbau und das Gesamtgewicht ebenfalls nicht als krankheitswertig oder erheblich von der Norm abweichend einzuschätzen. Zur Beschwerdelinderung sei eine weitere Gewichtsreduktion, etwa durch Ernährungsberatung und Bewegungstherapie (Rehasport/Funktionstraining) zu empfehlen. Besonders wichtig erscheine es, die richtige Technik des Nordic Walking zu erlernen, um einseitige Belastungen der Schultern sowie der Nackenmuskulatur zu vermeiden.

Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 4. November 2010 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an. Hierauf nahm diese zusammen mit ihrer Hausärztin Dr. St. mit Schreiben vom 16. November 2010 Stellung und trug vor, dass es durch die Gewichtsabnahme zu einem deutlichen Missverhältnis zwischen den Brüsten und dem übrigen Körper gekommen sei. Zudem leide sie seit Jahren an einer neurologisch-psychiatrisch mitbehandelten Depression. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin sodann mit Bescheid vom 14. Dezember 2010 ab.

Den hiergegen mit Schreiben vom 12. Januar 2011 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin mit einem enormen Leidensdruck, verbunden mit Rücken- sowie Nackenschmerzen. Durch das Brustgewicht trete eine Fehlhaltung auf, die zu Verschleißerscheinungen an der Brust- und Halswirbelsäule führten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2011 zurück und führte zur Begründung aus, nach dem MDK-Gutachten liege kein krankheitswerter Körperzustand vor. Ein Zusammenhang zwischen der Brustgröße und den geklagten Wirbelsäulenbeschwerden sei nicht belegt, zumal eine Behandlung z.B. durch physiotherapeutische Maßnahmen bisher nicht erfolgt sei. Behandlungsbedürftig sei auch das Übergewicht der Klägerin mit einem BMI von 35. Es sei zu erwarten, dass durch eine allgemeine Gewichtsreduktion das Brustvolumen und -gewicht abnehmen werde. Somit sei sie auf ambulante Maßnahmen, z.B. fachorthopädische Behandlung, Gewichtsreduktion, Optimierung der Nordic-Walking-Technik, Rückenschule und muskelkräftigende Übungen für Rücken- und Schultergürtel, als zunächst ausreichende, aber auch erforderliche Maßnahmen zu verweisen.

Hiergegen hat die Klägerin am 23. März 2011 Klage vor dem Sozialgericht Gotha (SG) er-hoben und zur Begründung im Wesentlichen ergänzend vorgetragen, sie fühle sich entstellt und traue sich immer noch nicht in die Öffentlichkeit "im Sinne von Schwimmbädern oder ähnlichen Einrichtungen". Sie sei zudem voll erwerbsgemindert und beziehe eine entsprechende Rente. Der sportlichen Betätigung sei schon durch ihren insgesamt sehr stark beeinträchtigten Gesundheitszustand eine natürliche Grenze gesetzt. Auch ihr behandelnder Orthopäde unterstütze ihr Begehren. Schließlich schätze der gerichtliche Sachverständige Dr. K. sehr überzeugend ein, dass die beiderseitige Makromastie bereits zu orthopädischen Folgeerscheinungen im Bereich der Brustwirbelsäule geführt habe und davon auszugehen sei, dass sich dieser Befund weiter verschlechtere, wenn die begehrte Brustverkleinerung nicht durchgeführt werde. Dem ist die Beklagte entgegen getreten und hat eine sozialmedizinische Stellungnahme des MDK vom 9. November 2012 übersandt, wonach bei der Klägerin neben einer Brustlast, die einer Gigantomastie nahekomme, trotz Gewichtsreduktion auch eine deutliche Adipositas vorliege und auch nicht alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Die Klägerin habe ausweislich ihrer Unterlagen seit 2010 keine physio-therapeutischen Behandlungen auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung in Anspruch genommen.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin beigezogen und ein Sach-verständigengutachten bei Dr. K. in Auftrag gegeben. Dieser hat in seinem "fachorthopädischen und fachtraumatologischen Zusammenhangsgutachten" vom 2. Mai 2012 ausgeführt, die Klägerin leide an einer Makromastie beidseits, einer manifesten Kyphosierung der Brustwirbelsäule mit muskulärer Insuffizienz der Rückenstreckmuskulatur und degenerativen Veränderungen der Brustwirbelsäule im gesamten Verlauf durch ventrale und rechtsbetonte Spondylophytenbildung, einer funktionellen Einäugigkeit, einem bekannten, medikamentös eingestellten Anfallsleiden sowie an stattgehabter tiefer Beinvenenthrombose seit 1996. Sie weise über das Altersmaß hinausgehende degenerative Veränderungen der mittleren und unteren Brustwirbelsäule auf. Der Zusammenhang zwischen Brustlast und Kyphosefehlstellung lasse sich in ihrem Falle durchaus konstatieren, zumal andere Ursachen weder anamnestisch, noch durch die klinische Untersuchung, noch röntgenologisch nachzuweisen seien. Bisher habe bei ihr weder eine außergewöhnliche berufliche, noch sportliche Belastung vorgelegen. Da auch eine Gewichtsreduktion von 120 kg auf 90 kg zu keiner Verkleinerung der Brust geführt hätten und tägliche sportliche Betätigungen fortgeführt würden, sei nicht damit zu rechnen, dass die Rückenmuskulatur auf konservativem Wege soweit gekräftigt werden könne, dass ein permanentes Gegengewicht gehalten und die Kyphosefehlstellung verbessert werden könne. Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten seien erschöpft. Aus diesem Grunde sei aus orthopädischer Sicht die Mammareduktionsplastik zu empfehlen, da nach entsprechenden Untersuchungen bei einer Reduktionsmasse von deutlich über 500 Gramm mit 85%iger Wahrscheinlichkeit eine deutliche Beschwerdelinderung auch der Rückenbeschwerden zu erwarten sei. Sie stelle allerdings nicht die ultima ratio dar, da insoweit eher eine Aufrichtungsoperation im Bereich der Brustwirbelsäule zu überdenken sei.

Mit Urteil vom 3. Dezember 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Mammareduktionsplastik als Sachleistung. Der Zustand ihrer Brust stelle für sich genommen keine Krankheit dar, die einer ärztlichen Behandlung bedürfe. Auch unter dem Gesichtspunkt der Entstellung ergebe sich kein Anspruch, da hierfür nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abnorme Abweichungen der äußeren Gestalt eines Körperteils, welches für jedermann sichtbar sei, erforderlich seien. Schließlich folge auch aus den von der Klägerin auf orthopädischem Bereich geltend gemachten Beschwerden keine Notwendigkeit eines operativen Eingriffs im Bereich der Brust. Die von der Klägerin geklagten Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht erheblich, da sie über Jahre weder einen Facharzt aufgesucht, noch sich um sonstige physiotherapeutische Maßnahmen zur Linderung ihrer Beschwerden bemüht habe. Demgegenüber berge eine eventuell durchzuführende Operation bei der Klägerin aufgrund ihrer Begleiterkrankungen Epilepsie und Zustand nach Thrombose ein besonderes Risiko. Zudem sei die Gewichtsreduktion noch nicht abgeschlossen und auch die konservativen Behandlungsmethoden noch nicht ausgeschöpft.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 17. Dezember 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Januar 2013 Berufung eingelegt und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Sachverständigengutachten des Dr. K. gestützt und weiteren medizinischen Sachauf-klärungsbedarf gesehen. Sie hat den Behandlungsvertrag der Privatkliniken GmbH/ Privatklinik G. vom 5. November 2014 betreffend einer am selben Tage stattgehabten Mammareduktionsplastik (Entgelt: 4.999.48 EUR; die Rechnung werde der Klägerin nach Abschluss der Behandlung übersandt), sowie eine entsprechende "Anzahlungsquittung" über diesen Betrag vorgelegt. Weitere Unterlagen, insbesondere die OP-Rechnung, hat die Klägerin trotz Aufforderung dem Senat nicht übersandt und auch sonst die gerichtlichen Anfragen nicht beantwortet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 3. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2011 zu verurteilen, ihr die Kosten für einer beidseitige Mammareduktionsplastik in Höhe von 4.999,48 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und betont, bei der Klägerin liege weder eine stabile Gewichtssituation vor, noch habe sie in den letzten Jahren ausreichend physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch genommen. Nach den Unterlagen habe sie nur im Juli 2013 sechs Physiotherapietermine wahrgenommen. Bei einem Facharzt für Orthopädie sei lediglich im Jahre 2010 eine einmalige Vorstellung erfolgt, aus der keine weiteren Untersuchungen und Behandlungen resultierten.

Am 12. Juni 2015 hat der vormalige Berichterstatter des Senats mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der in der Gerichtsakte befindlichen Sitzungsniederschrift verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat in Abwesenheit der Klägerin entscheiden konnte, da sie in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 S. 2 des Sozial-gerichtsgesetzes (SGG)), ist unbegründet.

Die Klage ist auch, nachdem die Klägerin sich nach Ablehnung der Sachleistung durch die Beklagte die gewünschte Leistung selbst beschafft hat und diese nunmehr klageweise geltend macht, als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Es fehlt nicht an dem für die Zulässigkeit erforderlichen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - Az.: B 1 KR 19/07 R, nach juris).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 13 Abs. 3 Alter-native 2 SGB V auf Erstattung der Kosten für die Mamareduktionsplastik der Brust in Höhe von insgesamt 4.999,48 EUR. Die Kosten für die ärztliche Behandlung sind, ungeachtet des Umstandes, dass die Klägerin trotz Aufforderung durch den Senat keine nachprüfbare Rechnung zu der durchgeführten Operation vorlegt, nicht dadurch entstanden, dass die Beklagte eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Alternative 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2) und sich Versicherte deshalb die Leistung selbst beschaffen. Die Alternative 1 kommt hier von vornherein als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht.

Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbst be-schaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Kran-kenkassen als Sachleistung zu erbringen sind. Mit der Durchbrechung des Sachleistungs-grundsatzes (§ 2 Abs. 2 SGB V) trägt § 13 Abs. 3 SGB V dem Umstand Rechnung, dass die gesetzlichen Krankenkassen eine umfassende medizinische Versorgung ihrer Mitglieder si-cherstellen müssen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und infolgedessen für ein Versagen des Beschaffungssystems - sei es im medizinischen Notfall (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) oder infolge eines anderen unvorhergesehenen Mangels - einzustehen haben. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen die Abweichung vom Sachleistungsprinzip nur in dem Umfang zu, in dem sie durch das Systemversagen verursacht ist (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 10, 11 m.w.N.).

Die hier erbrachte operative Behandlung durch die Privatklinik G. konnte die Klägerin nicht als Dienst- und Sachleistung in Anspruch nehmen. Die operative Mammareduktionsplastik war nicht wegen einer Krankheit im Sinne des SGB V notwendig.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R m.w.N., nach juris).

Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt sind oder dass sie an einer Abweichung vom Regelfall leiden, die entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Die Klägerin ist durch die Makromastie beider Brüste nicht in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie entstellend wirkt.

Eine Beeinträchtigung der Brustfunktion wurde von der Klägerin nicht geltend gemacht. Auch die behandelnden Ärzte und der MDK sowie letztlich auch der gerichtliche Sachverständige gehen nicht von einer Beeinträchtigung der Brustfunktion aus. Bei der Klägerin liegt auch keine Entstellung vor. Hierfür genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein und in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse der Eingliederung behinderter Menschen fordert, dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen. Die Rechtsprechung hat als Beispiele für eine Entstellung z.B. das Fehlen natürlichen Kopfhaares bei einer Frau, eine Wangenathrophie oder Narben im Lippenbereich angenommen oder erörtert, während bei der Fehlanlage eines Hodens eines männlichen Versicherten eine Entstellung in der Rechtsprechung nicht einmal für erörterungswürdig angesehen wurde. Die Feststellung, dass im Einzelfall ein Versicherter wegen einer körperlichen Anormalität an einer Entstellung leidet, ist in erster Linie Tatfrage (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Der Senat geht davon aus, dass bei Klägerin eine solche Entstellung im Sinne der Rechtsprechung des BSG schon deshalb nicht vorliegt, weil dieser Körperbereich in der Regel durch Kleidung verdeckt ist (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Januar 2006 - Az.: L 5 KR 65/05, nach juris).

Eine psychische Belastung, wie von der Klägerin geltend gemacht, rechtfertigt keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Sie könnte, kommt ihr Krankheitswert zu, nur einen Anspruch auf Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie, nicht aber auf eine Mammareduktionsplastik begründen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, a.a.O.). Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) muss Versicherten nicht mit jeglichem Mittel versorgen, das ihrer Gesundheit förderlich ist oder für sich in Anspruch nimmt, auf die Krankheit einzuwirken; vielmehr mutet das Gesetz den Versicherten zu, teilweise selbst für ihre Gesundheit zu sorgen (vgl. § 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V, § 2 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V). Auch deshalb verneint die Rechtsprechung einen Anspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998 - Az.: B 1 KR 18/96 R, nach juris). Damit wertet sie Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, nicht als "Behandlung" i.S. von § 27 Abs. 1 SGB V und weist derartige Maßnahmen der Eigenverantwortung des Versicherten zu (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Az.: B 1 KR 3/03 R, nach juris). Operationen am gesunden Körper bedürfen gerade wegen der mit ihnen verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines einzig einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2003 - Az.: B 1 KR 1/02 R, nach juris). Eine solche Rechtfertigung hat das BSG für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen zu Recht verneint (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, a.a.O.).

Auch die von der Klägerin zur Begründung ihres Begehrens geltend gemachten orthopädischen Beschwerden begründen nicht die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs im Bereich der Brust. Eine Mammareduktionsplastik würde lediglich eine mittelbare Behandlung der Erkrankungen der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet darstellen. Lediglich mittelbare Behandlungen einer Krankheit bedürfen einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2003, a.a.O.). Eine chirurgische Behandlung in Form der Brustverkleinerung darf danach nur die ultima ratio sein, zumal ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen wie z.B. Entzündungen, Thrombose bzw. Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen) verbunden ist. Zu fordern ist auf jeden Fall eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. September 2011 - Az.: L 11 KR 33/09 m.w.N., nach juris, sowie die Rechtsprechung des erkennenden Senats, z.B. Urteil vom 29. Oktober 2013 - Az.: L 6 KR 158/11, nach juris). Im Falle der Klägerin kann dahinstehen, ob die von ihr angegebenen und von den behandeln-den Ärzten sowie dem erstinstanzlichen Gutachter bestätigten orthopädischen Beschwerden nach den oben dargestellten Maßstäben einen Anspruch auf eine beidseitige Mammareduktionsplastik begründen könnten. Hierfür sprächen z.B. die von Dr. K. im Rahmen seiner Begutachtung festgestellte manifeste Kyphosierung der Brustwirbelsäule sowie die über das Altersmaß hinausgehenden degenerativen Veränderungen der mittleren und unteren Brustwirbelsäule.

Jedenfalls ist für den Senat nicht erkennbar, dass die Klägerin die konservativen Behand-lungsmöglichkeiten vollständig ausgeschöpft hat, mithin die von ihr begehrte Mammareduk-tionsplastik die ultima ratio im Sinne der eingangs zitierten Rechtsprechung des BSG darstellt. Zwar führt Dr. K. in seinem Gutachten vom 2. Mai 2012 aus, die Klägerin habe täglich Nordic Walking betrieben, weshalb die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Dem hat der MDK, für den Senat nachvollziehbar, entgegengehalten, dass bei der Klägerin weder eine stabile Gewichtssituation vorliegt, noch hat sie in den letzten Jahren ausreichend physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch genommen. Nach den der Beklagten vorliegenden Unterlagen wurden im Zeitraum seit 2010 nur im Jahre 2013 sechs Physiotermine durchgeführt, bei einem Facharzt für Orthopädie ist lediglich im Jahre 2010 eine einmalige Konsultation dokumentiert. Hinsichtlich der täglichen Nordic Walking Aktivitäten verweist die Beklagte darauf, dass seit die Klägerin diesbezüglich aktiv ist, sie an zunehmenden Beschwerden im Schulter- und Nackenbereich leidet, weshalb davon auszugehen ist, dass sie die Technik des Einsatzes der Nordic Walking-Stöcke nicht beherrscht, so dass es zu einseitigen Belastungen der Schultern und der Nackenmuskulatur gekommen ist. Neben der Empfehlung der Optimierung der Nordic Walking-Technik bedarf es im Falle der Klägerin deshalb der Durchführung weiterer ambulanter Maßnahmen (z.B. fachorthopädische Behandlung, Gewichtsreduktion, Rückenschule und muskelkräftigende Übungen für Rücken- und Schultergürtel). Von einer vollständigen Ausschöpfung der konservativen Behandlungsmöglichkeiten kann nicht ansatzweise gesprochen werden. Letztlich geht auch Dr. K. davon aus, dass es sich bei der von der Klägerin begehrten Mammareduktionsplastik nicht um die ultima ratio für die Behandlung der orthopädischen Beschwerden handelt, "da insoweit eher eine Aufrichtungsoperation im Bereich der Brustwirbelsäule zu überdenken" ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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