L 1 U 821/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 33 U 4210/12
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 821/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine (Teil)Ruptur der langen Bizepssehne mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf ein Unfallereignis zurückgeführt werden kann.

2. Ernsthafte Zweifel an einer unfallbedingten Verursachung einer Ruptur der langen Bizepssehne können durch das Fehlen ausgedehnter Einblutungen im Operationsgebiet entlang der Bizepssehne und das Vorliegen nur einer Teilruptur begründet werden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 29. April 2014 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Ereignis vom 2. Januar 2012 als Arbeitsunfall mit der Folge einer partiellen Bizepssehnenruptur rechts anzuerkennen ist.

Der 1962 geborene Kläger verspürte beim Lagern einer Patientin im Rahmen seiner Tätigkeit als Altenpfleger plötzlich heftigste Schmerzen im rechten Oberarm. Er beendete seine Schicht (Schichtende gegen 6:20 Uhr) und suchte am 2. Januar 2012 gegen 11.00 Uhr den Durch-gangsarzt auf. Dieser diagnostizierte eine partielle Bizepssehnenruptur rechts. Deshalb unterzog sich der Kläger am 11. Januar 2012 einem operativen Eingriff im W.klinikum G. Ausweislich des Operationsberichtes entleerte sich kein Hämarthros und kein Erguss. Eine subtotale Ruptur der Bizepssehne rechts wurde festgestellt. Ausweislich des pathologischen Befundes vom 12. Januar 2012 enthielten die Bizepssehnenanteile nachweisbar keinen degenerativen Schaden. Eine nicht mehr ganz frische Rupturzone wurde festgestellt. Schriftlich schilderte der Kläger gegenüber der Beklagten am 18. Januar 2012 den Unfallhergang so, dass die zu pflegende Person den Lagerungswechsel nicht selbständig durchführen konnte und beim Drehen auf die rechte Seite es zu einer Abwehrreaktion kam, sodass die zu pflegende Person auf den rechten Arm zurückgerollt sei. Dabei habe es ein lautes Geräusch gegeben und er habe einen stechenden Schmerz verspürt. Nach Beiziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses des Klägers holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. L. ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 28. März 2012 aus, dass der Kläger nach dem Ereignis weitergearbeitet habe, was für einen traumatischen Bizepssehnenabriss atypisch sei. Laut Operationsbericht seien keine Einblutungen gesichert. Dies wäre 9 Tage nach dem Ereignis zu erwarten gewesen. Die Lokalisation des Schadens im Bereich der langen Bizepssehne sei ungewöhnlich. Nach Beiziehung des kernspintomographischen Befundes vom 4. Januar 2012 verneinte der Beratungsarzt Dr. L. in einer weiteren Stellungnahme vom 8. Mai 2012 das Vorliegen eines unfallbedingten Gesundheitserstschaden im Bereich der rechten Schulter als Folge der versicherten Tätigkeit am 2. Januar 2012. Auch aus dem MRT vom 4. Januar 2012 ergebe sich kein Nachweis eines Knochenödems.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai 2012 die Anerkennung des Ereignisses vom 2. Januar 2012 als Arbeitsunfall ab. Ein Gelenkerguss und ein Knochenödem, welche Hinweise für einen traumatisch bedingten Ablauf seien, seien weder bildtechnisch noch operativ gesichert worden. Die medizinische Behandlung im rechten Schultergelenk sei ausschließlich aufgrund vorbestehender Veränderungen erfolgt. Ein hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2012 zurück.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Altenburg Klage erhoben. Nach Beiziehung des Röntgenbefundes vom 3. Januar 2012, der eine geringgradige Arthrose des Akromiokla-vikulargelenkes auswies, beauftragte das Sozialgericht Dr. Sch. mit der Erstellung eines Zu-sammenhangsgutachtens. Dieser führte in seinem Gutachten vom 11. Juli 2013 aus, dass der Operationsbericht vom 11. Januar 2012 eine Situation an der langen Bizepssehne beschreibe, wie sie unfallbedingt nicht zu erwarten sei. Es seien keine frischen Verletzungsmerkmale, unter anderem auch kein blutiger Gelenkerguss, beschrieben. Der histologische Befund, wonach Verschleißveränderungen völlig fehlten, sei nicht nachvollziehbar, da jeder Mensch in der Lebensphase des Klägers bereits über Texturstörungen verfüge. Die Röntgenaufnahme vom 2. Januar 2012 belege eine bereits beachtliche Arthrose im Schultereckgelenk. Die MRT-Aufnahme vom 4. Januar 2012 sei nur eingeschränkt auswertbar. Der geschilderte Hergang sei ungeeignet für eine Ruptur der langen Bizepssehne. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 9. Januar 2014 hat Dr. Sch. dargelegt, dass weder im Operationsprotokoll noch im MRT-Befund eine Einblutung dokumentiert sei. Der Zeitraum reiche ersichtlich nicht aus, um eine zerrungsbedingte Einblutung komplett zu resorbieren. Die degenerativen Veränderungen im Bereich der rechten Schulter seien bereits zum Unfallzeitpunkt vorhanden gewesen und könnten nicht erst durch dieses verursacht worden sein.

Mit Urteil vom 29. April 2014 hat das Sozialgericht Altenburg die Klage abgewiesen. Der vom Kläger geschilderte Unfallhergang sei nicht geeignet, eine traumatische Verletzung der Bizepssehne hervorzurufen. Das Operationsprotokoll vom 11. Januar 2012 beschreibe eine verschleißbedingte Situation. Frische Verletzungsmerkmale, wie ein Hämarthros oder ein Erguss, fehlten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch. belege bereits die Röntgenaufnahme vom 2. Januar 2012 eine beachtliche Arthrose im Schultereckgelenk rechts. Der histologische Befund vom 12. Januar 2012 führe ebenfalls nicht dazu, dass die Schädigung der langen Bizepssehne mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 2. Januar 2012 zurückzuführen sei. Daher sei auch die Einholung eines pathologischen Zusatzgutachtens nicht erforderlich.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Sozialgericht hätte den Sach-verhalt weiter aufklären müssen. Hinsichtlich des Unfallherganges habe es nicht hinreichend berücksichtigt, dass der in der Umlagerung der Heimbewohnerin begriffene Kläger diese im Zeitpunkt ihrer plötzlichen Abwehrbewegungen mit Zurückrollen auf den Arm freihändig gestützt habe. Das Fehlen von Begleitverletzungen in den Weichteilstrukturen schließe ein traumatisches Geschehen nicht zwingend aus. Allein der Sachverständige Dr. Sch. spreche von einer beachtlichen Arthrose im Schultereckgelenk, während in den bildgebenden Befunden diese nur als geringgradig beschrieben würde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 29. April 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2012 aufzuheben und das Ereignis vom 2. Januar 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach den eingeholten Gutachten stehe die Teilruptur der Bizepssehne rechts nicht mit dem Unfallereignis im Zusammenhang.

Der Senat hat im Berufungsverfahren ein radiologisches Gutachten von Frau Dr. St. vom 9. August 2015 eingeholt. Der Röntgenbefund vom 2. Januar 2012 weise Zeichen einer mäßigen Degeneration des acromio-claviculären Gelenkes, welche das Altersmaß nicht überschreiten, auf. Traumatische knöcherne Verletzungsfolgen seien nicht festzustellen. Dem MRT-Befund der Schulter rechts vom 4. Januar 2012 lasse sich eine Ergussbildung nicht entnehmen. Im MRT der rechten Schulter vom 4. Januar 2012 fänden sich mehrere Zeichen einer frischen Schädigung, so der Nachweis eines Schultergelenkergusses und eine begleitende Einblutung in den Muskulus subscapularis. Ein Kapseleinriss und Bandeinrisse am oberen vorderen Bereich der Gelenkkapsel seien festzustellen. Dr. L. hat in einer beratungsärztlichen Stellungnahme von 29. August 2015 dazu angemerkt, dass sich zur Qualität des Gelenkergusses keine Ausführungen fänden. Es bleibe offen, ob es sich um einen rein serösen Reizerguss oder um einen blutigen Erguss handele. Es sei nicht nachvollziehbar, wie es bei einem ansatznahen Riss der langen Bizepssehne zu einer isolierten Einblutung in den Unterschulterblattmuskel kommen solle. Eine frische Zusammenhangstrennung einer Sehne sei nicht gleichzusetzen mit einer unfallbedingten Zusammenhangstrennung.

Daraufhin hat der Senat Dr. St. mit der Erstellung eines fachchirurgischen Gutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 20. März 2016 aus, dass die handschriftliche Hergangsbeschreibung des Klägers vom 18. Januar 2012, wonach die Bewohnerin eine Ab-wehrreaktion ausführte und auf den rechten Arm zurückrollte, im Hinblick auf den Ablauf einer plötzlichen passiven Bewegung bei muskulär fixiertem Gelenk entspreche und daher als geeigneter Hergang für eine Ruptur der langen Bizepssehne anzusehen sei. Der Röntgenbefund vom 2. Januar 2012, der eine relativ leichte Arthrose am rechten Schultereckgelenk aber auch eine Einengung des Gleitraumes für die Schultersehnen belege, spreche gegen einen Unfallzusammenhang. Entscheidend gegen einen traumatischen Hergang spreche, dass bei einer unfallbedingten Ruptur der langen Bizepssehne zwei Veränderungen, nämlich ausgedehnte Einblutungen im Operationsgebiet entlang der Bizepssehne und ein kompletter Abriss der Bizepssehne am knöchernen Ansatz der langen Bizepssehne, zu erwarten seien. Beides sei beim Kläger nicht der Fall. Ausweislich des Operationsberichtes habe sich kein Hämarthros (= blutiger Erguss) entleert und es sei nur eine Teilruptur der langen Bizepssehne festgestellt worden. Bei einem traumatischen Abriss sei aber ein kompletter Abriss der langen Bizepssehne zu erwarten. Die Schäden an der langen Bizepssehne seien also mit einem unfallbedingten Sehnenriss nicht in Einklang zu bringen. Der histologische Untersuchungsbericht, der keine nachweisbaren degenerativen Vorschäden enthalte, sei ein Aspekt, der für einen Zusammenhang spreche. Bei Abwägung aller Gesichtspunkte spreche hier mehr gegen einen Unfallzusammenhang als dafür. Gravierend sei die festgestellt Teilruptur der langen Bizepssehne sowie der fehlende Bluterguss. Dies seien gravierende Aspekte, die gegen einen Unfallzusammenhang sprächen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 6. Juli 2016 hat Dr. St. seine Ausführungen vertieft. Eine Teildurchtrennung einer Sehne spreche für eine degenerative Schädigung. Solche Teilrupturen entstünden, wenn Sehnen sich über eine längere Zeitspanne "aufscheuerten". In der Anatomie seien besonders die Sehnen der Rotatorenmanschette und der langen Bizepssehne bekannt dafür, dass eine allmähliche Sehnenschädigung entstehe. Die lange Bizepssehne verlaufe in einem knöchernen Kanal, sozusagen wie das Seil über eine Winde, und sei daher für die oben erwähnten Auffaserungen besonders anfällig. Der Verlauf in dem knöchernen Kanal sei für das Zustandekommen der Rupturen der langen Bizepssehne nach medizinischer Erfahrung wesentlich. 90% aller Rupturen der langen Bizepssehne seien nach medizinischer Einschätzung nicht unfallbedingt. Auf den zeitnah angefertigten bildgebenden Befunden sei bereits eine Einengung des Raumes unter der Schulterhöhe (subacromialer Raum) zu erkennen. Dies bedinge eine Verringerung des Gleitraumes für die Schultersehnen. Am Schulterhauptgelenk bestünden beim Kläger keine degenerativen Veränderungen, hingegen am Acromioklavikulargelenk (Schultereckgelenk rechts). Es sei eine gut gesicherte medizinische Erkenntnis, dass es bei unfallbedingtem Abriss von Sehnen zu stärkeren Einblutungen komme. Dies stehe nicht im Widerspruch dazu, dass man in Sehnengewebe so gut wie keine Blutgefäße vorfinde. Am Abriss der Sehne am knöchernen Ansatz würden die dort in der Knochenhaut verlaufenden Blutgefäße mit abgerissen und führten zu deutlichen Blutungen, die sich äußerlich gut als Hämatome oder als ausgedehnter Bluterguss erkennen ließen. Ganz anders verhalte es sich beim degenerativen Riss. Bei einem allmählichen Auffasern der Sehnenteile sei die Schädigung der Sehne ganz wesentlich auf die Sehne selbst beschränkt. Deshalb komme es nur zu geringen Blutungen. Die Zeitspanne von neun Tagen sei absolut unzureichend, einen ausgedehnten Bluterguss bei unfallbedingtem Abriss einer Sehne zu resorbieren.

In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 31. Januar 2017 hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Zugkraft bei der langen Bizepssehne auf die gesamte Sehne und nicht lediglich auf einige Sehnenteile einwirke. Sei der vom Muskel ausgeübte Zug höher als die Reißfestigkeit, so sei ausschließlich ein kompletter Abriss der Sehne an der knöchernen Ver-ankerungsstelle zu erwarten. Teilschädigungen in rupturierten Sehnen seien daher typische Merkmale einer degenerativen Sehnenruptur. Die im MRT-Befund vom 4. Januar 2012 be-schriebene Tendovaginitis der Bizepssehne sei eine Entzündung der Sehnenscheide, welche einen typischen degenerativen Sehnenschaden darstelle. Den kernspintomographischen Befund lasse sich an keiner Stelle ein zu erwartender unfallbedingter Begleitschaden entnehmen. Die beschriebenen ödematösen Veränderungen seien typischerweise bei einer degenerativen Sehnenschädigung zu erwarten. Einblutungen in Knochen seien nicht belegt. Nach wie vor sei unter Abwägung aller Aspekte davon auszugehen, dass die Teilruptur der Bizepssehne nicht unfallbedingt sei.

Der Kläger ist der Auffassung, dass traumatisch verursachte inkomplette Rupturen großer Sehnen insbesondere für die Rotatorenmanschette und das Kreuzband seit Jahren bekannt seien. Das vom Sachverständigen bemängelte fehlende traumaassoziierte Knochenödem sei nur bei einem knöchernen Sehnenabriss zu erwarten, der vorliegend jedoch gerade nicht gegeben sei. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, weshalb die altersbezogene untypisch gering ausgeprägten Veränderungen am Schultereckgelenk ein Beleg für einen degenerativ verursachten Sehnenriss sein sollten, während die fehlenden degenerativen Veränderungen am Schulterhauptgelenk kein Argument gegen eine degenerative Verursachung darstellen sollten.

Die Beteiligten haben nach Durchführung eines Erörterungstermins am 10. April 2017 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des im Erörterungstermin vom 10. April 2017 erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter durch Urteil zu entscheiden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Altenburg hat die Klage zu Recht abgewiesen und einen Anspruch des Klägers auf Feststellung des Ereignisses vom 2. Januar 2012 als Arbeitsunfall verneint. Der Bescheid vom 21. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 2. Januar 2012 als Ar-beitsunfall.

Richtige Klageart für die Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses", "Unfallereignis" und "Gesundheitsschaden" wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesund-heitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (BSG, Urteil vom 20. März 2007, Az.: B 2 U 27/06 R). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, Az.: B 2 U 2/11 R; BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen ein Ursachenzu-sammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst nachdem feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG; Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine Anerkennung des Ereig-nisses vom 2. Januar 2012 als Arbeitsunfall deshalb ausscheidet, weil ein erforderlicher Ge-sundheitserstschaden nicht festzustellen ist. Insbesondere kann die Teilruptur der langen Bi-zepssehne in Form ihres Zustandes nach dem operativen Eingriff vom 11. Januar 2012 nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 2. Januar 2012 zurückgeführt werden. Es gibt erhebliche gegen einen Ursachenzusammenhang sprechende Gesichtspunkte, sodass es dem Senat nicht möglich ist, die erforderliche richterliche Überzeugung eines Zusammenhanges zu gewinnen.

Hinsichtlich der Entstehung einer Bizepssehnenruptur ist zu berücksichtigen, dass die knöcherene Verankerung der langen Bizepssehne am Schulterblatt und zwar am oberen Rand der Schulterpfanne liegt. Die lange Bizepssehne zieht ganz frei durch das Schultergelenk und verläuft in einer knöchernen Rinne. Dabei verläuft die Sehne wie das Seil über eine Winde in der Gleitrinne des Oberarmkopfes (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 424 ff.). In dieser Rinne kommt es durch mechanische Beanspruchungen häufig zu degenerativen Veränderungen, die zu einem Durchscheuern der Sehne führen können. Die Sehne wird an ihrer Umlenkstelle mit Zugkräften, Druck, Reibung und Scherkräften belastet. Folge einer solchen mechanischen Dauerbelastung sind Sehnenveränderungen, wodurch die Zugfestigkeit der Sehne abnimmt. Ist eine Ruptur der langen Bizepssehne traumatisch bedingt, sind nur bestimmte Verletzungsmechanismen geeignet, eine solche zu verursachen. Nicht geeignet ist das Anheben einer auch schweren Last ohne zusätzliche Einwirkungen, gewöhnliche Verrichtungen harter Arbeit oder willentliche Armbelastungen (Schönberger/Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 426 ff.). Ein geeigneter Hergang liegt vor, wenn eine Kraft überfallartig auf die muskuläre gespannte Struktur trifft und diese in erheblichem Umfang beansprucht.

Übertragen auf den vorliegenden Fall folgt daraus, dass die zunächst in den Akten enthaltene Hergangsbeschreibung, wonach der Kläger bei der Lagerung der Heimbewohnerin plötzlich einen heftigen Schmerz rechts im Bereich von Schulter/Oberarm verspürte, nicht geeignet war, um eine traumatische Bizepssehnenruptur zu verursachen. Hingegen ist insbesondere in Anlehnung an die Ausführung des Sachverständigen Dr. St. in seinem Gutachten vom 20. März 2016 die handschriftliche Hergangsbeschreibung des Klägers vom 18. Januar 2012 (Bl. 27 des Verwaltungsvorgangs) durchaus als geeignet anzusehen, eine traumatische Ruptur der langen Bizepssehne zu verursachen. Die erforderliche plötzliche passive Bewegung bei muskulär fixiertem Gelenk infolge einer überfallartigen Belastung ist dabei gegeben. Des Weiteren hat der Sachverständige Dr. St. in dem genannten Gutachten den histologischen Untersuchungsbefund als Aspekt für einen Unfallzusammenhang gewertet. Diese Gesichtspunkte allein reichen aber nicht aus, um von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auszugehen. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. Dabei ist insbesondere auch auf die Gesichtspunkte einzugehen, die hier gegen einen traumatischen Abriss der langen Bizepssehne sprechen. Insoweit benennt der Sachverständige Dr. St. in seinem Gutachten vom 20. März 2012 das Fehlen ausgedehnter Einblutungen im Operationsgebiet entlang der Bizepssehne als deutlichen Gesichtspunkt gegen eine traumatische Verursachung. Diesen Gesichtspunkt hat der Sachverständige Dr. St. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 6. Juli 2016 noch weiter vertieft. Er hat dargelegt, warum es bei unfallbedingtem Abriss von Sehnen zu stärkeren Einblutungen kommt. Dies ist nach den Ausführungen des Sachverständigen nur auf den ersten Blick im Hinblick auf das Fehlen von Blutgefäßen in der langen Bizepssehne widersprüchlich. Denn bei einem unfallbedingten Abriss einer Sehne reißt die Sehne an der Stelle der geringsten Zugkräftigkeit, und das ist der Bereich des Sehnenansatzes am Knochen. Beim Abriss der Sehne am knöchernen Ansatz werden die dort in der Knochenhaut verlaufenden Blutgefäße mit abgerissen und führen zu deutlichen Blutungen, die als Hämatome und intera-operativ als ausgedehnter Bluterguss erkennbar sind. Anders stellt sich die Lage bei einem degenerativen Riss dar. Hier kommt es zum allmählichen Auffasern der Sehnenteile. Die Schädigung der Sehne beschränkt sich ganz wesentlich auf die Sehne selbst. Da in den Sehnen so gut wie keine Blutgefäße vorliegen, kommt es bei degenerativen Schädigungen somit nur zu geringen Blutungen, bei unfallbedingten Sehnenabrissen jedoch zu kräftigen Einblutungen. Insoweit hat der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass der im Operationsbericht ausdrücklich festgehaltene Befund, dass sich kein Hämarthros entleerte und kein Erguss festgestellt wurde, deutlich als Aspekt gegen einen Unfallzusammenhang zu werten ist. Da die Operation bereits in einem Zeitraum von neun Tagen nach dem Unfallereignis stattfand, war es nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. St. auch nicht möglich, von einer Rückbildung des Ergusses auszugehen.

Des Weiteren hat Dr. St. in seinem Gutachten vom 20. März 2016 die hier vorliegende Teilruptur der langen Bizepssehne als ebenfalls gegen einen Unfallzusammenhang sprechenden Gesichtspunkt bewertet. Dies hat er insbesondere in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 6. Juli 2016 und 31. Januar 2017 noch weiter ausgeführt. Dort hat er eingehend erläutert, warum eine inkomplette Ruptur gerade nur als Ausdruck eines degenerativen Prozesses anzusehen ist. Dr. St. legt insoweit dar, dass die Zugkraft bei der langen Bizepssehne direkt auf die gesamte Sehne und nicht lediglich auf einige Sehnenteile wirkt. Dies bedingt, dass ein kompletter Abriss der Sehne an der knöchernen Verankerungsstelle unfallbedingt zu erwarten ist. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auf die Feststellungen in dem Operationsbericht aus dem Waldklinikum in Gera vom 11. Januar 2012 verwiesen. Danach wurden bei der Operation noch so viele Sehnenteile (= Restfasern der Bizepssehne) vorgefunden, dass diese intraoperativ durchtrennt werden mussten. Daraus leitet er nachvollziehbar einen typischen degenerativen Befund her.

Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. St. stehen mit dem radiologischen Gutachten von Frau Dr. St. vom 9. August 2015 im Einklang. Ein Knochenödem, welches nach ihren Ausführungen radiologisch als Zeichen eines frischen Traumas im MRT zu werten ist, wurde im MRT vom 4. Januar 2012 gerade nicht gesichert. Zudem wurde im Bereich der Ruptur der vorderen oberen Kapselanteile ein Flüssigkeitsnachweis geführt. Dies entspricht sowohl nach den Ausführungen der Radiologin Frau Dr. St. als auch nach den Ausführungen von Dr. St. für eine Tendovaginitis (Entzündung der Sehnenscheide) der Bizepssehne. Derartiges ist aber nach den Ausführungen von Dr. St. eine typische Schädigung, wie sie im Zusammenhang mit degenerativen Sehnenschäden anzutreffen ist. Die von der Radiologin beschriebenen ödematösen Veränderungen stehen mit einer degenerativen Sehnenschädigung im Einklang, während Einblutungen in Knochen, wie sie bei traumatischen Abrissen von Sehnen häufig als Begleit-schädigung auftreten, gerade nicht festgestellt worden sind. Soweit der Kläger dem entgegen hält, dass das fehlende traumaassoziierte Knochenödem nur bei einem knöchernen Sehnenabriss zu erwarten sei und nicht bei einer Teilruptur der Bizepssehne in deren Verlauf, vermag dies an den oben genannten Feststellungen nichts zu ändern. Denn typisch für einen traumatischen Abriss der langen Bizepssehne ist, dass die Sehne an der Stelle der geringsten Zugfestigkeit abreißt, und das ist der Bereich des Sehnenansatzes am Knochen. Für einen degenerativen Riss ist es hingegen gerade typisch, dass es zu einem allmählichen Auffasern der Sehnenteile kommt und hierbei ist die Schädigung der Sehne ganz wesentlich auf die Sehne selbst beschränkt.

Bereits aufgrund der festgestellten fehlenden Einblutungen im Operationsbericht und aufgrund des Vorliegens "nur" einer Teilruptur der langen Bizepssehne konnte der Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass das Unfallereignis vom 2. Januar 2012 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu der festgestellten Teilruptur der langen Bizepssehne rechts geführt hat. Insoweit kann ausdrücklich offen bleiben, inwieweit die im Fall des Klägers beschriebenen degenerativen Veränderungen ebenfalls erheblich gegen einen Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der Teilruptur der langen Bizepssehne rechts sprechen. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass es weder Aufgabe des Senats noch der Beklagten im Verwaltungsverfahren ist, dem Kläger gegenüber die Ursache für die Teilruptur der langen Bizepssehne verbindlich zu klären. Es ist ausschließlich zu prüfen, ob ein Unfallereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit diese verursacht hat. Alles andere würde mit Beweisgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht im Einklang stehen. Denn allein das Fehlen von Alternativursachen begründet nicht den erforderlichen Unfallzusammenhang. Im Bereich des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte Tätigkeit automatisch eine wesentliche Ursache ist (so BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Hinsichtlich der im Verfahren intensiv diskutierten degenerativen Veränderungen weist der Senat nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die Kritik des Klägers in seinem Schriftsatz vom 10. März 2017, wonach nicht nachvollziehbar sei, warum fehlende degenerative Veränderungen am Schulterhauptgelenk kein Argument gegen eine degenerative Verursachung des fraglichen Sehnenrisses seien sollen, während degenerative Veränderungen am Schultereckgelenk ein Beleg für einen degenerativ verursachten Sehnenriss sein sollen, nicht durchdringt. Insoweit hat Dr. St. in seinem Gutachten und in den ergänzenden Stellungnahmen dargelegt, dass hier Anhaltspunkte für degenerative Veränderungen im Schultereckgelenk des Klägers vorhanden sind. Degenerative Veränderungen der knöchernen Strukturen im Bereich des Schultereckgelenkes sind nach der medizinischen Literatur ein Zeichen gegen eine unfallbedingte Ruptur der langen Bizepssehne (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., S. 427). Ob dies im Fall des Klägers ebenso zu sehen ist, kann aber, wie bereits ausgeführt, offen bleiben.

Die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Sachverständigen Dr. St. besteht nicht. Dieser hat insbesondere durch seine ergänzenden Stellungnahmen alle Fragen aus Sicht des Senats beantwortet. Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 10. März 2017 weiteren Erläu-terungsbedarf sieht, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten und insbesondere in den ergänzenden Stellungnahmen seine Auffassung zur Frage der fehlenden Einblutung und der Teilruptur der langen Bizepssehne und deren Auswirkung auf die Kausalitätsbeurteilung eingehend dargelegt. Der Schriftsatz vom 10. März 2017 bringt insoweit nur zum Ausdruck, dass der Kläger diese Auffassung nicht teilt. Im Übrigen kommt es nach den vorhergehenden Ausführungen auf die Frage, inwieweit die Teilruptur der langen Bizepssehne beim Kläger degenerativ verursacht ist, letztlich nicht entscheidend an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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