L 6 KR 713/13

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 6 KR 4573/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 713/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 21. Januar 2013 wird verworfen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger ein Rollstuhlmobilitätstraining inklusive Begleitperson und Unterkunft als Sachleistung zu gewähren hat.

Der 1972 geborene Kläger ist aus gesundheitlichen Gründen auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen und seit 2010 mit einem Rollstuhl "Meyra X2" versorgt. Am 21. Januar 2011 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für ein Mobilitätstraining und legte dem Antrag einen Ausdruck aus dem Internet-Angebot der M.-S.-Stiftung für Rollstuhlfahrer bei.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln auch die Einweisung in den Gebrauch des Hilfsmittels umfasse. Dies erfolge grundsätzlich vom Leistungserbringer im Rahmen der Hilfsmittelabgabe. Eine zusätzliche Beteiligung an weiteren Kosten könne nicht erfolgen.

Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger im Wesentlichen vor, er sei bei der Übergabe lediglich in den Gebrauch des Rollstuhls eingewiesen worden, eine Ausbildung habe jedoch nicht stattgefunden. Er möchte auch stark bezweifeln, dass Sanitätshäuser dazu in der Lage seien. Da er öfters Schmerzen in beiden Schultern habe, die auch durch "falsches" Rollstuhlfahren entstehen könnten, wolle er einen gelenk- und muskelschonenden Gebrauch des Rollstuhls erlernen und hierzu am Mobilitätstraining der M.-S.-Stiftung teilnehmen. Die Kosten hierfür würden pro Person 98,50 EUR und die Unterkunft im Doppelzimmer pro Tag 78,00 EUR betragen. Da er einen Schwerbehindertenausweis mit "100 %" und den Merkzeichen "aG" und "B" habe, benötige er eine Begleitperson, so dass für zwei Personen und drei Übernachtungen insgesamt Kosten in Höhe von 431 EUR anfielen. Falls diese von der Beklagten übernommen würden, trage er die anfallenden Fahrtkosten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 33 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Der Anspruch umfasse nach § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V auch die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Die Einweisung in den Gebrauch eines Hilfsmittels erfolge grundsätzlich vom Leistungserbringer im Rahmen der Hilfsmittelabgabe. Dies sei auch im vorliegenden Fall erfolgt. Insofern würde das beantragte Mobilitätstraining das Maß des Notwendigen übersteigen. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB V dürften Krankenkassen jedoch Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich seien, nicht erbringen. Somit sei eine Kostenübernahme vorliegend nicht möglich.

Mit der am 9. Juni 2011 vor dem Sozialgericht Nordhausen (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, dass er Anspruch auf volle Kostenübernahme für das Mobilitätstraining habe, da nach § 33 Abs. 1 SGB V der Anspruch des Versicherten auch die Ausbildung in dem Gebrauch des Hilfsmittels umfasse. Die kurze Einweisung des Hilfsmit-tellieferanten könne ein Mobilitätstraining nicht ersetzen. Nach seiner Kenntnis gebe es in Thüringen keine Angebote für Mobilitätstrainings für Erwachsene. Durch die Ablehnung der Beklagten werde auch Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention verletzt. Dem ist die Beklagte entgegen getreten und hat geltend gemacht, die vom Hilfsmittelieferanten durchgeführte Einweisung in den Gebrauch des Hilfsmittels entspreche dem im Rahmen der Hilfsmittelabgabe geschuldeten Service. Eine Kostenübernahme für zusätzliche Mobilitätskurse komme nicht in Betracht, da diese inhaltlich weit über die Ausbildung im Gebrauch des Hilfsmittels hinausgingen. Bei bestimmten Krankheitsbildern könne ein Kostenzuschuss in Höhe von 50 v.H. für Rollstuhltrainingskurse bewilligt werden, wenn am Wohnort zur Verfügung stehende Möglichkeiten nicht ausreichten. Diese Krankheitsbilder lägen jedoch beim Kläger nicht vor. Zudem erfülle das Mobilitätstraining bei der vom Kläger bevorzugten M.-S.-Stiftung nicht die Kriterien des GKV-Spitzenverbandes, so dass auch eine Bezuschussung im Rahmen einer individuellen Gesundheitsvereinbarung ausgeschlossen sei. Es seien ihr auch keine anderen nach diesen Kriterien zugelassenen Anbieter von Mobilitätstrainings bekannt.

Das SG hat eine Stellungnahme des Hilfsmittellieferanten, der den Kläger mit dem aktuellen Rollstuhl versorgt hat, eingeholt. Die GmbH hat unter dem 12. Oktober 2011 mitgeteilt, dass eine Einweisung in den Gebrauch eines Rollstuhls grundsätzlich gemäß der jeweiligen Gebrauchsanweisung des Herstellers erfolge. Es würden also alle Funktionalitäten und Sicherheitsbestimmungen des Hilfsmittels erläutert und am Hilfsmittel vorgeführt. Es werde auch theoretisch erläutert, was beim Überwinden von Schwellen und Bordsteinkanten zu beachten sei. Dagegen falle ein "Training" im Gebrauch eines Hilfsmittels nicht in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich eines Sanitätshauses. Ein solches praktisches Training er-fordere ein ausgearbeitetes Trainingskonzept. Ansprechpartner hierfür dürften z.B. Reha-Kliniken und ähnliche Einrichtungen sein.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme für ein Mobilitätstraining für Rollstuhlfahrer. Entsprechend der Stellungnahme der GmbH vom 12. Oktober 2011 erfolge bei der Übergabe des Rollstuhls gemäß der jeweiligen Gebrauchsanweisung des Herstellers eine Einweisung des Versicherten. Mit dieser Einweisung durch den Hilfsmittellieferanten sei der gesetzliche Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V erfüllt. Sofern im Einzelfall gezielte Schulungsmaßnahmen des Versicherten notwendig seien, müssten diese unter ärztlicher Anleitung nach einem gezielten therapeutischen Konzept durchgeführt werden. Hierfür seien üblicherweise stationäre Reha-Kliniken zuständig. Aber auch unter dem Gesichtspunkt des § 20 SGB V lasse sich vorliegend ein Anspruch des Klägers nicht begründen. Die vom Kläger begehrte Maßnahme der M.-S.-Stiftung erfülle nicht die Voraussetzungen des Leitfadens des GKV-Spitzenverbandes.

Gegen das ihm am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Mai 2013 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt und die Auffassung äußert, im Gesetzestext stehe explizit, dass eine Ausbildung in den Gebrauch eines Hilfsmittels erfolgen müsse. Ohne diese Ausbildung sei seine Mobilität stark eingeschränkt, seine Gesundheit gefährdet und seine soziale Teilhabe nicht gewährleistet. Dies widerspreche der Be-hindertenrechtskonvention. Mit seinem Schreiben vom 12. November 2011 habe er dem SG mitgeteilt, dass er bestimmte Kostenpunkte geklärt wissen wolle. Welche Kosten letztendlich entstünden, hänge vom jeweiligen Mobilitätstraining ab und davon, ob eine Wiederholung erforderlich sei. Auch in der M.-S.-Stiftung gebe es unterschiedlich lange Kurse. Höhere Kosten könnten schnell entstehen, falls man nicht mehr selbständig Auto fahren könne und auf einen Fahrdienst angewiesen sei. Es müsse auch nicht unbedingt die M.-S.-Stiftung sein, allerdings benötige er eine adäquate Ausbildung. Das SG Oldenburg habe mit rechtskräftigem Urteil vom 20. August 2014 festgestellt, dass gesetzlich krankenversicherte Rollstuhlfahrer einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für einen Rollstuhlmobilitätskurs hätten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 21. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2011 zu verurteilen, ihm ein Rollstuhlmobilitätstraining inklusive einer Begleitperson als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie u.a. auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten im Laufe des Berufungsverfahrens darauf hingewiesen, dass Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung bestehen, da sich die im Verwaltungsverfahren bezifferten Kosten für das vom Kläger begehrte Mobilitätstraining auf 431 EUR belaufen und damit die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Höhe von 750 EUR nicht erreicht wird.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unzulässig.

Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Be-schwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt.

Die Berufung bedurfte hier der Zulassung durch das SG, weil der Kläger bei der Beklagten die Gewährung eines Mobilitätstrainings unter Konkretisierung auf ein Angebot der M.-S.-Stiftung mit gleichzeitiger Bezifferung auf 431 EUR beantragt hat. Damit hat er sich auf genau dieses Angebot festgelegt und die Beklagte hat auch nur diesen so konkretisierten Antrag abgelehnt. Folglich ist auch nur dieses Begehren zur Überprüfung durch das SG gestellt worden und das SG hat mit dem angefochtenen Urteil ausweislich des diesem zugrunde gelegten Antrags des Klägers auch nur hierüber entschieden, so dass der Kläger auch nur insoweit beschwert ist. Allein diese Beschwer, die mithin auf 431 EUR zu beziffern ist, ist für die Frage der Zulässigkeit der Berufung maßgeblich und erreicht folglich die erforderliche Berufungssumme erkennbar nicht.

Unerheblich ist demgegenüber der Berufungsvortrag des Klägers, dass er auch ein sonstiges adäquates Mobilitätstraining von der Beklagten zur Verfügung gestellt bekommen möchte und dass die Kosten letztendlich davon abhingen, ob eine Wiederholung erforderlich sei, wie lange die verschiedenen Kurse dauerten und, falls man nicht mehr selbständig Auto fahren könne, ob man auf einen Fahrdienst angewiesen sei. Der Kläger hat sein Begehren konkretisiert und muss sich hieran festhalten lassen. Eine nachträgliche Erhöhung der Berufungssumme hat demgegenüber keinen Einfluss auf die Frage der Statthaftigkeit der Berufung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, Rdnr. 20 zu § 144 m.w.N.). Auch der Hinweis des Klägers auf seinen Schriftsatz vom 12. November 2011, mit dem er dem SG mitgeteilt habe, dass er bestimmte Kostenpunkte geklärt wissen wolle, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die dort zur Klärung gestellten Kostenfragen waren im Hinblick auf seinen konkretisierten und bezifferten Antrag gerade nicht streitgegenständlich und wurden demgemäß auch vom SG zu Recht nicht aufgegriffen.

Das SG hat die Berufung auch nicht zugelassen. Allein dadurch, dass das Urteil mit einer falschen Rechtsmittelbelehrung versehen ist, hat das Gericht keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 2. Juni 2004 - Az.: B 7 AL 10/04 B m.w.N., nach juris). Eine Umdeutung der unzulässigen Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG ist im laufenden Verfahren nicht möglich (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 - Az.: B 1 KR 25/01 R, nach juris).

Die Beteiligten sind im Übrigen durch die gerichtlichen Verfügungen vom 22. Mai 2013 und vom 12. August 2013 auf die Unzulässigkeit der vorliegenden Berufung hingewiesen worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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